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VwGH vom 27.09.2012, 2012/16/0054

VwGH vom 27.09.2012, 2012/16/0054

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Finanzamtes Baden Mödling gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1718-W/11, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: K in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte hat unter Verwendung eines Formblattes "Beih 38" Familienbeihilfe in Form einer "Differenzzahlung" für seinen am geborenen Stiefsohn S.B. sowie für seine minderjährigen Töchter Ki.K. und Ka.K. beantragt

Dem mit dem Antrag vorgelegten Unterlagen und den Angaben im Formblatt zufolge wohnten der Stiefsohn und die leiblichen Kinder des Mitbeteiligten mit der Ehefrau des Mitbeteiligten in Ungarn an derselben Anschrift wie der Mitbeteiligte Der Stiefsohn des Mitbeteiligten besuche eine "Fachmittelschule". Die Ehefrau des Mitbeteiligten sei "derzeit noch im Karenz". Der Mitbeteiligte sei in Österreich unselbständig erwerbstätig und habe hier auch einen Wohnsitz.

Mit Bescheid vom 13. oder (in den vorgelegten Verwaltungsakten sind zwei gleichlautende, unterschiedlich datierte Ausfertigungen des Bescheides enthalten) wies das Finanzamt den Antrag auf "Ausgleichszahlung" hinsichtlich des Stiefsohnes des Mitbeteiligten für den Zeitraum "ab Jän. 2010" ab.

Zur Begründung führte das Finanzamt an: "Bei Stiefkindern liegt keine Familienangehörigeneigenschaft im Sinne des Art. 68 der 'Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit' vor".

Mit Schriftsatz vom berief der Mitbeteiligte dagegen und brachte vor, sein Stiefsohn habe im Jahr 2010 genauso wie immer "mit uns" gewohnt. Im Leben des Kindes sei noch nie Familienbeihilfe vom leiblichen Vater bezogen worden. Der leibliche Vater seines Stiefsohnes habe höchstens 50 EUR monatlich bezahlt.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Da dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 die Bezeichnung "Familienangehöriger" fremd sei, sei für die Gewährung der Familienbeihilfe die Definition des Familienangehörigen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 heranzuziehen. Stiefkinder fielen nicht unter den genannten Personenkreis.

Auf Vorhalt der belangten Behörde teilte der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom mit, seine Ehefrau und seine beiden Töchter wohnten derzeit mit ihm in Österreich, sein Stiefsohn wohne in Ungarn. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei im Jahr 2010 noch in Ungarn gewesen. Heuer sei er schon in Österreich. Im Jahr 2010 habe sein Stiefsohn noch "mit uns" gelebt, weil er noch studiert habe. Ab studiere sein Stiefsohn nicht mehr, sondern habe eine Ausbildung als Polizist (Schnellkurs) gemacht und arbeite seit Juni 2011 als Polizist in Ungarn. Seine Ehefrau habe für seinen Stiefsohn bis Ende des Jahres 2010 Familienbeihilfe (zur Gänze in Ungarn) in Höhe von etwa 57 bis 60 EUR monatlich erhalten. Seine Ehefrau sei im Jahr 2010 noch in Karenz und in Ungarn (wie früher) versichert gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über die Berufung des Mitbeteiligten "betreffend Abweisung der Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) für SB von Jänner 2010 bis April 2011" mit folgendem Spruch:

"Der Berufung wird teilweise stattgegeben.

Für die Monate Jänner bis Dezember 2010 wird die Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) in Höhe von EUR 2.303,24,-

gewährt.

Im Übrigen bleibt der Bescheid unverändert."

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde fest, der Mitbeteiligte sei ungarischer Staatsbürger und arbeite seit Jänner 2006 laufend in Österreich, wo er einen Hauptwohnsitz und seinen ständigen Aufenthalt habe. Er sei mit einer ungarischen Staatsbürgerin verheiratet. Diese habe für ihren am geborenen Sohn aus erster Ehe, S.B., das Sorgerecht. Die Ehefrau des Mitbeteiligten habe im Jahr 2010 mit den zwei gemeinsamen Kindern und dem Stiefsohn des Mitbeteiligten im gemeinsamen Haushalt in Ungarn gewohnt. Dort befinde sich der Familienwohnsitz. Der Mitbeteiligte sei auch am Familienwohnsitz in Ungarn gemeldet. S.B. habe im Jahr 2010 eine Schule in Ungarn besucht. Im Jahr 2011 habe er in Ungarn mittels Schnellkurs eine Ausbildung als Polizist absolviert und arbeite seit Juni 2011 als Polizist in Ungarn. Ab Beginn des Jahres 2011 sei S.B. selbsterhaltungsfähig, nicht mehr bei der Ehefrau des mitbeteiligten Haushalts zugehörig und wohne in Ungarn, während der Mitbeteiligte, seine Ehefrau und die zwei gemeinsamen Kinder seit Februar 2011 im gemeinsamen Haushalt in Österreich wohnten. Die Mutter des S.B., die Ehefrau des Mitbeteiligten, habe für S.B. bis Ende des Jahres 2010 ungarische Familienbeihilfe erhalten und Kinderbetreuungsgeld und sei im Jahr 2010 in Ungarn pflichtversichert gewesen. Der leibliche Vater des S.B. leiste nur geringe Unterhaltsbeträge von etwa 50 EUR monatlich. Der Mitbeteiligte habe im Jahr 2010 den überwiegenden Unterhalt für S.B. geleistet.

S.B., der Stiefsohn des Mitbeteiligten, sei Kind des Mitbeteiligten im Sinn des § 2 Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes und Familienangehöriger im Sinne der unionsrechtlichen Verordnungen, die im Beschwerdefall maßgeblich seien.

Dagegen richtet sich die gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde des Finanzamtes. In der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2VwGG) begrenzt das Finanzamt den Umfang der Anfechtung damit, dass die belangte Behörde ausgesprochen habe, "dass der Stiefvater einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung geltend machen könne und diesem daher für die Monate Jänner bis Dezember 2010 Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) zu in Höhe von EUR ... zustehe".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 90/2007 hatten Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet wurden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich war.

Gemäß § 2 Abs. 3 lit. c FLAG zählen zu den Kindern einer Person auch deren Stiefkinder.

Für den Streitzeitraum des Jahres 2010 ist einerseits für die Monate Jänner bis April 2010 die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, - konsolidierte Fassung ABlEG Nr. L 28 vom -, (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und andererseits für die Monate Mai bis Dezember 2010 die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABlEU Nr. L 166 vom , Berichtigung ABlEU Nr. L 200 vom , (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) maßgebend.

Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom , ABlEU Nr. L 38 vom , gilt diese Verordnung u. a. für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Nach Art. 1 Buchstabe f sublit. i) der Verordnung Nr. 1408/71 in der erwähnten Fassung wird für die Anwendung dieser Verordnung der Begriff "Familienangehöriger" wie folgt definiert:

"Jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die

Leistungen gewährt werden, ... als Familienangehöriger bestimmt,

anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder als Haushaltsangehöriger angehsehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird."

Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in dem Mitgliedstaat, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Gemäß Art. 1 Buchstabe i Nr. 1 sublit. i) der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet für die Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck Familienangehöriger:

"Jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;"

Sowohl die Verordnung Nr 1408/71 wie auch die Verordnung Nr. 883/2004 stellen sohin zum Begriff des Familienangehörigen auf das die betreffende Leistung gewährende innerstaatliche Recht ab.

Nun ist dem beschwerdeführenden Finanzamt einzuräumen, dass das FLAG keine Legaldefinition des Begriffes "Familienangehöriger" enthält. Das Finanzamt selbst aber geht zutreffend davon aus, dass in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 3 FLAG herangezogen werden kann.

Damit ist das Schicksal der Beschwerde aber bereits entschieden. Stellen die unionsrechtlichen Verordnungen auf die die betreffende Leistung (im Beschwerdefall: Familienbeihilfe) gewährenden nationalen Rechtsvorschriften ab und zählt § 2 Abs. 3 lit. c FLAG zu den Familienangehörigen, für welche die Familienleistung (Familienbeihilfe) gewährt wird, auch die Stiefkinder, so fallen damit bei Anwendung der beiden unionsrechtlichen Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 833/2004 auf die Frage der österreichischen Familienbeihilfe unter den Begriff "Familienangehöriger" auch die Stiefkinder einer unter die Verordnung fallenden Person.

Das beschwerdeführende Finanzamt führt ins Treffen, Stiefeltern hätten nur eingeschränkte Verpflichtungen gegenüber Stiefkindern, wobei eine unmittelbare Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind des Ehepartners, das nicht aus dieser Ehe stammt, nicht bestehe. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 2 Abs. 2 FLAG den Familienbeihilfenanspruch grundsätzlich nach der Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind (als welches nach § 2 Abs. 3 FLAG eben auch das Stiefkind zählt) abstellt und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG) darauf abstellt, dass die Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Auf eine Unterhaltspflicht der diese Unterhaltskosten überwiegend tragenden Person kommt es nach der hg. Rechtsprechung (vgl. die zum insoweit inhaltsgleichen § 6 Abs. 5 FLAG ergangenen hg. Erkenntnisse vom , 2009/16/0087, vom , 2009/16/0115, und vom , 2009/16/0130) nicht an. Aus diesem Grund geht auch die Verfahrensrüge des Finanzamtes, dass die belangte Behörde nicht ermittelt habe, ob ein allenfalls zum Unterhalt verpflichtender Großelternteil mit dem Stiefsohn des Mitbeteiligten im gemeinsamen Haushalt gewohnt habe, schon deshalb ins Leere.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am