VwGH vom 26.02.2015, 2012/15/0164

VwGH vom 26.02.2015, 2012/15/0164

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer-Jenkins, über die Beschwerde des H M in G, vertreten durch die BDO Tschofen Treuhand Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH in 6800 Feldkirch, Gallmiststraße 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0380- F/10, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2003 bis 2008, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass er zu lauten hat: "Der erstinstanzliche Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2003 bis 2008 wird ersatzlos aufgehoben."

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am erging seitens des Finanzamtes folgendes Ergänzungsersuchen an den Beschwerdeführer:

"Seitens des Finanzamtes Feldkirch war auf Grund abgabenrechtlicher Erhebungen festzustellen, dass Sie bis zu Ihrer Pensionierung einer langjährigen nichtselbstständigen Beschäftigung in der Schweiz nachgegangen sind. Weiters war festzustellen, dass Sie zumindest seit April 2002 Ihren Wohnsitz in (österreichische Adresse) haben. Eine Prüfung des elektronischen Aktes ergab weiters, dass für Sie ab 2001 bis laufend lediglich geringfügige inländische Pensionseinkünfte evident sind. Eine Offenlegung und Deklarierung Ihrer ausländischen Pensionseinkünfte zumindest ab dem Jahr 2002 bis laufend ist gegenüber dem Finanzamt Feldkirch bis dato nicht erfolgt. Sie werden deshalb aufgefordert bis spätestens Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002 bis 2008 einzureichen. (...)"

Am übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen steuerlichen Vertreter Entwürfe der Steuererklärungen 2002 bis 2008 vorab per Email an den im Ergänzungsersuchen ausgewiesenen Bearbeiter im Finanzamt und schloss dieser Nachricht diverse Beilagen an. In einer der Beilagen wurden die "Säulen" seiner Pensionseinkünfte inklusive der bezogenen ASVG-Leistungen für die Jahre 2002 bis 2008 einzeln aufgeschlüsselt. Darüber hinaus wurde eine "Steuerübersicht" 2002 bis 2008 angeschlossen, in der der steuerliche Vertreter den Gesamtbetrag der Einkünfte und die daraus resultierende Einkommensteuer bereits vorausberechnete. Mit Email vom antwortete der Bearbeiter im Finanzamt, dass die Unterlagen grundsätzlich ausreichend seien.

Am wurden die Einkommensteuererklärungen für 2002 bis 2008 online eingereicht. Mit Schreiben vom selben Tag wurde u.a. die Beilage mit der Aufschlüsselung der Einkünfte inklusive der inländischen "ASVG-Pension" nochmals schriftlich eingereicht.

Am ergingen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2008, die jedoch lediglich die "Einkünfte ohne inländischen Steuerabzug" in Ansatz brachten.

Am wurden dem Finanzamt seitens der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) berichtigte Lohnzettel übermittelt, mit denen die bisherige Kategorisierung der der Finanzverwaltung "automatisiert überspielten" Lohnzettel von "LZ-Art 8" (Lohnzettel für Steuerpflichtige, für die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens keine Lohnsteuer einzubehalten ist) auf die Kategorisierung "LZ-Art 1" (Lohnzettel für beschränkt oder unbeschränkt Steuerpflichtige) richtiggestellt wurde.

Auf Grundlage der berichtigten Lohnzettel ergingen am Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer sowie neue Sachbescheide für die Jahre 2003 bis 2008, die neben den "Einkünften ohne inländischen Steuerabzug" auch die Einkünfte laut Lohnzettel der PVA enthielten.

Gegen die Wiederaufnahme brachte der Beschwerdeführer mit näherer Begründung Berufung ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend führte sie aus, als Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen sei - wie sich aus der Begründung der Bescheide des Finanzamtes ergebe - ein berichtigter, neuer Lohnzettel, der von der PVA nach Ergehen der Erstbescheide übermittelt worden sei und aus dem sich geänderte Einkommensteuerfestsetzungen ergäben. Es sei dem steuerlichen Vertreter Recht zu geben und werde auch von Seiten des Finanzamtes nicht bestritten, dass er alle erforderlichen Unterlagen schon vor Erlassung der Erstbescheide eingereicht habe. Es sei aber gängige Praxis der Finanzämter in Österreich, dass Veranlagungen im Regelfall erklärungsgemäß ohne weitere Kontrolle von Unterlagen durchgeführt würden. Der "im Hintergrund wartende", von der bezugauszahlenden Stelle (hier: PVA) automatisiert überspielte Lohnzettel werde dabei keiner Prüfung unterzogen. Dass der im System gespeicherte, von der PVA überspielte Lohnzettel die Indikation "L8" ("aufgrund DBA keine Lohnsteuer einzubehalten") enthalten habe - was zu einer Nichterfassung der Bezüge laut Lohnzettel im Inland habe führen müssen - sei für die Abgabenbehörde nicht erkennbar gewesen. Das Hervorkommen der Indikation "L1" in den berichtigten Lohnzetteln der PVA vom verwirkliche daher einen Wiederaufnahmetatbestand.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO idF vor dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter anderem in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis, als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neue Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 95/14/0094).

Maßgebend ist in diesem Zusammenhang, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2004/15/0135, mit weiteren Nachweisen). Hierbei kommt es auf den Wissensstand der Behörde (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) im jeweiligen Veranlagungsjahr an (vgl. für viele die hg. Erkenntnisse vom , 2006/15/0314, und vom , 2006/15/0208).

Im Beschwerdefall steht - wie die belangte Behörde festgestellt hat - außer Streit, dass der Beschwerdeführer "alle erforderlichen Unterlagen schon vor Erlassung der Erstbescheide eingereicht hat" und "durch seinen steuerlichen Vertreter seiner Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht vollständig nachgekommen ist".

Den Einkommensteuererklärungen waren auch Beilagen angeschlossen, aus denen sich unmissverständlich die inländischen Pensionseinkünfte und deren Höhe ergeben haben. Zudem lag eine Vorausberechnung der zu erwartenden Steuerbelastung durch den steuerlichen Vertreter vor, die diese Einkünfte mitumfasste und entsprechend höher als die vorgeschriebene Einkommensteuer durch die Abgabenbehörde war.

Damit waren aber der Abgabenbehörde nach ihrem Wissensstand auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen im jeweiligen Veranlagungsjahr hinsichtlich der Steuerpflicht der inländischen Pensionseinkünfte keine abgabenrelevanten Umstände unbekannt, die erst neu hervorkommen konnten.

Der bloße Umstand der falschen (internen) Kategorisierung des von der PVA (automatisiert übermittelten) Lohnzettels betreffend die inländischen Pensionseinkünfte stellt keine relevante Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO dar. Dies gilt umso mehr, als im Beschwerdefall von Seiten des Finanzamtes gerade deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, um anlässlich der Übersiedlung des Beschwerdeführers vom Ausland ins Inland alle in- und ausländischen Pensionseinkünfte steuerlich zu erfassen, und dazu ausdrücklich ein Ergänzungsersuchen an den Beschwerdeführer gerichtet worden ist, in dem bereits ausgeführt wurde, dass "eine Prüfung des elektronischen Aktes" ergeben habe, dass für den Beschwerdeführer "ab 2001 bis laufend lediglich geringfügige inländische Pensionseinkünfte evident" seien.

Der angefochtene Bescheid wäre daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Gemäß § 42 Abs. 3a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof jedoch in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersprarnis liegt. Dies ist im vorliegenden Beschwerdefall gegeben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am