VwGH vom 29.08.2018, Ra 2017/17/0591
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der H S in S, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1627/001-2016, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich) zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom wurde die Revisionswerberin als Betreiberin eines näher bezeichneten Lokals der Übertretung des § 52 Abs 1 Z 1 (dritter Fall) iVm § 2 Abs 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) zur Tatzeit "am , um 12:50 Uhr," schuldig erkannt und über sie eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Stunden) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) der dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass der Tatzeitraum wie folgt zu lauten habe: "vom bis zum um 12:50 Uhr". Weiters sprach das LVwG aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das LVwG - soweit im Revisionsverfahren wesentlich - aus, es sei berechtigt, den Tatzeitraum entsprechend zu ergänzen, nachdem der Revisionswerberin innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist ein Tatzeitraum vom bis angelastet worden sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Die Revision erweist sich hinsichtlich der in der Zulässigkeitsbegründung als rechtswidrig monierten Überschreitung des Prüfungsumfangs des Verwaltungsgerichts nach § 27 VwGVG durch Ausdehnung des Tatzeitraumes als zulässig und berechtigt.
6 "Sache" des Verwaltungsstrafverfahrens ist die dem Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist zur Last gelegte Tat mit ihren wesentlichen Sachverhaltselementen, unabhängig von ihrer rechtlichen Beurteilung (vgl. mwN; , Ra 2016/02/0226; , Ra 2018/04/0091).
7 Eine Verfolgungshandlung im Sinn der §§ 31 und 32 VStG muss eine bestimmte Verwaltungsübertretung zum Gegenstand haben, was erfordert, dass sie sich auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (vgl. ; , Ra 2016/02/0226; , Ra 2018/04/0091).
8 Nach der hg. Rechtsprechung ist eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und angewendeten Strafnorm) zulässig, wenn es nicht zu einem "Austausch der Tat" durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (vgl. mwN; zuletzt , Ra 2017/17/0355).
9 Bereits vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 war eine solche Erweiterung des Vorwurfs erst durch die Berufungsbehörde unzulässig. Eine Befugnis der Verwaltungsgerichte zur Ausdehnung des Gegenstands des Verfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinn des § 50 VwGVG hinaus wurde durch die Novelle nicht geschaffen. So stellt insbesondere die Ausdehnung des Tatzeitraumes erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem Verwaltungsgericht weiterhin eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens im Sinn des § 50 VwGVG dar (vgl. hierzu ausführlich ; , Ro 2014/04/0072; , Ra 2016/02/0226).
10 Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerberin mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom und darauf folgend auch mit Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde als Tatzeitraum ausschließlich der ,
12.50 Uhr, vorgeworfen. Der nunmehr im angefochtenen Erkenntnis des LVwG ausgedehnte Tatzeitraum war somit nicht Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens. Die Ausdehnung des Tatzeitraums durch das LVwG ist daher keine (grundsätzlich zulässige) Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung, sondern eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens im Sinn des § 50 VwGVG, wozu das LVwG nicht berechtigt war. Ob die Verfolgungsverjährungsfrist zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits abgelaufen war und eine Verfolgung der Revisionswerberin in Bezug auf den ausgedehnten Tatzeitraum grundsätzlich noch möglich gewesen wäre, ist im vorliegenden Fall ohne Relevanz, weil der ausgedehnte Tatzeitraum jedenfalls nicht Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem LVwG war (vgl. ).
11 Durch die unzulässige Ausdehnung des Tatzeitraumes von , 12:50 Uhr, auf bis , 12:50 Uhr, war das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet und somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die weiteren Revisionsausführungen einzugehen gewesen wäre.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandsersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170591.L00 |
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