VwGH vom 24.04.2014, 2012/15/0149

VwGH vom 24.04.2014, 2012/15/0149

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Waldviertel in 3950 Gmünd, Albrechtserstraße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1068-W/07, betreffend Wiederaufnahme (Einkommenssteuer 2004) und Einkommensteuer 2004 (mitbeteiligte Partei: G P in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

In der am eingebrachten Einkommensteuererklärung 2004 beantragte die Mitbeteiligte, das "große" Pendlerpauschale iHv 2.421 EUR von ihren Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen. Diesem Antrag wurde mit Einkommensteuerbescheid 2004 vom stattgegeben.

Am wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2004 wiederaufgenommen, weil das Finanzamt erst durch ein Telefongespräch vom selben Tag mit dem Dienstgeber der Mitbeteiligten von der Nähe der Haltestelle des öffentlichen Busses zur Arbeitsstätte erfahren habe, woraus sich ergebe, dass der Mitbeteiligten die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zum Erreichen der Arbeitsstätte "innerhalb der vom Einkommensteuergesetz eingeräumten zumutbaren Wegzeit (2,5 Stunden zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder umgekehrt) zumutbar" sei. Im wiederaufgenommenen Einkommensteuerverfahren berücksichtigte das Finanzamt sodann lediglich das "kleine" Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. b EStG 1988.

Die Mitbeteiligte berief sowohl gegen den Wiederaufnahmebescheid als auch gegen den Einkommensteuerbescheid.

Nach Ergehen einer negativen Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes erhob die Mitbeteiligte einen Vorlageantrag und brachte vor, sie könne ihren Dienst nicht fristgerecht um 7:00 Uhr antreten, wenn sie Massenbeförderungsmittel verwende, weil der Bus A um 6 Uhr 59 und der Bus B um 7 Uhr 01 in der Busstation am Dienstort ankomme. Vor Dienstbeginn müsse sie noch von der Haltestelle ca. 200 m zu Fuß gehen, beim Portier den Schlüssel holen, sich umziehen und - nach 2,5 Stunden Fahrzeit - ihre persönlichen Bedürfnisse befriedigen. Die Benützung eines Massenverkehrsmittels sei ihr daher für einen fristgerechten Dienstantritt unmöglich. Dies habe sie bei ihrer Vorsprache beim Finanzamt am und damit vor Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2004 vom offen gelegt. Es sei bei dieser Vorsprache jedoch auch klar darüber gesprochen worden, dass sie trotzdem der Bus A benütze, sodass auch diesbezüglich keine Tatsache neu hervorgekommen sei. Die Toleranzregelung des Arbeitgebers sei jedoch unbeachtlich, weil sie darauf keinen Rechtsanspruch habe und diese jederzeit abänderbar sei. Davon abgesehen sei eine Arbeitsstelle laut Arbeitslosenversicherungsgesetz nur dann zumutbar, wenn die tägliche Wegzeit maximal ein Viertel der durchschnittlichen, täglichen Normalarbeitszeit betrage. Bei einer Vollzeitbeschäftigung seien 2 Stunden Wegzeit zumutbar, bei einer Teilzeitbeschäftigung mit mindesten 20 Wochenstunden 1,5 Stunden. Die Mitbeteiligte arbeite 30 Stunden pro Woche, deshalb sei eine tägliche Wegzeit von 1,5 Stunden für die Wegstrecke Wohnung - Arbeitsplatz - Wohnung zumutbar. Die Mitbeteiligte träfen jedoch deutlich längere Wegzeiten. Diese seien ihr auch deshalb nicht zumutbar, weil ihr Sohn blind und erwerbsunfähig sei und sie entsprechende Betreuungsaufgaben habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und hob den Wiederaufnahmebescheid auf. Die Berufung gegen den aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Bescheid betreffend Einkommensteuer 2004 wies sie als unzulässig (geworden) zurück.

Begründend führte sie nach Auflistung der maßgeblichen öffentlichen Verkehrsverbindungen A und B und der Feststellung, dass die Wegstrecke zwischen Wohnsitz und Arbeitsort der Mitbeteiligten 97,7 km lang sei und die Fahrzeit mit dem Pkw ca. 1 Stunde 30 Minuten betrage, aus:

Die Vorsprache der Mitbeteiligten beim Finanzamt vom habe gemäß den Verwaltungsakten das Einkommensteuerverfahren 2003 und nicht das Einkommensteuerverfahren 2004 betroffen. Da das Neuhervorkommen einer Tatsache oder eines Beweismittels aus der Sicht des jeweiligen Abgabenverfahrens zu beurteilen sei, sei der Wissenstand des Finanzamtes über eine Sachlage des Jahres 2003 nicht entscheidungsrelevant. Die dem Finanzamt bekannte Sachlage sei daher die in der Einkommensteuererklärung 2004 offen gelegte und bestehe darin, dass die Mitbeteiligte das große Pendlerpauschale beantragt habe. Aus der Einkommensteuererklärung 2004 hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Jahr 2004 möglich gewesen sei. Dies sei dem Finanzamt erst seit dem am geführten Telefonat mit dem Dienstgeber bekannt.

Eine neu hervorgekommene Tatsache allein erfülle jedoch nicht als solche den Wiederaufnahmetatbestand; sie müsse vielmehr entweder allein oder iVm bereits bekannten Fakten und/oder Beweismitteln bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem, vom rechtskräftigen Bescheid sich unterscheidenden, Bescheidergebnis führen. Im Beschwerdefall sei strittig, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen der Länge der Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsort zumutbar oder nicht zumutbar gewesen sei. Nach Ansicht der Mitbeteiligten sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar gewesen, weil die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsort am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 2 Stunden 35 Minuten und am Freitag 3 Stunden 35 Minuten betragen habe. Nach Ansicht des Finanzamtes sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel überwiegend zumutbar gewesen, weil die kürzeste Wegzeit für die zwischen Wohnung und Arbeitsplatz liegende Wegstrecke am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag bei Benützung des öffentlichen Busses B maximal 2 Stunden betragen habe und deshalb "... innerhalb der vom Einkommensteuergesetz eingeräumten zumutbaren Wegzeit (2,5 Stunden zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder umgekehrt)" gelegen sei.

Tatsächlich seien im Einkommensteuergesetz zwar keine Wegzeiten angeführt, bei deren Überschreitung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei. Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels sei jedoch nach Verwaltungspraxis und überwiegender Spruchpraxis der belangten Behörde jedenfalls nicht mehr zumutbar, wenn 2 ½ Stunden Fahrzeit bei einer Wegstrecke ab 40 km überschritten würden. Die derzeitige Spruchpraxis der belangten Behörde tendiere allerdings dazu, die Zumutbarkeit der Wegzeit unabhängig von der Entfernung des Wohnortes vom Arbeitsort zu beurteilen und erachte eine (entfernungsunabhängige) Wegzeit von 1 ½ Stunden für die einfache Wegstrecke oder eine (entfernungsunabhängige) Wegzeit von 3 Stunden für die zwischen Wohnung - Arbeitsort - Wohnung liegende Fahrtstrecke als zumutbar.

Überlegungen des Gesetzgebers zu Normen anderer Rechtsgebiete wie des Arbeitsrechtes (und des von der Mitbeteiligten vorgebrachten Arbeitslosenversicherungsgesetzes) seien dagegen nicht zur Interpretation der "Unzumutbarkeit" im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 heranzuziehen.

Über die Wegzeiten der Mitbeteiligten sei aus den Fahrplänen der zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen festzustellen:

Fahre die Mitbeteiligte mit dem Bus A, würden die Wegzeiten vom Wohnort zum Arbeitsort 2 Stunden 8 Minuten betragen und die Rückfahrt dauere von Montag bis Donnerstag 2 Stunden 12 Minuten und am Freitag 3 Stunden 12 Minuten. Die täglichen Wegzeiten für Hin- und Rückfahrt würden somit von Montag bis Donnerstag 4 Stunden 20 Minuten und am Freitag 5 Stunden 20 Minuten betragen.

Fahre die Mitbeteiligte mit dem Bus B, würden die Wegzeiten vom Wohnort zum Arbeitsort 1 Stunde und 32 Minuten betragen und die Rückfahrt dauere am Montag und Dienstag 1 Stunde 53 Minuten, am Mittwoch und Donnerstag 1 Stunde 50 Minuten und am Freitag 2 Stunden 53 Minuten. Die täglichen Wegzeiten für Hin- und Rückfahrt würden somit am Montag und Dienstag 3 Stunden 25 Minuten, am Mittwoch und Donnerstag 3 Stunden 22 Minuten und am Freitag 4 Stunden 25 Minuten betragen.

Die Wegzeiten seien sohin länger, wenn die Mitbeteiligte mit dem Bus A fahre. Da jedoch die kürzeste Wegzeit entscheidungsrelevant sei, seien die Wegzeiten bei Benützung des öffentlichen Bus B zur Beantwortung der Frage nach der Zumutbarkeit ihrer Benützung heranzuziehen.

Über die Wegzeiten bei Benützung des öffentlichen Bus B sei iVm der Spruchpraxis der belangten Behörde festzustellen: Die Wegzeiten würden die 1 ½ Stunden "UFS - Wegzeit" für die einfache Wegstrecke bei 5 Fahrten/Woche vom Wohnort zum Arbeitsort um 2 Minuten überschreiten. Die Wegzeiten vom Arbeitsort zum Wohnort würden 1 Stunde 50 Minuten, 1 Stunde 53 Minuten bzw. 2 Stunden 53 Minuten betragen und somit bei 5 Fahrten/Woche die 1 ½ Stunden "UFS - Wegzeit" um zumindest 20 Minuten überschreiten. Insgesamt würden damit die 3 Stunden "UFS - Wegzeit für Hin- und Rückfahrt" an allen 5 Arbeitstagen/Woche um zumindest 22 Minuten überschritten.

Von dieser Sachlage ausgehend und unter Zugrundlegung der geltenden Spruchpraxis der belangten Behörde sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen langer Fahrzeiten der Mitbeteiligten nicht zumutbar gewesen, weshalb der Werbungskostenabzug in Höhe des "großen" Pendlerpauschales zu erfolgen habe.

Ein Werbungskostenabzug in Höhe des "großen" Pendlerpauschales habe im Einkommensteuerbescheid 2004 vom stattgefunden. Dieses Bescheidergebnis sei nicht abzuändern gewesen, weil auch die öffentliche Verkehrsverbindung B nichts an der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel geändert habe. Der Wiederaufnahmebescheid sei daher aufzuheben gewesen.

Dagegen richtet sich die vom Finanzamt erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten vorgelegt. Die Mitbeteiligte hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2004 lautet auszugsweise:

"6. Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:

a) Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten.

b) Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich als Pauschbeträge berücksichtigt:

Bei einer Fahrtstrecke von

20 km bis 40 km 450 Euro jährlich 40 km bis 60 km 891 Euro jährlich über 60 km 1.332 Euro jährlich

c) Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der Pauschbeträge nach lit. b folgende Pauschbeträge berücksichtigt:

Bei einer einfachen Fahrtstrecke von

2 km bis 20 km 243 Euro jährlich 20 km bis 40 km 972 Euro jährlich 40 km bis 60 km 1.692 Euro jährlich über 60 km 2.421 Euro jährlich

Mit dem Verkehrsabsetzbetrag und den Pauschbeträgen nach lit. b und c sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. (...)".

Die Verordnung der Bundesministerin für Finanzen über die Kriterien zur Ermittlung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros, zur Einrichtung eines Pendlerrechners und zum Vorliegen eines Familienwohnsitzes (Pendlerverordnung), BGBl. II 276/2013 ist auf den Beschwerdefall nicht anwendbar (vgl. § 5 der Verordnung).

Eine nähere ausdrückliche Bestimmung, was unter dem Begriff der "Zumutbarkeit" iSd lit. c des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG zu verstehen ist, ist dem Gesetz - wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat - nicht zu entnehmen (vgl. bereits das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0053).

Aus § 16 Abs. 1 Z 6 lit. a und b EStG 1988 ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber des EStG 1988 grundsätzlich für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht den Individualverkehr und die Benützung eines Kfz, sondern die Benützung eines Massenbeförderungsmittels steuerlich berücksichtigt wissen will. Nur wenn die Benützung eines Massenbeförderungsmittels nicht möglich oder nicht zumutbar ist, können im Wege der Pauschbeträge nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 Kosten des Individualverkehrs geltend gemacht werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2006/15/0001, und vom , 2007/15/0053).

Der Begriff der Unzumutbarkeit in § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 handelt dabei - entgegen der offenbaren Annahme der belangten Behörde und der Mitbeteiligten - nicht von der Zumutbarkeit des Pendelns an sich, sondern davon, ob den Pendlern ein in der Benützung von Massenbeförderungsmitteln statt einer Teilnahme am Individualverkehr gelegener Verzicht auf eine Verkürzung der Fahrzeiten zugemutet werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/13/0132).

Dies setzt allerdings grundsätzlich einen Vergleich zwischen den Fahrzeiten im öffentlichen Verkehr und im Individualverkehr voraus.

Die im angefochtenen Bescheid zitierte Spruchpraxis der belangten Behörde, die ab Erreichen einer gewissen Fahrzeitdauer eine absolute Unzumutbarkeit der Benützung von Massenbeförderungsmitteln unabhängig von einem Vergleich mit dem Individualverkehr vornimmt, entspricht damit nicht dem Gesetz. Sie würde dazu führen, dass beispielsweise auf Strecken mit sehr gut ausgebauten Eisenbahnschnellverbindungen die Benützung eines Massenbeförderungsmittels "unzumutbar" wäre, selbst wenn dieses schneller als der Individualverkehr wäre.

Die Notwendigkeit eines Vergleichs zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr bestätigen auch die Gesetzesmaterialien, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffes der "Zumutbarkeit" iSd lit. c des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG herangezogen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2006/15/0319, und , 2006/15/0001). Die Erl RV zu § 16 Abs. 1 Z 6 EStG (621 BlgNR XVII. GP, 75) führen diesbezüglich aus:

"'Unzumutbar' sind im Vergleich zu einem Kfz jedenfalls mehr als dreimal so lange Fahrzeiten (unter Einschluss von Wartezeiten während der Fahrt bzw. bis zum Arbeitsbeginn) mit den Massenbeförderungsmitteln als mit dem eigenen KFZ; im Nahbereich von 25 km ist die Benützung des Massenbeförderungsmittels entsprechend den Erfahrungswerten über die durchschnittliche Fahrtdauer aber auch dann zumutbar, wenn die Gesamtfahrzeit für die einfache Fahrtstrecke nicht mehr als 90 Minuten beträgt. Kann auf mehr als der halben Strecke ein Massenbeförderungsmittel benützt werden, dann ist die für die Zumutbarkeit maßgebliche Fahrtdauer aus der Gesamtfahrzeit (Kfz und Massenbeförderungsmittel) zu errechnen."

Auch nach den Gesetzesmaterialien ist der Begriff der Unzumutbarkeit somit grundsätzlich ein relationaler Begriff ("im Vergleich zu einem Kfz"), wobei die Erläuterungen zudem eine Fahrzeit von 90 Minuten jedenfalls für zumutbar halten. Diese Zumutbarkeitsvermutung tritt zum grundsätzlich gebotenen Vergleich hinzu ("aber auch dann zumutbar, wenn ..."). Keinesfalls ergibt sich daraus jedoch ein "Umkehrschluss", wonach bei insgesamt längerer Fahrzeit die Benützung von Massenbeförderungsmitteln unabhängig von einem Vergleich zum Individualverkehr von Vornherein unzumutbar sei.

Im Beschwerdefall ergibt sich nach den Feststellungen der belangten Behörde an vier von fünf Arbeitstagen der Mitbeteiligten nur eine Differenz der Gesamtfahrtdauer zwischen Massenbeförderungsmittel (3 Stunden 25 oder 22 Minuten) und Individualverkehr (3 Stunden) von 25 oder 22 Minuten. Damit beträgt die Wegzeit mit dem Massenbeförderungsmittel, wie das beschwerdeführende Finanzamt zu Recht herausstreicht, lediglich das 1,2fache der Wegzeit mit dem Kfz.

Gerade in solchen Fällen geringfügiger Differenz der Fahrzeiten ist nach der eindeutigen gesetzlichen Wertung des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 und seiner vorrangigen Anknüpfung an den öffentlichen Verkehr der Verzicht auf die Benutzung des Individualverkehrs zumutbar. Die Mitbeteiligte räumt im Übrigen auch ein, dass sie tatsächlich nicht mit dem Pkw, sondern mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreist.

Dass ein tägliches Pendeln von rund 3 Stunden sowohl mit dem Pkw als auch mit dem Massenbeförderungsmittel an sich belastend ist, ist unzweifelhaft. Insoweit finden auch in anderen Rechtsbereichen - wie etwa in dem von der Mitbeteiligten vorgebrachten Arbeitslosenversicherungsrecht oder bei der Berücksichtigung von Aufwendungen berufsbedingter doppelter Haushaltsführung - andere Unzumutbarkeitsbegriffe Anwendung. Nimmt ein Arbeitnehmer das Pendeln dennoch in Kauf, ist allerdings gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 zur Bestimmung des zumutbaren Verkehrsmittels ein Vergleich zwischen Massenbeförderungsmittel und Individualverkehr notwendig.

Indem die belangte Behörde ohne das Anstellen eines solchen Vergleichs allein aufgrund einer absoluten Gesamtfahrzeit von über 3 Stunden schon von einer Unzumutbarkeit der Benützung von Massenbeförderungsmitteln ausgegangen ist und bereits deshalb eine Relevanz der neu hervorgekommenen öffentlichen Anreisemöglichkeiten ausgeschlossen hat, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am