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VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/16/0107

VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/16/0107

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und Hofrat Dr. Thoma sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision des Mag. R S in S, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7100768/2017, betreffend Aufhebung von Bescheiden nach § 29 Abs. 6 FinStrG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber hatte am Selbstanzeige nach § 29 FinStrG unter anderem für nicht entrichtete Einkommensteuer für die Jahre 2004 und 2006 erstattet und ließ von einer liechtensteinischen Stiftung einen Betrag von EUR 4.983.031,86 auf sein Abgabenkonto überweisen.

Am erstattete der rechtsfreundlich vertretene Revisionswerber betreffend den Zeitraum 2002 bis 2006 zusätzlich zur Selbstanzeige vom April d.J. eine Selbstanzeige betreffend "Prämienverrechnungen" für diverse Anschaffungen in der Höhe von EUR 39.006,75.

Schließlich erstattete der rechtsfreundlich vertretene Revisionswerber am eine weitere Selbstanzeige nach § 29 FinStrG für den Zeitraum 1984 bis 2011; hinsichtlich des Jahres 2004 würden bislang nicht erklärte Gewinne, Einnahmen und Erlöse angezeigt.

2 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart betreffend Einkommensteuer 2004 in einem Mehrbetrag von EUR 484.006,94 gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG eine Abgabenerhöhung von 25 % in Höhe von EUR 121.001,74 fest. Mit einem weiteren Bescheid vom setzte das Finanzamt betreffend Einkommensteuer 2006 in einem Mehrbetrag von EUR 185.009,87 gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG eine Abgabenerhöhung von 25 % in Höhe von EUR 46.252,47 fest.

3 Gegen beide Bescheide erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er die ersatzlose Aufhebung der Bescheide und die Aussetzung der Einhebung der strittigen Abgabenerhöhungsbeträge gemäß § 212a BAO beantragte. Er nahm in den Beschwerden zusammengefasst den Standpunkt ein, bei den Abgabenerhöhungen nach § 29 Abs. 6 FinStrG handle es sich um Sanktionen und Strafen im Sinne der EMRK, weshalb sie dem Rückwirkungsverbot nach § 4 Abs. 1 FinStrG und dem Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 2 FinStrG unterlägen. Nachdem § 29 Abs. 6 FinStrG erst mit in Kraft getreten sei, sei § 29 Abs. 6 FinStrG für die zur Selbstanzeige gebrachten Sachverhalte nicht anwendbar. Da der Mehrbetrag des § 29 Abs. 6 FinStrG außerdem als strafrechtliche Anklage zu sehen sei, seien mit der Festsetzung der Abgabenerhöhung durch das Finanzamt die Garantien der EMRK nicht erfüllt.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden statt und hob die angefochtenen Bescheide vom und - ersatzlos - auf. Da der Revisionswerber - so die Begründung im Kern - die Vorschriften über die rechtzeitige Entrichtung der Abgabenerhöhungen nach § 29 Abs. 6 iVm Abs. 2 FinStrG nicht eingehalten habe, könnten diese nicht mehr zu Strafaufhebungen führen, weshalb den Beschwerden schon deshalb stattzugeben sei und die Bescheide aufzuheben seien. Für das weitere Verfahren hielt das angefochtene Erkenntnis fest, die Abgabenbehörde habe lediglich die Anspruchsvoraussetzungen für eine Abgabenerhöhung zu prüfen "und die Finanzstrafbehörde nunmehr das Vorliegen oder Fehlen aller Voraussetzungen für die Erzielung einer strafaufhebenden Wirkung der verfahrensgegenständlichen Selbstanzeigen".

Weiters sprach das Gericht aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Gericht damit, zwar gebe es bisher kein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit einer Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO als Entrichtungsform nach § 29 Abs. 2 FinStrG. Der Gerichtshof habe jedoch in seinem Erkenntnis vom , 2013/16/0215, zur Wiedereinsetzung zusammenfassend ausgeführt, die in § 29 Abs. 2 FinStrG genannte Monatsfrist wäre als materiell-rechtliche Frist anzusehen, welche nach der für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren heranzuziehenden ständigen Rechtsprechung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zugänglich sei. Daher sei nach Ansicht des Gerichtes auch hinsichtlich der Unzulässigkeit eines Antrages nach § 212a BAO rein auf den Gesetzeswortlaut des § 29 Abs. 2 FinStrG abzustellen, der eben eine Aussetzung der einbekannten Nachforderung oder einer Abgabenerhöhung nicht vorsehe.

Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision führt ihre Revisionspunkte folgendermaßen aus:

"Die Revisionspunkte ergeben sich - unter Berücksichtigung der unter Pkt. 1.2.2. gemachten Ausführungen zur ‚materiellen Beschwer' - wie folgt:

Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7100768/2017, in seinem gesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Nichtvorschreibung der Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG idF Finanzstrafgesetz-Novelle 2010, BGBl I 2010/104 verletzt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG idF Finanzstrafgesetz-Novelle 2010, BGBl I 2010/104 (insbesondere ‚desselben Abgabenanspruches') nicht vorliegen und auch der finanzstrafrechtliche Günstigkeitsvergleich (§ 4 Abs. 2 FinStrG) sowie Art 6 und 7 MRK einer Vorschreibung der Abgabenerhöhung entgegenstehen.

Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7100768/2017, in seinem Recht auf inhaltliche Entscheidung der Beschwerde verletzt (zumal nachweislich der Aussage auf Seite 27 des Erkenntnisses auf die Beschwerdepunkte des Revisionswerbers hinsichtlich der Nichtvorschreibung der Abgabenerhöhungen gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG idF Finanzstrafgesetz-Novelle 2010, BGBl I 2010/104, gar nicht eingegangen wird)."

Die Revision sieht ihre Zulässigkeit in einem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der rechtzeitigen Entrichtung der Abgabenschuld sowie der Abgabenerhöhung unter Erhebung eines Aussetzungsantrages nach § 212a BAO und zum Lauf der Monatsfrist des § 29 Abs. 2 FinStrG.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren über diese Revision eingeleitet, in dessen Rahmen das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart als vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in der die Abweisung der Revision als unbegründet unter Zuerkennung von Aufwandersatz beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:

5 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte) zu enthalten.

Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

Nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3) zu überprüfen.

6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa den Beschluss vom , Ra 2017/16/0076, mwN).

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Gericht den Beschwerden des Revisionswerbers im Sinne seiner Anträge stattgegeben und die angefochtenen Bescheide über die Festsetzung der strittigen Abgabenerhöhungen ersatzlos aufgehoben.

8 Damit verletzt das angefochtene Erkenntnis den Revisionswerber nicht im geltend gemachten Recht auf Nichtvorschreibung der Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG, weil durch die ersatzlose Behebung der angefochtenen Bescheide die Vorschreibung solcher Abgabenerhöhungen gerade nicht mehr erfolgen kann. Dagegen besteht ein Recht auf eine - ersatzlose - Behebung der angefochtenen Bescheide aus einer bestimmten Begründung heraus, wie sie der Revisionswerber im Auge hat, nicht (vgl. die von Steiner in Holoubek/Lang, Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, S. 61 ff, insbesondere S. 71 wiedergegebene Judikatur), und das angefochtene Erkenntnis entfaltet außerhalb der Sache des Verfahrens - der Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG - keine weitere Bindungswirkung etwa in der Beurteilung der Frage der Erfüllung der Voraussetzungen nach § 29 Abs. 2 FinStrG durch die Finanzstrafbehörde.

9 Da das Gericht in der ersatzlosen Behebung der angefochtenen Bescheide eine Sachentscheidung traf, verletzt das angefochtene Erkenntnis den Revisionswerber auch nicht in seinem Recht "auf inhaltliche Entscheidung der Beschwerde".

10 Die vorliegende Revision ist daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

11 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am