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VwGH vom 23.04.2014, 2012/13/0039

VwGH vom 23.04.2014, 2012/13/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Senatspräsidenten Dr. Fuchs sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Mag. G in E, vertreten durch die ploil krepp boesch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stadiongasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zlen. RV/3017-W/10, RV/1261-W/11, betreffend Einkommensteuer 2008 und 2009, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Vater einer in den Streitjahren volljährigen (im Jahr 1970 geborenen) Tochter, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird. Nach einem in den Verwaltungsakten einliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2004 beträgt der Gesamtgrad der Behinderung der Tochter 50 % ("manisch depressive Erkrankung mit Borderlinestörung"), wobei die "Untersuchte" voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Strittig ist im Beschwerdeverfahren, ob dem Beschwerdeführer für die Tochter der monatliche Pauschbetrag für Mehraufwendungen gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 416/2001 (im Folgenden nur: VO) zusteht. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Gewährung dieses Pauschbetrages als außergewöhnliche Belastung im Instanzenzug versagt.

Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei die Tochter seit August 2004 in einer Wohnung der Gemeinde Wien untergebracht. Sie versuche, "so gut es mit ihrer Erkrankung möglich sei, selbständig zu leben". Sie sei daher auch bemüht, ihre persönlichen Umstände nicht anderen Personen mitzuteilen (deshalb habe der Beschwerdeführer auch angenommen, seine Tochter habe in einem Wohnheim für betreutes Wohnen gewohnt). Der Beschwerdeführer habe der Tochter Geld zukommen lassen, "was ihr ohne Einkommen das Überleben ermöglicht habe". Über die detaillierte Verwendung der Unterhaltsleistungen habe die Tochter dem Beschwerdeführer keinen Nachweis erbracht. Der Beschwerdeführer habe sich seiner Unterhaltsverpflichtung nicht entziehen können. In der Berufungsverhandlung habe der Beschwerdeführer weiters vorgebracht, dass ein vom Finanzamt in der Bescheidbegründung für ein früheres Jahr erwähntes "Einkommen" der Tochter von rd. 1.040 EUR nicht genau nachvollzogen werden könne; der "- angesichts der Behinderung auch eher unerhebliche - Betrag müsste sich grob aus Sozialhilfe, Mietzinsbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe zusammensetzen". Die erhöhte Familienbeihilfe habe früher die Ehefrau des Beschwerdeführers bezogen, seit 2004 werde diese direkt an die Tochter ausbezahlt. § 5 der VO knüpfe nur an die Bezahlung erhöhter Familienbeihilfe an, wer sie beziehe, sei unerheblich. Pflegebedingte Transferleistungen seien nie beantragt oder bezogen worden.

Nach einem Zitat des § 5 Abs. 1 und 2 der VO führt die belangte Behörde im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides aus, aus der in § 5 Abs. 2 der VO vorgesehenen Verminderung des Pauschbetrages nach § 5 Abs. 1 der VO, bei Unterbringung in einem Vollinternat pro Tag des Internataufenthaltes um je ein Dreißigstel, sei zu schließen, dass jene spezifischen, durch eine Behinderung verursachten Mehraufwendungen, die durch den Pauschbetrag des § 5Abs. 1 der VO abgegolten werden sollten, an jenen Tagen nicht vorlägen, "welche die unterhaltsberechtigte Person nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen, sondern in einem Internat zubringt". Während auswärtiger Unterbringung würden bestimmte - sonst im Elternhaus anfallende - behinderungsbedingte Mehraufwendungen, etwa im Zusammenhang mit der Haushaltsführung und Betreuung, erspart. Die in § 5 Abs. 1 der VO enthaltene Vermutung behinderungsbedingter Mehraufwendungen solle damit sichtlich dann nicht greifen, wenn der behinderte Unterhaltsberechtigte nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen lebe und damit ein durch den Pauschbetrag zu berücksichtigender Mehraufwand von vornherein nicht gegeben sein könne. Ebenso wie einem Steuerpflichtigen, dessen behindertes Kind ganzjährig in einem Vollinternat untergebracht sei, stehe daher dem Beschwerdeführer, dessen Tochter einen eigenen Haushalt geführt habe, der Pauschbetrag gemäß § 5 Abs. 1 der VO nicht zu. Nur die geltend gemachten tatsächlichen Ausgaben für eine psychotherapeutische Behandlung der Tochter im Jahr 2009 seien als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes abziehbar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Nach § 34 Abs. 1 erster Satz EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

§ 34 Abs. 6 EStG 1988 ordnet u.a. an:

"Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

(...)

- Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

(...)

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind."

§ 5 Abs. 1 der zu den §§ 34 und 35 EStG 1988 ergangenen - eingangs zitierten - VO bestimmt:

"Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen."

Nach § 5 Abs. 2 der VO vermindert sich bei Unterbringung in einem Vollinternat der nach § 5 Abs. 1 der VO zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internataufenthaltes um je ein Dreißigstel.

Der Begriff "Mehraufwendungen" im § 34 Abs. 6 EStG 1988 stellt klar, dass Aufwendungen, die aus der Behinderung des Kindes erwachsen, der begünstigten Behandlung als außergewöhnliche Belastung (ohne Abzug des Selbstbehaltes nach § 34 Abs. 4 EStG 1988) unterliegen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 785/02, VfSlg. 16839). Nur solche Aufwendungen und nicht Aufwendungen schlechthin (Unterhaltskosten) werden auch durch die im § 5 der VO vorgesehenen Pauschbeträge abgedeckt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/15/0261, VwSlg. 7678/F, zur (Vorgänger )VO BGBl. Nr. 675/1988). Nicht maßgebend für den Abzug der Pauschbeträge ist, ob der Steuerpflichtige selbst oder etwa das Kind die erhöhte Familienbeihilfe bezieht (vgl. z.B. Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke , EStG 16. EL, § 35 Anm. 13).

Es trifft zwar zu, dass sich nach § 5 Abs. 2 der VO der nach § 5 Abs. 1 der VO zustehende Pauschbetrag pro Tag einer Unterbringung in einem Vollinternat um je ein Dreißigstel vermindert. Der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsansicht, die in § 5 Abs. 1 der VO enthaltene Vermutung behinderungsbedingter Mehraufwendungen solle "damit sichtlich" dann nicht greifen, wenn der behinderte Unterhaltsberechtigte nicht im Haushalt des Beschwerdeführers lebt (und "damit ein durch den Pauschbetrag zu berücksichtigender Mehraufwand von vornherein nicht gegeben sein kann"), kann allerdings nicht gefolgt werden.

Dass Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung iS des § 5 Abs. 1 der VO nur bei einer Unterbringung im eigenen Haushalt entstehen könnten, geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung - und dem Gesetzestext des § 34 Abs. 6 EStG 1988 - nicht hervor (und entspräche ein solches Verständnis auch nicht der Lebenserfahrung). Auch wird im § 5 Abs. 2 der VO eine Kürzung nur für den Fall der Unterbringung des Kindes in einem Vollinternat angeordnet, bei der grundsätzlich alle Mehraufwendungen einer Behinderung abgedeckt sind. Dazu übersieht die belangte Behörde offenbar, dass in diesem Fall die zusätzlich anfallenden (nicht durch pflegebedingte Geldleistungen abgedeckten) Kosten der Unterbringung als außergewöhnliche Belastung nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 abziehbar bleiben (vgl. z.B. Müller , SWK 1998, 239 ff (242) und Wanke , aaO, Anm. 14). Mit der Kürzungsregel soll damit offensichtlich nur eine Doppelberücksichtigung von Mehraufwendungen vermieden werden. Für eine Aberkennung des Pauschbetrages nach § 5 Abs. 1 der VO, wenn das unterhaltsberechtigte Kind (außerhalb der Unterbringung in einem Vollinternat) nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen lebt, bietet sich aber kein Raum.

Da die belangte Behörde damit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am