VwGH vom 20.09.2011, 2008/01/0777

VwGH vom 20.09.2011, 2008/01/0777

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, vom , Zl. MA 35/IV - S 239/2007 betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: B O S in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei, ein (damals) nigerianischer Staatsangehöriger, beantragte - vertreten durch seinen Vater, den österreichischen Staatsbürger A. M. S. und seine Mutter, die nigerianische Staatsbürgerin M. S. - am bei der belangten Behörde die österreichische Staatsbürgerschaft, die ihr mit Bescheid der belangten Behörde vom gemäß § 12 Z. 4 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechtsnovelle 2005) verliehen wurde.

Mit Schriftsatz vom beantragte die Amtsbeschwerdeführerin bei der belangten Behörde hinsichtlich der mitbeteiligten Partei - genauso wie in 71 weiteren Fällen - gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG die Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens. Dem Antrag lag die von der Amtsbeschwerdeführerin generell geäußerte "Vermutung" der Erschleichung der Staatsbürgerschaft mit falschen oder gefälschten Dokumenten zugrunde. Die österreichische Botschaft in Abuja (Nigeria) habe im Zuge von Reisepassanträgen Bedenken hinsichtlich der Identität der betroffenen österreichischen Staatsbürger geäußert. Allein in 26 Fällen seien die vorgelegten Geburtsurkunden erst ein halbes Jahr nach der Einbürgerung ausgestellt worden. Überdies habe eine Überprüfung durch das Bundeskriminalamt ergeben, dass in allen Fällen die Seriennummern der Geburtsurkunden nicht mit der chronologischen Reihenfolge der Ausstellung übereinstimme; bei einem Großteil der Geburtsurkunden weise der Stempelabdruck kein sauberes Abdruckbild auf, was auf sog. Setzkastensysteme hinweise, die oftmals von Fälschern verwendet würden.

Hinsichtlich der mitbeteiligten Partei seien (konkret) deren Lichtbilder auf dem Passantrag und am Staatsbürgerschaftsantrag nicht ident.

In weiterer Folge wurden auf Ersuchen der belangten Behörde die mitbeteiligte Partei sowie deren Schwester O. A. und Mutter M. S. von der österreichischen Botschaft in Abuja einvernommen.

Die Botschaft teilte der belangten Behörde mit Mail vom mit, dass zwar nicht habe geklärt werden können, wer auf dem Foto am Staatsbürgerschaftsantrag der mitbeteiligten Partei abgebildet sei, jedoch das Foto am Passantrag die mitbeteiligte Partei abbilde. An der Identität des Mitbeteiligten, nämlich dass dieser tatsächlich der Sohn des österreichischen Staatsangehörigen A. M. S. und der nigerianischen Staatsangehörigen M. S. sei, lägen aber nach Ansicht der österreichischen Botschaft keine Zweifel vor. Die Botschaft regte bei der belangten Behörde an, das Foto am Staatsbürgerschaftsantrag der mitbeteiligten Partei auszuwechseln.

Auf Basis dieser Ermittlungsergebnisse erließ die belangte Behörde - nachdem die Amtsbeschwerdeführerin im Rahmen des gewährten Parteiengehörs dazu keine Stellungnahme abgegeben hatte -

den angefochtenen Bescheid, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im gegenständlichen Staatsbürgerschaftsverfahren von der richtigen Identität der mitbeteiligten Partei ausgegangen worden sei. Der von der Amtsbeschwerdeführerin geäußerte "Verdacht", dass die mitbeteiligte Partei im Staatsbürgerschaftsverfahren möglicherweise nicht das richtige Passfoto vorgelegt habe, stelle keinen Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 dar, da durch ein derartiges Foto keine rechtserhebliche Tatsache nachgewiesen werde und die Vorlage eines Passfotos im Staatsbürgerschaftsgesetz auch nicht verpflichtend vorgesehen sei. Somit scheide schon aus diesem Grund eine Erschleichung des Verleihungsbescheides aus. Im Übrigen stelle die Vorlage des (richtigen) Fotos keine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel dar, welches voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderen Bescheid herbeigeführt hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, den Bescheid infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die belangte Behörde sei durch ein falsches Lichtbild auf dem Staatsbürgerschaftsantrag getäuscht worden, womit kein "korrekter Staatsbürgerschaftsantrag" vorliege und die Staatsbürgerschaft erschlichen worden sei. Die Beigebung eines Passfotos am Staatsbürgerschaftsantrag diene - wie im Passverfahren - der Identifizierung des Verleihungswerbers und sei daher von großer Bedeutung. Aufgrund des der belangten Behörde unterlaufenen "Bewertungsmangels" wäre ein anderes Verfahrensergebnis denkbar gewesen.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag die Amtsbeschwerde abzuweisen und die Kosten des Verfahrens zuzuerkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 12 Z. 4 StbG in der im Hinblick auf den wiederaufzunehmenden Bescheid maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG aF) ist einem Fremden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er die Staatsbürgerschaft nach § 17 durch Erstreckung der Verleihung nur deshalb nicht erwerben kann, weil der hiefür maßgebende Elternteil (Wahlelternteil) bereits Staatsbürger ist.

Gemäß § 35 StbG hat die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 und 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0470).

Zusammengefasst müssen daher drei Voraussetzungen vorliegen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
Objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung,
2.
ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und
3.
Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/0674).
Die Amtsbeschwerde zieht die - von der belangten Behörde der Staatsbürgerschaftsverleihung vom zu Grunde gelegte - Identität der mitbeteiligten Partei nicht in Zweifel. Für derartige Zweifel bietet auch der Akteninhalt keine maßgeblichen Anhaltspunkte.
Das Beschwerdevorbringen stützt sich lediglich auf die Annahme, der Wiederaufnahmegrund der Erschleichung sei bereits dadurch erfüllt, dass die mitbeteiligte Partei im Staatsbürgerschaftsverfahren ein falsches Passfoto vorgelegt habe, wodurch die belangte Behörde über das "Aussehen" der mitbeteiligten Partei getäuscht worden sei.
Dem ist - worauf die belangte Behörde in der Gegenschrift im Ergebnis zutreffend hinweist - entgegen zu halten, dass die Vorlage eines Lichtbildes bei Einbringung eines Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gesetzlich nicht gefordert ist, und die Staatsbürgerschaftsbehörde bei Vorlage eines Lichtbildes nicht ihrer Verpflichtung enthoben ist, sich von der Identität des Verleihungswerbers auf geeignete Weise zu überzeugen (Letzteres ist im gegenständlichen Fall hinsichtlich der mitbeteiligten Partei im Rahmen des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens erfolgt). Selbstredend hat ein vorgelegtes Lichtbild auch auf die Prüfung der materiellen Verleihungsvoraussetzungen keinen Einfluss.
Im Gegensatz zu einer unrichtigen Namensangabe durch einen Verleihungswerber (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom , wonach es nicht belanglos ist, auf welchen Namen ein Verleihungsbescheid ausgestellt wird), kommt es daher - bei feststehender Identität des Verleihungswerbers - auf dessen falsches Bild bzw. "Aussehen" nicht an.
Im gegenständlichen Fall hatte das von der mitbeteiligten Partei vorgelegte Passfoto somit keine Auswirkungen auf das erwähnte Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahren, weshalb schon die obgenannte erste Voraussetzung der Erschleichung - objektiv unrichtige Angaben von
wesentlicher Bedeutung - nicht vorliegt.
Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmung des § 47 Abs. 4 VwGG, wonach im Falle einer Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG für den Beschwerdeführer und die belangte Behörde kein Aufwandersatz stattfindet.
Wien, am