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VwGH 28.02.2017, Ra 2017/04/0028

VwGH 28.02.2017, Ra 2017/04/0028

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes stellt einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2015/08/0124 E RS 2
Normen
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs2;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
RS 2
Das LVwG hat das Absehen von der beantragten Verhandlung damit begründet, dass keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten gewesen sei. Das Absehen von einer beantragten Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen setzt jedoch - wenn nicht ein Fall des § 44 Abs. 2 VwGVG oder ein Verzicht im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG vorliegt - gemäß § 44 Abs. 4 VwGVG überdies voraus, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat. Im vorliegenden Fall hatte das LVwG aber mit Erkenntnis zu entscheiden, sodass schon von daher nicht von der beantragten Verhandlung abgesehen werden durfte. Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0367, sowie die Hinweise in dem zu Art. 47 der Grundrechtecharta ergangenen hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0196).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2014/08/0066 E RS 1

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ra 2017/04/0029

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Anträge der 1. I und des 2. K, beide vertreten durch Mag. Rainer Ebert und Mag. Gerhard Holzer, Rechtsanwälte in 2020 Hollabrunn, Hauptplatz 16, den gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich jeweils vom , Zl. LVwG-S-2659/001-2015 und Zl. LVwG-S-2660/001-2015, betreffend Übertretungen der GewO 1994, erhobenenen Revisionen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 In den vorliegenden Aufschiebungsanträgen wird im Hinblick auf § 54b Abs. 3 VStG, wonach einem Bestraften, dem aus wirtschaftlichen Gründen die unverzügliche Zahlung einer Geldstrafe nicht zuzumuten ist, auf Antrag ein angemessener Aufschub oder Teilzahlung zu bewilligen ist, sowie im Hinblick auf § 53b Abs. 2 dritter Satz VStG, wonach - sofern nicht Fluchtgefahr besteht - mit dem Vollzug einer Freiheitsstrafe bis zur Erledigung einer vor dem Verwaltungsgerichtshof in der Sache anhängigen Beschwerde (nunmehr: Revision) zuzuwarten ist, ein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG nicht aufgezeigt.

2 Den Anträgen war daher nicht stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ra 2017/04/0029

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Kleiser sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revisionen der revisionswerbenden Partei 1. I D und 2. K D, beide in G, beide vertreten durch Mag. Rainer Ebert und Mag. Gerhard Holzer, Rechtsanwälte in 2020 Hollabrunn, Hauptplatz 16, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , 1) Zl. LVwG-S-2659/001-2015 (betreffend den Zweitrevisionswerber) und 2) Zl. LVwG-S-2660/001-2015 (betreffend die Erstrevisionswerberin), betreffend Übertretungen der GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit den angefochtenen Erkenntnissen vom wurde jeweils ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Beschwerden der Revisionswerber gegen die Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn (BH) vom betreffend Bestrafungen nach der GewO 1994 der Spruch des Straferkenntnisses berichtigt (1.), im Übrigen die Beschwerden als unbegründet abgewiesen (2.), die Revisionswerber zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet (3.) und die Revision für nicht zulässig erklärt (4.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht unter anderem aus, von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe gemäß § 44 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können, weil es nicht um Fragen der Beweiswürdigung oder strittige Tatsachenfeststellungen gehe, sondern Verfahrensgegenstand nur die Lösung von Rechtsfragen sei, weshalb Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC dem Unterbleiben der mündlichen Verhandlung nicht entgegenstünden.

3 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, in denen sich die Revisionswerber jeweils in der Zulässigkeitsbegründung (unter anderem) gegen die Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wenden.

4 Die BH erstattete jeweils eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die beiden Revisionen wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden. Er hat sodann erwogen:

5 Die Revisionswerber begründen die Zulässigkeit der Revision (unter anderem) mit dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht keine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt habe, obwohl kein Anwendungsfall des § 44 Abs. 4 VwGVG vorgelegen sei, und damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen sei.

6 Schon im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt: Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/02/0028, mwN).

7 Die Begründung im angefochtenen Erkenntnis für das Absehen von einer Verhandlung, die sich auf § 44 Abs. 4 VwGVG stützt, findet im Gesetz keine Deckung. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (welches voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2015/02/0028, mwN).

8 Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt und ist nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

9 Auch die das Absehen von einer Verhandlung ermöglichenden Tatbestände des § 44 Abs. 3 Z 1 bis 4 VwGVG liegen im vorliegenden Fall nicht vor: So wurde in den Beschwerden nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet (Z 1), sondern das Vorliegen eines in wesentlichen Punkten anderen Sachverhalts verbunden mit Beweisanträgen behauptet. Die Beschwerden richteten sich nicht nur gegen die Höhe der Strafe (Z 2) und in den angefochtenen Bescheiden wurde eine 500 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt (Z 3). Auch richteten sich die Beschwerden nicht gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid (Z 4).

10 Es lagen damit keine der in § 44 VwGVG genannten Voraussetzungen für ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung vor. Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. auch hiezu das zitierte Erkenntnis Ra 2015/02/0028, mwN).

11 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
VStG §53b Abs2;
VStG §54b Abs3;
VwGG §30 Abs2;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017040028.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAE-72394

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