VwGH vom 20.12.2017, Ra 2017/03/0069
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. M G, Rechtsanwalt in W, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW- 101/073/2706/2017-1, VWG-101/V/073/2988/2017, betreffend Vorarbeiten nach § 40a Eisenbahngesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien als Bezirksverwaltungsbehörde (MA 64); mitbeteiligte Partei: W KG in W, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 I. Gegenstand
2 A. Die revisionswerbende Partei wurde als "Wohnungseigentümer" und als Mitglied der "Wohnungseigentümergemeinschaft" betreffend eine näher bezeichnete Liegenschaft in W verpflichtet, unverzüglich ab Zustellung des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde die Durchführung von Vorarbeiten gemäß § 40a des Eisenbahngesetzes 1957 (EisbG) - insbesondere durch Herstellung des Zutritts zu den Arbeitsbereichen auf Dauer der Arbeiten (zwei Wochen) - zu ermöglichen. Gemäß § 40a leg. cit. wurden folgende Vorarbeiten auf der angesprochenen Liegenschaft "unter Zugrundelegung der schriftlichen Darstellung der Arbeiten (Beilage 3) und zweier Pläne (Beilagen 2 und 4) als zulässig erklärt:"
"Begehung des Kellers, des Erdgeschosses und von allgemein zugänglichen Flächen des Hauses sowie Fundamentaufschließungsarbeiten: Errichtung von bis zu maximal sechzehn Schächten mit einer Größe von im Regelfall ca. 1,0 m x 1,0 m und einer Tiefe von Fundamentunterkante plus maximal rund 1,0 m, eine Sicherung der Schächte während der Bauphase durch Abdeckung, Entnahme von Bodenproben, Dokumentation von Grundwasser bei Antreffen, abschließende Verfüllung und Verdichtung der Schächte und Herstellung des ursprünglichen Zustandes."
3 In der Zustellverfügung dieses Bescheides wird unter "Ergeht an:" u.a. die revisionswerbende Partei genannt, die durch eine näher genannte "Hausverwaltung" vertreten werde, letztere wiederum werde durch einen Rechtsanwalt vertreten.
4 In der dagegen gerichteten Beschwerde machte die revisionswerbende Partei unter anderem geltend, dass ihr weder eine Eingabe der mitbeteiligten Partei noch dieser Bescheid zugestellt worden sei, die Hausverwaltung vertrete nicht die einzelnen Wohnungseigentümer, sondern lediglich die Eigentumsgemeinschaft. Zudem falle die mit Bescheid verfügte Duldungspflicht nicht in den Bereich der Verwaltung, sondern der Verfügung betreffend die angesprochene Liegenschaft, zumal zu den Verfügungshandlungen insbesondere Veränderungen tatsächlicher und rechtlicher Natur betreffend die Substanz und den Gebrauch der Sache zählten. Der revisionswerbenden Partei seien (so wie den anderen Wohnungseigentümern auch) sämtliche Parteirechte abgeschnitten worden.
5 B. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und erachtete die Revision dagegen als unzulässig (Spruchpunkt II.).
6 Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes festgehalten:
Die mitbeteiligte Partei habe mit Schreiben vom beantragt, die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde möge gemäß § 40a Abs. 3 EisbG die Zulässigkeit von in Beilagen näher dargestellten Vorarbeiten betreffend die Vornahme von Fundamentsaufschließungsarbeiten im Zuge der Erweiterung der U-Bahn-Linie U 2 aussprechen und die Eigentümer der in Rede stehenden Liegenschaft verpflichten, diese Vorarbeiten unverzüglich zu ermöglichen. Die Verwaltungsbehörde habe den Eigentümern mit Schreiben vom den Antrag mitsamt Beilagen sowie Stellungnahmen von Amtssachverständigen (76-fach) zu Handen der Hausverwaltung zur Kenntnis gebracht. Der Rechtsvertreter der Hausverwaltung habe im Dezember 2016 in zwei Schreiben an die belangte Verwaltungsbehörde darauf hingewiesen, dass die Hausverwaltung nicht die einzelnen Wohnungseigentümer vertrete, weshalb Zustellungen direkt an sämtliche Hauseigentümer vorzunehmen wären. Die Hausverwaltung habe die Zuschrift an die Wohnungseigentümer weitergeleitet, soweit ihr eine Anschrift bekannt gewesen sei, eine wirksame Zustellung sei aber so nicht erfolgt. Die Verwaltungsbehörde habe dagegen unter Hinweis auf § 20 Abs. 1 WEG die Auffassung vertreten, dass auch bei Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung der Verwalterin unbeschränkte Vertretungsbefugnis zukomme, weshalb eine direkte Zustellung an die Wohnungseigentümer nicht vorzunehmen gewesen sei. Die mitbeteiligte Partei habe mit Schreiben vom eine Stellungnahme zu Einsprüchen von Wohnungseigentümern abgegeben und in weiterer Folge mit Schreiben vom ihren Antrag dahingehend präzisiert, dass die genannten Vorarbeiten unverzüglich (insbesondere durch Herstellung des Zutritts zu den Arbeitsbereichen auf Dauer der Arbeiten (zwei Wochen)) ermöglicht werden sollten. Wenn im Verfahren der Zustellung Mängel unterliefen, so gelte die Zustellung gemäß § 7 des Zustellgesetzes als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen sei. Gegenständlich habe der Revisionswerber "kryptisch" angegeben, den verwaltungsbehördlichen Bescheid "zur Ansicht" erhalten zu haben. In Anbetracht dessen, dass die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Bescheidausfertigungen samt Beilagen an die Eigentümer via Hausverwaltung bzw. die diese vertretende Rechtsanwaltskanzlei übermittelt habe, sei also davon auszugehen, dass diese die Bescheidausfertigungen den Eigentümern weitergeleitet habe. Inwiefern eine Weiterleitung "nur zur Ansicht" praktisch erfolgen könne bzw. konkret erfolgt sein solle, sei nicht dargelegt worden und sei auch nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht sehe es daher als erwiesen an, dass der Bescheid der revisionswerbenden Partei tatsächlich zugekommen sei, zumal dieser in der Beschwerde auch konkret bezeichnet worden sei und der Revisionswerber Kenntnis vom Inhalt des Bescheides gehabt habe. Das Beschwerdevorbringen erschöpfe sich neben der Rüge, vom Verwaltungsverfahren ausgeschlossen gewesen zu sein, in den Ausführungen zur Vertretungsbefugnis einer Hausverwaltung sowie zur Zumutbarkeit der Weiterleitung von Unterlagen durch dieselbe. Die von der revisionswerbenden Partei gerügte Verletzung des Parteiengehörs sei mit der Möglichkeit zur Erhebung einer Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid saniert. Der Revisionswerber habe die Möglichkeit gehabt, im Rahmen seiner Beschwerde seine Interessen geltend zu machen. Indem er sich jedoch ausschließlich mit der Vertretungsbefugnis seiner Hausverwaltung auseinandergesetzt habe, habe er eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.
7 In seiner Begründung zu Spruchpunkt II. paraphrasiert das Verwaltungsgericht im Wesentlichen den Text des Art. 133 Abs. 4 B-VG und fügt noch an, dass auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorlägen.
8 C. In seiner dagegen erhobenen, Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machenden Revision begehrt der Revisionswerber die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. Zur Zulässigkeit der Revision wurde insbesondere geltend gemacht, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Gewährung von Parteiengehör abgewichen sei. Eine Verletzung des Parteiengehörs im Verwaltungsverfahren könne im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht saniert werden. Hierzu sei es aber erforderlich, dass der Partei die Möglichkeit einer Stellungnahme durch das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben werde. Hiefür wiederum habe der vor dem Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiederzugeben. Könnten diese Ergebnisse - wie im gegebenen Fall - der Begründung des verwaltungsbehördlichen Bescheides nicht vollständig entnommen werden, sei das Verwaltungsgericht verpflichtet, seinerseits Parteiengehör zu gewähren, um den unterlaufenen Verfahrensfehler zu sanieren. Im verwaltungsbehördlichen Bescheid sei der Antrag der mitbeteiligten Partei erwähnt. Diesem seien sechs Beilagen angeschlossen gewesen. Zum Gutachten des Amtssachverständigen werde lediglich ausgeführt, dass dieser die gegenständlichen Vorarbeiten als erforderlich für den Bauentwurf gehalten habe und keine Einwände erhoben hätte. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde habe zwar versucht, Parteiengehör zu gewähren, jedoch den Antrag samt Beilagen sowie die beiden Stellungnahmen der Amtssachverständigen lediglich an die Hausverwaltung, nicht aber an die Verfahrensparteien übermittelt. Der Revisionswerber kenne weder den Antrag noch die angesprochenen Beilagen samt Gutachten der Amtssachverständigen. Wäre ihm Parteiengehör gewährt worden, hätte der Revisionswerber den Gutachten der Amtssachverständigen durch Einholung von Privatgutachten auf gleicher fachlicher Ebene begegnen können.
9 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei traten in ihren Revisionsbeantwortungen der Revision entgegen.
10 II. Rechtslage
11 § 40a EisbG, BGBl. Nr. 60/1957 idF BGBl. I Nr. 125/2006,
lautet:
"Vorarbeiten
§ 40a. (1) Zur Durchführung von Vorarbeiten zur Ausarbeitung eines Bauentwurfes für neue oder für die Veränderung bestehender Eisenbahnen oder Eisenbahnanlagen erhält der Bauherr das Recht, auf fremden Liegenschaften die zur Vorbereitung des Bauvorhabens erforderlichen Arbeiten unter möglichster Schonung fremder Rechte und Interessen vorzunehmen oder von einem Beauftragten vornehmen zu lassen. Er hat den hiedurch verursachten Schaden zu ersetzen.
(2) Der Bauherr hat die Eigentümer oder die Nutzungsberechtigten der betroffenen Liegenschaften mindestens vier Wochen vorher vom beabsichtigten Beginn der Vorarbeiten nachweislich zu verständigen.
(3) Wird dem Bauherrn oder dem Beauftragten das Betreten von Liegenschaften, einschließlich der Gebäude und eingefriedeten Grundstücke, oder die Beseitigung von Hindernissen verwehrt, so entscheidet auf Antrag eines Beteiligten die Bezirksverwaltungsbehörde über die Zulässigkeit der beabsichtigten Handlung."
12 III. Erwägungen
13 A.Zur Zulässigkeit
14 A.a. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm § 25a VwGG ist vom Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision gegen seine Entscheidungen jedenfalls dann zuzulassen, wenn diese Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, wenn zu den entscheidungswesentlichen Fragen eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht besteht oder die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu widersprüchlich ist. In diesen Fällen ist nach den genannten Rechtsvorschriften eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gegeben, die zu beantworten der Verwaltungsgerichtshof zuständig ist, ohne dass es etwa zusätzlich auf eine Überlegung im Sinn der Rechtssicherheit (z.B. betreffend gleichgelagerte Fälle) ankäme (vgl. dazu , mwH).
16 A.b. Entgegen der im Wesentlichen lediglich den Text des Art. 133 Abs. 4 B-VG referierenden Begründung des Verwaltungsgerichts ist die Revision (im Ergebnis im Sinn des maßgebenden Revisionsvorbringens) schon deshalb zuzulassen gewesen, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur hier maßgebenden Rechtslage nach § 40a EisbG - die auf dem Boden der einschlägigen Rechtsprechung nicht als jedenfalls klar und eindeutig einzustufen ist (vgl. dazu , mwH) - nicht (ausreichend) vorliegt, um dem Verwaltungsgericht die Leitlinien für seine Entscheidung zur Verfügung zu stellen.
17 Das Verwaltungsgericht hat, wie im Folgenden dargestellt, die auf dem Boden der Rechtsprechung gegebene Rechtslage nicht hinreichend beachtet.
18 B.Zur Sache
19 B.a.§ 40a Abs. 1 erster Satz EisbG normiert, dass dem Bauherren zur Durchführung der dort näher genannten Vorarbeiten schon von Gesetzes wegen das Recht zukommt, auf fremden Liegenschaften die näher genannten Arbeiten vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Daran knüpft die in § 40a Abs. 2 leg. cit. geregelte Verständigungsverpflichtung sowie die in § 40a Abs. 1 letzter Satz EisbG vorgesehene Schadenersatzpflicht an. Entgegen der früheren Rechtslage ist vor der Durchführung von Vorarbeiten keine behördliche Bewilligung mehr notwendig (vgl. Catharin/Gürtlich, Eisenbahngesetz3, 2015, 574, 575).
20 Vorarbeiten, die im Allgemeinen in Vermessungsarbeiten sowie geologischen und hydrografischen Untersuchen bestehen, dienen der Vorbereitung eines Bauentwurfs. Die unter möglichster Schonung fremder Rechte und Interessen vorzunehmenden Arbeiten sind dann dem § 40a EisbG zu subsumieren, wenn sie zur Vorbereitung des Bauvorhabens nach dem Stand der Technik erforderlich sind; daran ändert nichts, dass das Ergebnis einer solchen Vorarbeit in der Folge allenfalls im Rahmen des zu errichtenden Bauvorhabens eine andere Funktion erfüllen soll (vgl. idS , VwSlg. 14.133 A).
21 Allerdings darf der Bauherr, wie sich aus § 40a Abs. 3 EisbG ergibt, gegen den Widerstand des Grundeigentümers die Vorarbeiten nicht ohne eine über einen entsprechenden Antrag eines Beteiligten ergangene Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde durchführen. Wird nach § 40a EisbG eine beabsichtigte Handlung im genannten Sinn für zulässig erklärt bzw. - wie in der in Revision gezogenen Entscheidung - die Duldung dieser Handlung normiert, betrifft dies das Recht auf Eigentum an der betroffenen Liegenschaft.
22 Der Antrag nach § 40a Abs. 3 EisbG ist als Rechtsbehelf zu qualifizieren, der bewirkt, dass die Zulässigkeit von Vorarbeiten unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der individuellen Rechte des Widersprechenden nach dem Maßstab des § 40a Abs. 1 und 2 leg. cit. geprüft wird (vgl. nochmals VwSlg. 14.933 A/1994). Eine widersprechende Person hat daher in einem Verfahren über die Zulässigkeit der beabsichtigten Handlung iSd § 40a Abs. 3 EisbG Parteistellung (vgl. idS , VwSlg. 17.029 A). In einem Verfahren nach § 40a Abs. 3 EisbG ist die Zulässigkeit im Lichte der in § 40a Abs. 1 EisbG normierten Voraussetzungen zu beurteilen.
23 Wenn § 40a Abs. 1 erster Satz EisbG vorsieht, dass die zur Vorbereitung des Bauvorhabens erforderlichen Arbeiten unter möglichster Schonung fremder Rechte und Interessen vorzunehmen sind, wird damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.
24 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist für das behördliche Handeln auf Grund der Verwaltungsvorschriften grundsätzlich zu beachten (vgl. ; , Ra 2017/03/0014, beide mwH). Dieser Grundsatz verlangt bei Vorhandensein mehrerer geeigneter potenzieller Maßnahmen die Wahl der am wenigsten belastenden Maßnahme. Eine Maßnahme kann nur dann als erforderlich zur Erreichung des damit verfolgten Zieles gesehen werden, wenn gelindere (weniger eingriffsintensive) Mittel sich als nicht zielführend erweisen (vgl. idZ etwa ). Eine Vorgangsweise bzw. Maßnahme muss in diesem Sinn geeignet und erforderlich sein, um das damit angestrebte Ziel zu erreichen, wobei die Maßnahme bzw. der angeordnete Eingriff nicht weitergehen darf, als dies zur Zielerreichung (gerade noch) erforderlich ist (vgl. idZ etwa , VwSlg. 17.554 A). Die Beachtung dieses Grundsatzes verlangt daher bei Vorhandensein mehrerer geeigneter potenzieller Möglichkeiten die Wahl der am wenigsten belastenden Maßnahme, rechtfertigt aber nicht die Auswahl einer Maßnahme, deren Effektivität in Zweifel steht (siehe etwa ; , 2004/03/0210, VwSlg. 17.136 A).
25 Schließlich wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz prinzipiell nur entsprochen, wenn insgesamt ein angemessenes (adäquates) Verhältnis zwischen dem eingesetzten Mittel und dem damit angestrebten Erfolg in dem Sinn gewahrt bleibt, dass das einzusetzende Mittel im Sinn einer Verhältnismäßigkeit von Mittel, Einsatz und Erfolg objektiv zumutbar erscheint (vgl. etwa ; vgl. idZ auch den Text des § 29 Abs. 1 und 2 Z 3 SPG). Im Kontext des § 40a EisbG ist in diesem Zusammenhang darauf Bedacht zu nehmen, dass den Bauherrn nach dem letzten Satz des Abs. 1 dieser Bestimmung (ohnehin) auch eine Schadenersatzpflicht trifft.
26 B.b.i. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der revisionswerbenden Partei der eingangs genannte verwaltungsbehördliche Bescheid samt Beilagen nicht zugestellt, sondern vielmehr der Hausverwaltung zur Verfügung gestellt wurde, damit diese die Schriftstücke an die Wohnungseigentümer - und damit auch an die revisionswerbenden Partei - verteile.
27 Die Wahrung des Parteiengehörs im Zuge des Ermittlungsverfahrens iSd §§ 37 ff AVG bzw. §§ 17, 24 f VwGVG ist von Amts wegen zu beachten und gehört zu den fundamentalen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens sowie des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten, sie stellt eine kardinale Voraussetzung eines rechtmäßigen Verfahrens sowie eine der wichtigsten Sicherungen des rechtstaatlichen Prinzips dar (vgl. B 125 und B 178/48 (VfSlg 1804/1949); , mwH; vgl. §§ 10, 45 VwGVG).
28 Das Recht auf Parteiengehör erstreckt sich nicht bloß auf das in § 45 Abs. 3 AVG ausdrücklich geregelte Recht der Parteien, dass ihnen Gelegenheit geboten werde, zu den Ergebnissen einer Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen, also sich zum Beweiswert einzelner Beweismittel zu äußern.
29 Es steht den Parteien vielmehr frei - und hiezu muss ihnen ausdrücklich Gelegenheit geboten werden -, im Ermittlungsverfahren auch ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, also insbesondere auch eine Äußerung zu den rechtlichen Konsequenzen der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens auf die Lösung des Rechtsfalles abzugeben.
30 Die Gelegenheit zur Stellungnahme erfordert die Gestaltung des Vorgangs in einer Weise, die der Partei jeweils nicht nur seine Bedeutung zu Bewusstsein bringt, sondern ihr auch die Möglichkeit zu Überlegungen und entsprechender Formulierung ihrer Stellungnahme bietet. Eine solche Möglichkeit zur Stellungnahme besteht für die Partei nur dann, wenn ihr hiefür auch eine ausreichende Frist für die Einholung fachlichen Rats bzw. zur Vorlage eines entsprechenden Gutachtens eingeräumt wird. Die Frist zur Stellungnahme muss dazu ausreichen, um ein Gutachten durch ein Gegengutachten entkräften zu können, weshalb dabei die erforderliche Zeit für die Auswahl eines entsprechenden Sachverständigen und seine Beauftragung einerseits und der für die Ausarbeitung eines Gutachtens erforderliche Zeitraum andererseits zu berücksichtigen ist (, mwH). Für das Gutachten eines Sachverständigen erweist es sich zur Wahrung des Parteiengehörs seitens einer Verwaltungsbehörde daher zumindest als notwendig, den Schriftsatz samt Gutachten mit einem Hinweis darauf zu übermitteln, dass der zu erlassende Bescheid auf dieses Gutachten gestützt werde, um den Parteien die Möglichkeit zu bieten, dem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Ein solcher Mangel wird nicht dadurch saniert, dass die Partei (zufällig) im Rahmen einer Akteneinsicht Kenntnis von diesen Beweismitteln erlangt (vgl. , VwSlg. 16.603 A).
31 B.b.ii. Allfällige Mängel eines Verwaltungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde können grundsätzlich durch ein mängelfreies Verfahren vor dem Verwaltungsgericht saniert werden (vgl. , mwH). Diese Sanierungsmöglichkeit bezieht sich auf das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht, wo es durch Nachholung versäumter oder vorenthaltener Verfahrensschritte (z.B. durch die Erstattung einer Stellungnahme zu einem Gutachten) der Partei eines Verfahrens im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht noch möglich ist, vor Rechtskraft der Sachentscheidung Rechte zu wahren und die endgültige Sachentscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen (vgl. , VwSlg. 15.701 A).
32 Eine im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erfolgte Verletzung des Parteiengehörs kann zudem durch die mit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden, wenn der damit bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben hat (; , Ra 2015/09/0056; vgl. auch , mwH). Eine Verletzung des Parteiengehörs durch die Verwaltungsbehörde ist dabei nur dann als saniert anzusehen, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hat, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im Rechtsmittel gegen den Bescheid Stellung zu nehmen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Partei unter anderem durch die Begründung des verwaltungsbehördlichen Bescheides Kenntnis von den Beweisergebnissen verschafft wurde, die ihr eigentlich im Rahmen des Parteiengehörs zu vermitteln gewesen wären. Ist dies nicht geschehen, so ist das Verwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz verpflichtet, seinerseits Parteiengehör zu gewähren, um den unterlaufenen Verfahrensfehler zu sanieren (, mwH). Auch einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts dürfen nämlich nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen die Partei des Verfahrens auch Stellung nehmen konnte (vgl. dazu VwSlg. 15.701 A/2001).
33 B.b.iii. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kam es vorliegend für die Möglichkeit, eine Verletzung des Parteiengehörs durch die Verwaltungsbehörde vor dem Verwaltungsgericht zu sanieren, daher darauf an, dass einer von der mit der Verwaltungsbehörde verfügten Verpflichtung zur Duldung betreffend Vorarbeiten nach § 40a EisbG betroffenen Person alle relevanten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, somit nicht nur der Text des verwaltungsbehördlichen Bescheides, sondern auch die darin genannten Beilagen und angesprochenen Gutachten eines eisenbahntechnischen Amtssachverständigen und eines grundbautechnischen Amtssachverständigen zur Verfügung standen, um eine Stellungnahme zur Wahrung ihres Standpunktes abgeben zu können.
34 Das Verwaltungsgericht hat die Angabe der revisionswerbenden Partei, den in Beschwerde gezogenen verwaltungsbehördlichen Bescheid zur Ansicht erhalten zu haben, selbst als "kryptisch" qualifiziert und dessen ungeachtet geklärt, ob alle der angesprochenen Schriftstücke bzw. Unterlagen der revisionswerbenden Partei so zur Verfügung standen, dass sie dazu in ihrer Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid Stellung nehmen konnte. Der revisionswerbenden Partei wurde auch im Zuge des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht eine Möglichkeit zur Stellungnahme nicht ausdrücklich eingeräumt. Infolge der genannten bloßen Einstufung der Angaben des Revisionswerbers als "kryptisch" ohne die erforderliche gerichtliche Klärung betreffend seinen tatsächlichen Informationsstand vermag ferner die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es wäre angesichts der Vorgangsweise der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde nicht nachvollziehbar, dass eine Weiterleitung des Bescheides samt Beilagen an die revisionswerbende Partei praktisch nur zur Ansicht erfolgt sein könnte, nicht zu überzeugen. Dass der Revisionswerber den Bescheid in seiner dagegen gerichteten Beschwerde konkret bezeichnet habe, vermag an diesem Ergebnis ebenso wenig zu ändern wie der Umstand, dass der Inhalt der Beschwerde nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes zeige, dass dem Revisionswerber die ihm im Bescheid auferlegte Duldungspflicht im Grundsatz bekannt war. Gleiches gilt für die im verwaltungsbehördlichen Bescheid angesprochenen Stellungnahmen seitens anderer Wohnungseigentümer gegenüber der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde, zumal sich auch daraus nicht ableiten lässt, dass dem Revisionswerber alle der angesprochenen Schriftstücke bzw. Unterlagen so zur Verfügung standen, dass er in seiner Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid dazu im Sinn der Sanierung des ihm gegenüber unterlassenen Parteiengehörs hätte Stellung nehmen können.
35 Damit konnte das Verwaltungsgericht dem in der Begründung seiner Entscheidung zum Ausdruck gebrachten Anspruch nicht gerecht werden, dass im Zuge des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ein seitens der Verwaltungsbehörde gesetzter Verfahrensmangel betreffend das Parteiengehör saniert worden wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die dargestellte verfahrensrechtlich gebotene Rechtslage nicht hinreichend beachtet und auf dem Boden dieser Rechtslage seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Unterlassung dieses Mangels zu einem anderen, für die revisionswerbende Partei günstigen Ergebnis gekommen wäre.
36 B.c. Ungeachtet dessen gingen die Revisionsbeantwortungen - was im Interesse der Vollständigkeit zu ihrem ausführlichen Vorbringen anzumerken ist - zu Unrecht davon aus, dass der von der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde erlassene Bescheid sowie deren Schreiben während des Verfahrens zur Bescheiderlassung lediglich der Hausverwaltung, nicht aber den Wohnungseigentümern selbst zuzustellen gewesen seien.
37 Gemäß § 2 Abs. 1 WEG 2002 ist Wohnungseigentum das dem Miteigentümer einer Liegenschaft oder einer Eigentümerpartnerschaft eingeräumte dingliche Recht, ein Wohnungseigentumsobjekt ausschließlich zu nutzen und allein darüber zu verfügen. Wohnungseigentumsobjekte sind Wohnungen, sonstige selbständige Räumlichkeiten und Abstellplätze für Kraftfahrzeuge (wohnungseigentumstaugliche Objekte), an denen Wohnungseigentum begründet wurde (§ 2 Abs. 2 WEG 2002). Allgemeine Teile der Liegenschaft sind solche, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht (§ 2 Abs. 4 WEG 2002). Wohnungseigentümer ist ein Miteigentümer der Liegenschaft, dem Wohnungseigentum an einem darauf befindlichen Wohnungseigentumsobjekt zukommt. Alle Wohnungseigentümer bilden zur Verwaltung der Liegenschaft die Eigentümergemeinschaft (§ 2 Abs. 5 WEG 2002; vgl. ).
38 Angesichts des mit der Duldungsverpflichtung auferlegten Eingriffes in die Verfügung über die Liegenschaft betrifft eine Vorarbeiten für zulässig erklärende Entscheidung nach § 40a Abs. 3 EisbG nicht den Bereich der Verwaltung, sondern den Bereich der Verfügung betreffend eine Liegenschaft. Während zur Verwaltung alles gehört, was gemeinschaftliche Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsguts berühren könnte (vgl. etwa , mwH; , mwH), greift eine Verfügung in die Substanz der Gemeinschaftsrechte oder Anteilsrechte ein (vgl. RIS-Justiz RS 0109188; RIS-Justiz RS 0012112). Dem korrespondiert die Bestimmung des § 18 Abs. 2 WEG, wonach es jedem Wohnungseigentümer (auch wenn er nur die Minderheit der Anteile repräsentiert) offensteht, Belastungen der Liegenschaft (etwa auch eine die Verfügung einschränkende Duldungspflicht) eigenständig zu bekämpfen. Zur Abwehr von Eingriffen in das gemeinsame Eigentum bzw. in die eigentumsrechtliche Rechtsposition jedes Miteigentümers ist jeder Miteigentümer selbst berechtigt (vgl. dazu , mwH; vgl. idZ auch , betreffend die direkt jeden Miteigentümer treffende Abgabenschuld).
39 Damit ist der Verwalter iSd § 20 WEG ("Hausverwaltung") zur Geltendmachung der subjektiv-öffentlichen Rechte der revisionswerbenden Partei, die ihr nach § 40a EisbG (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Abs. 1 und 3 leg.cit.) zukommen, nicht berechtigt (vgl. dazu auch Hausmann, in:
Hausmann/Vonkilch (Hrsg), Österreichisches Wohnrecht, § 20 WEG, Rz 24 ff (2007); vgl. ferner Locker, in: Hausmann/Vonkilch (Hrsg), Österreichisches Wohnrecht, § 18 WEG, insb Rz 9 ff (2007)). Eine (bloße) Verwaltervollmacht iSd § 20 WEG gibt keine Grundlage dafür ab, eine Hausverwaltung als Vertreter für einen Wohnungseigentümer wie die revisionswerbende Partei zu qualifizieren und dieser Hausverwaltung als dem Vertreter der revisionswerbenden Partei einen verwaltungsbehördlichen Bescheid wie den vorliegenden bzw. die an die revisionswerbende Partei gerichteten verwaltungsbehördlichen Schreiben im Zuge des Verfahrens zur Erlassung dieses Bescheides (zur Weiterleitung an die Partei) zuzustellen.
40 IV. Ergebnis
41 A. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
42 B. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da ein Ersatz für Schriftsatzaufwand dann nicht in Betracht kommt, wenn - wie hier - ein Rechtsanwalt in eigener Sache einschreitet, war das Mehrbegehren abzuweisen (vgl. , mwH).
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017030069.L00.1 |
Schlagworte: | Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Gutachten Parteiengehör öffentlicher Verkehr Eisenbahnen Seilbahnen Lifte Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Parteiengehör Parteiengehör Allgemein Parteiengehör Sachverständigengutachten |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.