VwGH vom 11.12.2013, 2012/08/0217

VwGH vom 11.12.2013, 2012/08/0217

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der p GmbH in G, vertreten durch die Held Berdnik Astner Partner Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schlögelgasse 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-120808/0001-II/A/3/2011, betreffend Beitragsnachforderung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:

Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau in 1061 Wien, Linke Wienzeile 48-52), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die im Devolutionsweg zuständig gewordene belangte Behörde dem Einspruch der beschwerdeführenden Partei gegen einen Bescheid der mitbeteiligten Versicherungsanstalt betreffend die Nachforderung von Beiträgen nach dem ASVG keine Folge.

Die Beitragsnachforderung resultierte daraus, dass die beschwerdeführende Partei in die Berechnungsgrundlage der ihren Dienstnehmern ausbezahlten Überstundenzuschläge abweichend von § 10 Abs. 3 Arbeitszeitgesetz (AZG) nicht auch Zulagen und Zuschläge einbezogen hatte. Die belangte Behörde vertrat dazu - unter Berufung auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0067, VwSlg. 15.926 A - die Auffassung, dass die der Vorgangsweise der beschwerdeführenden Partei zugrunde liegende Bestimmung des anzuwendenden Kollektivvertrages nichtig sei und die Dienstnehmer gemäß § 10 Abs. 3 AZG Anspruch auf Überstundenzuschläge unter Einbeziehung der Zulagen und Zuschläge hätten. Der - unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 8 ObA 82/06a - vertretenen Ansicht der beschwerdeführenden Partei, wonach die kollektivvertragliche Regelung insbesondere wegen des dort vorgesehenen, für die Dienstnehmer vorteilhaften "Überstundenteilers" im Vergleich zu § 10 AZG insgesamt günstiger sei, folgte die belangte Behörde nicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Versicherungsanstalt erwogen:

1. Gemäß § 10 Abs. 3 AZG in der Fassung BGBl. Nr. 46/1997 (entspricht dem Abs. 2 leg. cit. in der Fassung BGBl. Nr. 238/1971) ist der Berechnung des Überstundenzuschlages der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn zu Grunde zu legen.

In den Normallohn als Berechnungsgrundlage für den Überstundenzuschlag sind alle bei Leistung der betreffenden Arbeit in der Normalarbeitszeit regelmäßig gewährten Zuschläge und Zulagen mit Entgeltcharakter einzubeziehen. Eine abweichende Regelung durch Kollektivvertrag ist nur bezüglich der Berechnungsart zulässig, nicht aber bezüglich der Berechnungsgrundlage (vgl. RIS-Justiz RS0051222).

In dem zu § 10 Abs. 2 AZG in der Fassung BGBl. Nr. 238/1971 ergangenen Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0067, VwSlg. 15.926 A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die den Ausschluss der Berücksichtigung von Zulagen und Zuschlägen bewirkende Norm des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie gegen § 10 Abs. 2 AZG verstoße und daher nichtig sei. Daran ändere - entgegen der Ansicht des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom , 9 ObA 147/87 - auch der im Kollektivvertrag ebenfalls vorgesehene günstigere Divisor für die Berechnung des Ausgangsbetrages für den Überstundenzuschlag nichts. Dieser privilegierte Teiler solle nämlich nach dem klaren Wortlaut der Kollektivvertragsbestimmung für die Berechnung der Überstundengrundvergütung keinesfalls nur dann gelten, wenn im Normallohn iS des § 10 Abs. 2 AZG Zulagen und Zuschläge enthalten seien (an deren Stelle zu treten er danach bestimmt wäre), vielmehr komme er in ganz gleicher Weise jenen Arbeitnehmern zugute, in deren Normallohn solche Zulagen und Zuschläge gar nicht enthalten seien. Während somit der günstigere Teilungsfaktor allen Dienstnehmern zugutekomme, treffe die ungünstigere Regelung über die Nichteinbeziehung der Zulagen und Zuschläge in die Berechnungsbasis naturgemäß nur jene Dienstnehmer, die über solche Entgeltbestandteile verfügen. Der Teilungsfaktor hätte im Günstigkeitsvergleich also verschiedene Funktionen zu erfüllen, je nachdem auf welchen Dienstnehmer er anzuwenden sei. Es könne daher nicht gesagt werden, dass der Teilungsfaktor und die Nichtberücksichtigung der Zulagen und Zuschläge miteinander in einem solchen systematischen Zusammenhang stünden, der einen Günstigkeitsvergleich rechtlich zu tragen vermöchte.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom , 8 ObA 82/06a, seine in der Entscheidung vom , 9 ObA 147/87, vertretene Rechtsansicht - nach Auseinandersetzung mit dem soeben zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes - bekräftigt. Es sei nicht ersichtlich, warum den Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit genommen sein sollte, pauschalierende Regelungen zu treffen, wenn sie im Ergebnis nur günstiger - wenngleich auch für verschiedene Arbeitnehmergruppen im unterschiedlichen Ausmaß - als die gesetzliche Regelung seien. Betrachte man den vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend herangezogenen Ansatz, beim Günstigkeitsvergleich die Zielrichtung der gesetzlichen Regelung miteinzubeziehen, so sei es der im Wesentlichen unstrittige Zweck des 50%igen Zuschlages nach § 10 AZG, die mit der Überstundenarbeit verbundene Mehrbelastung des Arbeitnehmers abzugelten und die Kosten dieser Arbeit für den Arbeitgeber zu erhöhen. Beide Zwecke würden durch einen im Ergebnis höheren Zuschlag zum nach dem Gesetz zugrunde zu legenden Normallohn nur gefördert, möge diese Förderung auch hinsichtlich der einzelnen Arbeitnehmergruppen unterschiedlich stark ausfallen. Dass die Kollektivvertragsparteien vereinfachende Abrechnungsregelungen vorsähen, bewirke unter der hier maßgeblichen gesetzlichen Wertungsvorgabe - Verteuerung, höhere Abgeltung - keinen Ansatzpunkt, dem Kollektivvertragssystem aus sich heraus entgegenzutreten.

2. Dieser Ansicht des Obersten Gerichtshofes kann beigetreten werden. Selbst wenn mit dem günstigeren Divisor nicht in erster Linie bezweckt wurde, die Nichteinbeziehung der Zulagen und Zuschläge in die Berechnungsgrundlage auszugleichen, sondern - wie die belangte Behörde und die mitbeteiligte Versicherungsanstalt darlegen - die gesetzlich nicht gebotene, in früheren Fassungen des Kollektivvertrages aber vorgesehene Einbeziehung der Überstundenvergütungen in die Berechnung der Sonderzahlungen (Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration) ersetzt werden sollte, ändert dies nichts daran, dass es sich um eine Regelung der Überstundenzuschläge handelt, die im Ergebnis für die Arbeitnehmer günstiger ist, solange sich aus der Anwendung des kleineren Überstundenteilers bei der Berechnung des Ausgangsbetrages ein höherer Zuschlag ergibt als aus der Einbeziehung der Zulagen und Zuschläge gemäß § 10 Abs. 3 AZG.

Die im hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0067, VwSlg. 15.926 A, - noch zu einer anderen Rechtslage - vertretene Rechtsansicht wird daher nicht aufrechterhalten. Vielmehr ist im Einklang mit der eingehend begründeten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes davon auszugehen, dass es bei kollektivvertraglicher Vereinbarung eines günstigeren Überstundenteilers grundsätzlich zulässig ist, Zulagen und Zuschläge aus der Berechnungsgrundlage für Überstundenzuschläge auszuschließen, soweit diese Regelung im Ergebnis dazu führt, dass die Arbeitnehmer höhere Überstundenzuschläge erhalten als bei Anwendung der gesetzlichen Regelung.

3. Im Beschwerdefall gehen alle Verfahrensparteien davon aus, dass durch Abschnitt XIV Pkt. 13 des anzuwendenden Kollektivvertrages für Arbeiter der eisen- und metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie die Einrechnung der im Normallohn enthaltenen Zulagen und Zuschläge (mit Ausnahme des Vorarbeiterzuschlages) bei der Berechnung des Überstundenzuschlages ausgeschlossen wird. Die belangte Behörde hat diese Regelung wegen Widerspruchs zu § 10 AZG als nichtig erachtet. Das war aber nach dem oben Gesagten nicht zutreffend, weil der Kollektivvertrag auch vorsieht, dass bei der Ermittlung des Ausgangsbetrages aus dem Monatsbezug ein Teiler von 1/143 (statt eines sich bei einer Normalarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden aus dem Gesetz ergebenden Teilers von 1/167) angewendet wird, und außerdem teilweise 100%ige statt 50%iger Zuschläge gewährt werden. Eine solche Regelung der Berechnung des Überstundenzuschlages ist zulässig, soweit der durch die Anwendung des kleineren Divisors (und - bei den getrennt zu betrachtenden "qualifizierten" Überstunden (vgl. die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 9 ObA 60/90 und 9 ObA 604/93) - durch den prozentuell höheren Zuschlag) gewährte Vorteil größer ist als die durch die Herabsetzung der Berechnungsgrundlage auf den bloßen Grundstundenlohn verursachten Nachteile.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG keine Eingabengebühr zu entrichten war.

Wien, am