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VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/21/0168

VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/21/0168

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des Z G (auch: G), alias A M, in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L515 1233720-2/5E, betreffend Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der aus Aserbaidschan stammende Revisionswerber reiste am illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundeasylamtes vom abgewiesen, und es wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Aserbaidschan zulässig sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , Zl. 2008/19/1203, ab.

2 Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom wurde der Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0201, als unbegründet abgewiesen.

3 Am stellte der Revisionswerber den Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 AsylG 2005. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) forderte ihn mit Schreiben vom auf, einen Identitätsnachweis vorzulegen. Der Revisionswerber beantragte daraufhin gemäß § 4 Abs. 1 der AsylG-Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DV 2005) die Heilung des Mangels der Nichtvorlage des Identitätsnachweises. Er brachte vor, dass er 1977 in Aserbaidschan geboren sei, aber der armenischen Volksgruppe angehöre. Es seien ihm mit Ausnahme der Geburtsurkunde, die aber verloren gegangen sei, niemals Dokumente ausgestellt worden. Ab dem Jahr 1988 habe er in Russland gelebt und sei dann im März 2000 nach Aserbaidschan zurückgekehrt, wo er seine Lebensgefährtin und Mutter seiner (2001, 2002 und 2007 geborenen) Kinder kennengelernt habe. Aserbaidschan erkenne ihn nicht als Staatsbürger an, weshalb er als staatenlos gelte.

4 Mit Bescheid vom wies das BFA den Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DV 2005 ab und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurück. Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nahm es angesichts der Ausweisung aus dem Jahr 2010 unter Hinweis auf § 59 Abs. 5 FPG Abstand.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.

6 In der Begründung gab es unter der Überschrift "Verfahrensgang" zunächst umfangreich den Bescheid des BFA vom wieder. Diese Wiedergabe wurde durch dislozierte Feststellungen unterbrochen, wonach der Lebensgefährtin und den drei Kindern des Revisionswerbers zunächst subsidiärer Schutz erteilt worden sei und sie nunmehr über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG verfügten (aus dem Akt ist ersichtlich, dass es sich dabei um "Rot-Weiß-Rot-Karten plus" handelt). Laut zentralem Melderegister hätten der Revisionswerber einerseits und seine Lebensgefährtin sowie die Kinder andererseits von Mai 2005 bis Februar 2013 an unterschiedlichen Adressen gelebt. Unter der Überschrift "Feststellungen" erklärte das Bundesverwaltungsgericht außerdem, dass der Revisionswerber Staatsangehöriger von Aserbaidschan sei und nicht der armenischen Volksgruppe angehöre. Er sei nach dem negativen Ausgang des Asylverfahrens und der Erlassung einer Ausweisung seiner "Obliegenheit" zum Verlassen des Bundesgebiets nicht nachgekommen. Er verfüge im Bundesgebiet über die "vorgebrachten privaten und familiären Anknüpfungspunkte". Die Identität des Revisionswerbers stehe nicht fest.

7 Unter der Überschrift "Beweiswürdigung" führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere - mit näherer Begründung - aus, dass es dem Revisionswerber möglich wäre, seine Identität bei entsprechender Mitwirkung im Verfahren durch die Vorlage von unbedenklichen Unterlagen zu bescheinigen, zumal er aus einem Staat stamme, welcher Personenstandsfälle sowie die Identität seiner Bürger dokumentiere und durch die Ausstellung entsprechender Dokumente bescheinige. Wenn der Revisionswerber behaupte, staatenlos zu sein, sei darauf hinzuweisen, dass gerade in Bezug auf dieses Vorbringen bereits rechtskräftig festgestellt worden sei, dass es nicht den Tatsachen entspreche, sondern der Revisionswerber Staatsangehöriger von Aserbaidschan sei.

8 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht zunächst aus, es sei bereits ausführlich erörtert worden, dass hinsichtlich der beantragten Heilung kein Fall des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 vorliege, weil es dem Revisionswerber jederzeit möglich und zumutbar wäre, die erforderlichen Urkunden zu beschaffen.

9 Es bleibe somit noch zu prüfen, ob die Heilung des Mangels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten erscheine (§ 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005).

10 Dazu führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber lebe mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern zusammen, die sich legal im Bundegebiet aufhielten. Dieses Zusammenleben sei in der Vergangenheit wegen der Gewalttätigkeit des Revisionswerbers unterbrochen gewesen. In Bezug auf die weiteren privaten und familiären Anknüpfungspunkte werde auf die "bereits getroffenen Ausführungen" bzw. die vom Revisionswerber "nicht widerlegt vorgebrachten Ausführungen" verwiesen. Der Revisionswerber wolle offensichtlich sein weiteres Leben in Österreich gestalten. Die gegenständliche Entscheidung stelle somit einen Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben dar.

11 Nach abstrakten Ausführungen zur Rechtfertigung von Eingriffen in dieses Recht nahm das Bundesverwaltungsgericht zu einzelnen Kriterien fallbezogen Stellung. Es führte zur Dauer und Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts aus, dass der Revisionswerber seit dem Jahr 2002 in Österreich lebe und sein Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrags vorübergehend legalisiert sowie durch die Einbringung eines unbegründeten Rechtsmittels gegen die Ausweisung prolongiert worden sei.

12 Zur Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens erklärte das Bundesverwaltungsgericht, dass das Privatleben zu einem Zeitpunkt begründet worden sei, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrags vorübergehend legal gewesen sei; der Aufenthalt sei zu diesem Zeitpunkt ungewiss und nicht dauerhaft gewesen.

13 Zu den familiären Anknüpfungspunkten sei festzuhalten, dass nunmehr wieder eine häusliche Gemeinschaft mit der Lebensgefährtin und den Kindern vorliege. Diesen Angehörigen sei subsidiärer Schutz gewährt worden, welcher seine Ursachen in der Gewalttätigkeit des Revisionswerbers und den daraus ableitbaren Umständen habe. Daraus ergebe sich zum einen, dass sie voraussichtlich über kein Aufenthaltsrecht verfügen würden, wenn der Revisionswerber nicht gewalttätig geworden wäre, und sie im selben Umfang potentiell von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen wären. Zum anderen ergebe sich daraus, dass der Revisionswerber nunmehr bestrebt sei, sich einen Vorteil aus den Folgen der Gewalttätigkeiten zu verschaffen, indem er das Aufenthaltsrecht seiner Lebensgefährtin und seiner Kinder als wesentliches Entscheidungskriterium zu seinen Gunsten heranziehen wolle, was letztlich in einer "befremdend anmutenden juristischen Tautologie" zu enden scheine. Auch sei festzuhalten, dass sowohl die Lebensgefährtin des Revisionswerbers als auch seine Kinder Staatsangehörige von Aserbaidschan seien und es der Familie bei Bestehen eines entsprechenden Wunsches nach Führung einer häuslichen Gemeinschaft frei stünde, eine solche in Aserbaidschan zu begründen. Dem Revisionswerber stünde es auch frei, die familiären Bindungen durch briefliche, telefonische und elektronische Kontakte oder gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten; ebenso stünde es ihm frei, sich nach seiner Ausreise um eine legale Wiedereinreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen.

14 Zum Grad der Integration erklärte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Revisionswerber sein überwiegendes Leben außerhalb von Österreich verbracht habe. Er spreche inzwischen Deutsch, und es werde auf seine "vorgetragenen Tätigkeiten" in Österreich verwiesen. Aus dem Akt gehe nicht hervor, dass der Revisionswerber selbsterhaltungsfähig wäre; es existierten allerdings Einstellungszusagen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verfüge aber selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spreche sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert sei, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale, sodass diesen Umständen nur untergeordnete Bedeutung zukomme; auch Einstellungszusagen komme nach der Judikatur nur ein untergeordneter Wert zu.

15 Zu den Bindungen des Revisionswerbers im Herkunftsstaat führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass er einen erheblichen Teil seines Lebens in Aserbaidschan verbracht habe, dort sozialisiert worden sei und "mangels gegenteiliger Hinweise mit hoher Wahrscheinlichkeit" der dortigen Mehrheits- und Titularethnie angehöre sowie die dortige Amts- und Mehrheitssprache spreche. Es deute nichts darauf hin, dass es ihm im Fall einer Rückkehr nicht gelingen werde, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

16 Schließlich leitete das Bundesverwaltungsgericht aus der schlepperunterstützten illegalen Einreise des Revisionswerbers ab, dass ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus bzw. die "Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung" bewusst gewesen sei, weil er sonst die weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive legale Einreise und Niederlassung gewählt hätte.

17 Ein Verschulden der Behörden in Bezug auf die Dauer des Asyl- und des Ausweisungsverfahren liege nicht vor.

18 Am Ende folgerte das Bundesverwaltungsgericht, nachdem es noch die besondere Bedeutung eines geordneten Fremdenwesen hervorgehoben hatte, es sei dem BFA im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorgekommen sei, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die Entscheidung des BFA "einen Eingriff

in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben" darstelle.

19 Da im gegenständlichen Fall somit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 nicht vorlägen, habe das BFA die Heilung der Mängel zu Recht nicht zugelassen.

20 Von einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

21 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

23 1. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bringt der Revisionswerber vor, dass das Bundesverwaltungsgericht unter anderem deshalb von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, weil es die vierzehnjährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers nicht berücksichtigt habe, obwohl ein mehr als zehnjähriger Aufenthalt den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet großes Gewicht verleihen könne.

24 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - berechtigt.

25 2. § 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

26 § 58 Abs. 11 AsylG 2005 normiert:

"§ 58. (11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

3. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

4. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren."

27 § 4 und § 8 AsylG-DV 2005 lauten:

"§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

...

§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

  1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

  2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

  3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

  4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

  5. 5...."

  6. 28 3. Im Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0039, hat sich der Verwaltungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf die historische Entwicklung und unter Einbeziehung des Bedeutungsgehalts damit im Zusammenhang stehender Regelungen ausführlich mit der Auslegung des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 auseinandergesetzt. Auf die diesbezüglichen Entscheidungsgründe wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei zum Ergebnis gekommen, mit den (mit Wirksamkeit ab ) vom NAG in das AsylG 2005 transferierten Regelungen für "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen" sei es insoweit der Sache nach lediglich zu einer Zusammenfassung der Abs. 4, 6 und 10 des § 19 NAG gekommen. Von Bedeutung sei allerdings, dass die unterbliebene Vorlage von Identitätsurkunden, wie etwa des Reisepasses, nunmehr einheitlich von § 58 Abs. 11 AsylG 2005 geregelt werde, sodass diesbezüglich im Antragsverfahren nicht auf § 13 Abs. 3 AVG zurückgegriffen werden müsse. Im Übrigen beziehe sich aber auch § 58 Abs. 11 AsylG 2005 (sonst nur) auf Mitwirkungsverpflichtungen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten und mit der Zustelladresse des Fremden, nicht aber auf solche, die mit der Erhebung von inhaltlichen Erteilungsvoraussetzungen im Zusammenhang stehen.

  7. 29 Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. das Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. den hg. Beschluss vom , Ra 2016/21/0314).

  8. 30 4. Im vorliegenden Fall war es daher - selbst ohne explizite Bezugnahme auf die Z 2 im nur allgemein auf § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 gestüzten Heilungsantrag - erforderlich, zu prüfen, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten war.

  9. 31 Das Bundesverwaltungsgericht hat eine derartige Prüfung zwar vorgenommen, dabei aber der langen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers nicht die ihr nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zukommende Bedeutung zugemessen.

  10. 32 Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0249 bis 0253, mwN).

  11. 33 Davon, dass sich der Revisionswerber überhaupt nicht integriert hätte, kann auch auf Basis der Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts keine Rede sein. So wurden ihm sowohl ein Beherrschen der deutschen Sprache als auch in der Vergangenheit ausgeübte Erwerbstätigkeiten und das Vorhandensein von Einstellungszusagen zugestanden; dass insbesondere Einstellungszusagen keine Bedeutung zukommt, trifft - entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts - in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt nicht zu (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0165). Auch das unstrittig mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern, die alle über Aufenthaltstitel verfügen, geführte Familienleben war zugunsten des Revisionswerbers zu berücksichtigen (vgl. zur Bedeutung familiärer Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/22/0128, (betreffend Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft) und vom , Zl. 2013/22/0247 (betreffend einen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Angehörigen außerhalb der Kernfamilie)).

  12. 34 Zwar können ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthalts und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels bzw. an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden (vgl. dazu die Nachweise im hg. Erkenntnis vom , Ro 2016/22/0005). Derartige Gegebenheiten, die trotz des vierzehnjährigen Aufenthalts des Revisionswerbers eine Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt erscheinen ließen, hat das Bundesverwaltungsgericht aber nicht festgestellt. Allein der vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführte Umstand, dass behauptete Gewalttätigkeiten in der Vergangenheit zur Gewährung von subsidiärem Schutz an seine Ehefrau geführt hätten, vermag weder das aktuell geführte Familienleben entscheidend zu relativieren noch - ohne konkrete Anhaltspunkte - einen Missbrauch zu indizieren.

  13. 35 Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den Heilungsantrag des Revisionswerbers gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 für berechtigt erachten müssen. Ausgehend davon kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 (Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Beschaffung der verlangten Urkunden) ebenfalls erfüllt gewesen wären.

  14. 36 5. Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit der Beschwerde des Revisionswerbers Folge geben und die Antragszurückweisung durch das BFA ersatzlos beheben müssen, um in der Folge die inhaltliche Erledigung des Antrags auf Titelerteilung - im stattgebenden Sinn - zu ermöglichen.

  15. 37 Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

  16. 38 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

  17. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016210168.L00
Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete

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