VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/21/0152
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des M T U in W, vertreten durch Dr. Barbara Oberhofer, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Rustenschacherallee 34-36/2/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W154 2124257-1/6E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A I. bis III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen (Spruchpunkt A IV.; Abweisung des Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshelfers) wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der 1993 geborene Revisionswerber stammt aus Georgien. Spätestens Anfang 2006 gelangte er mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder nach Tschechien, wo er einen Asylantrag stellte und wo er - nachdem seine Mutter wegen TBC stationär behandelt werden musste - in einem "Kinderheim" (so die Bezeichnung durch den Revisionswerber) untergebracht wurde.
2 Nach dem Tod der Mutter im Dezember 2007 stimmte Österreich der Übernahme des Revisionswerbers (und seines gleichfalls noch minderjährigen Bruders) nach der Dublin II-VO zu, weil dem (mutmaßlichen) Vater D. hier bereits 2005 subsidiärer Schutz zuerkannt worden war. Im Hinblick darauf erkannte das Bundesasylamt mit Bescheid vom dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 ebenfalls den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis .
3 Nachdem D. der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt worden war, erging eine entsprechende Erledigung auch gegenüber dem Revisionswerber; außerdem wurde er gemäß dem damaligen § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Georgien ausgewiesen. Eine dagegen (Bescheid des Bundesasylamtes vom ) erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
4 Der Revisionswerber verblieb vorerst in Österreich, befand sich allerdings von Oktober 2013 bis Juni 2015 (insbesondere) wegen Vermögensdelikten in Untersuchungs- und dann in Strafhaft. In der Folge reiste er in die Schweiz aus, wo er erneut einen Asylantrag stellte. Nach seiner Überstellung nach Österreich gemäß der Dublin III-VO am beantragte der Revisionswerber auch hier nochmals internationalen Schutz.
5 Mit Bescheid vom , berichtigt durch Bescheid vom , verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 AVG Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung des Revisionswerbers.
6 Der Revisionswerber erhob Beschwerde, in der er u.a. vorbrachte, es sei nicht davon auszugehen, dass das für seine Abschiebung nach Georgien erforderliche Heimreisezertifikat erlangt werden könne; andernfalls stelle sich die Frage, warum die zuständigen Behörden nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates und zur Effektuierung seiner Abschiebung gesetzt hätten, obwohl seit Ende 2012 eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand. Insofern wäre die behördliche Verpflichtung, auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hinzuwirken, verletzt worden.
7 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Außerdem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt A II.), wies den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt A III.) und gab dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers gemäß § 40 VwGVG nicht Folge (Spruchpunkt A IV.). Schließlich erklärte das BVwG eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
8 Das BVwG stellte u.a. fest, dass für den Revisionswerber am ein Heimreisezertifikat beantragt worden sei; mit seiner Ausstellung sei in ca. zwei bis drei Wochen zu rechnen. Dabei folgte das BVwG erkennbar - allerdings ohne ausdrückliche Bezugnahme darauf - einer im Erkenntnis wiedergegebenen Stellungnahme des BFA zur Schubhaftbeschwerde des Revisionswerbers vom , in der festgehalten worden war, es würden Erhebungen durch den Verbindungsbeamten in Georgien veranlasst, um die - auf Grund seiner aktuellen Angaben fragliche - tatsächliche Identität des Revisionswerbers feststellen zu können; die Erlangung eines Heimreisezertifikates - so heißt es in der besagten Stellungnahme weiter - sei, sofern die Identität feststehe, eine reine Formsache und dauere in etwa zwei Wochen, sodass binnen der nächsten vier Wochen mit einem Heimreisezertifikat gerechnet werden könne.
9 Im Rahmen seiner rechtlichen Überlegungen führte das BVwG in diesem Zusammenhang dann noch aus, auf Grund der Haftfähigkeit des Revisionswerbers und des zeitnah zu realisierenden Abschiebetermins sei "sohin" auch der Schubhaftzweck gegeben. Von der ausdrücklich beantragten Beschwerdeverhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:
11 1. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG macht der Revisionswerber, bezogen auf die Spruchpunkte A I. bis III. des angefochtenen Erkenntnisses, der Sache nach geltend, das BVwG sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen. Das trifft zu, weshalb die Revision, soweit sie sich gegen die genannten Spruchpunkte richtet, einerseits zulässig und andererseits berechtigt ist.
12 Der Revisionswerber hatte in seiner Beschwerde vorgebracht, es sei nicht davon auszugehen, dass für ihn ein (georgisches) Heimreisezertifikat erlangt werden könne. Im Schubhaftbescheid vom war die Frage der Erlangbarkeit eines georgischen Heimreisezertifikates überhaupt nicht thematisiert worden. In der zur Schubhaftbeschwerde dann erstatteten Stellungnahme hatte das BFA aber ausgeführt, es könne für den Fall der erfolgreichen Abklärung der tatsächlichen Identität des Revisionswerbers binnen vier Wochen mit der Erlangung eines solchen gerechnet werden.
13 Schon deshalb wäre die vom Revisionswerber beantragte Beschwerdeverhandlung durchzuführen gewesen, lagen doch strittige Behauptungen zu einer wesentlichen Frage vor, die im Schubhaftbescheid noch keine Behandlung gefunden hatten. Dass die erwähnte Stellungnahme des BFA dem Revisionswerber nicht zur Kenntnis gebracht worden war, tritt neben dem Unterbleiben der beantragten Beschwerdeverhandlung als weiterer Verfahrensfehler hinzu, ebenso wie der Umstand, dass das BVwG in seinem Erkenntnis das wiedergegebene Vorbringen des Revisionswerbers überhaupt nicht behandelte und insbesondere begründungslos der Stellungnahme des BFA folgte. Diese Verfahrensfehler sind relevant, weil den vorgelegten Akten im Sinn der auch in der Revision aufgestellten Behauptung nicht zu entnehmen ist, dass es "bis jetzt" (Ende Juni 2016) zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates gekommen sei.
14 Im Zusammenhang mit der Frage der Realisierbarkeit der Abschiebung des Revisionswerbers hätte sich das BVwG - schon im Rahmen der gebotenen Beschwerdeverhandlung - im Übrigen aber auch mit dem weiteren Schicksal des vom Revisionswerber am gestellten wiederholten Antrags auf internationalen Schutz auseinandersetzen müssen. Unter Bezugnahme auf diesen Antrag hatte das BFA in seinem Schubhaftbescheid nämlich (im Einklang mit dem Inhalt der vorgelegten Akten) angemerkt, dass sich der Revisionswerber rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Die auf Grund des erwähnten Antrags eingetretene Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes bewirkte aber die Gegenstandslosigkeit einer davor ergangenen Rückkehrentscheidung, die dann nicht mehr vollzogen werden könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0174, Punkt 2. der Entscheidungsgründe), weshalb es gegebenenfalls auch nicht zutrifft, dass - wie im Schubhaftbescheid weiter festgehalten - eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber (gemeint offenbar die mit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten letztlich im Oktober 2012 ergangene Ausweisung, die gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 zu einer Rückkehrentscheidung geworden war) durchsetzbar sei. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann aber auch unter diesem Aspekt die Frage, ob die letztlich allein zur Sicherung der Abschiebung verhängte und fortgesetzte gegenständliche Schubhaft nicht ihren Zweck verfehlt. Die angefochtene Entscheidung, die darauf nicht eingeht, ist mithin auch deshalb in ihren die Schubhaft betreffenden Spruchpunkten A I. bis III. mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
15 2. Auch in Bezug auf die Abweisung des in der Schubhaftbeschwerde gestellten Verfahrenshilfeantrages (Spruchpunkt A IV.) erweist sich die gegenständliche Revision im Hinblick darauf, dass der vorliegende Fall auf Basis der Rechtslage nach dem FrÄG 2015 zu beurteilen ist, einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bislang aber nur zur davor gültigen Rechtslage existiert, als zulässig. Insoweit ist die Revision aber nicht berechtigt.
16 In seinem auch in der Revision ins Treffen geführten, zur Rechtslage vor dem FrÄG 2015 ergangenen Erkenntnis vom , Ro 2015/21/0032, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe, gelangte der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass der gebotenen Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes in Schubhaftbeschwerdeverfahren (regelmäßig) durch Beistellung eines beantragten Verfahrenshelfers Rechnung zu tragen sei. Die in § 52 BFA-VG vorgesehene Beigabe eines Rechtsberaters reiche demgegenüber nicht aus, weil im Hinblick auf dessen in Abs. 2 der genannten Bestimmung umschriebenen Aufgabenbereich nicht gewährleistet sei, dass der Fremde effektive Unterstützung insbesondere in einer Beschwerdeverhandlung erhalte. In diesem Zusammenhang nahm der Verwaltungsgerichtshof noch auf die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung) - im Folgenden Aufnahmerichtlinie - Bezug, deren Garantien nach aktueller Sichtweise typischerweise dem entsprächen, was einem Schubhäftling zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes im Beschwerdeverfahren anzugedeihen lassen sei. Demnach bedürfe es zwar nicht der Beigabe eines Rechtsanwaltes, es sei aber vorzusehen, dass der Fremde unentgeltliche Rechtsberatung und - vertretung in Anspruch nehmen könne, und zwar dergestalt, dass zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Fremden vor den Justizbehörden zu erfolgen habe (siehe Punkt 3.4. der Entscheidungsgründe).
17 Diese Ausführungen ergingen, wie schon erwähnt, auf Basis des § 52 BFA-VG in der Stammfassung vor dem FrÄG 2015. In Abs. 2 der genannten Bestimmung war der Aufgabenbereich des für einen Fremden (insbesondere) bei Anordnung von Schubhaft von Amts wegen "zur Seite gestellt(en)" Rechtsberaters wie folgt umschrieben:
"(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben Fremde in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung auf deren Ersuchen auch zu vertreten. Rechtsberater haben den Beratenen jedenfalls die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen."
18 Mit dem FrÄG 2015 wurde § 52 BFA-VG mit Wirksamkeit ab geändert. Abs. 2 hatte dann bis zur neuerlichen Novellierung durch das BGBl. I Nr. 24/2016, in Kraft getreten am , nachstehenden Wortlaut:
"(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben Fremde in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung, eine Entscheidung gemäß § 2 Abs. 4 bis 5 oder § 3 GVG-B 2005 oder eine Anordnung zur Außerlandesbringung auf deren Ersuchen auch zu vertreten. Rechtsberater haben den Beratenen jedenfalls die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. In Verfahren über internationalen Schutz sowie über die Anordnung von Schubhaft haben Rechtsberater auf Ersuchen des Fremden an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen."
19 In den ErläutRV zum FrÄG 2015 (582 BlgNR 25. GP, 10) war die Änderung des § 52 Abs. 2 BFA-VG wie folgt begründet worden:
"Die Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht wird ... um die Verhandlungsteilnahme in einem Beschwerdeverfahren wegen eines Antrages auf internationalen Schutz und über die Anordnung von Schubhaft erweitert.
...
Die Neufassung der Verfahrensrichtlinie in Art. 20 Abs. 1 sieht vor, dass die Rechtsberatung vor dem Gericht auch die Teilnahme an der Verhandlung umfasst. Die Rechtsberatung betreffend Einschränkung oder Entziehung von Grundversorgungsleistungen ergibt sich aus Art. 26 Neufassung der Aufnahmerichtlinie. Art. 9 Neufassung der Aufnahmerichtlinie umfasst außerdem, dass der Rechtsberater auf Ersuchen auch bei der mündlichen Verhandlung betreffend die Schubhaft teilzunehmen hat. Ein Einschreiten des Rechtsberaters setzt jeweils das Einverständnis des Fremden voraus."
20 Der Gesetzgeber wollte also mit der Neuregelung insbesondere den genannten Artikel der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung)) sowie die angesprochenen Artikel der Aufnahmerichtlinie umsetzen (so auch ausdrücklich die Ausführungen im Allgemeinen Teil der zitierten ErläutRV, 1).
21 Art. 20 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie sieht unter der Überschrift "Unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Rechtsbehelfsverfahren" vor:
"(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Rechtsbehelfsverfahren nach Kapitel V auf Antrag unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird. Diese umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung vor einem erstinstanzlichen Gericht im Namen des Antragstellers."
22 In Art. 9 Abs. 6 sowie in Art. 26 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie wird angeordnet:
"Artikel 9
Garantien für in Haft befindliche Antragsteller
...
(6) Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnung nach Absatz 3 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der Antragsteller unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch nehmen kann. Die Rechtsberatung und -vertretung umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Antragstellers vor den Justizbehörden.
..."
"Artikel 26
Rechtsbehelfe
...
(2) Im Falle eines Rechtsbehelfs oder einer Überprüfung durch eine Justizbehörde nach Abs. 1 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch genommen werden kann, soweit diese zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes erforderlich ist. Dies umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Vertretung vor den Justizbehörden im Namen des Antragstellers.
..."
23 Während also Art. 20 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie (für Rechtsbehelfsverfahren in Asylsachen) und Art. 9 Abs. 6 der Aufnahmerichtlinie (für gerichtliche Überprüfungen in Schubhaftangelegenheiten) eine "Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Antragstellers" gewährleisten, ist nach Art. 26 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie (für Rechtsbehelfsverfahren in bestimmten Grundversorgungsangelegenheiten) die "Vertretung vor den Justizbehörden im Namen des Antragstellers" schlechthin vorgesehen. In allen Fällen bedarf es dabei, wie sich aus hier nicht wiedergegebenen weiteren Regelungen ergibt, nicht der Beigabe eines Rechtsanwaltes; es genügt, dass dem Fremden ein "sonstiger (Rechts)berater" zur Verfügung gestellt wird.
24 Vor dem Hintergrund dieser Richtlinienbestimmungen und dem eindeutigen Umsetzungswillen des Gesetzgebers kann dann die Formulierung des letzten Satzes des § 52 Abs. 2 BFA-VG (idF des FrÄG 2015) aber nur so verstanden werden, dass die u.a. bei Anordnung von Schubhaft auf Ersuchen des Fremden vorzunehmende Teilnahme des Rechtsberaters an der mündlichen Verhandlung "im Namen des Antragstellers", somit vertretungshalber, zu erfolgen habe. Das Unterbleiben einer ausdrücklichen Festlegung in diesem Sinn lässt sich nur als unbeabsichtigtes Versehen des Gesetzgebers deuten, der insoweit erkennbar nur eine - sprachlich nicht ganz geglückte - Abgrenzung von der bei Einschränkung oder Entziehung von Grundversorgungsleistungen in Art. 26 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie vorgesehenen "Vollvertretung", wie sie im zweiten Satz des § 52 Abs. 2 BFA-VG umgesetzt ist, vornehmen wollte.
25 Das eben dargelegte, in unionsrechtskonformer Auslegung gewonnene Verständnis des letzten Satzes des § 52 Abs. 2 BFA-VG (idF des FrÄG 2015) steht jedenfalls im Ergebnis nicht mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 447/2015 u.a., im Widerspruch. Mit diesem Erkenntnis hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "gegen eine Rückkehrentscheidung, eine Entscheidung gemäß § 2 Abs. 4 bis 5 oder § 3 GVG-B 2005 oder eine Anordnung zur Außerlandesbringung" in § 52 Abs. 2 BFA-VG (idF des FrÄG 2015) wegen Verstoßes gegen das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander als verfassungswidrig auf, wobei ausgesprochen wurde, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt. Der Verfassungsgerichtshof vermochte keine sachliche Begründung dafür zu erblicken, dass in Fällen der Verhängung von Schubhaft, anders als in den in § 52 Abs. 2 zweiter Satz BFA-VG genannten Verfahren, keine unbeschränkte Vertretungsbefugnis eines Rechtsberaters vorgesehen sei, weshalb es der Aufhebung der einschränkenden Wortfolge bedürfe. Das bleibt bei der hier gepflogenen Auslegung unangetastet, weil auch auf ihrer Basis Rechtsberater u.a. im Schubhaftbeschwerdeverfahren eine nur eingeschränkte Vertretungspflicht trifft (nämlich lediglich in Bezug auf die Verhandlung, nicht aber hinsichtlich des der Beschwerdeverhandlung vorangehenden und ihr nachfolgenden Verfahrens). Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis für § 52 Abs. 2 BFA-VG im Rahmen des Aufgabenbereichs der Rechtsberater konstatierte Differenzierung hinsichtlich der Vertretung eines Fremden, der eine sachliche Begründung fehle, liegt damit in jedem Fall vor.
26 Ist nach dem Gesagten davon auszugehen, dass der Rechtsberater auf Basis des FrÄG 2015 - anders als nach der davor geltenden Rechtslage - den Fremden in einem Schubhaftbeschwerdeverfahren in der Verhandlung vor dem BVwG zu vertreten hat, so wird den sich aus dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2015/21/0032, ergebenden Erfordernissen für die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch die Beistellung eines Rechtsberaters ausreichend Rechnung getragen. Insoweit existiert daher ein ausreichender "Komplementärmechanismus", weshalb es nicht der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer bedarf. Die Abweisung des dessen ungeachtet darauf gerichteten Antrags des Revisionswerbers verletzt diesen daher nicht in Rechten.
27 3. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass das angefochtene Erkenntnis in seinen Spruchpunkten A I. bis III. gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war, während die Revision in Bezug auf Spruchpunkt A IV. gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden musste.
28 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
29 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft "ERV-Kosten", für deren gesonderte Geltendmachung die genannten Rechtsvorschriften keine Grundlage bieten (siehe zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/21/0122).
Wien, am
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