VwGH vom 23.03.2012, 2010/02/0297
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des H. K. in L., vertreten durch Dr. Alfred Hawel, Dr. Ernst Eypeltauer, MMag. Arnold Gigleitner und Mag. Gerhard Nathschläger, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Lederergasse 18, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-281225/12/Wim/Bu, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe als verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der F.-GmbH zu vertreten, dass am der Arbeitnehmer D. P. der F.- GmbH auf einer näher genannten Baustelle in L. die vorhandene Absturzsicherung (Absturzhöhe ca. 6,5 m) zur Herstellung eines Gitterrostes eines Steges entfernt habe, ohne dass eine geeignete andere Schutzmaßnahme getroffen worden sei. Das verwendete Sicherheitsgeschirr habe keine geeignete Schutzmaßnahme dargestellt (es habe nur einen Karabiner gehabt) und der Arbeitnehmer sei auf den darunterliegenden Betonboden gestürzt.
Er habe dadurch § 130 Abs. 1 Z. 5 ASchG i.V.m. § 118 Abs. 3 ASchG und § 7 Abs. 3 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.400.--
(Ersatzfreiheitsstrafe: 32 Stunden) verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht als Beschwerdepunkt das Recht auf Nichtbestrafung nach § 130 Abs. 1 Z. 5 ASchG geltend. Ferner beantragt der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, "dass der Beschwerdeführer von der ihm vorgeworfenen Tat freigesprochen wird, in eventu von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird"; schließlich begehrt der Beschwerdeführer den Zuspruch der Verfahrenskosten für das verwaltungsgerichtliche Verfahren.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde macht zutreffend als Beschwerdepunkt (vgl. § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG) das Recht auf Nichtbestrafung nach § 130 Abs. 1 Z. 5 ASchG geltend.
Das gemäß § 28 Abs. 1 Z. 6 VwGG bestimmt zu bezeichnende Begehren kann mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGG nur den Antrag zum Inhalt haben, den angefochtenen Bescheid zur Gänze oder in näher zu bezeichnenden Teilen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 251 angeführte hg. Judikatur).
Ist dem Beschwerdevorbringen in seinem Zusammenhalt zu entnehmen, in welchem Recht der Beschwerdeführer verletzt zu sein behauptet, dann ist die Beschwerde nicht deswegen zurückzuweisen, weil der Beschwerdeführer - statt richtigerweise die Aufhebung - die Abänderung des angefochtenen Bescheides beantragt (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 251 angeführte hg. Judikatur).
Da dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist, in welchem Recht der Beschwerdeführer verletzt zu sein behauptet, war daher die Beschwerde im Lichte der vorzitierten hg. Judikatur trotz des nach § 26 Abs. 1 Z. 6 VwGG verfehlten Begehrens auf Abänderung des angefochtenen Bescheides nicht zurückzuweisen.
In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, der Bauleiter habe seiner Überwachungspflicht auf der Baustelle dadurch entsprochen, dass er bei Beginn der Arbeiten am Tattag überprüft habe, ob der Arbeitnehmer D. P. das ihm übergebene Sicherheitsgeschirr (bestehend aus einem Gurt mit zwei Seilen und zwei Karabinern) angelegt habe. Eine Verpflichtung zu einer weitergehenden Überwachung dahin, dies auch nach der Mittagspause zu überprüfen, habe nicht bestanden. Es bedeute ein Überspannen der Überwachungspflicht, wenn der mit der Überwachung beauftragte Bauleiter mehrmals am Tag die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften überprüfen müsse. Vielmehr sei es ausreichend, wenn er dies am Beginn eines Arbeitstages tue.
Es wäre auch bei einem noch so ausgeklügelten und engmaschigen Kontrollsystem nicht aufgefallen, dass der Arbeitnehmer D. P. nach der Mittagspause statt des ihm übergebenen Sicherheitsgeschirrs ein anderes, nicht ausreichendes Sicherheitsgeschirr verwendet habe.
Dem Beschwerdeführer wurde u.a. die Nichteinhaltung des § 7 Abs. 3 BauV zur Last gelegt. Diese Bestimmung lautet:
"(3) Müssen zur Durchführung von Bauarbeiten Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) entfernt werden, sind geeignete andere Schutzmaßnahmen zu treffen, wie die Verwendung von persönlichen Schutzausrüstungen. Nach Beendigung oder Unterbrechung solcher Arbeiten ist unverzüglich dafür zu sorgen, dass diese Absturzsicherungen, Abgrenzungen und Schutzeinrichtungen wieder angebracht oder andere gleichwertige Schutzmaßnahmen getroffen werden."
Für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems ist es erforderlich unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Stichprobenartige Überprüfungen der Baustelle und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften reichen nicht aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/02/0242, m.w.N.)
Das entsprechende Kontrollsystem hat aber auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Es kann daher kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis vom m.w.N.).
Die F.-GmbH, deren handelsrechtlicher Geschäftsführer der Beschwerdeführer ist, hat zwar ein Kontrollsystem eingerichtet, das allerdings im Beschwerdefall nicht wirksam gewesen ist, weil der mit der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzverschriften beauftragte Bauleiter lediglich stichprobenartig in der Früh des Tattages die Einhaltung der einschlägigen Schutzvorschriften kontrollierte. Es stellt im Lichte der vorzitierten hg. Judikatur entgegen den Beschwerdebehauptungen kein Überspannen der Anforderungen an das einzurichtende Kontrollsystem dar, wenn insbesondere bei Arbeiten, bei denen eine erhöhte Absturzgefahr von Arbeitnehmern besteht, eine stichprobenartige Kontrolle als nicht ausreichend beurteilt wird. Darüber hinaus vermag die Beschwerde nicht einsichtig darzulegen, weshalb es nicht hätte auffallen können, dass der Arbeitnehmer D. P. nach der Mittagspause ein anderes Sicherheitsgeschirr mit nur einem Sicherungsseil und einem Karabiner angelegt hatte.
In der Beschwerde wird ferner vorgebracht, selbst wenn man davon ausginge, dass die vom Bauleiter vorgenommene Überwachung nicht ausreichend gewesen sei und der Beschwerdeführer darüber hinaus kein ausreichendes Kontrollsystem eingerichtet habe, sei das Verschulden des Beschwerdeführers so geringfügig, dass unter Anwendung des § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe hätte abgesehen werden müssen.
Eine Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG kommt nur dann in Frage, wenn die Schuld des Beschuldigten geringfügig ist. Davon kann aber nur die Rede sein, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 2. Auflage, S. 388, unter E 5 angeführte Judikatur).
Es fehlt im Beschwerdefall an Anhaltspunkten dafür, dass die Voraussetzungen einer Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG vorliegen würden, zumal gerade das dargestellte nicht ausreichende Kontrollsystem maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der gegenständliche schwere Arbeitsunfall geschehen konnte.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am