VwGH vom 24.02.2005, 2004/20/0462
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des B in W, geboren 1970, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 252.446/0-VI/17/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom , mit dem sein Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG ein Zulässigkeitsausspruch vorgenommen worden war, als verspätet zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, seinen Angaben zufolge um den (von Deutschland kommend) nach Österreich eingereist war und nach einem fremdenpolizeilichen Aufgriff am einen Asylantrag stellte. Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am wurde das Asylverfahren infolge einer negativen Meldeauskunft mit Aktenvermerk vom gemäß § 30 Abs. 1 AsylG eingestellt. Am langte beim Bundesasylamt eine "Bestätigung der Meldung aus dem Zentralen Melderegister" ein, wonach der Beschwerdeführer seit in 1020 Wien, Praterstraße 52/3/42, mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Diese Meldedaten wurden auch bei einer in der Folge vom Bundesasylamt durchgeführten "Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister" (ZMR-Anfrage) mitgeteilt. Daraufhin erging am an den Beschwerdeführer ein Ladungsbescheid, der ihm an der genannten Adresse (durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt) zugestellt wurde.
Nach Vernehmung des Beschwerdeführers am und nach (negativ gebliebenen) Ermittlungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland erging der - eingangs erwähnte (antragsabweisende) - Bescheid des Bundesasylamtes vom . Es wurde versucht, diesen Bescheid dem Beschwerdeführer an der erwähnten Adresse in Wien 2, wo der Beschwerdeführer nach einer Meldeauskunft vom weiterhin aufrecht gemeldet war, zuzustellen.
Die Sendung langte mit dem Vermerk (des Zustellers) "unbekannt" am an das Bundesasylamt zurück, das in der Folge (am ) eine neuerlich ZMR-Anfrage durchführte. Diese ergab, dass der Beschwerdeführer nach wie vor an der Adresse 1020 Wien, Praterstraße 52/3/42, mit Hauptwohnsitz gemeldet war. In einem Aktenvermerk vom hielt das Bundesasylamt fest, der Beschwerdeführer sei "an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig". Eine "neuerliche Abgabestelle" habe nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Der Bescheid vom werde "daher mit Wirksamkeit vom heutigen Tag gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz 1982 ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt." Am selben Tag ersuchte das Bundesasylamt den Magistrat der Stadt Wien um Erhebungen, ob der Beschwerdeführer noch immer an der Meldeadresse aufhältig sei. Ein entsprechender Bericht, um dessen Übermittlung vom Bundesasylamt ersucht wurde, ist nach der Aktenlage nicht eingelangt.
Am erschien der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt. Ihm wurde auf sein Ersuchen eine Kopie des Bescheides vom ausgehändigt und er wurde dahingehend belehrt, dass dieser Bescheid "mit " rechtskräftig geworden sei. Dazu habe der Beschwerdeführer - nach dem Inhalt des hierüber aufgenommenen Aktenvermerkes - angegeben, "dass er ständig an der angegebenen Adresse seinen Briefkasten kontrolliert hätte und keine Verständigung über die Hinterlegung vorgefunden hätte."
Am brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf neuerliche Zustellung des Bescheides vom ein, "vorsichtshalber" stellte er auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist und verband damit die Berufung. Zur Begründung dieser Anträge brachte der Beschwerdeführer vor, er sei zum Zeitpunkt des Zustellversuches an der Abgabestelle aufrecht gemeldet und wohnhaft gewesen. Er habe seinen Postkasten auch regelmäßig kontrolliert, aber vom Zustellversuch keine Kenntnis erlangen können, weil "die Post" keine Hinterlegungsanzeige hinterlassen habe. Der Beschwerdeführer kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das Bundesasylamt den Bescheid nach Durchführung einer Meldeanfrage (offenbar gemeint: trotz deren positiven Ergebnis) ohne weiteren Zustellversuch und ohne Erhebungen durch die Polizei zu veranlassen oder abzuwarten im Akt hinterlegt habe.
Obwohl auch eine neuerliche ZMR-Anfrage vom ergeben hatte, dass der Beschwerdeführer an der Adresse in Wien 2 vom bis (und danach an einer "Obdachlosenadresse") gemeldet war, wies das Bundesasylamt den Zustell- und Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom ab. Dieser Bescheid blieb vom Beschwerdeführer nach der Aktenlage unbekämpft.
Den vorliegend in Beschwerde gezogenen, die Berufung als verspätet zurückweisenden Bescheid vom stützte die belangte Behörde auf die Aktenlage, die allerdings in Bezug auf die entscheidende Frage der Wirksamkeit der vom Bundesasylamt am vorgenommenen Hinterlegung (insbesondere betreffend die Meldeauskunft von diesem Tag und das Vorbringen des Beschwerdeführers) unvollständig wiedergegeben wurde. Eine konkrete Auseinandersetzung mit den für die Wirksamkeit der Zustellung maßgebenden Umständen und dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Vielmehr beschränkt sich die (relevante) rechtliche Beurteilung auf die pauschalen Aussagen, "aufgrund der Aktenlage und den obigen Feststellungen ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt wurde" und (an anderer Stelle) "erwiesen ist", dass die Bescheide des Bundesasylamtes vom und vom "zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen" seien und "somit steht fest, dass die gegenständliche Berufung verspätet eingebracht wurde."
Mit den Voraussetzungen für eine Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz (ZustG) hat sich die belangte Behörde - wie erwähnt - nicht befasst. § 8 ZustG lautet:
"(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."
Voraussetzung für die als Zustellung geltende Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist somit die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen. Das Tatbestandsmerkmal der Änderung der bisherigen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG liegt erst dann vor, wenn die Partei die Abgabestelle nicht nur vorübergehend, sondern dauernd verlässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0229, mit weiteren Nachweisen; siehe auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 8 ff zu § 8 ZustG). Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004) ist der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist - fallbezogen - die Wohnung oder sonstige Unterkunft des Empfängers.
Mit der Frage, ob es zu einer Aufgabe (Änderung) der bisherigen Abgabestelle des Beschwerdeführers gekommen ist oder ob der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - dort im Zeitpunkt des Zustellversuches (noch) "wohnhaft" gewesen sei, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber nicht auseinander gesetzt. Sie hat dazu lediglich festgestellt, dass der Zustellversuch "erfolglos" geblieben sei und der Beschwerdeführer "an der angeführten Abgabestelle als 'unbekannt' galt". Das bezieht sich offenbar auf die Mitteilung des Zustellers auf der an das Bundesasylamt rückgemittelten Sendung. Unbeachtet ließ die belangte Behörde allerdings, dass der Beschwerdeführer nach den (auch im Zeitpunkt des Zustellversuches schon vorliegenden) Meldeauskünften an der Abgabestelle aufrecht gemeldet war, und sie ging vor allem nicht auf das in der Vorsprache am bereits angedeutete und in seinen Anträgen vom ausdrücklich erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers ein, er sei im Zeitpunkt des Zustellversuches an der Abgabestelle wohnhaft gewesen. Im Hinblick darauf hätte die belangte Behörde nicht ohne weitere Ermittlungen unterstellen dürfen, die für ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG vorausgesetzte Änderung bzw. Aufgabe der bisherigen Abgabestelle im Sinne des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle sei gegeben gewesen. Das hat die belangte Behörde verkannt (vgl. zu einem Widerspruch zwischen dem Bericht des Zustellers und der Auskunft der Meldebehörde auch das schon erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0229).
Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt sich aber auch dahin deuten, im Hinblick auf die mit Bescheid vom vorgenommene rechtskräftige Abweisung des Antrages auf (neuerliche) Zustellung des Asylbescheides vom stehe - bindend - die Wirksamkeit der Hinterlegung am (und demzufolge die Verspätung der Berufung) fest. Eine derartige Bindungswirkung - sollte sie die belangte Behörde angenommen haben - besteht aber schon deshalb nicht, weil die Wirksamkeit der nach § 8 Abs. 2 ZustG vorgenommenen Hinterlegung bei der Erledigung des Zustellantrages nur eine Vorfrage bildete (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/06/0161; vgl. auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 306 ff). Aber auch beweiswürdigende Schlüsse auf eine Verspätung der Berufung lassen sich weder aus der unterlassenen Bekämpfung des Bescheides vom noch aus dem "vorsichtshalber" eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag ziehen. Beides machte - entgegen der erkennbaren Meinung der belangten Behörde - Ermittlungen zum entscheidungsrelevanten Umstand, ob der Beschwerdeführer (bereits) im Zeitpunkt des Zustellversuches Anfang Dezember 2003 seine bisherige Abgabestelle geändert (aufgegeben) hatte oder dort (noch) wohnhaft war, nicht entbehrlich.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, wobei (nur) der ausdrücklich nach der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001 verzeichnete Betrag für Schriftsatzaufwand zuzusprechen war.
Wien, am