VwGH vom 27.06.2017, Ra 2016/18/0277

VwGH vom 27.06.2017, Ra 2016/18/0277

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision der H M alias S in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W185 2128892- 1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist somalische Staatsangehörige und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der Revisionswerberin an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Italien zulässig sei.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Nach den vom BVwG seinem Erkenntnis zugrunde gelegten Feststellungen habe die Revisionswerberin im April 2012 in Somalia nach traditionellem Ritus geheiratet. Eine Heiratsurkunde oder Registrierungsbestätigung liege nicht vor. Seit der Heirat bis zur Flucht ihres auf diese Weise angetrauten Ehemannes am habe ein gemeinsamer Haushalt in Somalia bestanden. In Österreich würden sie seit dem in einem gemeinsamen Haushalt leben. Ein gemeinsames Kind sei bei der Mutter der Revisionswerberin in Somalia verblieben. Der Antrag des Mannes auf internationalen Schutz vom sei - nach Zulassung des Verfahrens - mit Bescheid des BFA vom zur Gänze abgewiesen worden. Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde sei zum Entscheidungszeitpunkt noch ein Beschwerdeverfahren vor dem BVwG anhängig gewesen.

5 Im Rahmen der rechtlichen Begründung führte das BVwG unter anderem aus, dass es sich bei der Revisionswerberin und ihrem nach traditionellem Ritus angetrauten Ehemann um keine Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin III-Verordnung bzw. Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) handle. Auch bei Bejahung der Familienangehörigeneigenschaft ergebe sich keine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 10 Dublin III-Verordnung, da diese Bestimmung teleologisch auf jene Fälle zu beschränken sei, bei denen kein Zuständigkeitsprüfungsverfahren nach der Dublin III-Verordnung anhängig sei. Weiters umfasse diese Norm nur jene Situationen, in denen die Familienangehörigen zum Zeitpunkt der Antragstellung in verschiedenen Mitgliedstaaten aufhältig seien. Darüber hinaus solle die Eheschließung nach somalischem Recht vor einem Richter oder einer besonders beauftragten Person erfolgen. Falls dies nicht möglich sein sollte, könne sie jedoch auch vor einem Imam geschlossen werden. Jedenfalls bestehe jedoch die Pflicht, die Ehe binnen zwei Wochen - in ländlichen Gebieten betrage die Frist maximal 40 Tage - beim nächsten Distriktsgericht oder einer ausdrücklich ermächtigten Behörde zu registrieren. Da im vorliegenden Fall weder eine Heiratsurkunde noch ein Dokument über die Registrierung der Ehe existiere, sei davon auszugehen, dass keine staatlich gültige Ehe, sondern eine Lebensgemeinschaft vorliege. In weiterer Folge führte das BVwG aus, dass zwar auch im Fall einer Lebensgemeinschaft ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK vorliege, der Eingriff jedoch - vor allem im Hinblick auf die etwa zweijährige Trennung der Lebensgefährten - zulässig sei. Insgesamt kam das BVwG zu dem Schluss, dass mangels drohender Verletzung von Art. 3 bzw. 8 EMRK keine Verpflichtung zum Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung bestehe.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende, außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache im Wesentlichen vorgebracht wird, dass das BVwG nicht nachvollziehbar begründe, warum eine vor einem Imam geschlossene Ehe nach somalischem Recht bei unterlassener Registrierung nicht dennoch als wirksame Ehe anzusehen sei. Es fehle eine Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Bestimmungen des somalischen Rechts. Darüber hinaus sei ausländisches Recht in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen. Indem es das BVwG unterlassen habe, die maßgeblichen Bestimmungen des somalischen Rechts zu ermitteln und mit den Parteien zu erörtern, habe es gegen das Überraschungsverbot verstoßen. Die Revisionswerberin sei als Familienangehörige anzusehen und somit als Mitglied der Kernfamilie im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel von Art. 10 und 11 Dublin III-Verordnung umfasst. Alternativ sei in solchen Konstellationen vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen.

7 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 9 Rechtlicher Rahmen und allgemeine Grundsätze:

10 Art. 2 lit. g Dublin III-Verordnung bzw. Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) definieren den Begriff des Familienangehörigen nahezu wortident. Von diesem Begriff ist demnach, wenn sich die betroffenen Familienangehörigen im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten und die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, unter anderem der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare, umfasst.

11 Gemäß Art. 10 Dublin III-Verordnung ist ein Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständig, wenn der Antragsteller in diesem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen hat, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

12 Gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 leg. cit. beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

13 Gemäß § 3 Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, BGBl. Nr. 304/1978 idF BGBl. I Nr. 87/2015 (IPRG), ist maßgebliches fremdes Recht von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden, wobei es in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis ankommt (vgl. OGH RIS-Justiz, RS0113594). Nach § 4 Abs. 1 IPRG ist das fremde Recht und die Anwendungspraxis dazu (OGH RIS-Justiz RS0113594 (T2), siehe auch OGH RIS-Justiz RS0109415) von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind etwa die Mitwirkung der Beteiligten, Sachverständigengutachten und die Inanspruchnahme der Staatendokumentation (§ 5 Abs. 3 BFA-G).

14 Nach dem IPRG sind die Form einer Eheschließung im Ausland, die Voraussetzungen der Eheschließung sowie die der Ehenichtigkeit und der Aufhebung und die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe nach dem Personalstatut jedes der Verlobten, sofern sich auf Grund von Rück- und Weiterverweisung kein anderer Anknüpfungspunkt ergibt (vgl. dazu § 5 IPRG), zu beurteilen (vgl. im Näheren insbesondere die §§ 9, 16 ff IPRG).

15 In Bezug auf ausländisches Recht gilt der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht, soweit die Mitwirkung der Beteiligten erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne ).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben.

17 Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. zum Ganzen ; daran anschließend etwa , sowie vom , Ra 2015/18/0283).

18 Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise dabei auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa , mwN).

Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt:

19 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG gegen die ihm obliegende Begründungs- und Ermittlungspflicht verstoßen. Das BVwG ging - im Gegensatz zum BFA - von der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Revisionswerberin hinsichtlich ihrer Eheschließung vor einem Imam in Somalia aus. Vor dem Hintergrund der beiderseitigen somalischen Staatsangehörigkeit der Brautleute beurteilte das BVwG die Eheschließung nach somalischem Recht und verneinte deren Gültigkeit infolge des Fehlens einer staatlichen Registrierung der Ehe. Diesbezüglich wird in der Revision - wie auch bereits in der Beschwerde - darauf hingewiesen, dass eine standesamtliche Heirat im Herkunftsort der Revisionswerberin nicht möglich gewesen sei und eine traditionelle Ehe die übliche Art der Eheschließung sei. Auf dieses Vorbringen ging das BVwG jedoch nicht ein. Entgegen den oben angeführten Grundsätzen unterließ es das BVwG, das somalische Recht in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen. Die - disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - getroffenen Feststellungen zum ausländischen Recht, welche sich auf wenige, allgemeine Ausführungen beschränken, ohne die relevanten Bestimmungen konkret anzuführen, stützte das BVwG lediglich auf ein Literaturzitat ("vgl. Bergmann/Ferid/Hennrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht"). Weitere Erhebungen zum somalischen Eherecht sowie zur diesbezüglichen Rechtsanwendungspraxis der somalischen Behörden - etwa durch eine Anfrage an die für Somalia zuständige, österreichische Vertretungsbehörde bzw. an die Staatendokumentation oder allenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - führte das BVwG nicht durch. Insoweit unterließ es das BVwG auch, nachvollziehbar darzulegen, welche Folgen die unterbliebene Registrierung einer vor einem Imam geschlossenen Ehe nach sich zieht bzw. wie eine solche Ehe von den somalischen Behörden behandelt wird. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, lässt sich aus den eingeschränkten Ausführungen des BVwG über das somalische Recht nicht in nachvollziehbarer Weise der Schluss ziehen, dass die Ehe der Revisionswerberin nicht staatlich gültig ist.

20 Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das "Überraschungsverbot" auch im Verwaltungsverfahren zu beachten. Unter dem Überraschungsverbot ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt. Auch führt ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot nur dann zu einer Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erledigung, wenn diesem Verfahrensmangel Relevanz zukommt, was im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof darzulegen ist. Diese Grundsätze sind auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich, zumal von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG zu beachten sind (vgl. bis 0023, mwN).

21 Wie bereits ausgeführt, wäre das somalische Recht vom BVwG in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - in dessen Rahmen auch Parteiengehör zu gewähren gewesen wäre - festzustellen gewesen. Indem das BVwG dies unterließ, verstieß es gegen das Überraschungsverbot.

22 Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass den aufgezeigten Verfahrensmängeln von Vornherein keine Relevanz für den Ausgang des Verfahrens zukommt. Sollte es sich um eine nach somalischem Recht bzw. der dortigen Anwendungspraxis gültige Ehe handeln, würde die Revisionswerberin unter den Begriff des Familienangehörigen gemäß Art. 2 lit. g Dublin III-Verordnung bzw. Art. 2 lit. j Statusrichtlinie fallen. Entgegen der Ansicht des BVwG könnte Art. 10 Dublin III-Verordnung zur Anwendung gelangen, weil Art. 10 Dublin III-Verordnung auf die Entscheidung in der Sache im Asylverfahren des Familienangehörigen abstellt. Maßgeblich ist daher, ob im Zeitpunkt der Antragstellung der Ehefrau über den Antrag des Ehemannes bereits eine Sachentscheidung vorlag. Bei der Bestimmung des nach den Kriterien des III. Kapitels der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaates wird nämlich von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (Art. 7 Abs. 2 Dublin III-Verordnung).

23 Darüber hinaus wurde in der hg. Rechtsprechung bereits klargestellt, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, auch in Bezug auf Dublin-Verfahren dahingehend zu verstehen ist, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Dies hat - wenn die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen gemäß § 5 AsylG 2005, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages eines Familienangehörigen, nicht mehr in Betracht kommt - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zur Folge. Damit ist keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) verbunden. Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich in der Regel schon von Art. 10 und Art. 11 Dublin III-Verordnung erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen kommt daher die nationale Regelung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zum Tragen (vgl. ).

24 Des Weiteren wäre im Hinblick auf das durch eine umständehalber - etwa im Zuge der Flucht - erfolgte Trennung nicht automatisch erlöschende Familienband von Ehegatten, der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zufolge das Erfordernis der Hintanhaltung einer Verletzung von Art. 8 EMRK im Rahmen der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK, zu berücksichtigen (vgl. etwa erneut , mwN). Schon allein daraus könnte sich ebenfalls die Notwendigkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ergeben.

25 Abschließend ist festzuhalten, dass - entgegen den entsprechenden Ausführungen in der Revision - nicht auf die Anwendungspraxis der österreichischen Behörden abzustellen ist und hierzu daher auch keine Feststellungen zu treffen waren. Ob es sich um eine gültige Ehe handelt, ist entsprechend den obigen Erwägungen nach somalischem Recht bzw. der Anwendungspraxis der somalischen Behörden zu beurteilen. Käme man auf dieser Grundlage zu dem Schluss, es läge keine Ehe, sondern eine Lebensgemeinschaft, vor, wäre die Revisionswerberin nicht als Familienangehörige iSd Art. 2 lit. g Dublin III-Verordnung bzw. Art. 2 lit. j Statusrichtlinie zu qualifizieren, weil in Österreich nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich jedenfalls nicht gleich behandelt werden wie verheiratete Paare (vgl. RV 952 BlgNR XXII. GP, 31).

26 Zusammengefasst wird das BVwG daher im fortgesetzten Verfahren auf Grundlage eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens - etwa durch eine Anfrage an die für Somalia zuständige, österreichische Vertretungsbehörde bzw. an die Staatendokumentation oder allenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - und unter Gewährung von Parteiengehör Feststellungen zu den maßgeblichen Vorschriften des somalischen Rechts und der diesbezüglichen Anwendungspraxis der somalischen Behörden zu treffen haben. Auf dieser Grundlage wird das BVwG die Ehe der Revisionswerberin und damit einhergehend ihre Familienangehörigeneigenschaft im Sinne der getroffenen Erwägungen zu beurteilen haben.

27 Im Lichte dieser Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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