VwGH vom 21.04.2017, Ra 2016/17/0231
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revisionen der 1. UG s.r.o. (vormals U s.r.o) in B, und 2. H-GmbH in T an der D, beide vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich jeweils vom , 1) LVwG-S-1422/001-2015 und 2) LVwG-S- 1424/001-2015, jeweils betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom wurde gegenüber den revisionswerbenden Parteien die Beschlagnahme von zwei näher bezeichneten Glücksspielgeräten inklusive der Geldlade und des darin befindlichen Bargeldes sowie eines Stiftsteckschlüssels gemäß § 53 Abs 3 und 4 iVm Abs 1 Z 1 lit a Glücksspielgesetz (GSpG) angeordnet.
2 Gegen diesen Bescheid erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Dabei machten diese unter anderem die Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes geltend und beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die von den revisionswerbenden Parteien erhobene Beschwerde jeweils ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. Es ging davon aus, dass eine Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes nicht vorliege.
4 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die beiden außerordentlichen Revisionen. Die belangte Behörde erstattete jeweils eine Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen wegen des persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
5 Nach Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Im Hinblick auf die in der Revision vorgebrachte Unionsrechtswidrigkeit ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, nach der vom Gerichtshof der Europäischen Union geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht festgestellt hat. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , E 945/2016-24, E 947/2016-23, E 1054/2016-19, angeschlossen.
9 Hinsichtlich des Zulässigkeitsvorbringens, es liege eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine mündliche Verhandlung anberaumt habe, obwohl die revisionswerbenden Parteien die Anberaumung der Verhandlung ausdrücklich beantragt hätten, ist die Revision zulässig und berechtigt.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 53 Abs 2 GSpG bereits ausgesprochen, dass die Bestimmungen über die Beschlagnahme im Glücksspielgesetz als Regelungen des Verwaltungsstrafverfahrens zu verstehen sind (vgl , mwN), weshalb die Vorschriften über das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen des VwGVG (§§ 37ff VwGVG) zur Anwendung zu gelangen haben. Im Hinblick auf die in Frage stehende Verhandlungspflicht bedeutet dies im vorliegenden Fall, dass § 44 VwGVG anzuwenden gewesen wäre.
11 Das Landesverwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs 2 bis 5 leg cit finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Nach § 44 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl Nr C 83 vom S 389 entgegenstehen. Ein Absehen von der Verhandlung wäre daher nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl , mwN).
12 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am