VwGH vom 10.05.2011, 2007/18/0320
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des AM in W, geboren am , vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/top 3a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/165005/2007, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem FPG wegen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Die Bundespolizeidirektion Wien erließ gegen den Beschwerdeführer, einen mazedonischen Staatsangehörigen, mit Bescheid vom gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In diesem Bescheid, in dem die Bundespolizeidirektion Wien darauf abstellte, der Beschwerdeführer sei mit der österreichischen Staatsbürgerin S eine Aufenthaltsehe eingegangen, wurde u.a. festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Die Behörde I. Instanz verfügte die Vornahme der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an eine näher genannte Adresse in W, L-Straße, weil er dort nunmehr als gemeldet aufscheine. Gleichzeitig führte sie im angefochtenen Bescheid aber aus, der Beschwerdeführer wohne in Wahrheit bei seiner Lebensgefährtin in der G-Straße in W.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid - ohne dem Beschwerdeführer Parteiengehör einzuräumen - gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) als verspätet zurück.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer am durch Hinterlegung beim Postamt (W) zugestellt worden. Sohin habe die zweiwöchige Berufungsfrist am geendet. Der Beschwerdeführer habe angegeben, ab nicht in Österreich gewesen zu sein. Daraus ergebe sich, dass er vom Zeitpunkt des ersten Zustellversuches (dieser erfolgte der Aktenlage zufolge am ) bis ortsanwesend gewesen sein müsse. Daher erweise sich die am zur Post gegebene Berufung als verspätet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde wendet sich im Hinblick auf die Feststellungen der Behörde erster Instanz, wonach ein gemeinsames Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau nie bestanden habe, gegen die Annahme der belangten Behörde, er sei ortsanwesend gewesen und verweist dazu auch auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde im Vorlagebericht an die belangte Behörde. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
§ 2 Z 4 und 5, § 4 Abs. 1, 3 und 5, § 17 Abs. 1 bis 3 und § 21 ZustG (§§ 2 und 4 in der Fassung des BGBl. I Nr. 10/2004, §§ 17 und 21 in der Stammfassung) lauten:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:
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1. | ... |
4. | 'Zustelladresse': eine Abgabestelle (Z 5) oder elektronische Zustelladresse (Z 6); |
5. | 'Abgabestelle': die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort; |
... | |
Bestimmung der Zustelladresse |
§ 4. (1) Soweit gesetzlich nicht die Zustellung an bestimmte Zustelladressen vorgeschrieben ist, darf einem Empfänger an jede Zustelladresse zugestellt werden. Sie ist in der Zustellverfügung zu benennen. Sieht die Zustellverfügung eine elektronische Zustellung mit Zustellnachweis vor, darf nur eine elektronische Zustelladresse verwendet werden, die einem elektronischen Zustelldienst bekannt gegeben wurde.
(2) ...
(3) Als Zustelladresse darf eine Abgabestelle nicht verwendet werden, von welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch dauernd abwesend ist, oder eine elektronische Adresse, an welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch nicht erreichbar ist. Dies ist außer in Fällen offensichtlichen Missbrauchs von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn der Empfänger diesen Umstand bei der Behörde oder beim Zustelldienst rechtzeitig bekannt gegeben hat. Hat der Empfänger die Bekanntgabe seiner länger dauernden Abwesenheit von einer Abgabestelle unterlassen, dieses Geschehen aber in der Folge glaubhaft gemacht, wird die Zustellung erst mit dem auf seine Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
(4) ...
(5) Trotz Vorhandenseins einer Zustelladresse darf an jedem Ort zugestellt werden, an dem der Empfänger angetroffen wird, wenn er die Annahme der Sendung nicht verweigert. Für die Zustellung durch unmittelbare Ausfolgung in Amtsräumen gilt § 24. Dieser gilt hinsichtlich der elektronischen Übergabe von Dokumenten durch die Behörde an den Empfänger im online-Dialogverkehr sinngemäß mit der Maßgabe, dass die Zustellung nur zulässig ist, wenn der Empfänger vor der elektronischen Entgegennahme des Dokuments der Behörde seine Identität und die Authentizität der Kommunikation in geeigneter Form nachgewiesen hat.
...
Hinterlegung
§ 17 (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
(4) ...
Zustellung zu eigenen Handen
§ 21. (1) Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.
(2) Kann die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden, so ist der Empfänger schriftlich unter Hinweis auf die sonstige Hinterlegung zu ersuchen, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein. Dieses Ersuchen ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Zur angegebenen Zeit ist ein zweiter Zustellversuch durchzuführen. Ist auch dieser erfolglos, ist nach § 17 zu hinterlegen."
Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Bundespolizeidirektion Wien anordnete, den erstinstanzlichen Bescheid dem Beschwerdeführer zu eigenen Handen an einer näher genannten Adresse in W zuzustellen. Diese Behörde ging dabei zu dieser Zeit davon aus, dass der Beschwerdeführer, dem das Eingehen einer Aufenthaltsehe angelastet wurde, sich von der bisherigen (vorgeblichen) gemeinsamen Ehewohnung abgemeldet und am an der Adresse in W angemeldet habe (eine aktuelle Meldeauskunft zur Ehefrau des Beschwerdeführers holte die Behörde erster Instanz nach den Verwaltungsakten nicht ein). Tatsächlich wohne er aber in W. Dem den Zustellvorgang beurkundenden Rückschein zufolge fand an der Adresse in W am der erste, am der zweite Zustellversuch statt. Am erfolgte schließlich die Hinterlegung der Postsendung beim Postamt W, wobei der Beginn der Abholfrist mit festgelegt wurde.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung nun ausschließlich die (ergänzenden) Feststellungen zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer erst ab nicht in Österreich aufgehalten habe. Demgemäß ging sie davon aus, er sei "ortsanwesend" - gemeint an der Adresse in W - gewesen. Die behördlichen Feststellungen reichen im vorliegenden Fall allerdings nicht aus, um die Rechtmäßigkeit der Zustellung beurteilen zu können.
Den Ausführungen der Bundespolizeidirektion Wien zufolge, auf die in der Beschwerde ausdrücklich Bezug genommen wird, habe der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau nie zusammen gelebt. Bei jener Adresse in W, an der die Zustellung hätte vorgenommen werden sollen, handle es sich aber - was auch schon aus der Berufung hervorgeht - um die (vorgebliche) gemeinsame Ehewohnung. Der Beschwerdeführer habe dort aber dem Beschwerdevorbringen zufolge - mit dem er sohin einräumt, im Verwaltungsverfahren zu seinem Wohnort die Unwahrheit angegeben zu haben, und jene Feststellungen als zutreffend anerkannt, wonach ein gemeinsames Wohnen mit seiner Ehefrau nicht stattfand - nie gewohnt. Dieses Vorbringen steht mit der Aktenlage insofern in Einklang, als zum einen die Bundespolizeidirektion Wien davon ausgeht, der Beschwerdeführer wohne in W und zum anderen von ihr - offenbar nunmehr in Kenntnis davon, dass es sich bei der Unterkunft in W um die aktuelle Wohnung der "Scheinehefrau" des Beschwerdeführers handle - im Zuge der Berufungsvorlage an die belangte Behörde nochmals unter Hinweis auf das Ergebnis behördlicher Erhebungen bekräftigt wurde, der Beschwerdeführer habe (auch) an der Adresse in W nie gewohnt.
Träfe dies zu, erwiese sich der Versuch, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an der Adresse in W vorzunehmen, sowie dann auch die am nach § 17 ZustG erfolgte Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides beim Postamt W mangels Vorliegens einer Abgabestelle iSd § 2 Z 5 ZustG und sohin auch einer gültigen Zustelladresse iSd § 2 Z 4 ZustG, an der gemäß § 4 Abs. 1 ZustG hätte zugestellt werden dürfen, als nicht mit den gesetzlichen Vorschriften im Einklang. Mithin könnte die Zustellung nicht mit dem Beginn der Abholfrist () als bewirkt angesehen werden.
Dem Akteninhalt zufolge wurde dem Beschwerdeführer mit seinem Einverständnis die für ihn bestimmte Ausfertigung des erstinstanzlichen Bescheides am anlässlich seiner Vorsprache bei der erstinstanzlichen Behörde ausgehändigt. Die am zur Post gegebene Berufung erwiese sich sohin nach dem oben Gesagten mit Blick auf § 4 Abs. 5 ZustG als rechtzeitig.
Der angefochtene Bescheid leidet somit hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer zu der hier relevanten Zeit in der Wohnung in W tatsächlich Unterkunft genommen hatte, an für den Verfahrensausgang wesentlichen Feststellungsmängeln. Er war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am