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VwGH vom 17.11.2011, 2009/21/0378

VwGH vom 17.11.2011, 2009/21/0378

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant. Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 151.919/2-III/4/2008, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste zufolge den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Die Abweisung dieses Antrags erwuchs am in Rechtskraft.

Am hatte der Beschwerdeführer eine in Innsbruck wohnhafte schwedische Staatsangehörige geheiratet. Im Hinblick auf diese Ehe wurde ihm am eine Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger" mit Gültigkeit bis erteilt und am eine Daueraufenthaltskarte mit Gültigkeit bis ausgestellt. Am wurde die Ehe einvernehmlich geschieden.

Am stellte der Beschwerdeführer den nun gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt".

Diesen Antrag wies die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck - Land mit Spruchpunkt II ihres Bescheides vom im Namen des Landeshauptmannes von Tirol gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung ab. Mit Spruchpunkt I dieses Bescheides stellte sie fest, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Richtlinie 2004/38/EG nicht über das Recht auf "Aufenthalt bzw. Daueraufenthalt" in Österreich verfüge. Begründend führte sie dazu aus, dass das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers dadurch, dass seine Ehe vor Ablauf von drei Jahren geschieden worden sei, "untergegangen" sei, was dazu führe, dass die Dokumentation des Beschwerdeführers keine Grundlage mehr besitze und ihr ab dem keinerlei rechtliche Wirkung mehr zukomme.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 21 Abs. 1 NAG ab.

Begründend führte sie nach der Darstellung des Sachverhaltes aus, dass durch die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte kein Aufenthaltsrecht eingeräumt, sondern nur eine Dokumentation eines allenfalls zum Zeitpunkt der Erteilung auf Grund europarechtlicher Bestimmungen vorhandenen Aufenthaltsrechts vorgenommen werde. Gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a der Richtlinie (2004/38/EG) führe die Scheidung der Ehe für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates hätten, nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechtes, wenn die Ehe mindestens drei Jahre bestanden habe. Da die Ehe des Beschwerdeführers vor Ablauf von drei Jahren geschieden worden sei, besitze die Dokumentation keine Grundlage mehr. Es komme ihr daher ab keine rechtliche Wirkung mehr zu.

Unter Hinweis auf die §§ 24 Abs. 2, 47 Abs. 5 und 21 Abs. 1 NAG führte die belangte Behörde weiter aus, der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers vom sei als Erstantrag zu werten. Seine Aufenthaltsberechtigung habe mit der Scheidung am geendet. Im Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beschwerdeführer "die Grenze von sechs Monaten überschritten". Sein Zweckänderungsantrag sei daher als Erstantrag zu werten.

Da sich der Beschwerdeführer seit seiner Scheidung und somit sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen. Humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG, infolge deren die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen wäre, seien vom Beschwerdeführer weder im Antrag noch in der Berufung behauptet worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass für die Beurteilung des gegenständlichen Falles die Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 maßgeblich ist.

Aus § 8 und § 9 NAG geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber zwischen Aufenthaltstiteln und Dokumentationen von bereits auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage bestehenden Aufenthaltsrechten unterscheiden wollte (vgl. in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0564). Es kann sohin nicht davon ausgegangen werden, der Begriff "Aufenthaltstitel" umfasse auch eine auf der Basis eines nach dem Gemeinschaftsrecht bestehenden Aufenthaltsrechts ausgestellte Daueraufenthaltskarte. Diese dient nämlich - insoweit ist der belangten Behörde zuzustimmen - dazu , das durch § 54 Abs. 1 NAG in Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen verliehene Recht auf Niederlassung lediglich zu dokumentieren, nicht aber es erst dem berechtigten Fremden konstitutiv zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0439).

Daraus folgt aber, dass die ausschließlich auf die Verlängerung oder Zweckänderung von Aufenthaltstiteln abstellenden §§ 24 bis 26 NAG nicht anzuwenden sind, wenn - wie im Beschwerdefall - die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Anschluss an die Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts beantragt wird. Es existiert auch keine gesetzliche Grundlage für den getroffenen feststellenden Ausspruch durch die Niederlassungsbehörde, dass der Fremde auf Grund des Gemeinschaftsrechts nicht (mehr) über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge.

In solchen Fällen ist vielmehr nach der speziell für Dokumentationen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts geltenden Regelung des § 55 NAG vorzugehen. Demnach ist zunächst die Fremdenpolizeibehörde zu befassen, die die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und die Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung zu beurteilen hat. Dass § 55 NAG auch für den Fall des nachträglichen Wegfalls der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts gilt, wurde mit der Novellierung dieser Bestimmung durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122, ausdrücklich klargestellt. Unterbleibt nach Befassung der Fremdenpolizeibehörde die Aufenthaltsbeendigung trotz Wegfalls der Voraussetzungen für das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht, so ist ein Aufenthaltstitel zu erteilen (vgl. ausdrücklich § 55 Abs. 4 und 5 NAG in den Fassungen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009 und - für das im Beschwerdefall fortzusetzende Verfahren maßgeblich - des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 38).

Die belangte Behörde hat nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt, indem sie nicht das in § 55 NAG vorgesehene Verfahren eingehalten hat, sondern - unter Bestätigung der erstinstanzlichen Feststellung betreffend den Verlust des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts - sogleich über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgesprochen hat. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am