VwGH vom 28.02.2018, Ra 2016/10/0054
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der Gemeinde Badersdorf, vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom , Zl. E B06/10/2015.005/002, betreffend naturschutzbehördliche Genehmigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Oberwart; mitbeteiligte Partei: B M in K, vertreten durch Mag. Gernot Faber und Mag. Christian Kühteubl, Rechtsanwälte in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 34), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom erteilte die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei unter Vorschreibung näher angeführter Auflagen die naturschutzbehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Hallenzubaus (Maschinenlager, Getreidelager, Getreidetrocknungsanlage), eines Gebäudes für Arbeitnehmer, von fünf Außensilos, eines Tierunterstandes und eines Löschteiches auf näher bezeichneten Grundstücken im Gemeindegebiet der Revisionswerberin.
2 Dagegen erhob die Revisionswerberin - mit näherer Begründung - Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom wurde die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt. Begründend führte das LVwG im Wesentlichen ins Treffen, die Standortgemeinde, bei der es sich nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes um eine Formalpartei handle, sei in Wahrnehmung des Schutzes und der Pflege der Natur und Landschaft berechtigt, Beschwerde zum Schutz der angeführten öffentlichen Interessen des § 1 NG 1990 zu erheben. Die Beschwerdelegitimation der Gemeinde an das LVwG nach § 52 NG 1990 sei somit soweit zuerkannt worden, als dies zur Durchsetzung der in § 1 leg. cit. genannten Interessen erforderlich sei. Der Gemeinde komme kein inhaltlich unbeschränktes Beschwerderecht zu, sondern lediglich ein auf die Interessen des § 1 NG 1990 eingeschränktes. Ihr stehe es in Wahrung der von ihr wahrzunehmenden Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes zu aufzuzeigen, dass mit dem beantragten Vorhaben den im Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht entsprochen werde, wobei dies auch behauptet und begründet werden müsse.
Im gegenständlichen Verfahren habe die Gemeinde im naturschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vor der Behörde kein Vorbringen hinsichtlich des Schutzes und der Pflege der Natur und Landschaft erstattet. Sie habe keine Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes im Sinne der in § 1 lit. a bis c NG 1990 definierten Zielsetzungen des Gesetzes aufgezeigt oder geltend gemacht. Die gegenständliche Beschwerde der Revisionswerberin sei damit begründet, dass eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und des Bescheides vorlägen. Die Beschwerde weise eher den Charakter einer allgemeinen Verfahrensrüge auf, beinhalte aber keine Behauptung und Begründung, dass den Interessen des Schutzes und der Pflege der Natur und Landschaft nicht Rechnung getragen werde. Die Revisionswerberin habe in der Beschwerde in keiner Weise aufgezeigt, inwiefern die in § 1 NG 1990 genannten Interessen und Zielsetzungen im Rahmen des von ihr zu vertretenden Schutzes und der Pflege der Natur und Landschaft berührt, beeinträchtigt oder verletzt würden.
Im Fall einer eingeschränkten Parteistellung sei gemäß § 27 VwGVG auch die Prüfbefugnis des LVwG beschränkt. Da die Beschwerde alle erforderlichen Beschwerdeelemente aufweise, sei sie auch einer Verbesserung gemäß § 13 Abs. 3 AVG nicht zugänglich. Dass die Revisionswerberin in den ihr als Partei des Verfahrens nach den Verfahrensvorschriften zustehenden Mitwirkungsrechten verletzt worden wäre, habe sie selbst nicht konkret behauptet und könne auch nicht ersehen werden.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
5 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung der Revision, in eventu deren Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision stützt sich in Bezug auf ihre Revisionslegitimation zutreffend auf Art. 133 Abs. 8 B-VG iVm § 52 2. Satz NG 1990, sodass von der Behandlung der ergänzenden, sich auf Art. 133 Abs. 6 Z 1 VwGG stützenden Ausführungen zur Verletzung auch in subjektiven Rechten abgesehen werden kann.
7 Die Zulässigkeit der Revision wird u.a. damit begründet, dass das LVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, wonach der Gemeinde als Formalpartei ein Recht auf eine objektiv rechtsrichtige Entscheidung in der Sache zustehe. Die Revisionswerberin habe in ihrer Beschwerde an das LVwG die inhaltliche Überprüfung der Sachentscheidung dadurch begehrt, dass sie mit Blick auf die in § 1 Abs. 1 NG 1990 festgelegten Schutzgüter, zu deren Schutz sie gemäß § 52 NG 1990 berufen sei, die der verwaltungsbehördlichen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen habe. Indem das LVwG weder eigene Ermittlungen angestellt noch eine Überprüfung der von der Behörde eingeholten Gutachten vorgenommen habe, habe es tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt bzw. eine grob fehlerhafte Beurteilung vorgenommen, was zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt habe.
8 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG kommt einer Rechtsfrage unter anderem dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Eine einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. ; , Ra 2016/06/0084, mwN).
9 Im vorliegenden Fall geht es um die einzelfallbezogene Beurteilung, ob das LVwG aufgrund des Inhalts der von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde verpflichtet gewesen wäre, die verwaltungsbehördliche Entscheidung inhaltlich zu überprüfen.
10 Die Revision ist infolge grober Fehlbeurteilung dieser Frage zulässig und begründet.
11 Auf der Grundlage von Art. 132 Abs. 5 B-VG räumt § 52 2. Satz NG 1990 den Gemeinden, in deren Gebiet ein bewilligungspflichtiges Vorhaben nach § 5 lit. a bis g leg. cit. vorgesehen ist, zum Schutz der öffentlichen Interessen im Sinne des § 1 leg. cit. die Stellung von Parteien (§ 8 AVG) ein.
§ 1 NG 1990 nennt als Zielsetzung im Wesentlichen den Schutz und die Pflege der Natur und Landschaft in allen Erscheinungsformen sowie die notwendige und verantwortungsbewusste Anpassung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung an die vorhandenen unvermehrbaren natürlichen Erscheinungsformen.
12 Ausgehend von der ausdrücklichen Normierung eines im öffentlichen Interesse liegenden Bereiches, den zu schützen die Gemeinde im Rahmen der ihr hierfür durch § 52 2. Satz NG 1990 eingeräumten - insoweit eingeschränkten - Parteistellung berufen ist, kann die Standortgemeinde eine zulässige Beschwerde an das LVwG nur im Rahmen der in § 1 NG 1990 festgelegten Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes erheben (vgl. zur auf die Einhaltung von dem Schutz der Umwelt dienenden Rechtsvorschriften beschränkten Befugnis der Standortgemeinde im UVP-Verfahren, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, ).
13 Das LVwG ging in der angefochtenen Entscheidung davon aus, die Revisionswerberin habe in ihrer Beschwerde keine Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes geltend gemacht, weshalb das Beschwerdevorbringen "unbegründet" und die Beschwerde "abzuweisen" gewesen sei.
14 Ausgehend von dieser Rechtsauffassung hätte das LVwG jedoch die Beschwerde, weil diese ausschließlich von der Parteistellung der Revisionswerberin nicht umfasste Fragen aufgeworfen hätte, zurückzuweisen gehabt (vgl. wiederum ), zumal mit der angefochtenen Entscheidung keine inhaltliche Überprüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung erfolgte.
15 Die - ohne auf die Beschwerdebegründung im Einzelnen eingehende - Beurteilung des LVwG, dass die Beschwerde der Revisionswerberin in keinem Zusammenhang mit den von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes steht, vermag der Verwaltungsgerichtshof indes nicht zu teilen.
16 Die Revisionswerberin bestreitet in ihrer Beschwerde unter anderem die Vollständigkeit und ausreichende Begründung der von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachten für Landschaftsschutz und Landwirtschaft. Die bloße Feststellung, dass die geplanten Baumaßnahmen keine wesentliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes darstellten, sei ohne entsprechende Begründung nicht aussagekräftig.
17 Die fachliche Beurteilung der Auswirkungen eines Vorhabens auf das Landschaftsbild ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige, die darüber auf Grund ihres Fachwissens ein Gutachten abzugeben haben (vgl. ; , 2004/10/0122). Die einzuholenden Gutachten stellen insofern entscheidungswesentliche Beweismittel für die Beurteilung des Eingriffes des beantragten Projekts in die Natur und Landschaft dar.
18 Behauptet eine Formalpartei, es läge keine taugliche Grundlage für die Beurteilung der Bewilligungsvoraussetzungen vor, so stellt dies vor dem Hintergrund, dass diese Bewilligungsvoraussetzungen (§ 6 NG 1990) diejenigen Interessen zu berücksichtigen haben, zu deren Schutz der Formalpartei Parteistellung eingeräumt wurde, ein Vorbringen dar, das einen - mangels tauglicher Entscheidungsgrundlage - möglichen Eingriff in die in § 1 NG 1990 normierten Natur- und Landschaftsschutzinteressen behauptet. Mit diesem Vorbringen bewegt sich die Revisionswerberin somit im Rahmen der ihr eingeräumten Parteistellung.
19 Der Umstand, dass die Beschwerde auf nähere Ausführungen verzichtet, ändert nichts daran, dass die Beschwerde eine § 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG entsprechende Begründung enthält.
20 Das LVwG wäre daher - bei Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Beschwerde der Revisionswerberin -
verpflichtet gewesen, die Entscheidung der belangten Behörde einer inhaltlichen Überprüfung zuzuführen. Aus der Parteistellung der Gemeinde erfließt nämlich das Recht auf Überprüfung des verwaltungsbehördlichen Bescheides im Wege einer Sachentscheidung der Beschwerdeinstanz (vgl. ).
21 Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
22 Der von der Revisionswerberin gestellte Antrag auf Aufwandersatz war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG iVm Art. 133 Abs. 8 B-VG abzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016100054.L00 |
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