VwGH vom 12.07.2012, 2012/06/0057

VwGH vom 12.07.2012, 2012/06/0057

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2012/06/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerden 1. des O M in C (Beschwerde Zl. 2012/06/0057) und 2. der L H sowie 3. des W P, beide in X (Beschwerde Zl. 2012/06/0058), alle vertreten durch Hajek Boss Wagner Rechtsanwälte OG in 7000 Eisenstadt, Blumengasse 5, gegen die Bescheide der Burgenländischen Landesregierung vom , zu 1. Zl. 5-BB-100-688/1-5 und zu 2. und 3. Zl. 5-BB-100-688/1-6, betreffend jeweils eine Grundabtretung (mitbeteiligte Partei in beiden Verfahren: Landeshauptstadt Freistadt Eisenstadt in 7000 Eisenstadt, Rathaus), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 sowie der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer zusammen Aufwendungen ebenfalls in der Höhe von EUR 1.326,40 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer ist Eigentümer von Grundstücken in Eisenstadt, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer sind Hälfteeigentümer anderer Grundstücke ebenfalls in Eisenstadt. Teile dieser Grundstücke, nämlich die nun verfahrensgegenständlichen Grundflächen, sind im Flächenwidmungsplan als Verkehrsfläche ausgewiesen. Mit Gemeinderatsbeschluss der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom wurde die Herstellung einer durchgehenden öffentlichen Verkehrsfläche durch die F-Gasse beschlossen. Die F-Gasse ist nach der Aktenlage zurzeit als Sackgasse ausgebildet, sie soll zur L-L-Gasse verlängert werden. Dazu sind die verfahrensgegenständlichen Grundflächen erforderlich.

Mit den erstinstanzlichen Bescheiden des Magistrates der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom wurden der Erstbeschwerdeführer einerseits und die Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführer andererseits gemäß § 8 Abs. 1 bis 3 des Burgenländischen Baugesetzes verpflichtet, "für die Aufschließung von Baugrundstücken und die Errichtung einer öffentlichen Verkehrsfläche" näher umschriebene Flächen unentgeltlich an das öffentliche Gut abzutreten. Die Abtretung habe entschädigungslos zu erfolgen, weil die abzutretenden Flächen nicht weiter als bis zur Straßenmitte reichten und schmäler als 6 m seien.

Die Beschwerdeführer erhoben Berufungen, die mit Bescheiden des Stadtsenates der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom als unbegründet abgewiesen wurden. Dem Gemeinderatsbeschluss vom seien die Ausführungen von DI L. zur erforderlichen Aufschließung zu Grunde gelegt worden. Daraus ergebe sich, dass die Ausbildung der F-Gasse seit Jahren als durchgehende öffentliche Verkehrsfläche geplant gewesen sei und nunmehr durch die fortschreitende Verbauung für eine gesicherte Erschließung notwendig sei, nämlich zur Sicherstellung einer reibungslosen Zufahrtsmöglichkeit für Einsatzfahrzeuge, der Müllabfuhr, der problemlosen Durchführung der Schneeräumung und Straßenreinigung. Diese Aufschließungsvorteile kämen auch den Grundstücken der beschwerdeführenden Parteien zugute. Für die Ausbildung der F-Gasse als Sackgasse wäre es notwendig, einen Umkehrplatz im öffentlichen Straßenraum zu errichten. Die dafür notwendigen Flächen stünden aber im Privatbesitz und seien als Bauplätze parzelliert (Hinweis auf einen rechtswirksamen Teilungsplan). Eine Verfügbarkeit von Flächen für einen Umkehrplatz sei somit eindeutig nicht gegeben und es sei eine Sackgassen-Lösung daher aus der Sicht der Stadtgemeinde nicht vertretbar. Von den meisten Anrainern der F-Gasse sei bereits eine Abtretungserklärung zur Überführung der benötigten Grundflächen in das öffentliche Gut zur Errichtung der Straße unterfertigt worden. Seitens der beschwerdeführenden Parteien liege noch keine Abtretungserklärung vor. Die Erschließung "des gegenständlichen Grundstückes" (gemeint nach dem Zusammenhang: der Grundstücke der beschwerdeführenden Parteien) über die F-Gasse sei noch nicht gegeben und würde erst durch die Errichtung einer durchgehenden Straße erfolgen.

Die beschwerdeführenden Parteien erhoben Vorstellungen, die mit den angefochtenen Bescheiden als unbegründet abgewiesen wurden. Nach Darstellung des Verfahrensganges und gesetzlicher Bestimmungen heißt es zur Begründung zusammengefasst, den Akten sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass die F-Gasse seit Jahrzenten als öffentliche Verkehrsfläche geplant gewesen sei (nach dem Zusammenhang gemeint: als durchgehende öffentliche Verkehrsfläche). Dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien, es lägen nicht sämtliche Voraussetzungen für eine Abtretungsverpflichtung im Sinne des § 8 Abs. 1 des Burgenländischen Baugesetzes vor, könne nicht gefolgt werden. Abgesehen von der gegebenen Flächenwidmung seien die in Anspruch genommenen Flächen - entgegen der Behauptungen der beschwerdeführenden Parteien - "für die Aufschließung der Baugrundstücke durchaus zweckmäßig und erforderlich". Einerseits erscheine die Grundabtretung für die Sicherstellung vernünftiger und nachhaltiger Zufahrtsmöglichkeiten in der F-Gasse für den Personenverkehr sowie für Einsatzfahrzeuge und für die Schneeräumung, die Straßenreinigung und die Müllentsorgung als abgestimmt und sinnvoll. Des Weiteren gehe die Behauptung über die bereits vorliegende Erschließung der Grundstücke (der beschwerdeführenden Parteien) in diesem Bereich ins Leere, zumal gegenständliche Verkehrsflächen für die entsprechende Aufschließung der Baugrundstücke zweifelsfrei erforderlich seien, unabhängig davon, ob bereits provisorische Zufahrten bestünden oder nicht. Auf Grund der schlüssig vorliegenden Notwendigkeit einer Aufschließung der Grundstücke in der F- Gasse sei auf die alternative Voraussetzung für eine Abtretungsverpflichtung, nämlich eine Verbreiterung bestehender öffentlicher Verkehrsflächen, nicht näher einzugehen.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt. Auch die mitbeteiligte Landeshauptstadt hat eine ablehnende Stellungnahme erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerdeverfahren wegen des sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Burgenländische Baugesetz 1997, LGBl. Nr. 10/1998 (Bgld. BauG), in der Fassung LGBl. Nr. 7/2010 anzuwenden.

Der II. Abschnitt des Gesetzes, überschrieben mit

"Anliegerleistungen", umfasst die §§ 8 bis 10.

§ 8 leg. cit. lautet:

"§ 8

Grundabtretung für öffentliche Verkehrsflächen

(1) Die Eigentümer von Grundstücken haben Grundflächen, die als Bauland, als Verkehrsfläche oder als Grünfläche-Hausgärten im Sinne des Burgenländischen Raumplanungsgesetzes, LGBl. Nr. 18/1969, in der jeweils geltenden Fassung, gewidmet sind, und die für die Aufschließung von Baugrundstücken oder zur Verbreiterung bestehender öffentlicher Verkehrsflächen benötigt werden, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten.

(2) Die Grundabtretung hat bis zur Mitte der Verkehrsfläche, höchstens jedoch bis zu einer Breite von 6 m unentgeltlich zu erfolgen; für darüber hinausgehende Abtretungen ist von der Gemeinde eine Entschädigung zu leisten (Abs. 7).

(3) Die Abtretungsverpflichtung entsteht mit der Beschlußfassung des Gemeinderates über die Errichtung oder Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche und ist mit der Baubewilligung oder mit gesondertem Bescheid auszusprechen.

(4) Die Grundflächen, zu deren Abtretung der Grundeigentümer verpflichtet wurde, sind spätestens 6 Monate nach Fertigstellung der öffentlichen Verkehrsfläche von der Gemeinde in das öffentliche Gut zu übernehmen. Mit der Erklärung zum öffentlichen Gut erlöschen die auf den abgetretenen Grundflächen allenfalls bestehenden dinglichen Rechte, wenn die Gemeinde bescheidmäßig feststellt, daß das dingliche Recht der Nutzung als Verkehrsfläche entgegensteht oder mit der Übertragung in das öffentliche Gut gegenstandslos wird. Die Kosten der Übertragung in das öffentliche Gut hat die Gemeinde zu tragen.

(5) Für bewilligungsgemäß auf den abzutretenden Grundflächen errichtete Bauten oder Leitungen hat die Gemeinde dem Eigentümer Entschädigung zu leisten (Abs. 7). Eine Entschädigung ist auch an Dienstbarkeitsberechtigte zu leisten, wenn deren dingliche Rechte gemäß Abs. 4 erlöschen, weil sie dem öffentlichen Verwendungszweck entgegenstehen.

(6) Wird das Baugrundstück an mehr als einer Seite von vorgesehenen oder bestehenden öffentlichen Verkehrsflächen begrenzt, ist für die Hälfte der entschädigungslos abzutretenden Grundflächen (Abs. 2) von der Gemeinde eine Entschädigung zu leisten (Abs. 7).

(7) Grundlage für die Ermittlung der zu leistenden Entschädigung ist der Verkehrswert der abzutretenden Grundfläche einschließlich darauf bestehender Bauten im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides über die Abtretungsverpflichtung. Bei Leitungen sind die für die Verlegung erforderlichen Kosten zu ersetzen. Wenn die verbleibende Liegenschaft durch die Abtrennung der abgetretenen Fläche einen Wertverlust erleidet, ist auch dies bei der Festsetzung der Entschädigung zu berücksichtigen. Dies gilt auch für Bauten.

(8) Die Entschädigung hat der Bürgermeister gleichzeitig mit der Abtretungsverpflichtung mit Bescheid festzusetzen. Für das Verfahren sind die Bestimmungen des § 27 Abs. 3 und 4 des Burgenländischen Raumplanungsgesetzes, LGBl. Nr. 18/1969 in der jeweils geltenden Fassung, sinngemäß anzuwenden. Die Entschädigung wird mit der grundbücherlichen Durchführung der Grundabtretung fällig.

(9) Wenn eine auf Grund der vorstehenden oder entsprechender früherer Bestimmungen abgetretene Grundfläche später als Verkehrsfläche entwidmet wird, ist sie dem vorherigen Eigentümer bzw. dessen Rechtsnachfolger anzubieten; wenn dieser das Angebot annimmt und wenn für die Abtretung eine Entschädigung geleistet wurde, hat er eine den nunmehrigen Geldwertverhältnissen angepaßte Rückzahlung zu leisten. Für die geleistete Entschädigung sind keine Zinsen zu berechnen."

Die beschwerdeführenden Parteien bestreiten, wie schon im Verwaltungsverfahren, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Bgld. BauG vorlägen. Zwar seien die abzutretenden Grundflächen als Verkehrsfläche gewidmet, sie seien aber weder zur Aufschließung ihrer Grundstücke erforderlich (diese seien nämlich bereits über die L-L-Gasse gehörig aufgeschlossen), noch handle es sich um einen Fall der Verbreiterung einer öffentlichen Verkehrsfläche handle.

Die Beschwerden sind berechtigt.

Im Beschwerdefall sind die strittigen Grundflächen zwar bereits als Verkehrsfläche gewidmet. Darauf, dass die strittigen Grundflächen zur Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche erforderlich wären, haben sich die Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht gestützt - vielmehr geht es nicht um eine Verbreiterung, sondern um eine Verlängerung der F-Gasse bis zur L-L-Gasse. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben aber angenommen, dass die Grundflächen für eine gehörige Aufschließung erforderlich seien.

Da § 8 Bgld. BauG die Möglichkeit eines - noch dazu entschädigungslosen - Eigentumseingriffes eröffnet, ist diese Norm vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Eigentums restriktiv auszulegen. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kommt daher eine Verpflichtung zur Grundabtretung im Sinne des § 8 Abs. 1 leg. cit. - neben einer erforderlichen Verbreiterung der Straße - nur für die Zwecke der Aufschließung von Baugrundstücken in Betracht (siehe dazu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/06/0063, mwN, zur vergleichbaren Norm des § 14 Abs. 1 Stmk. BauG; in diesem Sinne auch Pallitsch/Pallitsch, Burgenländisches Baurecht2, Anmerkung 10 zu § 8 leg. cit.).

Zutreffend verweisen die beschwerdeführenden Parteien darauf, dass sich die Behörden des Verwaltungsverfahrens in Verkennung der Rechtslage mit ihrem Vorbringen, ihre Grundstücke seien bereits gehörig aufgeschlossen, nicht (bzw. nicht ausreichend) befasst haben. Die Berufungsbehörde stellt auf eine Erschließung der Grundstücke der beschwerdeführenden Parteien über die F-Gasse ab, ohne sich mit der zuvor dargelegten, entscheidungswesentlichen Frage zu befassen, ob die Grundstücke bereits ohnedies (wie behauptet über die L-L-Gasse) gehörig erschlossen sind. Auch die belangte Behörde hat sich mit dieser Frage nicht näher auseinandergesetzt, und insbesondere nicht dargelegt, was sie mit dem Begriff "provisorische Zufahrten" gemeint hat.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am