VwGH 23.06.2017, Ra 2016/08/0179
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Bei der Ausbildung zum medizinischen Masseur nach den Bestimmungen des Medizinischen Masseur- und Heilmasseurgesetzes und der dazu ergangenen Medizinischen Masseur- und Heilmasseur-Ausbildungsverordnung handelt sich um eine praktische Ausbildung im Rahmen eines geregelten Lehrgangs iSd § 12 Abs. 3 lit. f AlVG. |
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RS 2 | Der in§ 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannten Personengruppe gebührt (abgesehen von der Ausnahme des § 12 Abs. 4 AlVG) grundsätzlich kein Arbeitslosengeld. Der Grund für diese Regelung ist darin zu erblicken, dass der Gesetzgeber - ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insbesondere seiner Arbeitswilligkeit - von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, dass das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen abzugelten. Das bedeutet, dass in diesen Fällen von Gesetzes wegen unwiderleglich vermutet wird, dass der Betreffende so lange einer Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice nicht zur Verfügung steht, als er in der Schule oder dem geregelten Lehrgang ausgebildet wird bzw. sich der praktischen Ausbildung unterzieht. Seine allfällig bestehende Arbeitswilligkeit kann der Anspruchswerber daher nicht durch die bloße Erklärung, arbeitswillig zu sein, sondern nur durch die Beendigung der Ausbildung wirksam dokumentieren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2004/08/0062, und vom , 2012/08/0265, mwN). |
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RS 3 | Im vorliegenden Fall erfüllt der Anspruchswerber die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 AlVG ("große Anwartschaft"), sodass er gemäß § 12 Abs. 4 AlVG während der Ausbildung ohnehin als arbeitslos gilt. Allerdings muss bei ihm die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG gegeben sein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2010/08/0092, und vom , Ra 2015/08/0209). |
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RS 4 | Ein Arbeitsloser bzw. Notstandshilfebezieher erfüllt die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG, wenn er bereit und in der Lage ist, jederzeit eine sich bietende Arbeitsmöglichkeit zumindest im Umfang der Verfügbarkeitsgrenze tatsächlich aufzunehmen. |
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RS 5 | Gemäß § 7 Abs. 7 AlVG muss sich der Arbeitslose zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden (bei Betreuungsverpflichtungen mindestens 16 Stunden) bereithalten. Es ist nicht entscheidend, ob ein derartiges Stundenausmaß in einem bestimmten Zeitraum erzielbar ist, sofern auch Beschäftigungen zu anderen Tageszeiten auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angeboten werden. Gründe für die genannte Verhinderung sind z.B. eine anderweitige Inanspruchnahme des Arbeitslosen bzw. Notstandshilfebeziehers (Erwerbstätigkeit, Ausbildung, ehrenamtliche Tätigkeit, Pflege, Betreuung etc.) oder allenfalls bestehende rechtliche Hindernisse (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/08/0092, sowie das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0209). |
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RS 6 | Das Fehlen der Verfügbarkeit ergibt sich (insbesondere bei faktischen Inanspruchnahmen freiwilliger Natur) aus Umständen, wonach in aller Regel angenommen werden kann, dass der Arbeitslose (Notstandshilfebezieher) nicht an einer entsprechenden neuen Beschäftigung, sondern vorwiegend an anderen Zielen interessiert ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/08/0034, mwN). |
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RS 7 | Die intensive Inanspruchnahme durch die selbständige Tätigkeit des Arbeitslosen bedeutet eine Bindung faktischer Art, die erst beseitigt werden müsste, damit eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufgenommen werden könnte. Solange dies nicht geschehen ist, ist die Verfügbarkeit nicht gegeben (Hinweis E , 97/08/0519; E , 2000/08/0216). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 97/08/0596 E RS 3 |
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RS 8 | Für eine Verfügbarkeit reicht es grundsätzlich nicht aus, die Arbeitswilligkeit dadurch zu begründen, dass (im Zuge einer in Aussicht gestellten "Flexibilität") die Bereitschaft erklärt wird, die anderweitige Inanspruchnahme zu beenden und jede vom Arbeitsmarktservice vermittelte Beschäftigung anzunehmen, wenn auf Grund konkreter Umstände - hier in Anbetracht des Eigeninteresses des Arbeitslosen an der Fortsetzung seiner selbständigen Tätigkeit, das sein Interesse an der Beendigung der Arbeitslosigkeit beeinträchtigt - Grund zur Annahme besteht, dass im Hinblick auf die anzunehmende zeitliche Beanspruchung des Arbeitslosen nicht die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern die Betätigung in anderen Bereichen das von ihm verfolgte Ziel ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 97/08/0519, vom , 2000/08/0216, vom , 97/08/0596, vom , 97/08/0602, vom , 2000/08/0084, und vom , 2005/08/0093, jeweils mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. ?erger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Amtsrevision des Arbeitsmarktservice Baden in 2500 Baden, Josefsplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W121 2125306- 1/11E, betreffend Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: N F in L, vertreten durch Mag. Andrea Willmitzer, Rechtsanwältin in 2544 Leobersdorf, Aredstraße 13/9),
Spruch
I.
den Beschluss gefasst:
Soweit sich die Revision gegen den Spruchpunkt A des angefochtenen Erkenntnisses richtet, wird sie zurückgewiesen.
II.
zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Übrigen (in seinem Spruchpunkt B) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom hat die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Baden (im Folgenden: AMS) gegenüber dem Mitbeteiligten festgestellt, dass als Tag der Geltendmachung (von Arbeitslosengeld) der gelte (Spruchpunkt 1.) und dass ab mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt gemäß § 7 AlVG kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe (Spruchpunkt 2.).
2 Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das AMS die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten abgewiesen. Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich des ersten Spruchpunktes des Bescheides des AMS vom wegen der diesbezüglichen teilweisen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt (Spruchpunkt A).
4 Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde hinsichtlich des zweiten Spruchpunktes des genannten Bescheides stattgegeben, den Bescheid behoben und festgestellt, dass der Mitbeteiligte gemäß § 7 AlVG "die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit erfüllt" (Spruchpunkt B).
5 Der Mitbeteiligte sei vom bis als Rauchfangkehrer vollzeitbeschäftigt gewesen. Er habe seit nebenberuflich auf eigene Kosten eine Ausbildung zum medizinischen Masseur durchlaufen und - laut Bestätigung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom - bei dieser "seit bis voraussichtlich ein unentgeltliches Praktikum im Ausmaß von 38 Wochenstunden" absolviert. Aus den Stundenlisten sei ersichtlich, dass der Mitbeteiligte zwischen März und August 2015 - überwiegend zwischen 14:30 Uhr und 17:30 Uhr nach Beendigung seiner regulären Beschäftigungszeit - durchschnittlich 18 Praktikumsstunden pro Woche geleistet habe. Im September 2015 sei er von der Arbeitsleistung als Rauchfangkehrer freigestellt worden. Das Dienstverhältnis habe am durch Arbeitgeberkündigung geendet. Ab Mitte September 2015 habe er an ca. vier Tagen pro Woche je 9 bis 10 Praktikumsstunden absolviert. Die Stundenlisten würden am enden. Der Mitbeteiligte habe für die Beendigung des Praktikums "zwei Jahre Zeit" gehabt, er habe es jedoch bereits am beendet. Seit stehe er wieder in einem vollversicherten Dienstverhältnis.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, infolge der Teilrückziehung der Beschwerde in der mündlichen Verhandlung vom sei im ersten Spruchpunkt die Einstellung des Beschwerdeverfahrens betreffend den ersten Spruchpunkt des Ausgangsbescheides auszusprechen gewesen. Als Tag der Geltendmachung gelte somit der .
7 Zur Frage der Verfügbarkeit führte das Verwaltungsgericht aus, eine Person halte sich nur dann zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung bereit, wenn sie in der Lage sei, jederzeit eine sich bietende Arbeitsmöglichkeit zumindest im Umfang der "Verfügbarkeitsgrenze" tatsächlich aufzunehmen. Sie dürfe nicht durch eine andere Inanspruchnahme (z.B. Erwerbstätigkeit, Ausbildung, ehrenamtliche Tätigkeit, Pflege) oder durch rechtliche Interessen daran gehindert sein. Es sei zu fragen, ob der Mitbeteiligte auf Grund rechtlicher oder faktischer Bindungen daran gehindert gewesen sei, jederzeit eine Beschäftigung iSd § 7 Abs. 7 AlVG mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Wochenstunden anzutreten. Für die Beurteilung der Verfügbarkeit sei nicht das tatsächliche Ausmaß der anderweitigen Tätigkeit, sondern der Umstand relevant, ob eine jederzeitige Einschränkung dieser Tätigkeit möglich sei. Dies sei insbesondere dann nicht möglich, wenn rechtliche oder faktische Bindungen bestünden, die erst beseitigt werden müssten. Dass der Mitbeteiligte auf Grund von rechtlichen Bindungen im Verhältnis zum Praktikumsgeber oder auf Grund von faktischen Bindungen nicht in der Lage gewesen wäre, das Ausmaß der Praktikumsstunden jederzeit zu reduzieren, um eine dem § 7 Abs. 7 AlVG entsprechende Beschäftigung aufzunehmen, habe sich nicht ergeben. Im Übrigen erscheine eine berufliche Aus- und Weiterbildung im Ausmaß von zwei bis drei Stunden täglich neben einer Vollzeitbeschäftigung durchaus nicht ungewöhnlich. Eine faktische Bindung, die den Mitbeteiligten daran gehindert hätte, das Stundenausmaß zu reduzieren, habe nicht festgestellt werden können. Er habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft betont, dass er hinsichtlich des Ausmaßes der Praktikumsstunden flexibel gewesen sei. Er hätte es sich auch so einteilen können, dass er nur zwei Praktikumsstunden pro Tag absolviert. Das spreche gegen eine den Mitbeteiligten bindende vertragliche Vereinbarung, die erst hätte beseitigt werden müssen, um eine entsprechende Beschäftigung aufnehmen zu können.
8 Eine rechtliche Bindung lasse sich auch nicht aus der Bestätigung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ableiten, in der festgestellt worden sei, dass der Mitbeteiligte ein Praktikum im Ausmaß von 38 Wochenstunden absolviere. Diese Formulierung lasse das tatsächliche Ausmaß der Praktikumsstunden zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bestätigung am erkennen. Sie stimme insofern mit den vorliegenden Stundenlisten überein. Die Bestätigung sage aber ebenso wenig wie die Stundenlisten aus, dass es dem Mitbeteiligten nicht möglich gewesen wäre, die Praktikumsstunden jederzeit auf ein Ausmaß zu reduzieren, welches ihm die Ausübung einer entsprechenden Beschäftigung möglich gemacht hätte.
9 Der Mitbeteiligte habe in Folge der (am eingetretenen) Arbeitslosigkeit aus freien Stücken und ohne rechtlich oder faktisch gebunden zu sein, die Anzahl der wöchentlichen Praktikumsstunden erhöht, um die erforderliche Gesamtstundenanzahl schneller zu erreichen und die Ausbildung dadurch schneller abzuschließen. Diese Ausweitung der Praktikumsstunden stelle ein Indiz für die vom Mitbeteiligten behauptete Flexibilität - auch in Richtung jederzeitiger Reduktion der Stunden - dar. Sein Interesse am baldigen Abschluss der Ausbildung sei zwar evident. Daraus lasse sich aber nicht der Schluss ziehen, dass er "keinesfalls an der Aufnahme einer vollversicherten Beschäftigung interessiert gewesen wäre". In Fällen der zeitlichen Inanspruchnahme sei entscheidend, wie schnell diese Inanspruchnahme auf ein Ausmaß reduziert werden könne, das die Aufnahme einer entsprechenden Beschäftigung ermögliche. Es mache keinen Unterschied, ob eine Person durch Pflegetätigkeiten oder eine praktische Ausbildung zeitlich in Anspruch genommen werde. Entscheidend sei, ob eine jederzeitige Einschränkung der zeitlichen Inanspruchnahme möglich sei.
Verfügbarkeit iSd § 7 AlVG sei gegeben.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche
Revision.
11 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung
erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 1. Zum Spruchpunkt A zeigt die Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0026). Die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haftet dem Spruchpunkt A des angefochtenen Erkenntnisses nicht an, weil dem in der Revision zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2015/09/0025, eine andere Verfahrenskonstellation zugrunde lag. Im gegenständlichen Fall genügt es, auf das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0026, gem. § 43 Abs. 2 zweiter Fall zu verweisen.
14 2. Das AMS bringt im Übrigen (betreffend den Spruchpunkt B) zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision vor, der Mitbeteiligte sei abweichend von § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gemäß § 12 Abs. 4 AlVG arbeitslos. Da seine Ausbildung länger als 3 Monate dauere, sei (in einem Umkehrschluss aus § 7 Abs. 8 AlVG) die Verfügbarkeit gemäß § 7 AlVG zu überprüfen.
Der Mitbeteiligte wäre auf Grund des Berufsschutzes während des Arbeitslosengeldbezuges als Rauchfangkehrer zu vermitteln gewesen. Er habe das Praktikum in einem zeitlichen Ausmaß absolviert, das es ihm nicht ermöglicht habe, währenddessen eine Beschäftigung anzunehmen; insbesondere wäre eine Beschäftigung als Rauchfangkehrer in den üblichen Arbeitszeiten Montag bis Freitag von 07:00 Uhr bis 15:00 Uhr nicht möglich gewesen. Es finde sich kein Betrieb, der am Samstag oder Sonntag Kehrarbeiten durchführe. Auf Grund der festgestellten Ausbildung bzw. des Praktikums von Montag bis Donnerstag im Ausmaß von etwa 36 bis 38 Stunden sei unter Berücksichtigung der regionalen und berufsbedingten Arbeitszeiten die Aufnahme einer Beschäftigung als Rauchfangkehrer mit einem Beschäftigungsausmaß, das Arbeitslosigkeit ausschließe, nicht möglich. Der Mitbeteiligte habe das Praktikum absolvieren müssen, um die Ausbildung mit den Abschlussprüfungen im März 2016 beenden zu können. Er sei für eine Beschäftigung im Ausmaß von 20 Wochenstunden nicht bereit gestanden. Es lägen Umstände vor, wonach in aller Regel angenommen werden könne, dass der Mitbeteiligte nicht an einer entsprechenden neuen, die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung, sondern vorzugsweise an der Absolvierung und erfolgreichen Beendigung seiner Ausbildung als Masseur interessiert sei. Das Verwaltungsgericht habe hingegen ausgeführt, dass der Mitbeteiligte die täglichen Praktikumsstunden durchaus auf zwei Stunden täglich hätte reduzieren können. Tatsächlich habe er das Praktikum in einem zeitlichen Ausmaß absolviert, das es ihm nicht ermöglicht habe, während der Ausbildung eine Beschäftigung anzunehmen. Genau dieser Punkt widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Mit diesem Vorbringen zeigt das AMS eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf. Für die zur Rede stehende Konstellation fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision ist auch berechtigt.
15 4.1. Der Mitbeteiligte absolvierte ab dem eine Ausbildung zum medizinischen Masseur nach den Bestimmungen des Medizinischen Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG und der dazu ergangenen Medizinischen Masseur- und Heilmasseur-Ausbildungsverordnung - MMHm-AV. Nach § 17 Abs. 3 MMHmG ist die theoretische und praktische Ausbildung zum medizinischen Masseur längstens innerhalb von drei Jahren abzuschließen. Wird die Ausbildung nicht innerhalb von drei Jahren abgeschlossen, ist sie - mit bestimmten Anrechnungsmöglichkeiten - neu zu beginnen.
16 4.2. Es handelte sich somit um eine praktische Ausbildung im Rahmen eines geregelten Lehrgangs iSd § 12 Abs. 3 lit. f AlVG. Der in dieser Gesetzesstelle genannten Personengruppe gebührt (abgesehen von der Ausnahme des § 12 Abs. 4 AlVG) grundsätzlich kein Arbeitslosengeld. Der Grund für diese Regelung ist darin zu erblicken, dass der Gesetzgeber - ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insbesondere seiner Arbeitswilligkeit - von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, dass das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen abzugelten. Das bedeutet, dass in diesen Fällen von Gesetzes wegen unwiderleglich vermutet wird, dass der Betreffende so lange einer Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice nicht zur Verfügung steht, als er in der Schule oder dem geregelten Lehrgang ausgebildet wird bzw. sich der praktischen Ausbildung unterzieht. Seine allfällig bestehende Arbeitswilligkeit kann der Anspruchswerber daher nicht durch die bloße Erklärung, arbeitswillig zu sein, sondern nur durch die Beendigung der Ausbildung wirksam dokumentieren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2004/08/0062, und vom , 2012/08/0265, mwN).
17 4.3. Die Rechtsprechung hat diese strenge Konsequenz (nämlich die Beendigungsnotwendigkeit) in Fällen, in denen ein geregelter Lehrgang auf Berufstätige zugeschnitten war, sodass die Ausbildung neben einer Beschäftigung absolviert werden konnte, dadurch abgewendet, dass ein solcher Lehrgang nicht unter den das Vorliegen von Arbeitslosigkeit ausschließenden § 12 Abs. 3 lit. f AlVG subsumiert wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/08/0261, mwN). Ob ein Lehrgang auf Berufstätige zugeschnitten war, wurde in einer Art vorweggenommener typisierter Verfügbarkeitsprüfung (zu der es der Rechtslage zu Folge gar nicht mehr gekommen wäre) nach der Ausgestaltung des Lehrgangs (zeitliche Inanspruchnahme, Fortbildungscharakter, Zielgruppe) ohne Rücksicht auf etwaige Anwesenheitspflichten beurteilt.
18 4.4. Im vorliegenden Fall erfüllt der Mitbeteiligte die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 AlVG ("große Anwartschaft"), sodass er gemäß § 12 Abs. 4 AlVG während der Ausbildung ohnehin als arbeitslos gilt. Allerdings muss bei ihm die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG gegeben sein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2010/08/0092, und vom , Ra 2015/08/0209).
19 4.5.1. Ein Arbeitsloser bzw. Notstandshilfebezieher erfüllt die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG, wenn er bereit und in der Lage ist, jederzeit eine sich bietende Arbeitsmöglichkeit zumindest im Umfang der Verfügbarkeitsgrenze tatsächlich aufzunehmen. Gemäß § 7 Abs. 7 AlVG muss sich der Arbeitslose zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden (bei Betreuungsverpflichtungen mindestens 16 Stunden) bereithalten. Es ist nicht entscheidend, ob ein derartiges Stundenausmaß in einem bestimmten Zeitraum erzielbar ist, sofern auch Beschäftigungen zu anderen Tageszeiten auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angeboten werden. Gründe für die genannte Verhinderung sind z.B. eine anderweitige Inanspruchnahme des Arbeitslosen bzw. Notstandshilfebeziehers (Erwerbstätigkeit, Ausbildung, ehrenamtliche Tätigkeit, Pflege, Betreuung etc.) oder allenfalls bestehende rechtliche Hindernisse (vgl. nochmals das Erkenntnis 2010/08/0092 sowie das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0209).
20 Das Fehlen der Verfügbarkeit ergibt sich (insbesondere bei faktischen Inanspruchnahmen freiwilliger Natur) aus Umständen, wonach in aller Regel angenommen werden kann, dass der Arbeitslose (Notstandshilfebezieher) nicht an einer entsprechenden neuen Beschäftigung, sondern vorwiegend an anderen Zielen interessiert ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/08/0034, mwN).
So bedeutet eine intensive Inanspruchnahme durch eine selbständige Tätigkeit des Arbeitslosen eine Bindung faktischer Art, die erst beseitigt werden müsste, damit eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufgenommen werden könnte. Solange dies nicht geschehen ist, ist die Verfügbarkeit nicht gegeben. Für eine Verfügbarkeit reicht es grundsätzlich nicht aus, die Arbeitswilligkeit dadurch zu begründen, dass (im Zuge einer in Aussicht gestellten "Flexibilität") die Bereitschaft erklärt wird, die genannte Inanspruchnahme zu beenden und jede vom Arbeitsmarktservice vermittelte Beschäftigung anzunehmen, wenn auf Grund konkreter Umstände - hier in Anbetracht des Eigeninteresses des Arbeitslosen an der Fortsetzung seiner selbständigen Tätigkeit, das sein Interesse an der Beendigung der Arbeitslosigkeit beeinträchtigt - Grund zur Annahme besteht, dass im Hinblick auf die anzunehmende zeitliche Beanspruchung des Arbeitslosen nicht die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern die Betätigung in anderen Bereichen das von ihm verfolgte Ziel ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 97/08/0519, vom , 2000/08/0216, vom , 97/08/0596, vom , 97/08/0602, vom , 2000/08/0084, und vom , 2005/08/0093, jeweils mwN).
21 4.5.2. Der Mitbeteiligte war durch seine vollzeitige praktische Ausbildung zeitlich so in Anspruch genommen, dass es ihm nicht möglich gewesen ist, eine auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotene Beschäftigung mit Dienstzeiten, die seinen konkreten freien Kapazitäten entsprechen und die die Verfügbarkeitsgrenze (§ 7 Abs. 7 AlVG) übersteigen, anzunehmen.
22 Die intensive Inanspruchnahme durch die Ausbildung des Mitbeteiligten im Ausmaß von etwa 36-38 Wochenstunden bewirkte eine Bindung faktischer Art, zumal der Mitbeteiligte darauf bedacht war, seine Ausbildung tunlichst innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist abzuschließen. Aus dieser Inanspruchnahme und dem darauf bezogenen Eigeninteresse des Mitbeteiligten ist der Schluss zu ziehen, dass nicht die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern seine Ausbildung das von ihm verfolgte Ziel war. Dadurch wurde insbesondere das Bemühen des Mitbeteiligten um eine neue zumutbare Beschäftigung (vgl. oben 4.2.) bzw. seine Motivation, seine Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich und noch vor Abschluss seiner Ausbildung zu beenden, beeinträchtigt. Daran ändert die vom Verwaltungsgericht festgestellte "Flexibilität" bzw. die glaubhaft versicherte Bereitschaft des Mitbeteiligten nichts, die Intensität seiner Ausbildung im Fall des Zustandekommens eines neuen Arbeitsverhältnisses herabsetzen zu wollen. Die genannte Bindung müsste vielmehr erst beseitigt werden, damit eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufgenommen werden könnte. Solange dies nicht geschehen ist, ist die Verfügbarkeit nicht gegeben. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte während seiner früheren Arbeitstätigkeit eine Variante praktischer Ausbildung im Rahmen des Lehrgangs bevorzugt hat, in der die Ausbildungsinhalte in geringerer Dichte neben seiner damaligen Berufstätigkeit vermittelt wurden, ist für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht maßgeblich.
23 5. Da sich der Mitbeteiligte somit nicht für eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden bereitgehalten hat, war die Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 und Abs. 3 Z 1 AlVG für eine Zuerkennung von Arbeitslosengeld nicht erfüllt.
24 6. Das angefochtene Erkenntnis war im Umfang des Spruchpunktes B gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AlVG 1977 §12 Abs3 litf; AlVG 1977 §12 Abs4; AlVG 1977 §7 Abs1 Z1; AlVG 1977 §7 Abs2; AlVG 1977 §7 Abs3 Z1; AlVG 1977 §7 Abs7; MMHm-AV 2003; MMHmG 2002; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016080179.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAE-69675