Der Konzern im Gesellschafts- und Steuerrecht
1. Aufl. 2021
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S. 55Missbrauch iSd § 22 BAO
Matthias Petutschnig/Kristin Resenig
1. Einleitung
Österreich verfügte bereits vor Erlass der europäischen Richtlinien zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (ATAD I und II) mit § 22 BAO auf nationaler Ebene über eine allgemeine Missbrauchsbestimmung. Auch spezielle Missbrauchsvorschriften, wie zB § 10 Abs 4 KStG oder § 44 UmgrStG, sind dem österreichischen Steuersystem nicht fremd. Die lange Tradition, die gefestigte Rechtsprechung und die umfassende literarische Beschäftigung der Wissenschaft mit dem steuerrechtlichen Missbrauchsbegriff lassen einen Reformbedarf der Missbrauchsbestimmung in Österreich zumindest fraglich erscheinen.
Im Zuge der Umsetzung der ATAD I und damit zusammenhängend der Missbrauchsbestimmung des Art 6 war Österreich jedoch verpflichtet, eine Erweiterung des allgemeinen Missbrauchstatbestands vorzunehmen, wobei drei Möglichkeiten zur Verfügung standen. So konnte die Richtlinie durch richtlinienkonforme Interpretation von § 22 BAO erfüllt werden, eine zusätzliche Missbrauchsbestimmung geschaffen, oder die Vorschrift des Art 6 ATAD in den bisherigen § 22 BAO aufgenommen werden. Österreich wählte die letztgenannte ...