VwGH vom 30.01.2014, 2012/05/0011
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der Marktgemeinde P, vertreten durch Dr. Hermann Geissler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neutorgasse 12, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1410/002-2011, betreffend Akteneinsicht in einer Bausache (mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. R B, 2. Dr. I B, beide P, beide vertreten durch Mag. Michael Mendel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und den mitbeteiligten Parteien in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligten Parteien sind Eigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft in P.
Mit Bescheid vom wies der Bürgermeister der beschwerdeführenden Marktgemeinde sowohl das Ersuchen vom als auch den Antrag vom der mitbeteiligten Parteien auf Akteneinsicht in alle bei der Baubehörde aufliegenden Akten betreffend zwei näher bezeichnete, unmittelbar an ihre Liegenschaft grenzende Grundstücke zurück.
Mit Bescheid vom behob die belangte Behörde den die Berufung der Mitbeteiligten abweisenden Bescheid des Gemeindevorstandes der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Beschwerdeführerin zurück.
Begründend hielt die belangte Behörde im Wesentlichen fest, dass das Recht auf Akteneinsicht einer Partei gemäß § 17 Abs. 1 AVG den Bezug zu einem bestimmten, wenn auch allenfalls abgeschlossenen Verfahren voraussetze, die mitbeteiligten Parteien entgegen den Vorgaben der Judikatur zu einer genauen Bezeichnung eines bestimmten Verfahrens im Begehren auf Akteneinsicht aber nicht nachgekommen seien. Bevor die Berufungsbehörde darüber entscheide, ob den Mitbeteiligten Parteistellung und somit Akteneinsicht zukomme, werde sie sie im fortgesetzten Verfahren gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufzufordern haben bekannt zu geben, auf welches bestimmte Baubewilligungsverfahren sich ihr Antrag auf Gewährung der Akteneinsicht beziehe.
In Beantwortung des im fortgesetzten Verfahren ergangenen Verbesserungsauftrages vom brachten die mitbeteiligten Parteien in ihrem Schreiben vom vor, dass sich das Ersuchen um Akteneinsicht auf die Baubewilligungen betreffend bestimmte im beiliegenden Lageplan markierte Gebäude auf dem näher bezeichneten Nachbargrundstück beziehe.
Mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom wurde die Berufung der mitbeteiligten Parteien abermals als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Dies begründete die Berufungsbehörde insbesondere damit, dass die gemäß § 17 Abs. 1 AVG verlangte Parteistellung nach der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) auf bestimmte Verfahren sowie Zeitpunkte (insbesondere Hinweis auf §§ 6 und 20 BO) eingeschränkt und somit nur temporär vorhanden sei, weshalb der Nachbar nach der BO auch kein Recht besitze, im Rahmen abgeschlossener Bauverfahren Akteneinsicht zu nehmen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Vorstellung der mitbeteiligten Parteien Folge gegeben, den Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit abermals zur neuerlichen Entscheidung an die beschwerdeführende Marktgemeinde zurückverwiesen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Nachbarn das Recht auf Akteneinsicht auch hinsichtlich bereits abgeschlossener Verfahren zustehe, sodass die Berufungsbehörde das Begehren schon aus diesem Grund zu Unrecht "zurückgewiesen" habe. Voraussetzung für die Gestattung der Akteneinsicht sei, dass der die Akteneinsicht begehrenden Person in dem betreffenden abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zugekommen sei, dies sei grundsätzlich in § 8 AVG im Zusammenhang mit den jeweils zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften geregelt. Weil die früheren Eigentümer und somit Rechtsvorgänger der mitbeteiligten Parteien Parteistellung in den von ihnen spezifizierten Baubewilligungsverfahren gehabt hätten, stehe auch den Mitbeteiligten das Recht auf Einsicht in die Akten zu den gegenständlichen Baubewilligungsverfahren zu. Den Bestimmungen der BO und den ihr vorangegangenen Bauordnungen ließen sich keine Einschränkungen dieses Rechtes auf Akteneinsicht entnehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet hat, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die beschwerdeführende Marktgemeinde vertritt in ihrer Beschwerde die Ansicht, dass sich aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zwar ableiten ließe, dass jemand, der im Rahmen eines Verfahrens Parteistellung gehabt habe oder gehabt hätte, auch weiterhin Akteneinsicht beanspruchen könne, auch wenn das gegenständliche Verfahren bereits abgeschlossen sei. Nach der hg. Rechtsprechung sei die Frage der Parteistellung iSd § 17 AVG aber insbesondere nach den jeweiligen Materiengesetzen zu beurteilen. Hier schränke der Landesgesetzgeber in der BO die Parteistellung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht derart ein, dass diese, sofern sie nicht vorher untergehe, spätestens mit dem verfahrensbeendenden Bescheid erlösche. Weil damit auch keine relevante Rechtsposition einer Partei mehr vorliege, könne auch nicht nachvollzogen werden, warum bei einem längst abgeschlossenen Verfahren, möglicherweise nach mehrerer Jahren, eine Akteneinsicht begehrt werden solle, die iSd § 17 AVG eben ausdrücklich eine Parteistellung als notwendige Voraussetzung vorsehe. Es gebe keine gesetzliche, rechtliche oder dogmatische Grundlage oder Forderung, jeden Nachbarn jederzeit jeden fremden Bauakt einsehen zu lassen.
2. Gemäß § 17 Abs. 1 AVG können die Parteien, soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.
3.1. Das von § 17 AVG eingeräumte subjektive Recht auf Einsicht in die Akten eines Verwaltungsverfahrens soll den Parteien die Möglichkeit geben, sich durch unmittelbaren Einblick in die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens selbst eine Meinung zu bilden und dadurch genaue Kenntnis vom Gang des Verfahrens und von den Entscheidungsgrundlagen der Behörde zu erlangen. Dieses Recht steht somit in engem Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör. Es steht nur den Parteien des Verwaltungsverfahrens, in dessen Akten Einsicht genommen werden soll, zu, auch den sogenannten übergangenen Parteien (bereits vor der Erhebung von Einwendungen, die die Wiedererlangung der Parteistellung bewirken) und Formalparteien, nicht aber den Parteien eines anderen Verfahrens, für deren Rechtsverfolgung die Einsicht in die Akten eines Verfahrens, in dem sie nicht Partei sind bzw. waren, von Bedeutung wäre. Im Hinblick auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren ist sohin Voraussetzung für die Gestattung der Akteneinsicht, dass der die Akteneinsicht begehrenden Person in dem betreffenden abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zugekommen ist. Ob einer Person in einem bestimmten Verfahren Parteistellung zukommt, regelt grundsätzlich § 8 AVG im Zusammenhang mit den jeweils zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 2012/10/0002, mit zahlreichen weiteren Nachweisen, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/01/0143).
Aus § 17 Abs. 4 AVG ergibt sich, dass die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber den Parteien eines anhängigen Verfahrens eine Verfahrensanordnung im Sinn von § 63 Abs. 2 AVG darstellt, deren Rechtswidrigkeit erst mit dem Rechtsmittel gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid geltend gemacht werden kann. Ist hingegen über das Akteneinsichtsbegehren einer Person abzusprechen, der im laufenden Verwaltungsverfahren Parteistellung nicht zukommt oder deren Parteistellung sich auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren bezogen hat, oder ist das betreffende Verwaltungsverfahren nicht mit Bescheid abzuschließen, so hat die Verweigerung der Akteneinsicht durch einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erfolgen, der im Instanzenzug bekämpft werden kann (s. hiezu für viele andere das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , mwN, sowie den hg. Beschluss vom , Zl. 2007/11/0210).
Dabei kommt das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG den Parteien eines anhängigen oder abgeschlossenen Verfahrens - unter den sonstigen Beschränkungen - unabhängig davon zu, zu welchem Zweck sie die Akteneinsicht begehrt haben. Die Partei ist daher auch nicht verpflichtet zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt. Eine Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht kann sich gemäß § 17 Abs. 1 AVG aus dem betreffenden Materiengesetz ("soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist") bzw. gemäß § 17 Abs. 3 leg. cit. zur Wahrung der dort genannten Interessen ergeben (s. hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom ).
3.2. Bei der Frage, ob Akteneinsicht in einem abgeschlossenen Verfahren gewährt wird, kommt es sohin darauf an, dass der die Akteneinsicht begehrenden Person in diesem beendeten Verwaltungsverfahren Parteistellung iSd § 8 AVG in Zusammenhalt mit allfälligen materiengesetzlichen Bestimmungen zugekommen ist oder wäre. Dass dafür die Parteistellung, wie die Beschwerdeführerin meint, das ganze nach der BO geführte Bauverfahren über bestanden haben muss, kann daraus nicht abgeleitet werden, hat der Verwaltungsgerichtshof doch vielfach auch im Falle präkludierter oder übergangener Parteien ein Recht auf Akteneinsicht angenommen (vgl. hiezu das Erkenntnis vom , Zl. 98/06/0058, sowie das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom ). Auch sonst lässt sich der BO keine über § 17 Abs. 1 AVG und die hg. Rechtsprechung hinausgehende Einschränkung des subjektiven Rechts auf Akteneinsicht entnehmen.
3.3. Anknüpfend an eine Parteistellung im abgeschlossenen Verfahren muss das Recht auf Akteneinsicht auch auf den Rechtsnachfolger des in diesem Verfahren die Parteistellung genießenden Rechtsvorgängers übergehen. Schließlich muss sich ein allfälliger Rechtsnachfolger des Grundstückseigentümers aufgrund der dinglichen Wirkung von Bescheiden, die sich auf unbewegliches Gut beziehen, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage Verfahrenshandlungen seines Rechtsvorgängers in Verwaltungsverfahren, die das Grundstück betreffen oder betroffen haben, zurechnen lassen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/05/0020, mwN).
3.3.1. Die Feststellungen hinsichtlich der Parteistellung der Rechtsvorgänger der mitbeteiligten Parteien in den Baubewilligungsverfahren betreffend die im verbesserten Antrag angesprochenen Baulichkeiten wurden von der Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt und auch nicht im hg. Beschwerdeverfahren in Abrede gestellt. Ausgehend davon hat die belangte Behörde zutreffend angenommen, dass den Mitbeteiligten bezüglich dieser Bauverfahren das Recht auf Akteneinsicht iSd § 17 AVG gewährt werden muss.
3.4. Sofern die Beschwerdeführerin abschließend geltend macht, der Mängelbehebungsauftrag vom sei nicht korrekt erfüllt worden, weil daraus der Zweck der Akteneinsicht nicht erkennbar sei, ist diesem Vorbringen abermals das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/10/0002, entgegenzuhalten, wonach die Partei nicht verpflichtet ist zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt; dort ist der Verwaltungsgerichtshof von seiner bisherigen Rechtsprechung, die Akteneinsicht müsse den Zweck verfolgen, die rechtskräftig abgeschlossene Sache weiter, etwa durch Stellung eines Wiederaufnahmeantrages, zu betreiben, ausdrücklich abgegangen.
4. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG iVm § 42 Abs. 1 VwGG idF BGBl. I Nr. 51/2012 abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am