VwGH vom 24.11.2009, 2009/21/0003

VwGH vom 24.11.2009, 2009/21/0003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des K, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-08-3062, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Verwaltungsbeschwerde gemäß § 83 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG als unbegründet abweist, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im weiteren Umfang der Feststellung nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag erfolglos die Gewährung von Asyl. Einen zweiten, am gestellten Asylantrag wies der unabhängige Bundesasylsenat mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Genannten nach Algerien zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien aus. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde mit Beschluss vom , Zl. 2009/01/0002, abgelehnt.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom hatte die Bezirkshauptmannschaft Korneuburg gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 FPG und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet.

Begründend führte sie aus, "das Asylverfahren" sei "rk. negativ abgeschlossen". Es bestehe eine durchsetzbare Ausweisung, weiters ein von der Bezirkshauptmannschaft Baden mit Bescheid vom erlassenes, bis zum befristetes Aufenthaltsverbot. Der Beschwerdeführer besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen. Seine Ausreise sei aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei. Darüber hinaus verfüge er für einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht über ausreichende Barmittel und könne auch eine rechtmäßige Beschäftigung nicht ausüben, weil er nicht im Besitz einer arbeitsmarkt- oder aufenthaltsrechtlichen Bewilligung sei. Es müssten daher für seinen weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. sei der Schluss zulässig, dass er versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen Unterhalt zu fristen. Ebenso verfüge er über keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet. Unter weiterer Würdigung der Illegalität von Einreise und Aufenthalt sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Verbleib in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt, sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Die Verhängung der Schubhaft sei somit verhältnismäßig und im Interesse des öffentlichen Wohles dringend geboten. Die Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 Abs. 1 FPG sei auszuschließen, weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, er werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren.

Auf Grund dieser Anordnung wurde der Beschwerdeführer vom 1. bis zum in Schubhaft angehalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG, "weil die Anhaltung in Schubhaft noch andauer(e)", fest, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich darauf berufen, dass ihm der erwähnte Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom noch nicht zugestellt worden und dadurch das anscheinend beendete Asylverfahren daher in Wahrheit noch anhängig sei. Zwar sei eine Hinterlegung an einer Kontaktanschrift in 1020 Wien am erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich jedoch nicht in Österreich, sondern in Abschiebehaft in Frankreich befunden. Er sei erst am nach Österreich überstellt worden. Danach habe er nicht mehr Gelegenheit gehabt, den Bescheid am Postamt zu beheben.

Der Beschwerdeführer habe, so stellte die belangte Behörde zu diesem Vorbringen fest, "im Frühjahr 2008" das Bundesgebiet verlassen und sich nach Frankreich begeben. Dort sei er seitens der französischen Behörden festgenommen und in Abschiebehaft genommen worden. Am sei seine Rückübernahme durch die Republik Österreich erfolgt. Er hätte jedoch, als er das Bundesgebiet verließ, Kenntnis von der Tatsache gehabt, dass ein Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, habe er dieses doch durch Erhebung einer Berufung selbst in Gang gesetzt. Die Tatsache, dass er die Änderung der Abgabestelle in 1020 Wien bzw. seine Abwesenheit von dieser Abgabestelle der genannten Behörde nicht mitgeteilt habe, gehe zu seinen Lasten und hätte die Behörde sogar zu einer Vorgehensweise nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz berechtigt. Der genannten Unterlassung zufolge habe der Zusteller berechtigterweise annehmen können, der Beschwerdeführer halte sich regelmäßig an der Abgabestelle auf, sodass die Zustellung durch Hinterlegung bewirkt werden könnte. Ein Zustellmangel, wie er in der Verwaltungsbeschwerde behauptet werde, liege daher nicht vor. Vielmehr sei rechtsrichtig davon auszugehen gewesen, dass die zitierte Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates vom samt der damit verbundenen Ausweisung in Rechtskraft erwachsen sei.

Die auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Verhängung der Schubhaft sei somit nicht zu beanstanden. Dazu komme, dass sich der Beschwerdeführer immer wieder von seiner Meldeadresse entfernt habe und nicht zuletzt unsteten, nicht gesicherten Aufenthaltes gewesen sei. Dies rechtfertige die Annahme, er werde sich, auf freiem Fuß belassen, dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen zu entziehen versuchen. Eine soziale oder berufliche Verankerung im Inland sei nicht gegeben, sodass auch unter Ansetzung eines strengen "ultima ratio - Maßstabes" die Schubhaft als einzig taugliches Sicherungsmittel anzusehen sei und die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 FPG ausscheide.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die am erfolgte Hinterlegung des genannten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom infolge des bis zum andauernden Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Frankreich nicht zu einer wirksamen Zustellung geführt hat.

§ 17 Abs. 1 und 3 Zustellgesetz idF der Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 lauten:

"Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

...

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte."

Unbeschadet einer Prüfung, ob die Kontaktstelle (§ 19a MeldeG) des Beschwerdeführers infolge des Fehlens eines regelmäßigen Aufsuchens bereits ihre Eigenschaft als Abgabestelle nach § 4 Zustellgesetz verloren hatte, hat der festgestellte, mehr als zwei Monate andauernde Aufenthalt in Frankreich eine Abwesenheit in einem Ausmaß begründet, das gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz Zustellgesetz eine wirksame Zustellung verhinderte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0809). Die Rückkehr des Beschwerdeführers ist auch nach Ende der Abholfrist erfolgt, sodass er das hinterlegte Dokument nicht mehr beheben konnte.

Eine auf § 8 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 Zustellgesetz (Hinterlegung ohne Zustellversuch) gegründete Zustellung scheidet entgegen der Annahme der belangten Behörde deshalb aus, weil eine solche unstrittig weder angeordnet wurde noch stattgefunden hat. Es hätte daher auch unter Hinweis auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmungen nicht von einer Wirksamkeit des Zustellversuches ausgegangen werden dürfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 95/19/0735, und vom , Zl. 2000/03/0259).

Hieraus folgt, dass die belangte Behörde nicht davon ausgehen durfte, dass das Verfahren über den vom Beschwerdeführer am gestellten Asylantrag ihm gegenüber schon rechtskräftig erledigt war. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind alle am anhängigen Asylverfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Dieses sah in der Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, die Zulässigkeit einer Schubhaft gegen Asylwerber nur nach Maßgabe seines § 34b vor (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/21/0130, und vom , Zl. 2006/21/0310, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit er die Schubhaftbeschwerde ohne derartige Prüfung gemäß § 83 FPG als unbegründet abwies, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Ein feststellender Ausspruch darüber, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, ist in § 83 Abs. 4 erster Satz FPG nur für den Fall vorgesehen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt noch andauert. Da dies vorliegend entgegen der Annahme der belangten Behörde nicht der Fall war (der Beschwerdeführer wurde bereits am enthaftet, die Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgte dagegen erst am ), hat die belangte Behörde durch ihre dennoch nach dieser Gesetzesstelle erfolgte Entscheidung eine ihr nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen. In diesem Umfang ist der angefochtene Bescheid somit mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit behaftet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am