VwGH vom 09.12.2004, 2004/14/0023
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der SA in H, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, Senat 3, vom , Zl. RV/0118-I/03, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum bis , zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid fordert die belangte Behörde im Instanzenzug Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum vom bis zurück. Dieser Rückforderung liegt unbestritten folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Beschwerdeführerin, eine philippinische Staatsbürgerin, ließ sich nach ihrer Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger im Jahr 1992 in Österreich nieder. In der Folge adoptierte der Ehemann der Beschwerdeführerin deren im Jahr 1987 geborene Tochter. Im Jahr 1992 wurde ein gemeinsamer Sohn und im Jahr 1993 eine gemeinsame Tochter geboren. In den Jahren 1998 und 1999 wohnte die Beschwerdeführerin für einige Monate in einem Frauenhaus, da ihr Ehemann sich ihr gegenüber wegen Alkoholmissbrauches äußerst aggressiv verhalten hatte. Von dort übersiedelte sie in eine eigene Wohnung in K, während ihr Ehemann getrennt von ihr in einer Wohnung in H lebte. Mit Schulschluss im Sommer 1999 reiste die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern in ihren Heimatstaat und kehrte Ende Jänner 2000 wieder nach Österreich zurück. Die behördliche Anmeldung erfolgte in der Wohnung des Ehegatten in H. Am wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin von der Gendarmerie aus der gemeinsamen Wohnung in H weggewiesen. Im November 2002 wurde die Ehe geschieden.
Die Entscheidung hinsichtlich der Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe nach § 3 Abs. 1 FLAG 1967 nicht bestehe, da die Beschwerdeführerin im zu betrachtenden Zeitraum nicht in einem länger als drei Monate andauernden Dienstverhältnis gestanden sei. Auch seien in diesem Zeitraum keine Bezüge aus einer gesetzlichen Krankenversicherung zugeflossen. Aber auch ein Anspruch nach § 3 Abs. 2 FLAG 1967 bestehe nicht. Zur Frage des danach relevanten gewöhnlichen Aufenthaltes führte die belangte Behörde aus, die Begründung bzw. Aufgabe eines solchen richte sich nicht schematisch nach der Dauer einer An- bzw. Abwesenheit. Es sei vielmehr die Verwirklichung oder Beseitigung äußerer Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine besondere (rechtliche) Verbindung einer Person mit einem Ort ausmachten, zu prüfen. Nach der Literatur liege in Bezug auf den auch im Beschwerdefall bedeutsamen § 26 BAO die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthaltes jedenfalls beim endgültigen Verlassen, bei der Ausreise, beim Abbrechen aller örtlichen Beziehungen ohne Aufrechterhaltung räumlicher Bindungen vor. Ob der Zustand der örtlichen Nahebeziehung in der Bedeutung des gewöhnlichen Aufenthaltes bei vorübergehenden, längeren oder kürzeren Abwesenheiten zu bestehen aufhöre oder in seiner raumbezogenen Wesensart aufrecht bleibe, werde danach zu beurteilen sein, ob aus den Umständen der Abwesenheit, ihrer Dauer, ihrer Wiederholung oder der Entfernung auf den Rückkehrwillen geschlossen werden könne. In Grenzfällen sei darauf abzustellen, dass für den Fall eines nur vorübergehenden Auslandsaufenthaltes gleichzeitig zu dem Ort des Inlandsaufenthaltes eine Bindung bestehe. Entscheidend sei sodann, bei welchem Aufenthaltsort die äußeren, mit dem Aufenthalt verbundenen, ihn bedingenden und formenden Umstände von größerem für die Verbundenheit der Person mit dem Ort sprechenden Gewicht seien. Mit der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthaltes werde im Regelfall ein räumliches Naheverhältnis zu Umständen und Gegebenheiten anderer Orte begründet. Wenn diese Bindungen und Beziehungen zu anderen örtlichen Gegebenheiten im höheren Ausmaß entwickelt seien, sei in aller Regel der Schluss gerechtfertigt, dass diesfalls der bisherige gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben worden sei.
Auf Grund der familiären Situation - Alkoholmissbrauch und Gewalttätigkeiten des Ehemannes - habe die Beschwerdeführerin offensichtlich bereits im Jahr 1998 den gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten aufgelöst, was in der Folge (nach einem Aufenthalt in einem Frauenhaus) auch dadurch deutlich zum Ausdruck gekommen sei, dass im Anschluss daran eine eigene Wohnung bezogen worden sei. Daraus sei aber zwingend abzuleiten, dass die Beschwerdeführerin ein Zusammenleben mit ihrem Ehegatten nicht mehr beabsichtige bzw. dieses ihr nicht mehr möglich gewesen sei. Diese Tatsache ergebe sich auch aus den Ausführungen in der Berufung, nach welchen die Beschwerdeführerin sich während dieser Zeit vor dem Ehemann habe schützen müssen, es ihr aber trotz räumlicher Trennung nicht gelungen sei, mit den Kindern in Ruhe zu leben. Deshalb habe sie sich im strittigen Zeitraum von Juli 1999 bis Jänner 2000 in ihrem Elternhaus in ihrem Heimatstaat niedergelassen.
Daraus ergebe sich aber weiter, dass sie nach den äußeren Umständen (Aufgabe der bis dahin benützten Wohnung, Vermeidung eines Kontaktes mit ihrem Ehemann, offensichtliche Gefährdung durch den Ehemann, keine Anmeldung an einem anderen inländischen Ort) jedenfalls ihre räumliche Nahebeziehung zum Inland abgebrochen und derartige Bindungen und Beziehungen in einem anderen Staat (in ihrem Heimatstaat, Wiedereingliederung in die "eigene" Familie, Ansässigkeit in ihrem Elternhaus) begründet habe, welche zweifellos als größer anzusehen seien, als jene, die zu diesem Zeitpunkt zu Österreich bestanden hätten. Aus diesen äußeren Umständen lasse sich in Übereinstimmung mit der oben dargestellten Literaturmeinung, welche auch auf der Judikatur der Höchstgerichte beruhe, nur der Schluss ableiten, dass mit der Ausreise aus Österreich auch der gewöhnliche Aufenthalt in Österreich beendet und ein solcher im Heimatstaat begründet worden sei. Dass es dem Ehemann anlässlich eines Besuches im Heimatstaat der Beschwerdeführerin im Dezember 1999 gelungen sei, sie davon zu überzeugen, dass sie zu ihm zurückkehre, ändere nichts an dieser Einschätzung, ja werde diese sogar noch bestärkt, weil dadurch erneut zum Ausdruck komme, dass eine (frühere) Rückkehr überhaupt nicht geplant oder fixiert gewesen sei. Mit der geschilderten Sachverhaltsannahme stehe die nunmehr entscheidende Behörde im (teilweisen) Widerspruch zu den Ausführungen des rechtlichen Vertreters der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag. Diese vermöchten jedoch unter Betrachtung des unstrittigen Sachverhaltes aus näher angeführten Gründen nicht zu überzeugen. Auf Grund der objektiv feststellbaren Sachverhaltselemente gehe eindeutig hervor, dass die Ausreise aus Österreich auf unbestimmte Zeit erfolgt sei und eine Rückkehr zu diesem Zeitpunkt (auf Grund der familiären und wohl auch finanziellen Umstände) gar nicht, wenn aber doch, dann erst zu einem Zeitpunkt ins Auge gefasst worden sei, zu dem der Ehemann seine Alkoholerkrankung überwunden gehabt hätte. Zuletzt wies die belangte Behörde darauf hin, dass auch die in § 3 Abs. 3 FLAG normierte Voraussetzung im Beschwerdefall mangels eines nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen Fall erforderlichen gemeinsamen Haushaltes nicht erfüllt sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben gemäß § 3 Abs. 1 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen; kein Anspruch besteht jedoch, wenn die Beschäftigung nicht länger als drei Monate dauert. Kein Anspruch besteht außerdem, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstößt.
Gemäß § 3 Abs. 2 FLAG gilt Abs. 1 nicht für Personen, die sich seit mindestens sechzig Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalten, sowie für Staatenlose und für Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom , BGBl. Nr. 55/1955, und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974.
Ist der Elternteil, der den Haushalt überwiegend führt (§ 2a Abs. 1), nicht österreichischer Staatsbürger, genügt nach § 3 Abs. 3 FLAG für dessen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn der andere Elternteil österreichischer Staatsbürger ist oder die Voraussetzungen nach Abs. 1 oder 2 erfüllt.
In der Beschwerde wird zunächst die Ansicht der belangten Behörde gerügt, die Übersiedlung der Beschwerdeführerin ins Frauenhaus (im Jahr 1998) sei als Verlassen des gemeinsamen Haushaltes zu betrachten, weil die Haushaltszugehörigkeit von Kindern zu ihren Müttern bei einem Aufenthalt in einem Frauenhaus nicht zu verneinen ist. Mit dieser Rüge zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides schon deshalb nicht auf, weil die belangte Behörde im Beschwerdefall eine Haushaltszugehörigkeit der Kinder zu ihrer Mutter nie in Zweifel gezogen, sondern vielmehr gemeint hat, dass die Beschwerdeführerin den gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann mit der Übersiedlung ins Frauenhaus aufgegeben habe.
In Bezug auf § 3 Abs. 2 FLAG trifft es zu, dass der dort verwendete Begriff des "ständigen Aufenthaltes" dem Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne des § 26 BAO entspricht. Nach § 26 Abs. 2 BAO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Um einen gewöhnlichen Aufenthalt aufrecht zu erhalten, ist aber keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen sind, unterbrechen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 98/15/0025). Die belangte Behörde hat zutreffend ausgeführt, dass die Frage, ob der Zustand der örtlichen Nahebeziehung in der Bedeutung des längeren Aufenthaltes bei vorübergehenden, längeren oder kürzeren Abwesenheiten zu bestehen aufhört oder in seiner raumbezogenen Wesensart aufrecht bleibt, danach zu beurteilen sein wird, ob aus den Umständen der Abwesenheit, ihrer Dauer, ihrer Wiederholung und der Entfernung, somit aus den Umständen des Einzelfalles auf den Rückkehrwillen geschlossen werden könne.
Diese Umstände des Einzelfalles hat die belangte Behörde im Beschwerdefall aber nicht ausreichend berücksichtigt, wenn sie letztlich zur Ansicht gelangt, dass die Beschwerdeführerin insbesondere aus den in der Berufung angeführten Gründen, wonach sie sich im Zeitraum Juli 1999 bis Anfang Jänner 2000 mit ihren Kindern in ihrem Elternhaus niedergelassen habe, weil sie sich habe schützen müssen, es ihr aber trotz räumlicher Trennung nicht gelungen sei, mit den Kindern in Ruhe zu leben, ihre räumliche Nahebeziehung zum Inland abgebrochen und derartige Bindungen und Beziehungen in einem anderen Staat begründet habe, welche "zweifellos" als größer anzusehen seien als jene, die zu diesem Zeitpunkt zu Österreich bestanden hätten. Die Überlegungen sind sicherlich von einigem Gewicht, dennoch aber unzureichend, um den Spruch des angefochtenen Bescheides zu tragen. Sie berücksichtigen insbesondere nicht, dass die Bindungen der Beschwerdeführerin zu Österreich allein durch die Flucht vor den Folgen der Alkoholkrankheit ihres Ehemannes nicht in einer Weise beendet wurden, die es erlaubten, auch von einer Beendigung des gewöhnlichen Aufenthaltes in Österreich auszugehen. Insbesondere mit dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin damals noch in aufrechter Ehe zu ihrem Ehemann lebte, sie im Jänner 2000 zu diesem nach Österreich zurückkehrte und bis zu seiner Wegweisung durch die Gendarmerie im November 2001 mit diesem zusammenlebte, aber auch, dass ihre Kinder österreichische Staatsbürger waren, setzte sich die belangte Behörde nicht auseinander. Ausdrücklich eingeräumt wird von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass zum Zeitpunkt der Abreise aus Österreich möglicherweise die Hoffnung bestanden habe, dass der Ehemann seine Alkoholkrankheit "kurieren könne und eine Rückkehr irgendwann" möglich sein würde. Dazu hätte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin befragen müssen.
Im Übrigen mag es zutreffen, dass der Beschwerdeführerin in den Jahren 1998 und 1999, nach ihrer Übersiedlung in ein Frauenhaus, ein Zusammenleben mit ihrem Ehemann nicht möglich war, oder sie ein solches damals auch nicht mehr beabsichtigt hat. Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass die Beschwerdeführerin keine Bindungen zu Österreich hatte, die ihre Bindungen an den Staat, dessen Bürgerin sie war, überstiegen hätten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern auch nach ihrer Scheidung von ihrem Ehemann in Österreich verblieben ist.
Der angefochtene Bescheid erweist sich durch die aufgezeigten Mängel als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am