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VwGH vom 18.12.2008, 2007/15/0151

VwGH vom 18.12.2008, 2007/15/0151

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der K in E, vertreten durch die Sachwalterin DSA Ursula Endl, diese vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in 3910 Zwettl, Landstraße 52, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/0536-W/07, betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab Mai 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am geborene Beschwerdeführerin beantragte im Mai 2006 durch ihre Sachwalterin die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe. Dem Antrag angeschlossen war u.a. eine amtsärztliche Bescheinigung vom September 2001, wonach die Beschwerdeführerin von Geburt an behindert sei und der Grad der Behinderung 70% betrage; die Beschwerdeführerin sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Finanzamt wies den Antrag als unbegründet ab. Die Beschwerdeführerin sei ab ihrem 16. Lebensjahr - mit saisonbedingten Unterbrechungen - bis 1988 in einem landwirtschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen. Seit Juni 1989 beziehe sie eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Da eine mehrjährige Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Annahme entgegenstehe, das Kind sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, könne der Antrag nicht positiv erledigt werden. Aus Gründen der Verwaltungsökonomie werde auf die Einholung eines Gutachtens des Bundessozialamtes zur Frage verzichtet, ob aus medizinischer Sicht eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Denn ein derartiges Gutachten könne die Tatsache der jahrelangen Erwerbstätigkeit nicht widerlegen.

In der dagegen erhobenen Berufung wurde den Ausführungen des Finanzamtes erwidert, dass die angesprochenen Versicherungszeiten aus einer Beschäftigung erworben worden seien, welche auf einem besonderen Entgegenkommen des Arbeitsgebers beruht habe. Die Beschwerdeführerin sei "praktisch wie ein Familienmitglied behandelt" worden und werde auch heute noch von ihrem ehemaligen Arbeitgeber unterstützt. Auf Grund ihrer angeborenen schweren geistigen Behinderung sei die Beschwerdeführerin niemals imstande gewesen, einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewertbaren Beschäftigung nachzugehen. Dieser Umstand werde durch die Zuerkennung einer Waisenpension und das dem Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters zu Grunde liegende Sachverständigengutachten bestätigt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung nach Einholung eines Gutachtens des Bundessozialamtes vom als unbegründet ab. Die Beschwerdeführerin sei seit ihrer Geburt geistig behindert. Sie habe nur die Volksschule besucht und sei bis zu ihrer Pensionierung als landwirtschaftliche Hilfskraft tätig gewesen. Seit September 2001 erhalte sie nach ihrem im Jahr 1981 verstorbenen Vater eine Waisenpension, daneben beziehe sie eine Eigenpension samt Ausgleichszulage und Pflegegeld. Laut dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom betrage der Grad der Behinderung 50%. Die Einschätzung des Grades der Behinderung sei mit vorgenommen und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt worden.

Laut Versicherungsdatenauszug sei die Beschwerdeführerin vom

16. bis zum 21. Lebensjahr ca. drei Jahre und von 1961 bis 1988 - mit zwischenzeitiger saisonbedingter Arbeitslosigkeit - weitere zwölf Jahre berufstätig gewesen. Die von ihr bezogenen Einkünfte hätten mit Ausnahme der Jahre 1974, 1984 und 1985 den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprochen. Schon "dies" spreche gegen den von der Sachwalterin der Beschwerdeführerin vertretenen Standpunkt, die Beschwerdeführerin sei auf Grund ihrer angeborenen schweren geistigen Behinderung niemals imstande gewesen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Beschäftigung nachzugehen. In der Berufung sei nicht behauptet worden, dass der Arbeitgeber keinerlei Gegenleistung der Beschwerdeführerin erwartet hätte. Vielmehr könne nach der Aktenlage als erwiesen angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin im landwirtschaftlichen Betrieb adäquat ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten beschäftigt worden sei. Auch bestehe keine Bindungswirkung an das Verfahren, das zur Zuerkennung einer Waisenpension geführt habe.

Das vom Finanzamt auf Grund seiner Verpflichtung nach § 8 Abs. 6 FLAG im Wege des Bundessozialamtes eingeholte ärztliche Gutachten nehme eine rückwirkende Einschätzung des Grades der Behinderung erst ab vor. Somit könne auch unter diesem Aspekt angenommen werden, dass die dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, jedenfalls nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Im Beschwerdefall ist ausschließlich strittig, ob die Beschwerdeführerin iSd § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 infolge einer vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 leg.cit. in der - von der belangten Behörde bereits anzuwendenden - Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das danach abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 700/07, und die hg. Erkenntnisse vom , 2003/14/0105, und vom , 2003/13/0123) hat sich darauf zu erstrecken, ob die Beschwerdeführerin wegen einer vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall offenbar nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Darüber gibt das vorliegende Gutachten vom keine Auskunft.Das Gutachten spricht lediglich über den Zeitraum ab ab. Die belangte Behörde hat das Gutachten nicht ergänzen lassen, weil die von der Beschwerdeführerin erworbenen Versicherungszeiten als landwirtschaftliche Hilfskraft "eindeutig" gegen eine bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sprechen würden. Diesen von der belangten Behörden ins Treffen geführten Umständen kommt aber nach dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 6 in der angeführten Fassung des FLAG 1967 keine Beweiskraft zu. Die im angefochtenen Bescheid zitierte Judikatur, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, widerlege, hat im Rahmen der durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 2002/105, geschaffenen neuen Rechtslage (somit ab ) keinen Anwendungsbereich mehr (vgl. aus jüngster Zeit das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0019).

Das der belangten Behörde vorliegende Gutachten ist unter dem aufgezeigten Aspekt nicht nur ergänzungsbedürftig, sondern auch in sich widersprüchlich. Es bescheinigt der Beschwerdeführerin zum einen, dass ihr "Leiden" (die näher beschriebene geistige Behinderung) seit Geburt bestehe und ein Dauerzustand vorliege. Andererseits enthält das Gutachten aber auch die vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbare Aussage, dass "die rückwirkende Einschätzung des Grades der Behinderung ...(offenbar gemeint: erst)... ab 2001-05-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich" sei. Diese Aussage wird umso unverständlicher als sich unter der Überschrift "relevante vorgelegte Befunde" die Anmerkung "keine" findet. Das eingeholte Gutachten des zuständigen Bundesamtes vom ist daher nicht geeignet, die Annahme der belangten Behörde zu stützen, dass die Unfähigkeit der Beschwerdeführerin, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei.

Der angefochtene Bescheid ist demnach mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am