VwGH vom 19.10.2012, 2012/02/0090
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Ing. E in B, vertreten durch Dr. Martin Schober, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom , Zl. Senat-WB-10-1084, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Bestrafung nach § 7 Bauarbeitenkoordinationsgesetz (Spruchpunkte 1, 2, 3, 4, 5, 8 und 9 des Straferkenntnisses vom ) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
II. Im Übrigen (hinsichtlich der Bestrafung gemäß § 5 BauKG (Spruchpunkte 6 und 7 des Straferkenntnisses vom )) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der BH W vom wurde dem Beschwerdeführer als zur Vertretung nach außen berufenem handelsrechtlichen Geschäftsführer der B GmbH, zum Tatzeitpunkt Planungs- und Baustellenkoordinator und Projektleiter der Baustelle in W, vorgeworfen nicht dafür gesorgt zu haben, dass ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SIGE-Plan) gemäß § 7 Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) ausgearbeitet worden sei, der den in § 7 Abs. 3 Z. 1, 3, 5, 6 und 7 BauKG angeführten Anforderungen entspreche, wobei der Umfang der Arbeiten 500 Personentage überstiegen habe (Spruchpunkte 1 bis 5), wofür der Beschwerdeführer mit einer Geldstrafe von jeweils EUR 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 24 Stunden) bestraft wurde. Weiters seien die Umsetzung der allgemeinen Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG (§ 5 Abs. 1 Z 1 BauKG) sowie die Umsetzung der für die betreffende Baustelle geltenden Bestimmungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (§ 5 Abs. 1 Z 2 BauKG) nicht koordiniert worden (Spruchpunkte 6 und 7), wofür der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von jeweils EUR 750,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 36 Stunden) verurteilt wurde. Schließlich habe der Beschwerdeführer bei der Baustelle, deren Arbeitsumfang 500 Personentage überstiegen habe, eine Vorankündigung entgegen § 6 Abs. 3 BauKG nicht sichtbar auf der Baustelle ausgehängt (Spruchpunkt 8) und entgegen § 7 Abs. 7 BauKG nicht dafür gesorgt, dass die betroffenen Arbeitgeber, deren Präventivfachkräfte und Arbeitnehmer sowie die auf der Baustelle tätigen Selbständigen Zugang zum SIGE-Plan gehabt hätten (Spruchpunkt 9), wofür über den Beschwerdeführer wiederum eine Geldstrafe von je EUR 750,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 36 Stunden) verhängt wurde. Die Gesamtstrafe betrug demnach EUR 5.500,--.
In der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung sowie in der im Berufungsverfahren eingebrachten Stellungnahme vom wandte sich der Beschwerdeführer insbesondere gegen die Annahme der belangten Behörde, die Arbeiten an der konkreten Baustelle hätten den Umfang von 500 Personentagen überstiegen. Für das gesamte Projekt sei eine Arbeitszeit von 73 Tagen und 424 Personentagen vorgesehen gewesen, was dann auch umgesetzt worden sei. Es habe weitere Arbeiten an der Baustelle gegeben, die jedoch mit den Aufträgen an die B GmbH nichts zu tun gehabt hätten. Die B GmbH habe lediglich die vertraglich mit dem Eigentümer und der S AG im "Anmietvertrag vom " vereinbarten Arbeiten durchgeführt, wie sich auch aus dem Bauzeitplan ergebe.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.
In der Begründung gab die belangte Behörde den Verfahrensgang kursorisch wieder und stellte fest, dass sich auf Grund der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen ergebe, dass an der in Rede stehenden Baustelle als Umfang der Arbeiten 424 Personentage nachgewiesen worden seien. Des Weiteren seien dieser Zahl an Personentagen die nicht übermittelten bzw. nicht bekanntgegebenen oder berücksichtigten zusätzlichen Arbeitstage für den betreffend Firma U GmbH dazuzurechnen, wo an diesem Tag in der Zeit von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr zwecks Abschlussarbeiten dieser Bauarbeiten die an der Örtlichkeit liegende F Gasse in W halbseitig gesperrt habe werden müssen und in dieser Zeit sechs Arbeitnehmer des genannten Unternehmens tätig gewesen seien. Dazuzurechnen seien auch Personentage für das Einrichten von Bauwerken; Reinigungsarbeiten seien als Abschlussarbeiten anzusehen und bei der Berechnung der Anzahl der Personentage zu berücksichtigen und aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Bauablauf- und Einsatzplan ersichtlich. Weiter heranzuziehen seien auch die mit 20 Tagen ausgewiesenen Ausbauleistungen des Gewerkes. Sohin übersteige der Umfang der Arbeiten 500 Personentage.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass sich diese mit der für das Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit erhobene Feststellung einerseits aus den seitens des Beschwerdeführers übermittelten Unterlagen und den vom Arbeitsinspektorat nachgewiesenen zusätzlichen Arbeitstagen ergebe und es sei im Zuge einer einfachen Rechenoperation, Zusammenzählen dieser Personentage schlüssig, dass die für den erstellten SIGE-Plan relevanten 500 Personentage überschritten worden seien. Die vom Beschwerdeführer nur Tage vor dem Eintritt der Verjährung gestellten umfangreichen Beweisanträge seien nicht geeignet zu einer für den Beschwerdeführer günstigen Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage zu führen, da sich der erkennende Senat ein klares Bild über die wesentlichen Sachverhaltselemente habe machen können, insbesondere über den Umfang der Bauarbeiten, der 500 Personentage übersteige. Dies auch im Hinblick auf die Größe und den Umfang der Baustelle und auch im Hinblick auf den Umstand, dass offenbar der Beschwerdeführer selbst durch den erstellten SIGE-Plan von einem Umfang der Arbeiten von mehr als 500 Personentagen ausgegangen sei und es sei völlig lebensfremd, dass bei einem solchen Bauvorhaben bzw. dem Umfang und der Lage der Baustelle ein wesentliches Unterschreiten der veranschlagten erforderlichen Personentage möglich sei. Dahingehendes Vorbringen sei als unglaubwürdige Schutzbehauptung zu qualifizieren.
In rechtlicher Hinsicht komme auf Grund des Überschreitens von 500 Personentagen die Bestimmung des § 7 BauKG zu tragen. Darauf basierend seien vom Beschwerdeführer die in verjährungsunterbrechender Form angelasteten Übertretungen verwirklicht worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zu I.:
Gemäß § 1 Abs. 1 BauKG soll dieses Bundesgesetz Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen durch die Koordinierung bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauarbeiten gewährleisten.
Nach § 2 Abs. 3 leg. cit. sind Baustellen im Sinne dieses Bundesgesetzes zeitlich begrenzte und ortsveränderliche Baustellen, an denen Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt werden.
Der Baustellenkoordinator hat nach § 5 Abs. 1 BauKG die Umsetzung der allgemeinen Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG bei der technischen und organisatorischen Planung, bei der Einteilung der Arbeiten, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden, bei der Abschätzung der voraussichtlichen Dauer für die Durchführung dieser Arbeiten sowie bei der Durchführung der Arbeiten (Z 1 ) sowie die Umsetzung der für die betreffende Baustelle geltenden Bestimmungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (Z 2) zu koordinieren.
Der Bauherr hat eine Vorankündigung zu erstellen für Baustellen, bei denen voraussichtlich die Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf denen mehr als 20 Arbeitnehmer gleichzeitig beschäftigt werden (§ 6 Abs. 1 Z 1 BauKG) oder deren Umfang 500 Personentage übersteigt (Z 2 leg. cit.).
Weiter hat der Bauherr dafür zu sorgen, dass vor Eröffnung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird für Baustellen, für die eine Vorankündigung gemäß § 6 erforderlich ist und für Baustellen, auf denen Arbeiten zu verrichten sind, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind (§ 7 Abs. 1 BauKG).
§ 7 Abs. 3 BauKG lautet:
"Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan muss beinhalten:
1. die zur Festsetzung von Schutzmaßnahmen für die jeweilige Baustelle erforderlichen Angaben über das Baugelände und das Umfeld der Bauarbeiten, insbesondere auch über mögliche Gefahren im Bereich des Baugrundes;
2. eine Auflistung aller für die Baustelle in Aussicht genommenen Arbeiten gemäß § 2 Abs. 3 zweiter Satz (wie zB Erdarbeiten, Abbrucharbeiten, Bauarbeiten im engeren Sinn, Malerarbeiten) unter Berücksichtigung ihres zeitlichen Ablaufs;
3. die entsprechend dem zeitlichen Ablauf dieser Arbeiten und dem Baufortschritt jeweils festgelegten Schutzmaßnahmen sowie baustellenspezifische Regelungen unter Hinweis auf die jeweils anzuwendenden Arbeitnehmerschutzbestimmungen;
4. die erforderlichen Koordinierungsmaßnahmen, Schutzmaßnahmen und Einrichtungen zur Beseitigung bzw. Minimierung der gegenseitigen Gefährdungen, die durch das Miteinander- oder Nacheinanderarbeiten entstehen oder entstehen können;
5. die Schutzeinrichtungen und sonstigen Einrichtungen, die für gemeinsame Nutzung auf der Baustelle geplant sind bzw. zur Verfügung gestellt werden;
6. Maßnahmen bezüglich der Arbeiten, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind;
7. die Festlegung, wer für die Durchführung der in Z 3 bis 6 genannten Maßnahmen auf der Baustelle jeweils zuständig ist."
Strittig ist im vorliegenden Fall hinsichtlich der in den Spruchpunkten 1 bis 5 sowie 8 und 9 des von der belangten Behörde übernommenen Straferkenntnisses vom ausgesprochenen Bestrafungen der Umfang der Baustelle gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 BauKG.
Bei der Beurteilung des Umfanges einer Baustelle nach § 6 Abs. 1 Z 2 BauKG handelt es sich schon dem Wortlaut nach um eine ex-ante Einschätzung ("voraussichtlich 500 Personentage übersteigt"), die der Bauherr anzustellen hat. Diese Regelung kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn schon vor Einrichtung einer Baustelle eine Verpflichtung zur Erstellung einer Vorankündigung und eines SIGE-Planes besteht. Bei einer Beurteilung des Baustellenumfanges erst nach Beendigung des Baustellenbetriebes wird dem Arbeitnehmerschutz, den diese Bestimmungen im Auge haben, nicht entsprochen. Nur wenn eine ex-ante Betrachtung eine Überschreitung des maßgeblichen Umfanges der Baustelle ergibt, ist eine Vorankündigung gemäß § 6 BauKG sowie - von hier nicht interessierenden anderen Fällen abgesehen - die Erstellung eines SIGE-Planes vorgeschrieben und eine Bestrafung zulässig, weil der SIGE-Plan nicht den arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen entsprochen hat.
Der Beschwerdeführer hat mehrfach im Verfahren vorgebracht, dass für das gesamte Projekt 424 Personentage vorgesehen gewesen und auch eingehalten worden seien. Die von der belangten Behörde nachträglich herangezogenen Arbeiten seien anderen Gewerken bzw. anderen Unternehmen zuzuordnen.
Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt, sondern ist von dem tatsächlich durchgeführten, von ihr berechneten Arbeitsumfang ausgegangen. Der tatsächliche Arbeitsumfang mag ein Indiz für die Plausibilität einer ex-ante vorgenommenen Einschätzung sein, darf allerdings nicht für die Beantwortung der Frage herangezogen werden, ob eine Vorankündigung bzw. ein SIGE-Plan ausgearbeitet hätte werden müssen.
Die belangte Behörde hätte demnach in einer - aus der Sicht des Bauherrn vor der Vorankündigung anzustellenden - (fiktiven) Vorausschau beurteilen müssen, ob die konkrete Baustelle voraussichtlich 500 Personentage übersteigen wird. Der angefochtene Bescheid ist demnach hinsichtlich der genannten Spruchpunkte 1, 2, 3, 4, 5, 8 und 9 (des Straferkenntnisses vom ) schon deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde der Bestrafung zu Grunde gelegt hat, dass der Umfang der Baustelle auf Grund nachträglich angestellter - im Übrigen nicht konkret dargestellter und daher nicht nachvollziehbarer - Berechnungen 500 Personentage überstiegen habe, somit eine ex-post Betrachtung angestellt hat. Dem gegenüber kommt es entscheidend darauf an, ob die vom Beschwerdeführer projektierten 424 Personentage eine Entsprechung im Umfang der Planung des konkreten Bauprojektes gefunden hat ("vorrausichtlich").
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid im genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Für das weitere Verfahren ist anzumerken, dass zunächst die Frage zu klären sein wird, ob der Umfang der Baustelle im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 2 BauKG nach einer aus der Sicht des Bauherrn vorzunehmenden Vorausschau 500 Personentage voraussichtlich überstiegen hätte. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird die belangte Behörde - anders als im ersten Rechtsgang lediglich durch spruchmäßige Wiedergaben - in der Begründung des Bescheides konkrete Feststellungen zu treffen haben, die eine Überprüfung im Hinblick auf die von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmungen zulassen.
Zu II.:
Zu den Spruchpunkten 6 und 7 des von der belangten Behörde dahingehend übernommenen Straferkenntnisses hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht konkret Stellung genommen. Für die Verwirklichung dieser Tatbestände war es auch ohne Belang, welchen Umfang die Baustelle hatte. Die Beschwerde war diesbezüglich daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. Nr. 455. Das über den Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand hinaus gehende Mehrbegehren war mangels gesetzlicher Grundlage abzuweisen.
Wien, am