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VwGH vom 30.06.2016, Ra 2015/21/0068

VwGH vom 30.06.2016, Ra 2015/21/0068

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision der Z R in K, geboren am , vertreten durch Dr. Alexander Thomas, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Freyung 4/13-14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W105 2010791- 1/2E, betreffend Versagung eines Visums nach § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine Staatsangehörige von Afghanistan und stellte am persönlich bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (im Folgenden: Botschaft) - bezogen auf ihren in Österreich befindlichen Ehemann, der hier subsidiären Schutz genießt - einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005.

2 Mit Bescheid vom wies die Botschaft diesen Antrag ab, weil das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mitgeteilt habe, dass eine Gewährung desselben Schutzes wie der Bezugsperson als nicht wahrscheinlich einzustufen sei; die Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson habe nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden, weshalb die Revisionswerberin nicht als (von § 35 AsylG 2005 erfasste) Familienangehörige gelte.

3 Die Revisionswerberin erhob Beschwerde. In dieser brachte sie vor, sie habe ihren Ehemann am (gemeint: 2003) in Afghanistan geheiratet und nach der Hochzeit ca. einen Monat mit ihm im gemeinsamen Haushalt zusammengelebt. Im Dezember 2003 habe der Ehemann "auf Grund seiner Probleme" Afghanistan verlassen müssen. 2010 sei er schließlich nach Österreich gelangt, wo ihm letztlich seitens des Asylgerichtshofes mit Erkenntnis vom subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Mittlerweile sei seine befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert worden. Davon ausgehend könne nicht nachvollzogen werden, weshalb das BFA mitgeteilt habe, "dass die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen betreffend Familieneigenschaft nicht vorliegen".

4 Die Botschaft wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG ab, weil eine Überprüfung der Wahrscheinlichkeitsprognose nach negativer Mitteilung des BFA nicht in Betracht komme. Daraufhin stellte die Revisionswerberin einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

5 Mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis vom wies auch das BVwG die Beschwerde gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab. Außerdem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Revisionsbeantwortung seitens der Botschaft erwogen:

6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

7 Das BVwG ging davon aus, es sei wie die Botschaft an die negative Wahrscheinlichkeitsbeurteilung des BFA gebunden. Das ist indes nicht der Fall.

8 In seinem Erkenntnis vom , Ro 2015/18/0002, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang Folgendes ausgeführt (Rz 32 f des genannten Erkenntnisses):

"Problematisch wäre hingegen, die Entscheidung über den Einreisetitel nach § 35 AsylG 2005 an eine Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes zu binden, die im Visaverfahren vom Antragsteller nicht effektiv in Frage gestellt werden kann und keiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterläge.

Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde in § 9 Abs. 3 FPG jedoch für Fremde (ohne Unterschied) die Möglichkeit geschaffen, gegen ablehnende Entscheidungen der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten Beschwerde an das BVwG zu erheben; dies gilt auch für die Ablehnung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005. Das Gesetz sieht nun ein geschlossenes Rechtsschutzsystem vor, in dem das Zusammenwirken zweier Behörden (der unmittelbaren Bundesverwaltung), wie es in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnet wird, vor einem gemeinsamen, zuständigen Verwaltungsgericht, nämlich dem BVwG, angefochten und dort überprüft werden kann. Dabei steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, was voraussetzt, dass das BFA seine Mitteilung auch entsprechend begründet und dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, davon Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung nehmen zu können. Wird dieses Parteiengehör nicht gewährt, könnte einem bestreitenden Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerde an das BVwG gegen eine abweisende Entscheidung in Bezug auf den Einreisetitel nach § 35 AsylG 2005 das Neuerungsverbot nach § 11a Abs. 2 FPG nicht entgegen gehalten werden.

Hinzu kommt, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung - wie das BFA in der Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt - bereits wiederholt gefordert hat, im Visaverfahren nach § 35 AsylG 2005 auch die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. , und vom , E 1510- 1511/2015-15)."

9 Gemäß diesen Überlegungen unterliegt also die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung des BFA, wenn gegen einen Bescheid nach § 35 AsylG 2005 Beschwerde erhoben wird, im Rahmen des § 27 VwGVG einer Überprüfung durch das BVwG. Das hat zuletzt auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , E 1526/2015, unter Punkt III.6. der Entscheidungsgründe zum Ausdruck gebracht, wo er festhielt, dass das BVwG nicht an die Feststellungen des BFA gebunden sei und Ermittlungen zur Frage der auch dort fraglichen Eheschließung unterlassen habe.

10 Argumente, die zu einer anderen Sichtweise führen könnten, vermochten weder das BVwG noch die Botschaft in ihrer Revisionsbeantwortung aufzuzeigen. Insbesondere lässt sich aus dem Umstand, dass das BVwG (grundsätzlich) "in der Sache selbst" zu entscheiden hat, nichts gewinnen, kann doch die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung seitens des BFA zwanglos als Teil der "Sache" verstanden werden.

11 Ergebnis ist, dass sich das BVwG nicht auf die negative Wahrscheinlichkeitsbeurteilung seitens des BFA hätte zurückziehen dürfen. Vielmehr wäre es gehalten gewesen, inhaltlich auf die in der Beschwerde aufgestellten Behauptungen über die Eheschließung der Revisionswerberin einzugehen und davon ausgehend selbst eine Einschätzung über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung desselben Schutzes wie der Bezugsperson vorzunehmen. Da es das unterlassen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

12 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das die Umsatzsteuer und ERV-Gebühren betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese Positionen im Pauschalbetrag nach der genannten Verordnung bereits enthalten sind.

Wien, am