VwGH vom 20.12.2006, 2004/08/0247
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2005/08/0187 E
2005/08/0154 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des A in S, vertreten durch Dr. Herbert Heigl, Rechtsanwalt in 4614 Marchtrenk, Linzerstraße 11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt. 4/12841892/2004-10, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im vorgelegten Verwaltungsakt findet sich folgender den Beschwerdeführer betreffende automationsunterstützt angefertigte Text vom :
"Anlass des Beratungsgespräches ist die Zuweisung zu In Takt die aus folgenden Gründen erforderlich ist. Die Maßnahme ist geeignet (den Beschwerdeführer) bei der Anpassung des Verhaltens an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes zu unterstützen und bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu helfen. (Den Beschwerdeführer) in Kenntnis gesetzt dass die Zuweisung zu I Takt in Absprache mit ... erfolgt. Daraufhin verlässt Kunde ... das Büro und meint dass ... er mit dem AMS nichts mehr zu tun haben will. Eine weiteres Gespräch war dann nicht mehr möglich ebenso konnte das INFO Gespräches nicht zur Gänze in Kenntnis gebracht werden. (Den Beschwerdeführer) rsa über Termin zum Erstgespräch bei Intakt 10:00 Uhr in Kenntnis gesetzt."
Einem automationsunterstützt angefertigten Text vom zufolge ist der Beschwerdeführer an diesem Tag zum Informationstermin bei "Intakt" nicht gekommen.
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wels vom wurde der Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für den Zeitraum von 30. Juli bis zum ausgesprochen und begründend angeführt, der Beschwerdeführer habe die Teilnahme an der Aktivierungsmaßnahme "Intakt" verweigert.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, das vom Arbeitsmarktservice verfügte Arbeitstraining widerspreche den rechtspolitischen Zielsetzungen. Nach den hier anzuwendenden Bestimmungen des Überbrückungshilfegesetzes sei ein Leistungsentzug nicht zulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben und begründend folgenden Sachverhalt festgestellt:
"Das Arbeitsmarktservice Wels hat Ihnen am den Auftrag erteilt, an der Aktivierungsmaßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beim INTAKT in Wels teilzunehmen. Ihre persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung am Arbeitsmarkt sind nicht mehr ausreichend. Das haben die bisherigen Vermittlungsversuche gezeigt. Als Beginn der Maßnahme war der vorgesehen.
Zur Aufnahme einer Niederschrift sind sie trotz nachweislicher Aufforderung nicht erschienen."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nicht begründet, warum er an der Maßnahme nicht habe teilnehmen wollen. Er wäre verpflichtet gewesen, an einer verbindlich angebotenen und zumutbaren Schulungsmaßnahme teilzunehmen. Der Beschwerdeführer habe durch die Weigerung, an der Maßnahme teilzunehmen, die für den Leistungsbezug notwendige Voraussetzungen der Arbeitswilligkeit nicht gezeigt. Vom bis zum sei bereits eine Sanktion verhängt worden, weshalb der Ausschlusszeitraum nunmehr acht Wochen betrage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 28/2004 hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, 2. die Anwartschaft erfüllt und 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.
Nach Abs. 2 leg. cit. steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
Arbeitsfähig ist nach § 8 Abs. 1 AlVG, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.
Der Arbeitslose ist, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld (§ 8 Abs. 2 AlVG).
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 77/2004 ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Nach § 10 Abs. 1 AIVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 77/2004 verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AIVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Aus mehreren beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen und auch schon abgeschlossenen, alle den Beschwerdeführer betreffenden Verfahren und aus den dabei vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich Folgendes:
Der im Jahre 1944 geborene Beschwerdeführer wurde aus dem Schuldienst entlassen und hat im Jahr 1984 und danach seit dem Jahr 1990 - soweit überblickbar durchgehend - Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen.
Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer in den letzten beiden Jahren wiederholt Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit der Begründung zugewiesen, seine persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung am Arbeitsmarkt seien nicht mehr ausreichend. Der Beschwerdeführer hat die Teilnahme daran jeweils im Wesentlichen mit dem Argument verweigert, die Maßnahmen hätten nicht zum Ziel bzw. seien nicht geeignet, eine Wiedereinstellung in den Schuldienst herbeizuführen. Auf Grund der Weigerungen des Beschwerdeführers sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, soweit aktenkundig, für die nachgenannten Zeiträume in folgenden Fällen den Verlust des Anspruches des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe aus:
18. Mai bis (hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0176)
30. Juli bis (hg. Verfahren Zl. 2004/08/0247) 6. Juni bis (hg. Verfahren Zl. 2005/08/0154) 16. August bis (hg. Verfahren Zl. 2005/08/0187) 24. Oktober bis (hg. Verfahren Zl. 2006/08/0034)
17. Jänner bis (hg. Verfahren Zl. 2006/08/0111) 21. Februar bis (hg. Verfahren Zl. 2006/08/0188).
Nach der Aktenlage auf Anregung des Arbeitsmarktservice wurde mit Beschluss des BG Wels vom , Zl. 17 P 125/03s, für den Beschwerdeführer ein einstweiliger Sachwalter für das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für den Beschwerdeführer geprüft wurde, bestellt. Nach dem Ergebnis der Erstanhörung scheine der Beschwerdeführer nicht in der Lage, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für ihn selbst zu besorgen. Im Juli 2006 wurde vom BG Wels ein Sachwalter für den Beschwerdeführer bestellt; der Bestellungsbeschluss ist wegen eines anhängigen Rekursverfahrens nicht rechtskräftig und damit nicht wirksam (vgl. , zu § 125 AußStrG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2003).
Nach der hg. Rechtsprechung gelten im Leistungsverfahren der Arbeitsämter (nunmehr: des Arbeitsmarktservice) unter anderem das Prinzip der Amtswegigkeit, der Grundsatz des Parteiengehörs sowie die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unbeschränktheit der Beweismittel. Das Offizialprinzip im Leistungsverfahren verpflichtet die Behörde, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Daher obliegt es dem Arbeitsmarktservice, Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhalts benötigt werden, durchzuführen. Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung aller unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Fall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0188, mwN).
Mit der vom Arbeitsmarktservice - mit Blick auf die Bestellung eines Sachwalters - selbst aufgeworfenen Frage, ob der Beschwerdeführer zur Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten ohne Selbstschädigung in der Lage ist, hat es selbst zum Ausdruck gebracht, dass Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bestehen. In einem solchen Fall wäre die belangte Behörde aber verpflichtet gewesen, die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers von Amts wegen zu prüfen. Dafür kommt eine medizinische Untersuchung in Betracht.
Zu einer auf § 8 Abs. 2 AlVG gestützten Anordnung einer medizinischen Untersuchung hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0271, ausgeführt, dass zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gegen den Willen der betroffenen Partei die Prüfung, ob überhaupt und bejahenden Falles welche medizinischen Untersuchungen erforderlich sind, grundsätzlich nicht von betreuenden Bediensteten des Arbeitsmarktservice vorgenommen werden darf, da diese medizinisch nicht fachkundig sind und daher die Gefahr besteht, dass Untersuchungen angeordnet werden, die entweder überflüssig oder angesichts der zu beantwortenden medizinischen Fachfrage unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Untersuchungs- und Diagnosemethoden unverhältnismäßig sind. Dies gilt im Besonderen für eine - im Beschwerdefall in Frage kommende - Zuweisung zu einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zumal es sich im Falle der Anordnung einer solchen Untersuchung um eine Maßnahme handelt, die von den Betroffenen mit Grund durchaus auch als erniedrigend oder als schockierend empfunden werden kann. Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch Bedienstete des Arbeitsmarktservice im Sinne des § 8 Abs. 2 erster Satz AlVG (mit der Sanktion des zweiten Satzes) gegen den Willen der Partei ist daher nur insoweit rechtmäßig, als (erstens) auf Grund von bestimmten Tatsachen der begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt. Zweitens hat eine Zuweisung zur Untersuchung (vorerst) nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie (mit der Sanktion des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG): eine solche Zuweisung ist nach dem Gesagten nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren.
Es war daher rechtswidrig, wenn die belangte Behörde trotz der von ihr selbst gehegten Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und trotz des Vorhandenseins von Anhaltspunkten für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit den Beschwerdeführer immer wieder derselben Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zugewiesen und nach Verweigerung derselben stets erneut eine Sperrfrist im Sinne des § 10 AlVG verhängt hat, ohne zuvor von Amts wegen die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bzw. seine Vermittelbarkeit einer Prüfung unterzogen zu haben.
Für den Fall, dass nach der Prüfung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers weiterhin die Verhängung einer Sanktion in Betracht kommt, muss die belangte Behörde zudem berücksichtigen, dass bei Personen, bei denen - wie im Beschwerdefall - das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit fraglich ist, die Vermutung des Vorhandenseins der gewöhnlich vorauszusetzenden Fähigkeiten im Sinne des § 1297 ABGB nicht zum Tragen kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/08/0183). Sie wird darum festzustellen haben, ob der Beschwerdeführer trotz seines Leidenszustandes in der Lage war, den richtigen Sachverhalt zu erkennen und - entsprechend dieser Kenntnis - zu handeln, d.h. ob er deliktsfähig war und ihm daher eine vorsätzliche Vereitelung oder Verweigerung einer Maßnahme im Sinne des § 10 AlVG vorgeworfen werden kann.
Der angefochtene Bescheid ist daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl II Nr. 333/2003.
Wien, am