VwGH vom 16.12.1998, 97/13/0054
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde der F-Gesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Grün, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorferstraße 5, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 8 - 1317 - 1992, betreffend Feststellung des gemeinen Wertes von Anteilen zum , zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Beschwerdefall ist die Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile an der Beschwerdeführerin - einer Wirtschaftstreuhandgesellschaft - nach § 13 Abs. 2 zweiter Satz BewG zum strittig. Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens legten ihrer Wertermittlung das sogenannte Wiener Verfahren 1989, das im Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom , Zl. 08 1031/2-IV/8/89, abgedruckt im AÖFV Nr. 4/1990, dargestellt ist, zugrunde.
Seitens der Behörde erfolgte die Wertermittlung im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung, die zur Festlegung des gemeinen Wertes mit S 366,-- für je S 100,-- des Nennkapitals im Feststellungsbescheid zum führte. Der Berechnung legte der Prüfer einen Vermögenswert von S 148,-- und einen Ertragswert von S 584,-- (jeweils pro S 100,-- Nominale) zugrunde. Der Ertragswert errechnete sich wiederum abgeleitet von dem Durchschnittsbetrag der (adaptierten) Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Beschwerdeführerin in den Jahren 1986, 1987 und 1988 in Höhe von S 494.523,--, 246.808,-- und S 134.505,--.
In der Berufung vom (ergänzt mit Schriftsatz vom ) wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Berechnung des Ertragswertes auf Basis der Gewinne der Jahre 1986 bis 1988, bei der sich auch eine erhebliche Abweichung vom Vermögenswert ergeben habe. Das "Wiener Verfahren 1989" stelle eine Schätzung des gemeinen Wertes auf Grundlage des Mittelwertes des Vermögenswertes und der Ertragsaussichten, geschätzt mit dem durchschnittlichen Ertragswert, dar. Entgegen der Ansicht der Behörde seien diese Ertragsaussichten nicht "stets" aus Vergangenheitsergebnissen abzuleiten. Im gegenständlichen Fall lägen besondere Verhältnisse insoweit vor, als die Gewinne ab dem Jahr 1986 abgesunken und im Jahr 1989 ein Verlust erzielt worden sei, dies deshalb, weil die Beschwerdeführerin im Jahr 1986 und danach mehrere größere Klienten verloren habe und sich daher die Ertragsaussichten verschlechtert hätten. Auch ein eventueller Käufer würde in die Überlegungen zur Höhe des Kaufpreises die zukünftigen Ertragsaussichten eines Unternehmens heranziehen. Um die zukünftigen Ertragsaussichten bzw. die wirtschaftliche Entwicklung der Beschwerdeführerin besser berücksichtigen zu können, werde daher beantragt, den Ertragswert auf Basis der Jahresabschlüsse 1987 bis 1989 (für dieses Jahr ergebe sich der zu berücksichtigende Betrag mit minus S 267.216,--) zu berechnen. Insgesamt wäre damit ein gemeiner Wert für je S 100,-- des Nennkapitals in Höhe von S 114,-- festzusetzen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Aus dem Stichtagsprinzip - so die belangte Behörde in ihrer Begründung - und der Bestimmung des § 13 Abs. 2 BewG sei abzuleiten, daß bei der Ermittlung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen die Ertragsaussichten und nicht die tatsächlichen nach dem Bewertungsstichtag erzielten Erträge zu berücksichtigen seien. Die Ertragsaussichten einer Gesellschaft zu einem bestimmten Bewertungsstichtag gründeten sich ihrem Wesen nach auf Prognosen, nicht aber auf bereits feststehende Ergebnisse. Eine Schätzung der Ertragsaussichten habe daher grundsätzlich anhand der in der Vergangenheit erzielten Erträge zu erfolgen. Bei dieser Schätzung seien alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung seien. Dazu gehörten auch Kenntnisse, die die Abgabenbehörde erst im Laufe des Ermittlungsverfahrens erlange. Wertbestimmend könnten solche Kenntnisse jedoch nur insoweit sein, als sie eine Ertragsentwicklung beträfen, die "vom Bewertungsstichtag her" bereits prognostizierbar gewesen sei. Die Gewinne der Jahre 1987, 1988 und der Verlust des Jahres 1989 seien in Wirtschaftsjahren erzielt worden, die mit dem Kalenderjahr übereinstimmten. Der Verlust 1989 sei vom Stichtag des "1.1. des Jahres her" nicht prognostizierbar und für die Schätzung nicht heranzuziehen. Ein schematischer Vergleich - Gewinne in den Perioden vor dem Stichtag, tatsächlich eingetretener Verlust nach dem Stichtag - genüge nicht. Die Prognose auf eine von der bisherigen Entwicklung abweichende Ertragslage müsse auf Tatsachen gegründet sein, die bereits am Stichtag existent gewesen seien. Als Ursache für den im Jahre 1989 erzielten Verlust werde der Verlust von mehreren Klienten ab dem Jahre 1986 geltend gemacht. Aus der Entwicklung ab 1986 ließen sich zwar Rückschlüsse auf Einbußen in den Jahren 1987 und 1988 ziehen, jedoch habe die Beschwerdeführerin noch 1988 einen Gewinn erzielen können. Sowohl der Verlust als auch die Auswirkungen dieser Entwicklung seien - vom Stichtag her gesehen - unabsehbar und gehörten somit zu den allgemeinen Geschäftsrisiken.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 13 Abs. 2 BewG ist (u.a.) für Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung der gemeine Wert (§ 10) maßgebend. Läßt sich der gemeine Wert aus Verkäufen nicht ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen. Gemäß § 10 Abs. 1 BewG ist bei Bewertungen, soweit nicht anderes vorgeschrieben ist, der gemeine Wert zugrunde zu legen. Gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.
Gemäß § 65 Abs. 1 BewG sind für den Bestand und die Bewertung die Verhältnisse im Feststellungszeitpunkt maßgebend. Für die Bewertung von Wertpapieren, Anteilen und Genußscheinen an Kapitalgesellschaften gilt nach der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Rechtslage i.d.F. vor dem Steuerreformgesetz 1993, BGBl. Nr. 818/1993, der Stichtag, der sich nach § 71 leg. cit. ergibt. Stichtag für die Bewertung von Anteilen an Gesellschaften m. b.H. ist gemäß § 71 Abs. 1 BewG der 31. Dezember des Jahres, das dem für die Hauptveranlagung zur Vermögensteuer maßgebenden Zeitpunkt vorangeht.
Das "Wiener Verfahren 1989" stellt eine zwar nicht verbindliche, aber doch geeignete Grundlage für die schätzungsweise Ermittlung des gemeinen Wertes im Sinne des § 13 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten dar (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 95/16/0011, und vom , 95/15/0017).
Der belangten Behörde ist darin zuzustimmen, daß die Beurteilung der Ertragsaussichten einer Gesellschaft zu einem bestimmten Bewertungsstichtag eine Prognoseentscheidung ist, die nicht von bereits feststehenden (zukünftigen) Ergebnissen abgeleitet werden kann. Im allgemeinen ist bei der Schätzung der Ertragsaussichten davon auszugehen, daß das Unternehmen der Gesellschaft in der bisherigen Art und Weise fortgeführt wird. Zukünftige Entwicklungen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Bewertungsstichtag aufgrund konkreter Umstände prognostizierbar sind (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2915/78, vom , 3447/78, und vom , 89/15/0124). Im Regelfall wird der Ertragswert aus in die Zukunft projizierten Vergangenheitswerten abgeleitet (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 84/15/0159).
Punkt 2. Abs. 1 erster Unterabsatz des erwähnten "Wiener Verfahrens" sieht als Ermittlungszeitraum für den Ertragswert die letzten drei Wirtschaftsjahre vor dem Ermittlungszeitpunkt vor. Um ein möglichst wirklichkeitsnahes Ergebnis zu erzielen, ist aber - jedenfalls bei konkreten Anhaltspunkten - zu untersuchen, ob die in einem Wirtschaftsjahr erzielten Betriebsergebnisse geeignet sind, eine begründete Prognose für die Schätzung der Ertragsaussichten der Gesellschaft abzugeben. In diese Richtung zielt im übrigen auch der zweite Unterabsatz des Abs. 1 der erwähnten Schätzungsanleitung: Wird das Betriebsergebnis eines Wirtschaftsjahres durch einen außerordentlichen Geschäftsfall derart beeinflußt, daß es zur Schätzung der künftigen Ertragsaussichten völlig ungeeignet erscheint, so kann es durch entsprechende Korrekturen adaptiert und so der weiteren Berechnung zugrundegelegt werden (sei dies nicht oder nur nach aufwendigen Berechnungen möglich, so könne das gesamte Betriebsergebnis außer Ansatz gelassen werden; diesfalls könnte ausnahmsweise ein bereits vorliegendes Betriebsergebnis des nach dem Ermittlungszeitpunkt endenden Wirtschaftsjahres einbezogen werden).
Im angefochtenen Bescheid läßt die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin unbestritten, wonach sich ab dem Jahr 1986 durch den Verlust "größerer Klienten" eine wesentliche Verschlechterung der Ertragslage ergeben habe (auch die bei der Ermittlung des gemeinen Wertes seitens der Behörde herangezogenen Betriebsergebnisse für die Jahre 1987 und 1988 weisen eine signifikante Minderung gegenüber 1986 auf). Solcherart konnte aber der Ertrag des Jahres 1986 nicht mehr ohne weiteres als repräsentativ zur Bestimmung der Ertragsaussichten zum maßgeblichen Bewertungsstichtag sein. Mag auch zu diesem Stichtag der Verlust des Jahres 1989 noch nicht konkret vorhersehbar gewesen sein, hätte doch bei einer Durchschnittsbetrachtung und Einbeziehung des Jahres 1986 in den Ermittlungszeitraum betreffend dieses Betriebsergebnis zumindest ein Abschlag (etwa orientiert an den Betriebsergebnissen der Jahre 1987 und 1988) erfolgen müssen. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am