VwGH vom 01.10.2008, 2004/04/0237
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2004/04/0238
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerden des Bundes (Republik Österreich, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, gegen die Bescheide des Bundesvergabeamtes jeweils vom , Zlen. 1. 15F- 12/04-4 (hg. Zl. 2004/04/0237) und 2. 15F-11/04-4 (hg. Zl. 2004/04/0238), jeweils betreffend Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs einer Ausschreibung (mitbeteiligte Partei in beiden Verfahren: B GmbH in W, vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Falkestraße 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Die Anträge des Bundes auf Zuspruch von Aufwandersatz werden abgewiesen.
Begründung
Mit den angefochtenen Bescheiden hat das Bundesvergabeamt über Antrag der Mitbeteiligten festgestellt, dass der Widerruf näher genannter Ausschreibungen betreffend Nassbaggerarbeiten zur Verbesserung der Fahrrinnenverhältnisse der Wasserstraße Donau rechtswidrig gewesen sei.
Diese Bescheide hat die belangte Behörde im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Beschwerdeführer habe die gegenständlichen Vergabeverfahren am im amtlichen Lieferungsanzeiger bekannt gemacht. Die Verfahren seien als offene Verfahren für einen Bauauftrag im Unterschwellenbereich ausgeschrieben worden. In Punkt VI.2. (nach der Aktenlage richtig: IV.2.) der Vergabebekanntmachung ("Zuschlagskriterien") sei jeweils das Kästchen "wirtschaftlich günstigstes Angebot" angekreuzt worden. Zuschlagskriterien seien keine genannt worden. In den Ausschreibungsunterlagen habe sich kein ausdrücklicher Hinweis darauf befunden, ob es sich um ein Verfahren nach dem Best- oder dem Billigstbieterprinzip handle. Die Ausschreibung sei von den Bietern nicht angefochten worden. Die in weiterer Folge zu Gunsten der D. GmbH ergangenen Zuschlagsentscheidungen seien damit begründet worden, dass das Angebot dieses Unternehmens die Erreichung des Projektzieles mit dem geringsten Gesamtpreis erwarten lasse. Über Antrag der mitbeteiligten Partei seien diese Zuschlagsentscheidungen mit Bescheiden der belangten Behörde vom für nichtig erklärt worden.
Der Beschwerdeführer habe am die verfahrensgegenständlichen Ausschreibungen gemäß § 105 Abs. 1 BVergG 2002 widerrufen und dies damit begründet, er habe im Zuge des Nachprüfungsverfahrens vor der belangten Behörde erkannt, dass es ihm "auf Grund des Fehlers in der Ausschreibung nicht möglich sein werde, das Verfahren rechtsrichtig zum Abschluss zu bringen". Der Umstand, dass zwischen den Angaben in der Vergabebekanntmachung und jenen in den Ausschreibungsunterlagen ein Widerspruch bestehe, sei ihm erst nach Ablauf der Angebotsfrist bewusst geworden. Es bleibe zu prüfen, ob ein zwingender Widerrufsgrund im Sinne des § 105 Abs. 1 BVergG vorliege. In der Vergabebekanntmachung sei das Bestbieterprinzip vorgesehen gewesen, allerdings seien keine Zuschlagskriterien genannt gewesen. Die Ausschreibungsunterlagen hätten zum Zuschlagsregime keine Angaben enthalten. Aus den Ausschreibungsunterlagen sei jedoch interpretativ zu erschließen gewesen, dass es sich um eine Ausschreibung nach dem Billigstbieterprinzip gehandelt habe, weil eben keine Zuschlagskriterien und kein Bewertungsschema angegeben gewesen seien. Bei der Auslegung von Ausschreibungsbedingungen komme es darauf an, wie diese von einem redlichen Erklärungsempfänger zu verstehen seien. Den Bietern sei die Absicht des Auftraggebers, eine Ausschreibung nach dem Billigstbieterprinzip durchzuführen, erkennbar gewesen. Dies zeige sich unzweifelhaft daran, dass bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung keiner der Bieter die Geltung des Billigstbieterprinzips in Zweifel gezogen habe. Auch der Auftraggeber selbst sei von der Maßgeblichkeit des Billigstbieterprinzips ausgegangen. Es liege somit kein Grund im Sinne des § 105 Abs. 1 BVergG vor, der zwingend einen Widerruf der Ausschreibung gerechtfertigt habe. Auch wenn der Fehler des Auftraggebers vermieden worden wäre, hätte dies nicht zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt. Die Änderung hätte in diesem Fall lediglich darin bestanden, das sich ohnehin aus den Ausschreibungsunterlagen ergebende Billigstbieterprinzip ausdrücklich in die Ausschreibung aufzunehmen. Einer ausdrücklichen Festschreibung dessen, was sich aus der Ausschreibung ergebe, komme im Wesentlichen nur deklarative Bedeutung zu.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung der beiden Beschwerdeverfahren auf Grund des sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bringt vor, im vorgelagerten Nachprüfungsverfahren betreffend die Nichtigkeit der zu Gunsten der D. GmbH ergangenen Zuschlagsentscheidungen habe die mitbeteiligte Partei releviert, dass der Zuschlag dem Bestbieter zu erteilen gewesen wäre. Dem Beschwerdeführer sei in diesem Verfahren klar geworden, dass die unbeabsichtigte und irrtümliche Angabe in der Bekanntmachung zum Zuschlagsverfahren (beabsichtigt sei ein Hinweis auf den niedrigsten Preis als Zuschlagskriterium und nicht wie angegeben auf das wirtschaftlich günstigste Angebot gewesen) in Verbindung mit der Formulierung des Schreibens der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung (Verwendung der Terminologie Bestbieter unter fälschlicher Übernahme einer veralteten Vorlage) "mit dem in den Ausschreibungsunterlagen vermeintlichen Billigstbieterprinzip" unvereinbar sei. Ohne auf diese Argumentation einzugehen habe die belangte Behörde die Zuschlagsentscheidungen für nichtig erklärt, weil die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung nicht gleichzeitig und unmittelbar an alle Bieter im Sinne des § 100 Abs. 1 BVergG ergangen sei. Eine neuerliche Bekanntgabe der gleich lautenden Zuschlagsentscheidungen unter Einhaltung der Formalvoraussetzungen des § 100 Abs. 1 BVergG hätte in Anbetracht der gegebenen Argumentation und der ständigen Judikatur der belangten Behörde im Bezug auf fehlende Angaben bezüglich Zuschlagskriterien bei einem dann erneut eingeleiteten Nachprüfungsverfahren wiederum zur Nichtigkeit der Zuschlagsentscheidung führen müssen. Dass ein Bieter bei einer - formal richtigen - inhaltlich gleich bleibenden Zuschlagsentscheidung von seinem ursprünglichen Antrag, der die Bekämpfung des Zuschlagssystems zum Inhalt gehabt habe, abgehen würde, erscheine nach wie vor weltfremd und unrealistisch. Daher habe der Beschwerdeführer bereits zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung im Bezug auf die Beendigung des Vergabeverfahrens und dementsprechend einen Widerruf in Betracht ziehen müssen. Zur Ansicht der belangten Behörde, es liege kein zwingender Widerrufsgrund im Sinne des § 105 Abs. 1 BVergG vor, führt der Beschwerdeführer (zusammengefasst) ins Treffen, er habe in dem Zeitpunkt, als er erkannt habe, dass er eine Ausschreibung nach dem Bestbieterprinzip durchgeführt, jedoch keinerlei Zuschlagskriterien festgelegt gehabt habe, diesen Umstand nicht mehr durch eine Berichtigung der Ausschreibung sanieren können. Er sei damit für das weitere Vergabeverfahren an das Bestbieterprinzip gebunden gewesen. Allerdings sei mangels Zuschlagskriterien eine nachvollziehbare Zuschlagsentscheidung nicht mehr möglich gewesen, sodass er nur mit Widerruf der Ausschreibung habe vorgehen können.
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide () sind im vorliegenden Fall die Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002 - BVergG maßgebend.
Gemäß § 67 Abs. 3 BVergG ist in der Bekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben, ob der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot oder dem Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt werden soll. Soll der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt werden, so hat der Auftraggeber in der Bekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen alle Zuschlagskriterien, deren Verwendung er vorsieht, im Verhältnis der ihnen zuerkannten Bedeutung anzugeben.
Gemäß § 91 Abs. 1 BVergG hat die Prüfung der Angebote in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nach den in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen festgelegten Kriterien zu erfolgen.
Gemäß § 105 Abs. 1 BVergG ist nach Ablauf der Angebotsfrist die Ausschreibung zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten.
Die belangte Behörde hat das Vorliegen eines zwingenden Widerrufsgrundes im Sinne des § 105 Abs. 1 BVergG verneint, weil für die Bieter die Absicht des Auftraggebers, eine Ausschreibung nach dem Billigstbieterprinzip durchzuführen, erkennbar gewesen sei. Die belangte Behörde hat sich vor allem darauf gestützt, dass aus dem Fehlen von Zuschlagskriterien und Bewertungsschema auf das Billigstbieterprinzip zu schließen gewesen sei.
Diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt.
§ 67 Abs. 3 erster Satz BVergG normiert eine Pflicht des Auftraggebers, jenes Zuschlagsprinzip, für das er sich entscheidet, in der Bekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen anzugeben. Diese Pflicht resultiert aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Verpflichtung zur Transparenz einschließt, und dessen Beachtung überprüft werden können muss. Das geltende Zuschlagsprinzip muss explizit angeführt werden, wobei der Auftraggeber frei wählen kann, ob er die Angabe in der Bekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen vornimmt, jedenfalls aber an mindestens einer dieser Stellen. Die zwei Zuschlagssysteme des BVergG schließen einander aus. Hat der Auftraggeber ein Prinzip gewählt, ist er daran gebunden (Öhler/Schramm in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Kommentar zum Bundesvergabegesetz 2002, Rz 35, 37 und 43 zu § 67).
§ 67 Abs. 3 zweiter Satz BVergG normiert eine Pflicht des Auftraggebers, beim Zuschlagsprinzip "technisch und wirtschaftlich günstigstes Angebot" nicht nur einige, sondern alle Zuschlagskriterien anzugeben. Auch diese Bekanntgabe dient den Grundsätzen der Transparenz und Objektivität. Die Zuschlagskriterien müssen deutlich erkennbar sein. Unterlässt es der Auftraggeber gänzlich, zulässige Zuschlagskriterien in der Ausschreibung vorzusehen, ist eine Bestbieterermittlung und eine ordnungsgemäße Zuschlagsentscheidung unmöglich, weil die Ermittlung des Bestbieters nach objektiven, allen Bietern bei Verfassen ihres Angebots zugänglichen Kriterien nicht möglich ist (Öhler/Schramm, a.a.O., Rz 63 ff zu § 67).
In den Beschwerdefällen hat der Auftraggeber in den Ausschreibungen das Prinzip des Zuschlags auf das wirtschaftlich günstigste Angebot gewählt: Er hat nämlich in der Vergabebekanntmachung im amtlichen Lieferanzeiger unter Punkt (richtig:) IV.2) Zuschlagskriterien von den drei vorhandenen Kästchen, davon A) "Der niedrigste Preis" und B1) "Das wirtschaftlich günstigste Angebot" das Kästchen B1 angekreuzt und mit dieser Formulierung unstrittig das Bestbieterprinzip festgelegt, weil auch die Ausschreibungsunterlagen diesbezüglich keine weiteren Angaben enthalten. Das Fehlen jeglicher Zuschlagskriterien wurde weder vom Auftraggeber während der Angebotsfrist berichtigt (vgl. § 78 Abs. 1 BVergG), noch wurde die Ausschreibung diesbezüglich von den Bietern zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht (vgl. § 169 Abs. 1 BVergG).
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann in Fällen wie den vorliegenden, in denen sich der Auftraggeber bestandsfest auf das "Bestbieterprinzip" festgelegt hat, eine Bestbieterermittlung jedoch mangels konkret aufgestellter Zuschlagskriterien nicht durchführen kann, das Bestbieterprinzip nicht in das Billigstbieterprinzip umgedeutet werden. Für eine derartige "Zweifelsregel" bietet das BVergG keine Grundlage und es würde dies auch dem Grundsatz der Transparenz widersprechen. Der Beschwerdeführer ist daher im Recht, wenn er geltend macht, die Ermittlung des Bestbieters sei ihm nach Lage des Falles mangels zulässiger Zuschlagskriterien nicht möglich gewesen, weshalb er zu den gegenständlichen Widerrufsentscheidungen verpflichtet gewesen sei. Auch rechtliche Gründe, die auf einem Fehler des Auftraggebers beruhen (wie beispielsweise in den Ausschreibungsunterlagen vorgesehene rechtswidrige Bedingungen oder ein fehlendes, ungeeignetes oder rechtswidriges Bestbieterermittlungsschema), die dem Auftraggeber erst nachträglich - etwa in einem Nachprüfungsverfahren - bekannt werden, verpflichten nämlich den Auftraggeber zum Widerruf (vgl. Schramm/Öhler/Stickler, a.a.O., Rz 20 ff zu § 105; siehe auch das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom , Rs. C-448/01, EVN AG, Rn 95, in dem der EuGH ausdrücklich von einer Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zum Widerruf der Ausschreibung ausgeht, wenn sich eine Entscheidung bezüglich eines von ihm festgelegten Zuschlagskriteriums im Nachprüfungsverfahren als rechtswidrig erweist und deshalb von der Nachprüfungsbehörde für nichtig erklärt wird; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/04/0125). Anzumerken ist, dass ein allfälliges fahrlässiges Verhalten keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung, sondern allenfalls auf Schadenersatzpflichten hat (vgl. dazu das zur insofern gleich lautenden Bestimmung des § 139 Abs. 1 Z. 1 und 2 BVergG 2006 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/04/0001).
Aus diesen Überlegungen erweisen sich die angefochtenen Bescheide als inhaltlich rechtswidrig und waren gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Anträge des obsiegenden Beschwerdeführers auf Zuspruch von Aufwandersatz waren abzuweisen, weil der Beschwerdeführer zugleich Rechtsträger der belangten Behörde ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/04/0222). Wien, am