VwGH vom 30.04.1993, 91/17/0121
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde des JW in A, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom , Zl. II-W-5-1991, betreffend Kanalanschlußbeitrag (mitbeteiligte Partei: Gemeinde Andau), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde dem Beschwerdeführer "gemäß § 5 des Burgenl. Kanalabgabegesetzes, LGBl. 41/1984 in Verbindung mit § 150 der Bgld. Landesabgabenordnung LGBl. Nr. 2/1963 in der geltenden Fassung und in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Andau vom ... als Eigentümer des Grundstückes xxxx der KG Andau ein Beitrag für den Anschluß an die Kanalisationsanlage" dieser Gemeinde in Höhe von S 61.630,63 unter Anrechnung der geleisteten Vorauszahlungen zur Zahlung vorgeschrieben.
Mit "Abänderungsbescheid" vom wurde der zuletzt genannte Bescheid dahin "geändert" (richtig wohl: berichtigt), daß der Gesamtbetrag des Anschlußbeitrages S 60.912,81 betrage. Dies deshalb, weil anläßlich einer Überprüfung der Berechnungsfläche ein Rechenfehler festgestellt worden sei.
Die gegen den zuletzt genannten Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene, nicht im Verwaltungsakt befindliche Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom als unbegründet abgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene, gleichfalls nicht im Verwaltungsakt befindliche Vorstellung wurde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid ebenfalls als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im wesentlichen damit, daß sie zur Überprüfung einer Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit nicht befugt sei. Die Verjährungsfrist betrage fünf Jahre und sei im Beschwerdefall nicht abgelaufen. Aktenwidrig sei der Vorwurf, im (Berufungs-)Bescheid der Gemeinde vom sei eine Terrassenfläche
(11,25 x 4,9 m) berücksichtigt worden. Diese Terrassenfläche scheine weder im erst- noch im zweitinstanzlichen Bescheid auf.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt seines Vorbringens erachtet sich der Beschwerdeführer durch die Abgabenfestsetzung als solche in seinen Rechten verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, trotz seiner "Vorhalte in den diversen Rechtsmitteln" hätten sich die "bisher befaßten Stellen" nicht mit der Frage befaßt, wer Eigentümer (der gegenständlichen Liegenschaft) und daher Abgabepflichtiger sei. Der Beschwerdeführer sei nämlich nicht Alleineigentümer, sondern nur zu 1/3 Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft; zu 2/3 sei Eigentümerin seine Gattin HW.
Diesem Vorbringen des Beschwerdeführers kann das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot nicht entgegengehalten werden. Die belangte Behörde hat entgegen der Vorschrift des § 36 Abs. 1 letzter Satz VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens insofern nicht vollständig vorgelegt, als darin weder der Berufungs- noch der Vorstellungsschriftsatz enthalten sind. Nun bestimmt § 38 Abs. 2 VwGG, daß der Verwaltungsgerichtshof, wenn die Behörde die Vorlage der Akten unterläßt und wenn er die Behörde auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen hat, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen kann. Hat die Behörde die Akten nur teilweise vorgelegt, kann der Verwaltungsgerichtshof, INSOWEIT die Akten fehlen, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers entscheiden (Erkenntnisse vom , Zl. 88/16/0156, und vom , Zl. 87/17/0275, sowie auch vom , Zl. 91/17/0112).
Es muß daher davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer die entsprechende Einwendung bereits auf Verwaltungsebene - und zwar (arg.: "... in den diversen Rechtsmitteln ...") bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid - erhoben hat.
Gemäß § 2 Abs. 4 des Burgenländischen Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 (Bgld KAbG), schulden Miteigentümer die Kanalisationsbeiträge - von hier nicht in Frage kommenden Ausnahmen abgesehen - zur ungeteilten Hand.
Nach ständiger Rechtsprechung kann die Abgabenbehörde, wenn mehrere Personen zur Entrichtung einer Abgabe als Gesamtschuldner verpflichtet sind, entscheiden, wen sie in Anspruch nimmt, ob sie also das abgabenrechtliche Leistungsgebot an einen, an mehrere oder an alle Gesamtschuldner richtet. Es handelt sich hiebei um eine Ermessensentscheidung, die entsprechend zu begründen ist (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/17/0171, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung); und zwar jedenfalls insoweit, als dies für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. hiezu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 7022/A, sowie das Erkenntnis vom , Zl. 82/16/0022).
Nun finden sich im Berufungsbescheid weder Feststellungen über die Eigentumsverhältnisse an der gegenständlichen Liegenschaft noch die allenfalls erforderlichen Erwägungen zur Ausübung des Ermessens im Sinne obiger Darlegungen oder zumindest Erwägungen, die hätten zeigen können, daß die Berufungsbehörde auch bei Vermeidung des Begründungsmangels zu keinem anderen Bescheid gekommen wäre (vgl. hiezu nochmals das Erkenntnis vom , Zl. 82/16/0022, mwN). Die belangte Vorstellungsbehörde hätte daher den Berufungsbescheid aufheben müssen, weil für die Ermessensübung keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen vorlagen, die Ermessensübung nicht ausreichend begründet war und die Aufsichtsbehörde selbst nicht Ermessen üben durfte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 06/2949/80, mwN, sowie vom , Slg. Nr. 12.441/A, und vom - verstärkter Senat -, Slg. Nr. 12.492/A). Da sie dies nicht tat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, bei Vorschreibung des Kanalanschlußbeitrages mit "Abänderungsbescheid" vom sei eine Terrassenfläche im Ausmaß von 11,25 x 4,90 m einbezogen worden, die erst im August 1989 errichtet worden sei. Daß der Beschwerdeführer (auch) diese Einwendung bereits auf Verwaltungsebene erhoben hatte, zeigt die Wiedergabe des Vorstellungsvorbringens in der Begründung des angefochtenen Bescheides. Die Einwendung war auch von rechtlicher Bedeutung, weil gemäß § 5 Abs. 2 Z. 1 Bgld KAbG unter anderem Terrassen in die bebaute Fläche und damit auch in die Berechnungsfläche nicht einzurechnen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Vorstellungsverfahren auch nach der Bgld. Gemeindeordnung kein Neuerungsverbot kennt (vgl. hiezu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 86/17/0155, und vom , Zl. 88/17/0216).
Der Hinweis in der Begründung des angefochtenen Bescheides, diese Terrassenfläche scheine weder im erst- noch im zweitinstanzlichen Bescheid auf, war nicht geeignet, dieses Vorbringen des Beschwerdeführers zu widerlegen, weil in den beiden genannten Bescheiden die Berechnungsfläche nicht detailliert aufgegliedert ist. Zwar deutet die Skizze auf dem in den Akten des Verwaltungsverfahrens erliegenden Erhebungsblatt vom und die daran anschließende Ermittlung der Berechnungsfläche durch einen Zivilingenieur für Bauwesen darauf hin, daß die genannte Terrasse bei dieser Ermittlung nicht berücksichtigt wurde, doch ist es dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt, die von den Behörden des Verwaltungsverfahrens unterlassenen Feststellungen zu treffen. Auch in diesem Punkt hat die belangte Behörde, weil sie die fehlende Feststellung nicht zum Anlaß der Aufhebung des Berufungsbescheides nahm, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers richtet sich gegen die Gesetzmäßigkeit der dem vorliegenden Abgabenbescheid zugrundeliegenden Verordnung des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom . Der Verwaltungsgerichtshof hegt jedoch gegen die im Beschwerdefall präjudiziellen Bestimmungen der genannten Verordnung aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken, die einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung dieser Bestimmungen rechtfertigen würden. Der Verwaltungsgerichtshof verweist hiezu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf seine diese Verordnung betreffenden Ausführungen in den hg. Erkenntnissen je vom , Zlen. 91/17/0115 und 91/17/0128, sowie vom , Zl. 91/17/0117. Insbesondere deckt sich das Beschwerdevorbringen in dem mit Erkenntnis vom , Zl. 91/17/0128, entschiedenen Beschwerdefall im wesentlichen mit dem nun vorliegenden Beschwerdevorbringen, welches allerdings in einigen Punkten unklarer, ja zum Teil unverständlich ist. So setzt der Beschwerdeführer die Aufwendungen für Darlehenstilgung und Zinsendienst unzutreffenderweise mit "Betriebskosten" gleich. Hinsichtlich der eigentlichen Betriebskosten bietet jedoch die Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom , in der die Berechnung der zu beschließenden Kanalanschlußgebühren erläutert wurde, keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß hiebei auch die Betriebskosten einbezogen wurden; sie sind nämlich neben den eigentlichen Baukosten (Kanalerrichtungskosten) gesondert genannt, wobei entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nur die eigentlichen Kanalerrichtungskosten in die Berechnung der Kanalbenützungsgebühr einfließen sollten.
Es ist schließlich rein rechnerisch nicht nachzuvollziehen, wie der Beschwerdeführer zu dem von ihm behaupteten Betrag einer "Überdeckung" in Höhe von S 17,000.000,-- gelangt. Die daran anknüpfenden weiteren Behauptungen gehen somit ins Leere.
Aus den oben genannten Gründen war der angefochtene Bescheid jedoch gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben, wobei aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden konnte.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Die Umsatzsteuer ist im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten.