VwGH vom 09.07.1992, 91/16/0091
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Ladislav, über die Beschwerde des R in Wien, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Beschwerdeentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 14-1/M-268/1/3/89, betreffend Zurückweisung eines Einspruches, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Strafverfügung des Zollamtes Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er hätte am anläßlich seiner Einreise über das Zollamt Flughafen Wien versucht, eingangsabgabenpflichtige Waren, nämlich Zigaretten, unter Verletzung seiner zollrechtlichen Stellungs- und Erklärungspflicht dem Zollverfahren zu entziehen und zugleich diese Monopolgegenstände einem monopolrechtlichen Einfuhrverbot zuwider einzuführen. Er habe dadurch das Finanzvergehen des versuchten Schmuggels in Verbindung mit dem vorsätzlichen Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols begangen; es wurde über ihn eine Geldstrafe von S 1.000,-- verhängt und auf den Verfall der Zigaretten erkannt.
Diese Strafverfügung wurde nach einem vergeblichen Zustellversuch vom am beim Postamt 1150 Wien unter Zurücklassung einer Verständigung in der Hausbrieffachanlage hinterlegt; die Abholfrist begann am Freitag, dem . Auf der Rückseite des Rückscheines befindet sich der Aktenvermerk vom , wonach laut Postamt 1150 Wien die Strafverfügung am Mittwoch, dem behoben worden sei.
In dem am 18. oder zur Post gegebenen, als "Berufung" bezeichneten Schreiben erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Dieser Einspruch wurde vom Zollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz mit Bescheid vom wegen Verspätung zurückgewiesen. Die Einspruchsfrist wäre am abgelaufen. In seiner dagegen erhobenen Beschwerde berief sich der Beschwerdeführer auf Ortsabwesenheit bis .
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde als unbegründet ab. Sie ging davon aus, daß sich der Beschwerdeführer im Oktober 1988 einige Zeit im Waldviertel aufgehalten habe, aber jedenfalls am vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe. Er hatte jedoch danach noch mehr als drei Wochen Zeit zur Verfassung des Einspruches gehabt, sodaß, ausgehend vom Beginn der Abholfrist, die Einspruchsfrist am endete und der Einspruch verspätet gewesen sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer sich im wesentlichen darauf beruft, daß die Zustellung erst mit Rückkehr an die Abgabestelle wirksam geworden sei.
Über diese Beschwerde und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Entscheidend ist die Frage, ob bei einer Zustellung durch Hinterlegung am Freitag, dem und einer Ortsabwesenheit bis Mittwoch, dem und Behebung am selben Tag, der Begriff "rechtzeitig" im § 17 Abs. 3 Zustellgesetz (ZustG) so zu verstehen ist, daß im Hinblick auf die Einspruchsfrist gemäß § 145 Finanzstrafgesetz (FinStrG) der Fristbeginn mit oder erst mit Rückkehr an die Abgabestelle anzusetzen ist. § 17 Abs. 3 ZustG lautet:
"Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle NICHT RECHTZEITIG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."
Die belangte Behörde nimmt den Fristbeginn trotz der festgestellte Ortsabwesenheit mit an, weil die Verzögerung bis zur tatsächlichen Behebung im Vergleich zur einmonatigen Einspruchsfrist nur eine minimale Zeitspanne darstelle. Ob jemand "rechtzeitig" vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe, hänge davon ab, was zuzustellen sei, wenn dem Betroffenen noch eine angemessene Frist offen bleibe.
Diese Auffassung fußt offenbar auf den Ausführungen von Berchtold, Zustellgesetz, 33:
"Fragen ergeben sich hinsichtlich der Auslegung des Wortes "rechtzeitig" in dieser Bestimmung. Ob jemand vom Zustellvorgang rechtzeitig Kenntnis erlangt hat, wird wesentlich davon abhängen, was zugestellt worden ist. Eine zugestellte Mitteilung (z.B. Ladung) wird als nicht rechtzeitig zu erachten sein, wenn sie am selben Tag oder am Vortag des mitgeteilten Ereignisses dem Empfänger erst bekannt wird. Wenn durch das zugestellte Schriftstück Rechtsmittelfristen oder auch andere Fristen in Gang gesetzt werden, so wird Rechtzeitigkeit nur dann anzunehmen sein, wenn dem Betroffenen eine angemessene Zeit zur Verfügung steht, seine Rechte zu wahren. Wenn auch keine allgemeine Aussage über die Frage gemacht werden kann, wann Rechtzeitigkeit im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, so kann doch gesagt werden, daß bei der Beurteilung dieser Frage - die der Behörde obliegt - die gesamten Umstände und insbesondere auch der Inhalt des zugestellten Schriftstückes beachtet werden müssen. Nur dann wird einerseits dem Zweck der Zustellung und dem beabsichtigen Schutz des Betroffenen im Sinne des Gesetzes entsprochen."
Auch nach Walter-Mayer, Zustellrecht, 96, sei "nicht rechtzeitig" mit Bezug auf den Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes zu verstehen; dies bedeute etwa im Falle einer Ladung, daß deren (Ersatz-)Zustellung als nicht bewirkt gelte, wenn dem Empfänger die Befolgung nicht mehr möglich sei, weil der Termin bereits verstrichen sei.
Bedenken gegen eine derartige Bezugnahme ergeben sich zunächst aus dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 3 bzw. § 16 Abs. 5 ZustG, weil in der erstgenannten Bestimmung mehrfach von der ABHOLFRIST die Rede ist, aber von keinem anderen zeitlich bestimmten Umstand, insbesondere weder von einer anderen Frist noch von einem Termin. Es ist daher die Annahme naheliegend, daß sich "rechtzeitig" auf die einzige zeitbestimmte Angabe in diesem Absatz bezieht.
Gerade die von der Behörde im vorliegenden Fall gezogene Konsequenz, wonach eine Relation zur Frist im zuzustellenden Schriftstück hergestellt werden soll, zeigt, daß eine damit sanktionierte Fristverkürzung wohl nicht mit dem beabsichtigten Schutz des Betroffenen in Einklang zu bringen ist.
Rechberger zeigt in seiner Glosse zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , Zl. 3 Ob 22/87, veröffentlicht in MR 1988, 26, richtig auf, daß in Fällen, in denen Entscheidungswirkungen unmittelbar an die Zustellung anknüpfen, die Wendung "nicht rechtzeitig" überhaupt keinen Sinn ergibt. Auch diese Erwägung spricht also dafür, "rechtzeitig" ausschließlich im Zusammenhang mit der Abholfrist zu sehen.
Der Oberste Gerichtshof hat sich mit dieser Frage auch in der zu Evidenzblatt 1984/101 veröffentlichten Entscheidung vom , Zl. 7 Ob 511/84, auseinandergesetzt. Der dort zitierten Auffassung von Berchtold wird die Darstellung von Schwaighofer (zitiert mit Anwaltsblatt 1983, 381), wonach "angemessen" nur die volle, vom Gesetzgeber für notwendig erachtete Frist sei, als nicht unbegründet gegenübergestellt. Es ginge nicht an, die vom Gesetzgeber festgesetzten Rechtsmittelfristen nach Belieben etwa unter Wertung der objektiven Schwierigkeit solcher Rechtsmittel (hier: die von der Behörde hervorgehobene Leichtigkeit des Einspruches), welche die Erhebung des Rechtsmittels mit sich bringen könnte, zu verkürzen. Der Oberste Gerichtshof kam zum Ergebnis, daß bei einer Hinterlegung am 31. Oktober (gleichzeitig Beginn der Abholfrist) ein Großteil der berufstätigen Bevölkerung die Sendung nicht hätte vor dem 2. November, dem nächsten Werktag, beheben können. Daher stand dem Empfänger trotz Ortsabwesenheit am Hinterlegungstag die gleiche Frist zu, wie dies im Regelfall bei ortsanwesenden Adressaten der Fall gewesen wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof hatte den Fall zu behandeln, daß ein Empfänger am Montag, dem 9. März ortsabwesend war (Beginn der Abholfrist), aber am 10. März zurückgekehrte und das Schreiben behob (Zl. 88/06/0140 vom ). Es wurde von einem Fristbeginn am 9. März ausgegangen, und zur Begründung unter Wiedergabe des Arguments, der ortsabwesenede Empfänger hätte die Sendung nicht später beheben können als eine wegen Berufstätigkeit beim Zustellversuch nicht an der Zustelladresse anwesende Person, auf die genannte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom verwiesen. Im gleichen Sinne wurde schon zuvor zur Zl. 86/07/0212 vom die Fristverkürzung um nur einen Tag behandelt.
Dem Beschluß vom , Zl. 91/14/0218 f, lag der Sachverhalt zugrunde, daß der Empfänger am Beginn der Abholfrist, nämlich am 13. April (Karfreitag) auf Osterurlaub war, und am Dienstag nach Ostern, am 17. April, also am unmittelbar folgenden Werktag, die Sendung behob. Im Sinne der obigen Ausführungen wäre die Mehrheit der berufstätigen Bevölkerung von einer derartigen Fristverkürzung betroffen gewesen. Es wurde also auch in diesem Fall von einem Fristbeginn am Beginn der Abholfrist ausgegangen.
Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß bei einem Beginn der Abholfrist ab Freitag, dem , ein Großteil der berufstätigen Bevölkerung das Schriftstück erst am Montag, dem behoben hätte und somit diese Fristverkürzung als vom Gesetzgeber gewollt in Kauf genommen werden muß. Der Beschwerdeführer war aber bis abwesend, sodaß von einer gesetzlich gebilligten, weil einen Großteil der Bevölkerung treffenden, Fristverkürzung keine Rede mehr sein kann. Vielmehr kommt der Gesetzeswortlaut zum Tragen, daß die Zustellung an dem der Rückkehr folgenden Tag wirksam wurde.
Indem die belangte Behörde einen anderen Beginn der Rechtsmittelfrist annahm, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.