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VwGH vom 30.03.2000, 99/16/0099

VwGH vom 30.03.2000, 99/16/0099

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde des W in G, vertreten durch Dr. Walter Kossarz, Rechtsanwalt in Krems, Roseggerstraße 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 9-1051/21/95, betreffend Nachsicht einer Rechtsgebühr, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom schrieb das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien (in der Folge: Finanzamt) dem Beschwerdeführer die Rechtsgebühr nach § 33 TP 16 Abs. 1 lit. c GebG in der Höhe von S 1,019.498,-- vor. Die Beschwerde gegen den im Instanzenzug ergangenen Berufungsbescheid der belangten Behörde betreffend die Gebührenfestsetzung wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 94/16/0238, als unbegründet ab.

Der Beschwerdeführer beantragte mit der Eingabe vom die Nachsicht der Gebührenschuld nach § 236 BAO und brachte vor, die Einhebung dieser Gebührenschuld bedeute bei seiner Einkommens- und Vermögenslage eine Existenzgefährdung.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt diesen Antrag mit der Begründung ab, es sei mit der Einhebung der Gebühren zwar eine Verschlechterung des Lebensstandards verbunden, eine Existenzgefährdung sei aber nicht gegeben und der Beschwerdeführer habe gar nicht behauptet, dass die Einhebung der Gebühren auch beim anderen Gesamtschuldner unbillig wäre.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung stützte der Beschwerdeführer auf das Vorliegen sowohl einer persönlichen als auch einer sachlichen Unbilligkeit. Eine sachliche Unbilligkeit liege vor, weil bei der Gebührenbemessung der anteilige Einheitswert zum herangezogen worden sei und dies zu einem krassen Missverhältnis und zu einer Unverhältnismäßigkeit der Besteuerung im Vergleich zu anderen Fällen und zu dem treuhändisch übertragenen Gesellschaftsanteil geführt habe. Ein persönlicher Vermögensnachweis beider Gesamtschuldner erübrige sich daher und werde allenfalls nachgereicht.

In einem Nachtrag zur Berufung brachte der Beschwerdeführer weitere Argumente für das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit vor und beantragte in eventu die Entlassung aus der Gesamtschuld nach § 237 BAO (darüber wurde mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/16/0098, entschieden).

In der Vorhaltsbeantwortung vom brachte der Beschwerdeführer vor, aus einer beigelegten Gegenüberstellung der monatlichen Einkünfte und fixen Lebenshaltungskosten ergebe sich ein durchschnittlicher monatlicher Fehlbetrag von ca. S 2.600,--. Die Finanzierung des Fehlbetrages erfolge durch einen Bankkredit. Des Weiteren bestünden Pfandschulden in der Höhe von derzeit S 2,779.000,--, die mit dem privaten Wohngebäude, in dem auch die derzeitige berufliche Tätigkeit ausgeübt werde, im Zusammenhang stünden. Nach der derzeitigen Einkommenssituation des anderen Gesamtschuldners habe dieser einen Gewinn von S 1,114.000,--. Diesen Einnahmen stünden Verbindlichkeiten in der Höhe von S 20 Mio. entgegen, welche im Grundbuch besichert seien. Der Einnahmenüberschuss werde dazu verwendet, die Schulden zu tilgen. Andere Einkünfte beziehe der Gesamtschuldner derzeit nicht. Der Gesamtschuldner sei noch Gesellschafter diverser Personengesellschaften, welche jedoch ein negatives Eigenkapital aufwiesen. Eine Bezahlung der Gebührenschuld aus den laufenden Einnahmen sei daher nicht möglich.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und führte in den Entscheidungsgründen zur sachlichen Unbilligkeit aus, die Abstellung auf den Zeitpunkt des maßgeblichen Einheitswertes lasse Entnahmen und Vermögensveränderungen in der Zeit bis zum tatsächlichen Abtretungszeitpunkt außer Betracht, doch begründe dies keine Unbilligkeit des Einzelfalles, die der Gesetzgeber hätte vermeiden wollen. Die Einbußen, die den Beschwerdeführer getroffen hätten, seien Auswirkungen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden seien und die jeden gleich berührten, der einen Steuertatbestand verwirkliche. Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor. Zur persönlichen Unbilligkeit führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer beziehe Einkünfte aus Gewerbebetrieb von monatlich durchschnittlich S 26.500,-- netto. Demgegenüber habe er monatlich aliquotierte Ausgaben in der Höhe von S 29.090,30 angegeben. Der Beschwerdeführer besitze auch Liegenschaften. Der monatliche Nahrungsstand sei damit nicht gefährdet. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Hypotheken seien zum Großteil in den monatlichen Belastungen als Rückzahlung erfasst. Der Kredit wegen Firmengründung bilde eine Betriebsausgabe. Zusammenfassend kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer habe Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ein Grundstück mit Haus. Der Nahrungsstand sei damit nicht gefährdet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Nachsicht der Gebührenschuld verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Beschwerdeführer äußerte sich in seiner Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff der "Unbilligkeit der Einhebung nach Lage des Falles" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr und der Antrag ist schon aus rechtlichen Gründen abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/15/0165, 0166).

Eine einem Abgabenschuldner gewährte Nachsicht hat gemäß § 236 BAO iVm § 235 BAO das Erlöschen des Abgabenanspruches zur Folge und schließt daher jede weitere Geltendmachung dieses Anspruches und damit auch jede Geltendmachung von Haftungen für die Abgabenschuld aus. Die Nachsicht einer Abgabenschuld kommt allen Solidarschuldnern (Mitschuldnern und Haftenden) zugute. Eine Nachsicht nach § 236 BAO darf sohin einem Gesamtschuldner nur dann gewährt werden, wenn die Billigkeitsgründe bei allen Mitschuldnern gegeben sind. Ein Nachsichtswerber muss im Hinblick auf die der Abgabenbehörde im Fall eines Gesamtschuldverhältnisses obliegende Begründungspflicht, ob die Nachsichtsvoraussetzungen bei allen Mitschuldnern gegeben sind oder nicht, der Abgabenbehörde gegenüber zunächst behaupten, dass die Einhebung der Abgabe auch bei den übrigen Gesamtschuldnern unbillig wäre (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/16/0103).

Es ist Sache des Beschwerdeführers, im Nachsichtsverfahren von sich aus initiativ, konkret, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die begehrte Nachsicht gestützt werden kann (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/14/0062).

Der Verwaltungsgerichtshof fordert in ständiger Rechtsprechung für den Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen (so genannte persönliche Unbilligkeit) oder im Steuergegenstande gelegenen Sachverhaltselementes (so genannte sachliche Unbilligkeit), aus dem sich ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Daher kann eine steuerliche Auswirkung, die ausschließlich die Folge eines als generelle Norm mit umfassendem personellem Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, nicht durch Nachsicht behoben werden (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/16/0204).

Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die alle vom allgemeinen Anwendungsbereich erfassten Abgabepflichtigen und damit alle konkret Betroffenen in gleicher Weise berühren, können nicht Unbilligkeiten der Einhebung des Einzelfalles sein und damit nicht im Einzelfall zu Nachsichten führen (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/13/0066).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das im Festsetzungsverfahren ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/16/0238) war im Beschwerdefall als Bemessungsgrundlage der anteilige Einheitswert heranzuziehen. Da als Wert eines Gesellschaftsanteiles im Sinne des § 33 TP 16 Abs. 1 Z. 1 lit. c GebG i.d.F. vor der Novelle BGBl. Nr. 629/1994 gemäß § 26 GebG iVm § 1 Abs. 2 BewG der im Verfahren über die Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens der Gesellschaft gemäß § 186 Abs. 3 BAO bestimmte anteilige Wert anzusetzen ist, kann auf Änderungen im Betriebsvermögen der Gesellschaft, die zwischen dem Zeitpunkt auf den der Einheitswert festgestellt wurde, und dem Zeitpunkt der Anteilsübertragung eingetreten sind, nicht Rücksicht genommen werden

(vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0137).

Nach der Rechtslage war die Heranziehung des anteiligen, zu dem, dem Tag der Abtretung vorhergehenden 1. Jänner festgestellten bzw. vorgeschriebenen Einheitswertes als Bemessungsgrundlage für die Gebührenvorschreibung nach § 33 TP 16 Abs. 1 Z. 1 lit. c GebG zwingend. Die darauf sich stützende Gebührenvorschreibung kann daher als Auswirkung der allgemeinen Rechtslage zu keiner Nachsicht aus Gründen der sachlichen Unbilligkeit führen. Dies auch dann nicht, wenn Änderungen im Betriebsvermögen der Gesellschaft zwischen den Zeitpunkten der Einheitswertfeststellung und dem Zeitpunkt der Anteilsübertragung eingetreten sind, weil der Gesetzgeber bei der Gebührenbemessung ausdrücklich von (meist niedrigeren) festgestellten Einheitswerten und nicht von (meist höheren) Verkehrswerten ausgegangen ist und überdies erhebliche Wertänderungen durch eine Neufeststellung des Einheitswertes (Wertvorschreibung nach § 21 Abs. 1 BewG) berücksichtigt werden können.

Die belangte Behörde konnte daher mit Recht von einem Nichtvorliegen einer sachlichen Unbilligkeit ausgehen.

Persönliche Unbilligkeiten sind anzunehmen, wenn die Einhebung der Abgabe, also die Einziehung (der später die zwangsweise Einbringung folgt) die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Abgabenschuldners in besonderer Weise unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeiten liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein. Allerdings bedeutet "persönliche Unbilligkeit" nicht nur Gefährdung der Existenzgrundlagen oder des Nahrungsstandes bzw. besondere finanzielle Schwierigkeiten und Notlagen. Es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschulden mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden ist, die außergewöhnlich sind, in ihren wirtschaftlichen Folgen atypisch und schwer wiegend sind oder die Leistungskraft in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen, damit geradezu die Lebensfähigkeit der Person des Abgabenpflichtigen gefährden (Stoll, BAO-Kommentar, 2430 und 2431).

Die belangte Behörde verneint eine persönliche Unbilligkeit bei der Einhebung der Gebühren beim Beschwerdeführer und geht auf das bestehende Gesamtschuldverhältnis ungeachtet auf das Vorliegen des Beschwerdeführers nicht ein. Die Begründung des angefochtenen Bescheides geht davon aus, dass der Beschwerdeführer alle Umstände dargetan hat, auf die sich die Nachsicht stützen kann und kommt bei der Lösung der Rechtsfrage zu dem Ergebnis, es liege keine Unbilligkeit der Einhebung vor. Dabei stützt sie sich jedoch auf aktenwidrige Feststellungen und unschlüssige Erwägungen. Wie der Beschwerdeführer im Einklang mit dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten in der Beschwerde vorbringt, verfüge der Beschwerdeführer nicht über "Liegenschaften", sondern nur über eine einzige Liegenschaft, die mit Hypotheken in der Höhe von S 2,097.000,-- belastet sei. Diese Hypotheken resultierten aus Bausparkassendarlehen und einer Landesförderung zur Finanzierung des Gebäudes, in dem sich die private Wohnung des Beschwerdeführers, die betrieblich genutzten Räumlichkeiten seines Unternehmens sowie die Wohnung seiner mit einem Wohnungsrecht ausgestatteten Mutter befänden. Zusätzlich sei ein Betriebskredit in Höhe von S 500.000,-- aushaftend, der anlässlich der Unternehmensgründung aufgenommen worden sei. Für diesen Betriebskredit bestehe eine hypothekarische Besicherung im Rahmen der obigen Hypothek in Höhe von S 2,097.000,--. Für eine weitere Belastung durch eine Kreditaufnahme für die Entrichtung der Abgabe sei keine Vermögensdeckung mehr vorhanden. Demnach ist es aktenwidrig, wenn die belangte Behörde ganz allgemein feststellt, der Beschwerdeführer besitze auch "Liegenschaften".

Nach den Feststellungen der belangte Behörde bezieht der Beschwerdeführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb von monatlich durchschnittlich S 26.500,--. Dem stünden Ausgaben von monatlich S 29.090,30 gegenüber. Ohne weitere Erläuterungen kommt die belangte Behörde zu dem Schluss, "der monatliche Nahrungsstand" sei "damit nicht gefährdet". Aus welchen Gründen bei den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen von negativen Einkünften von monatlich ca. S 2.600,-- keine Existenzgefährdung angenommen werden könne, bleibt die belangte Behörde darzulegen schuldig. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als nicht schlüssig. Daran vermögen auch die von der belangten Behörde offenbar als Unterstützung ihrer Argumentation angeführten Feststellungen, wonach die vom Beschwerdeführer angegebenen Hypotheken zum Großteil in den monatlichen Belastungen als Rückzahlung erfasst seien und der Kredit wegen Firmengründung eine Betriebsausgabe bilde, nichts zu ändern. Die belangte Behörde übersieht nämlich, dass sie damit einräumt, ein Teil der Hypotheken sei in den monatlichen Belastungen als Rückzahlung gar nicht erfasst, was eine weitere Belastung des Beschwerdeführers bedeutete. Entscheidend ist weiter nicht, ob Kreditrückzahlungen wegen der Firmengründung eine Betriebsausgabe sind und damit der Gewinn beeinflusst werde, sondern ob und insoweit den Beschwerdeführer die Kreditrückzahlung tatsächlich belastet. Dies wurde von der belangten Behörde nicht verneint und damit im Ergebnis nicht entsprechend gewürdigt.

Aus den dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG aufzuheben, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der aufgezeigten Umstände zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am