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VwGH vom 26.11.2002, 99/15/0248

VwGH vom 26.11.2002, 99/15/0248

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der M in P, vertreten durch Dr. Helmut Kientzl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Rudolf Diesel-Straße 26, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 7-1209/95, betreffend Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Finanzamtes vom wurde die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der V GmbH für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der GmbH (laut beiliegender Rückstandsaufgliederung) zur Haftung herangezogen und aufgefordert, die entsprechenden Beträge zu entrichten.

Der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin erhob Berufung und brachte vor, dass Anfang Dezember 1994 sämtliche Geschäftsunterlagen, inklusive PC und Buchhaltungsunterlagen vom Landesgericht Eisenstadt beschlagnahmt worden seien. Diese Unterlagen würden benötigt, um überprüfen zu können, ob schuldhaftes Verhalten vorliege. Da die Unterlagen auch vom Masseverwalter benötigt würden, hoffe er, auf diese Unterlagen bis Ende März zurückgreifen zu können und ersuchte um die Gewährung einer großzügigen Mängelbehebungsfrist.

Das Finanzamt forderte die Beschwerdeführerin auf, bis zum darzulegen, in welchen Punkten der Bescheid angefochten werde, welche Änderungen beantragt würden und die Berufung zu begründen.

Mit Schreiben vom wurde seitens der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass schuldhaftes Verhalten nicht vorliege. Es sei sogar der Rückstand an Abgabenschulden in Höhe von ca. S 4,5 Mio per März 1993 bis Jänner 1994 fast zur Gänze rückgeführt worden. Außerdem seien in der Haftungssumme Lohnabgaben enthalten, die in der Zwischenzeit vom Finanzamt "wieder gutgebucht" worden seien. Es stünde auch keineswegs fest, inwieweit der Rückstand im Konkursverfahren uneinbringlich sei.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab und führte aus, dass mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom über das Vermögen der V GmbH der Anschlusskonkurs eröffnet worden sei. Die aushaftenden Abgaben seien somit bei der Abgabenpflichtigen selbst nicht einbringlich. Die Haftung gegen die Beschwerdeführerin bestehe daher zu Recht, zumal sie seit dem die Geschäftsführertätigkeit ausübe. Auf dem Abgabenkonto der V GmbH i.K. seien S 6,577.075,69 ausgesetzt (Aussetzung der Einbringung), bis zur Eröffnung des Anschlusskonkurses seien zusätzlich noch S 613.728,-- in Vollstreckung. Der Rückstand betrage somit insgesamt S 7,190.803,--.

Die Geschäftsführerin habe keine Gründe dargelegt, die eine schuldhafte Pflichtverletzung ausschließen würden. So hafte beispielsweise die Umsatzsteuer für November 1992 aus, wobei davon auszugehen sei, dass diese "mit den Preisen" für die erbrachten Lieferungen und sonstigen Leistungen vereinnahmt werde und daher für die Abfuhr an das Finanzamt zur Verfügung stehe. Der Einwand des steuerlichen Vertreters, dass der Rückstand fast zur Gänze beglichen worden sei, gehe angesichts der obig angeführten Haftungssumme ins Leere.

Bei den aushaftenden Lohnsteuerbeträgen seien die Feststellungen der Lohnsteuerprüfung bzw. die Änderungen durch die Berufungsvorentscheidung vom ohnehin berücksichtigt worden. Das Vorbringen im Schreiben vom sei somit nicht stichhältig. Bei den nicht abgeführten Lohnsteuerbeträgen sei nämlich auf die Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988 zu verweisen, aus welcher sich ergebe, dass jede Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Prüfung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichten, eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten der Beschwerdeführerin mit den Rechtsfolgen des § 9 BAO darstelle.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Vorlage der Berufung zur Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und wies darauf hin, dass die Geschäftsunterlagen der V GmbH noch immer beschlagnahmt seien. Hinsichtlich der Umsatzsteuer November 1992 wies sie darauf hin, dass "dieser Betrag zuzüglich S 363.188,-- auf die Umsatzsteuer 12/1992 vom Finanzamt Wiener Neustadt im Februar 1993 nachgelassen" worden sei und deshalb diese Beträge nach Wiedervorschreibung und auf Grund des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit offen seien. Auch seien noch am S 300.000,-- an das Finanzamt Wiener Neustadt überwiesen worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Haftung auf die Höhe von S 6,403.700,-- eingeschränkt. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Die belangte Behörde führte aus, dass der mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt, GZ 1 S 26/94, nunmehr 9S 276/95z, über das Vermögen der Erstschuldnerin eröffnete Anschlusskonkurs nach Verteilung gemäß § 139 KO mit Beschluss des genannten Gerichtes vom aufgehoben sei. Die nach der Entrichtung der Quote aushaftenden haftungsgegenständlichen Abgaben seien daher bei der Erstschuldnerin uneinbringlich. Außer Streit stehe, dass die Beschwerdeführerin in dem in Rede stehenden Zeitraum Geschäftsführerin der V GmbH gewesen sei und damit zum Kreis der in § 80 BAO genannten Vertreter zähle. Es sei Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden dürfe. Als schuldhaft gelte jede Form des Verschuldens, somit auch leichte Fahrlässigkeit. Der Geschäftsführer hafte für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden seien, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet habe und die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten. In der Regel werde nur der Geschäftsführer jenen ausreichenden Überblick in die Gebarung der GmbH haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermögliche. Außerdem treffe den Haftenden die gleiche Offenlegungs- und Wahrheitspflicht wie den Abgabepflichtigen, sodass er zeitgerecht für die Möglichkeit des Nachweises pflichtgemäßen Handelns vorzusorgen habe. Im Hinblick darauf könne aus der Einwendung, dass die Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden seien, für das gegenständliche Haftungsverfahren nichts gewonnen werden. Es sei auch nicht behauptet worden, dass die Einsichtnahme in die Unterlagen ausgeschlossen gewesen sei.

Zu dem Vorbringen, es sei der Rückstand in Höhe von ca. S 4,5 Mio per März 1993 bis Jänner 1994 fast zur Gänze rückgeführt worden, sei festzustellen, dass - abgesehen davon, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben fast ausschließlich nach dem Jänner 1994 am Abgabenkonto verbucht bzw. fällig geworden seien - im genannten Zeitraum die Umsatzsteuer November 1992 in der Höhe von S 1,062.600,-- () sowie von der Umsatzsteuer Dezember 1992 ein Betrag in Höhe von S 363.188,-- () gemäß § 231 Abs. 1 BAO von der Einbringung ausgesetzt worden sei. Daraus ergebe sich, dass das Vorbringen, die Umsatzsteuer November 1992 (S 1,062.600,--) sowie ein Betrag in Höhe von S 363.188,-- von der Umsatzsteuer Dezember 1992 sei im Februar 1993 nachgelassen worden, unrichtig sei. Die Verfügung der Wiederaufnahme der Einbringung sei am erfolgt. Diese Aussetzung der Einbringung lasse jedoch nicht den Schluss zu, dass die Gesellschaft zum jeweiligen Fälligkeitstag völlig mittellos gewesen wäre. Vielmehr ergebe sich aus der Aktenlage, dass im gegenständlichen Zeitraum Löhne ausgezahlt worden seien, somit Mittel zur zumindest anteiligen Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten vorhanden gewesen seien.

Weiters ergebe sich aus dem Umstand, dass am ein Betrag in Höhe von S 300.000,-- an das Finanzamt Wiener Neustadt überwiesen worden sei, lediglich, dass die GmbH nicht völlig mittellos gewesen sei, nicht jedoch, dass die Beschwerdeführerin dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprochen habe. Da die Beschwerdeführerin keine geeigneten Gründe vorgebracht habe, welche die Annahme einer schuldhaften Verletzung der ihr auferlegten Pflichten ausschließen würden, könne es nicht als rechtswidrig angesehen werden, dass die Abgabenbehörde die Beschwerdeführerin zur Haftung herangezogen habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe die in vollem Prüfungsumfang an die Stelle der erstinstanzlichen Abgabenbehörde tretende Behörde zweiter Instanz auch Veränderungen des Sachverhaltes, welche erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eintreten oder hervorkommen, zu berücksichtigen.

Informativ werde darauf hingewiesen, dass eine mündliche Verhandlung nur bei vorgesehener Beschlussfassung durch einen Berufungssenat anzuberaumen sei, nicht jedoch wenn die Finanzlandesdirektion als Rechtsmittelbehörde monokratisch entscheide.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Die Beschwerdeführerin rügt, dass die belangte Behörde ihr Vorbringen betreffend des "Nachlasses" von Abgabenschuld (betreffend Umsatzsteuer November 1992 und Dezember 1992) durch das Finanzamt Wiener Neustadt nicht überprüft, sondern als bloße Behauptung abgetan hätte. Es sei mit dem Finanzamt vereinbart gewesen, dass diese Beträge zunächst ausgesetzt und mit Erfüllung eines Ratenplanes ausgebucht würden. Das Finanzamt habe dieser Vereinbarung zugestimmt, weil Nachlässe mit einer Bank und mit Lieferanten vereinbart worden seien. Die tatsächliche Ausbuchung sei aber auf Grund des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchgeführt worden. Hätte die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin überprüft, dann hätte der Berufung stattgegeben werden können.

Aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich, dass am zwischen der Primärschuldnerin und dem Finanzamt die Vereinbarung getroffen wurde, dass von dem damaligen Rückstand vorerst 40 % (S 1,062.600,--) ausgesetzt werden würden. Die restliche Schuld sollte durch die Realisierung der Bankgarantie und zwölf Monatsraten getilgt werden. Bei Erfüllung dieser Vereinbarung und pünktlicher Zahlung auch der laufenden Fälligkeiten wurde vom Finanzamt die "Löschung des ausgesetzten Betrages" zugesagt. Ebenfalls aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass unter Hinweis auf diese Vereinbarung vom Finanzamt am bzw. am die Aussetzung der Einbringung nach § 231 BAO und am die Wiederaufnahme der Einbringung (letztere mit der Begründung "Vereinbarung nicht eingehalten") verfügt wurde. Eine Abschreibung nach § 235 BAO lässt sich hingegen dem Verwaltungsakt nicht entnehmen. Weiters ist in dem im Verwaltungsakt einliegenden Auszug aus dem Firmenbuch ersichtlich, dass mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom das Ausgleichsverfahren eröffnet wurde. Mit Beschluss desselben Gerichtes vom wurde dieses Ausgleichsverfahren eingestellt und mit Beschluss vom der Anschlusskonkurs eröffnet. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die Verbuchung der "vereinbarten" Abschreibung lediglich infolge des Insolvenzverfahrens unterblieben sei, findet somit keine Entsprechung im Verwaltungsakt. Von einem Erlöschen der diesbezüglichen Abgabenschuld kann aus diesem Grunde nicht ausgegangen werden. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die belangte Behörde bei näherer Überprüfung des diesbezüglichen Vorbringens der Beschwerdeführerin der Berufung hätte Folge geben müssen, kann daher nicht gefolgt werden.

Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, dass die Einsichtnahme in die vom Gericht beschlagnahmten Unterlagen erst Mitte 1996 möglich geworden sei. Auf Grund dieser Einsichtnahme sei es möglich gewesen, eine Übersicht zu erstellen, aus der sich ergebe, dass im Beobachtungszeitraum die Finanzamtsverbindlichkeiten mit 14,89 % und die Gesamtverbindlichkeiten mit 16,74 % beglichen worden seien. Diese Aufstellung hätte bei einer mündlichen Berufungsverhandlung vorgelegt werden können. Durch die Nichtabhaltung der beantragten mündlichen Verhandlung sei das Parteiengehör verletzt worden. Bei diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass eine mündliche Verhandlung nur in den durch § 260 Abs. 2 BAO dem Berufungssenat zugewiesenen Fällen anzuberaumen ist und nicht auch dann, wenn die belangte Behörde - wie im Beschwerdefall - als Rechtsmittelbehörde monokratisch entscheidet (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 96/13/0048). Im Übrigen trifft den Haftungspflichtigen im Haftungsverfahren die Pflicht, von sich aus im Verfahren die Umstände aufzuzeigen, wonach ihn keine Pflichtverletzung in Bezug auf die Abgabenentrichtung durch die Primärschuldnerin trifft (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/14/0033). Dass es der Beschwerdeführerin in der Zeit ab Mitte 1996 bis zum Ergehen des angefochtenen Bescheides 1999 nicht möglich gewesen wäre, die in der Beschwerde erwähnte Aufstellung (über die anteilige Befriedigung der Abgabenschulden) beizubringen, wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Die nunmehr erstmals der Beschwerde angeschlossene Aufstellung unterliegt damit dem Neuerungsverbot gemäß § 41 VwGG.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am