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VwGH vom 19.05.1993, 91/13/0224

VwGH vom 19.05.1993, 91/13/0224

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld, vom , GZ. 6/1-1142/89-02, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 1985 und 1986, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Finanzbeamter, der in den beiden Streitjahren dem Oberlandesgericht Wien zur Dienstleistung zugeteilt war, gab in einem 1985 beim zuständigen Finanzamt eingereichten "Fragebogen bei Betriebsanmeldung" seine 1985 begonnene (nebenberufliche) Tätigkeit mit "Beeid.

Buchsachverständiger, Buchprüfung, Bilanzierung, Steuerberatung" an. In den Umsatz- und Einkommensteuererklärungen für 1985 und 1986 bezeichnete er seine Tätigkeit jeweils als "beeideter Buchsachverständiger". Weiters enthielten die Abgabenerklärungen und einzelne Beilagen dazu einen Stempelaufdruck mit der Berufsbezeichnung "Allg. beeideter gerichtl. Sachverständiger für das Rechnungswesen".

Im Zuge der Veranlagung für 1985 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, sämtliche Einnahmen- und Ausgabenbelege vorzulegen. Eine weitere Frage bezog sich auf die Aufwendungen für ein Arbeitszimmer. Auf der Durchschrift dieses Vorhaltes befindet sich ein undatierter, mit einem unleserlichen Handzeichen versehener Aktenvermerk, wonach das Arbeitszimmer ausschließlich betrieblich genutzt werde. Weiters befindet sich in den Akten eine Skizze über die Wohnung des Beschwerdeführers, in der das Arbeitszimmer eingezeichnet ist.

Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre zunächst erklärungsgemäß nach einem Steuersatz von 10 % fest; die Einkünfte aus der Nebentätigkeit des Beschwerdeführers wurden gleichfalls entsprechend den Steuererklärungen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit behandelt.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer fest, daß der Beschwerdeführer in den Streitjahren mehrere Gutachten in Pflegschafts- und Insolvenzfällen erstellt hatte. Er vertrat die Auffassung, daß die Umsatzsteuer nach dem Normalsteuersatz von 20 % zu bemessen sei, und daß es sich bei den Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb handle.

Das Finanzamt folgte der Auffassung des Prüfers, verfügte die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 1985 und 1986 und erließ dementsprechende Abgabenbescheide.

In der Berufung gegen diese Bescheide wurde unter anderem gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens eingewendet, daß keine geeigneten Wiederaufnahmsgründe vorgelegen seien. Insbesondere habe der Beschwerdeführer über Aufforderung des Finanzamtes mit sämtlichen Unterlagen vorgesprochen und auch mündlich über die Art der Tätigkeit Auskünfte erteilt.

In einer Gegenäußerung zu einer Stellungnahme des Prüfers führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, er habe (bei seiner mündlichen Vorsprache) das zuständige Organ des Finanzamtes über die genaue Art seiner Tätigkeit informiert; aus verschiedenen handschriftlichen Anmerkungen im Akt sei ersichtlich, daß diverse Überprüfungshandlungen gesetzt wurden. So sei der Beschwerdeführer zur Notwendigkeit eines Arbeitszimmers befragt worden, woraus ersichtlich sei, daß eine Schilderung der Tätigkeit erforderlich gewesen war. Die Art der Tätigkeit sei auch aus den vorgelegten Gebührennoten ersichtlich gewesen, da der Steuerpflichtige im strittigen Zeitraum ausschließlich für Gerichte tätig gewesen sei. Auch bei Bedachtnahme auf die Vorlage von Lohnzetteln des Oberlandesgerichtes Wien über die Haupttätigkeit des Beschwerdeführers habe aus den Beilagen der Steuererklärungen nicht der Schluß gezogen werden können, daß der Beschwerdeführer die Tätigkeit eines Wirtschaftstreuhänders ausgeübt habe.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung insoweit als unbegründet abgewiesen, als sie sich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens richtete. Hiezu wurde von der belangten Behörde die Auffassung vertreten, der vom Beschwerdeführer eingereichte Fragebogen sowie die Steuererklärungen hätten nicht eindeutig erkennen lassen, daß er ausschließlich als Sachverständigengutachter tätig gewesen sei. Es sei auch der Schluß möglich gewesen, daß der Beschwerdeführer als Wirtschaftstreuhänder hauptberuflich selbständig tätig gewesen sei oder daß seine Tätigkeit als Sachverständiger wissenschaftlich gewesen sei. Daß der Beschwerdeführer das Finanzamt anläßlich seiner Vorsprache über die genaue Art seiner Tätigkeit informiert habe, entspreche nicht der Aktenlage. Gegenstand des Vorhaltes und der daraufhin erfolgten Vorsprache des Beschwerdeführers sei lediglich ein Arbeitszimmer gewesen. Auch die Vorlage der Gebührennoten durch den Beschwerdeführer sei nicht aktenkundig.

Gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die unrichtige Anwendung der Bestimmungen des § 303 Abs. 4 BAO in seinen Rechten verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter anderem in den Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen im Sinne dieser Gesetzesstelle sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 90/15/0118, und vom , 90/15/0183). Demgegenüber sind neue Erkenntnisse in bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente, gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen wurden, keine "Tatsachen" (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, S. 723 f, und die dort zitierte Rechtsprechung).

Im Beschwerdefall wurden von der Abgabenbehörde insbesondere im Zuge der vorgenommenen abgabenbehördlichen Prüfung keinerlei tatsächlichen Umstände festgestellt, die im abgeschlossenen Verfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Mangels solcher Feststellungen über Sachverhaltselemente beschränkt sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf Mutmaßungen, wie die Angaben des Beschwerdeführers in seinen Steuererklärungen zu verstehen gewesen seien. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde geht aus der vom Beschwerdeführer in den Steuererklärungen gewählten Berufsbezeichnung und den in den Steuererklärungen sowie in den Beilagen dazu enthaltenen Stempelabdrucken (sowohl eines Langstempels als auch eines Rundstempels) mit genügenden Deutlichkeit hervor, daß der Beschwerdeführer als gerichtlich beeideter Sachverständiger für das Rechnungswesen tätig gewesen ist. Eine Annahme, der Beschwerdeführer sei als Steuerberater hauptberuflich tätig gewesen, ist entgegen der im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachten Auffassung nach den Steuererklärungen und ihren Beilagen völlig ausgeschlossen gewesen. Ebenso ist darin auch nicht der geringste Anhaltspunkt für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit enthalten.

Bei dieser Sachlage ist der Umstand, ob der Beschwerdeführer den zuständigen Organträger des Finanzamtes bei der aktenkundigen Vorsprache über die Art seiner Tätigkeit informiert hat, zwar nicht mehr von wesentlicher Bedeutung. Der Beurteilung dieses Vorganges durch die belangte Behörde kann darüberhinaus jedoch gleichfalls nicht gefolgt werden. Die Feststellung der belangten Behörde, Gegenstand des Vorhaltes sei lediglich ein Arbeitszimmer gewesen, widerspricht dem Akteninhalt. Auch hat sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, aus verschiedenen handschriftlichen Anmerkungen im Akt sei ersichtlich, daß das Organ des Finanzamtes (bei der seinerzeitigen Vorsprache des Beschwerdeführers) diverse Überprüfungshandlungen gesetzt hat, in keiner Weise auseinandergesetzt. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang die Behauptung aufstellt, es entspreche nicht der Aktenlage, daß der Beschwerdeführer über die Art seiner Tätigkeit informiert und Gebührennoten vorgelegt habe, so ist ihr zu erwidern, daß es nicht dem Steuerpflichtigen zur Last gelegt werden kann, wenn das Behördenorgan den zwingenden Anordnungen des § 87 Abs. 2 BAO über die Aufnahme einer Niederschrift sowie des § 89 BAO über den Inhalt eines Aktenvermerks nicht entsprochen hat. Jedenfalls wäre die belangte Behörde im Hinblick auf die ihr obliegende amtswegige Ermittlungspflicht gehalten gewesen, zunächst das Organ des Finanzamtes auszuforschen und zum Sachverhalt zu befragen, ehe sie der Darstellung des Beschwerdeführers über den Ablauf der Amtshandlung entgegentritt.

Da jedoch eine Rechtswidrigkeit des Inhalts einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.