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VwGH vom 11.12.2003, 99/14/0081

VwGH vom 11.12.2003, 99/14/0081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des G S in L, vertreten durch Haslinger, Nagele & Partner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Roseggerstraße 58, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat III) vom , RV/157/01-07/M/97, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer veräußerte im Jahr 1994 an der Luxemburger Börse notierte Aktien von Gesellschaften, die nach Luxemburger Recht gegründet und als geschlossene Kapitalanlagefonds ausgestaltet waren . Er stellte den Antrag, diese Veräußerungserträge aus der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer für das Jahr 1994 auszuscheiden. Die belangte Behörde folgte im Instanzenzug diesem Antrag nicht und wies unter Bezugnahme auf § 42 Abs. 2 Z. 5 des Investmentfondsgesetzes 1993 (InvFG) die Berufung gegen den Bescheid des Finanzamtes ab. Sie begründete diese Entscheidung damit, dass gemäß § 40 Abs. 1 InvFG Ausschüttungen eines Kapitalanlagefonds an die Anteilsinhaber bei diesen steuerpflichtige Einnahmen darstellten. Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen blieben Ausschüttungen aus Substanzgewinnen außer Ansatz. Substanzgewinne seien Gewinne aus der Veräußerung von Vermögenswerten eines Fonds, einschließlich von Bezugsrechten. Gemäß § 42 Abs. 2 InvFG gelte als ausländischer Kapitalanlagefonds ungeachtet der Rechtsform jedes einem ausländischen Recht unterstehende Vermögen, das nach Gesetz, Satzung oder tatsächlicher Übung nach dem Grundsatz der Risikostreuung angelegt sei. Ausschüttungsgleiche Erträge seien nachzuweisen. Der Nachweis sei durch einen gegenüber den Abgabenbehörden bestellten inländischen Vertreter zu führen. Als inländischer Vertreter könnten inländische Kreditinstitute und inländische Wirtschaftsprüfer oder inländische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bestellt werden.

Ausschüttungsgleiche Erträge aus Substanzgewinnen blieben nur insoweit außer Ansatz, als sie im Weg des inländischen Vertreters nachgewiesen würden. Die risikostreuende Veranlagung der Luxemburger Aktiengesellschaften löse in Anwendung des § 42 Abs. 2 Z. 5 InvFG die Steuerpflicht aus. Der Ertrag aus der Veräußerung der gegenständlichen Anteile sei somit als ausschüttungsgleicher Ertrag anzusetzen. Die Bestimmung des § 42 Abs. 2 Z. 5 InvFG sei nicht verfassungswidrig; im Übrigen sei die Behörde an das im Art. 18 Abs. 1 B-VG verankerte Legalitätsprinzip gebunden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom (B 401/98-3) die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

Der Beschwerdeführer erachtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren u.a. in seinem gesetzlich gewährleisteten subjektiv-öffentlichen Recht auf Freiheit des Kapitalverkehrs, insbesondere gemäß Art. 40 des EWR-Abkommens in Verbindung mit der durch Anhang XII übernommenen Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 40 Abs. 1 InvFG idF BGBl. Nr. 818/1993 lautet:

"Die Ausschüttungen eines Kapitalanlagefonds an die Anteilsinhaber sind bei diesen steuerpflichtige Einnahmen. Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen bleiben Ausschüttungen aus Substanzgewinnen außer Ansatz. Substanzgewinne sind Gewinne aus der Veräußerung von Vermögenswerten eines Fonds, einschließlich von Bezugsrechten."

§ 42 leg. cit. lautet:

"Anwendungsbereich des IV. Abschnittes

§ 42. (1) Die Bestimmungen der §§ 40 und 41 gelten, sofern nichts anderes bestimmt ist (§ 41), nur für Kapitalanlagefonds, die nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gebildet sind (§ 1) und deren Anteile öffentlich zur Zeichnung aufgelegt werden.

(2) Auf ausschüttungsgleiche Erträge eines ausländischen Kapitalanlagefonds an die Inhaber von Anteilsrechten sind die Z 1 bis 5 anzuwenden:

1. Als ausländischer Kapitalanlagefonds gilt ungeachtet der Rechtsform jedes einem ausländischen Recht unterstehende Vermögen, das nach Gesetz, Satzung oder tatsächlicher Übung nach dem Grundsatz der Risikostreuung angelegt ist.

Veranlagungsgemeinschaften in Immobilien im Sinne des § 14 des Kapitalmarktgesetzes sind ausgenommen.

2. Als ausschüttungsgleiche Erträge gelten bei Kapitalanlagefonds, deren Anteilsrechte im Inland öffentlich angeboten werden, die tatsächlichen Ausschüttungen auf die Anteilsrechte sowie die von einem ausländischen Kapitalanlagefonds vereinnahmten und nicht zur Kostendeckung oder Ausschüttung verwendeten Zinsen, Dividenden und sonstigen Erträge. Soweit nicht tatsächliche Ausschüttungen vorliegen, gelten die ausschüttungsgleichen Erträge mit Ablauf des Geschäftsjahres des ausländischen Kapitalanlagefonds, in dem sie vom Fonds vereinnahmt wurden, mit dem sich aus dem Anteilsrecht ergebenden Ausmaß als ausgeschüttet.

3. Die ausschüttungsgleichen Erträge im Sinne der Z 2 sind nachzuweisen. Der Nachweis ist durch einen gegenüber den Abgabenbehörden bestellten inländischen Vertreter zu führen. Als inländischer Vertreter können inländische Kreditinstitute und inländische Wirtschaftsprüfer oder inländische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bestellt werden. § 40 Abs. 1 ist anzuwenden. Ausschüttungsgleiche Erträge aus Substanzgewinnen bleiben nur insoweit außer Ansatz, als sie im Wege des inländischen Vertreters nachgewiesen werden.

4. Unterbleibt ein Nachweis im Sinne der Z 3 oder werden die Anteilsrechte im Inland nicht öffentlich angeboten, gelten als ausschüttungsgleiche Erträge die tatsächlichen Ausschüttungen sowie 90% des Unterschiedsbetrages zwischen dem ersten und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis. Als ausschüttungsgleicher Ertrag sind in einem solchen Fall aber mindestens 10% des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises anzusetzen.

5. Bei Veräußerung eines Anteilsrechtes sind für den Zeitraum seit Ende des letzten Geschäftsjahres als ausschüttungsgleicher Ertrag der Unterschiedsbetrag zwischen dem bei Veräußerung festgesetzten Rücknahmepreis und dem letzten im abgeschlossenen Geschäftsjahr festgesetzten Rücknahmepreis anzusetzen. Als ausschüttungsgleicher Ertrag sind aber mindestens 0,8% des bei der Veräußerung festgesetzten Rücknahmepreises für jeden angefangenen Monat des im Zeitpunkt der Veräußerung laufenden Geschäftsjahres anzusetzen. In den Fällen der Z 4 tritt an die Stelle des Geschäftsjahres das Kalenderjahr.

6. In den Fällen der Z 4 und 5 kann anstelle des Rücknahmepreises auch der veröffentlichte Rechenwert sowie bei börsegehandelten Anteilen der Börsekurs herangezogen werden."

In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass der angefochtene Bescheid der Bestimmung des § 42 InvFG entspricht. Die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liege darin, dass Art. 40 des EWR-Abkommens (BGBl. Nr. 909/1993) iVm der genannten Richtlinie 88/361/EWG der Vorgangsweise der belangten Behörde entgegenstehe.

Art. 40 des EWR-Abkommens lautet:

"Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in bezug auf Berechtigte, die in den EG-Mitgliedstaaten oder den EFTA-Staaten ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten."

Art. 1 Abs. 1 der in Anhang XII angeführten RL 88/361/EWG lautet:

"Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert."

Geschäfte mit Anteilsscheinen an ausländischen Investmentfonds fallen gemäß der Nomenklatur in Anhang I unter den Begriff des Kapitalverkehrs der genannten Richtlinie.

Das EWR-Abkommen ist sowohl von den Zielsetzungen als auch vom gesamten Systemansatz her im wesentlichen als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag traditioneller Art zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/16/0182). Im Hinblick auf die Genehmigung durch den Nationalrat hat das EWR-Abkommen seine bindende Kraft erhalten (vgl. Art. 49f B-VG). Abgesehen von dem für den Beschwerdefall nicht weiter maßgeblichen Umstand, dass die Anwendbarkeit des EWR-Abkommens die Beschlussfassung verschiedener Begleitgesetze erforderte, ist damit das EWR-Abkommen unmittelbar anwendbar (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis Zl. 94/16/0182 mwN).

Zu den durch Art. 9 B-VG rezipierten allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gehört vor allem der Grundsatz der Vertragstreue. Es müssen daher die innerstaatlichen Rechtsnormen so ausgelegt werden, dass sie zu den zwischenstaatlichen Verpflichtungen Österreichs nicht in Widerspruch geraten. Überdies haben sich im Art. 3 Satz 1 des EWR-Abkommens die Vertragsparteien ausdrücklich verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus diesem Abkommen ergeben. Nach der weiteren Verfassungsbestimmung des Art. 6 conv. cit. sind die Bestimmungen des Abkommens im Einklang mit den vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens () erlassenen Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auszulegen. (Vgl. zum Ganzen das wiederholt zitierte Erkenntnis Zl. 94/16/0182.)

Das § 42 InvFG ändernde BGBl. Nr. 818/1993 wurde am kundgemacht, das EWR-Abkommen hingegen am .

Da der Grundsatz "lex posterior derogat legi priori" positivrechtliche Geltung besitzt (VfSlg. 12.184/1989), ist durch die spätere völkerrechtliche (gesetzesgleiche) Norm des Art. 40 conv. cit. die früher kundgemachte Norm des § 42 InvFG infolge materieller Derogation insoweit "aufgehoben" worden, als sie im Widerspruch zum EWR-Abkommen stand.

In dem zitierten Erkenntnis Zl. 94/16/0182 legte der Gerichtshof bereits seine Ansicht dar, dass das EWR-Abkommen in dem von ihm geregelten Teilbereich unzweifelhaft auf möglichste Vollständigkeit der behandelten Rechtsgebiete angelegte Regeln enthalte. Mit dem EWR-Abkommen sollte ebenso wie die im genannten Erkenntnis angesprochene Freiheit des Warenverkehrs zwischen den Vertragsparteien auch jene des Kapitalverkehrs mit einer einheitlichen Regelung abschließend bestimmt werden. Infolge dieser erschöpfenden Regelung ist im vorgegebenen Teilbereich von einer Derogation der diesen freien Kapitalverkehr beeinträchtigenden Normen auszugehen.

Unzweifelhaft verstößt die Bestimmung des § 42 InvFG in der hier maßgeblichen Fassung gegen die in Art. 40 conv. cit. und der RL 88/361/EWG festgelegte Freiheit des Kapitalverkehrs. So sprach der , Slg. 2000, I 4071, Rz. 33, aus, dass es eine durch Art. 1 der Richtlinie 88/361/EWG verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs darstelle, wenn bei der Besteuerung des Einkommens von natürlichen Personen, die Anteilseigner sind, die Gewährung eines Steuervorteils, wie etwa eines Freibetrages auf Dividenden, von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass diese Dividenden von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz im Inland haben. Durch diese Bestimmung würden nämlich Staatsangehörige eines Mitgliedstaats davor abgeschreckt, ihr Kapital in Gesellschaften anzulegen, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Eine solche Bestimmung stelle für Gesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, ein Hindernis dar, weil die an inländische Personen gezahlten Dividenden steuerlich ungünstiger behandelt würden als die von einer inländischen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden.

Da somit die belangte Behörde entgegen der dargelegten Verdrängung des § 42 InvFG idF BGBl. Nr. 818/1993 durch Art. 40 des EWR-Abkommens iVm Art. 1 der genannten RL die erstgenannte Bestimmung zu Lasten des Beschwerdeführers angewendet hat, ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am