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VwGH vom 19.02.1992, 91/12/0296

VwGH vom 19.02.1992, 91/12/0296

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Herberth und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Haid, über die Beschwerde des Dr. NN in W, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom , Zl. MA 2/143/87, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Magistratsrat i.R. in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zur Stadt Wien und ist rechtskundig.

Er hatte am , damals als Bediensteter der Magistratsabteilung 70, die Zuerkennung einer Personalzulage beantragt. Das über diesen Antrag eingeleitete Verfahren wurde durch Ablehnung des Antrages mit Bescheid der belangten Behörde vom rechtskräftig abgeschlossen.

Dagegen strengte der Beschwerdeführer ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof an, das am mit einer Abweisung endete (vgl. Zl. 88/12/0069).

Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme dieses Verwaltungsverfahrens.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit Bescheid vom gemäß § 69 Abs. 2 AVG zurück. Dagegen wurde vom Beschwerdeführer am Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben (vgl. Zl. 91/12/0150 - noch anhängig).

Unter Hinweis auf dieses (erste) Wiederaufnahmeverfahren, die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde und die Gegenschrift der belangten Behörde vom brachte der Beschwerdeführer am einen neuerlichen Antrag auf Wiederaufnahme des vorher genannten Verwaltungsverfahrens ein.

Diesen (zweiten) Wiederaufnahmeantrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid ebenfalls gemäß § 69 Abs. 2 AVG zurück.

Zur Begründung wird nach Wiedergabe des bereits dargestellten Verfahrensablaufes und der Rechtslage im wesentlichen weiter ausgeführt, der Beschwerdeführer habe als Wiederaufnahmegrund geltend gemacht, daß die belangte Behörde im seinerzeitigen Verwaltungsverfahren "die verfahrensgegenständliche Urkunde Dris. XY vom " gekannt habe, ihm aber "diese Urkunde vor seiner Bescheiderlassung unterschlagen worden sei, um ihn an der vollständigen amtlichen Verifizierung seines behaupteten Sachverhaltes zu hindern". Mit der "verfahrensgegenständlichen Urkunde Dris. XY vom " sei ein Antrag des damaligen Leiters der Magistratsabteilung 70 an die Magistratsdirektion-Verwaltungsrevision auf Zuerkennung einer Personalzulage an den Beschwerdeführer gemeint. Von diesem Wiederaufnahmegrund habe der Beschwerdeführer erst durch die Gegenschrift der belangten Behörde vom , ihm zugegangen am , Kenntnis erlangt. Er habe weiters behauptet, daß ihm die als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Umstände auch nach seinem Wiederaufnahmeantrag vom zur Aufrechterhaltung des "rechtswidrigen" Verfahrenszustandes verschwiegen worden wären.

Die belangte Behörde führt dann weiter aus, daß dem Beschwerdeführer bereits in einem behördlichen Schreiben vom , zugestellt am , die Mitteilung zugegangen sei, das von ihm problematisierte Schreiben sei in den Verwaltungsakten des mit Bescheid vom abgeschlossenen Verfahrens enthalten gewesen. Eine gleiche Aussage sei in der Begründung des Bescheides der belangten Behörde vom (der Erledigung des ersten Wiederaufnahmeantrages) enthalten gewesen.

Der Beschwerdeführer habe daher schon länger als zwei Wochen vor dem gewußt, daß die belangte Behörde "die verfahrensgegenständliche Urkunde Dris. XY vom " im Verwaltungsverfahren über seine Personalzulage gekannt habe. Daß ihm diese Urkunde in diesem Verfahren - aus welchen Gründen immer - nicht zur Kenntnis gebracht worden sei, sei dem Beschwerdeführer naturgemäß ebenfalls schon längere Zeit bekannt gewesen. Er habe auch im ersten Wiederaufnahmeverfahren in seinem Antrag vom auf Seite 2 festgehalten, daß ihm "die darin die Personalzulagen-Sache betreffenden Urkunden im Verfahren vor der ersten und zweiten Instanz niemals vorgehalten worden waren", und sodann u.a. die "Antragstellung Dris. XY vom " zitiert. Ebenfalls in seinem ersten Wiederaufnahmeverfahren habe der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom folgendes ausgeführt:

"Im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auf Abgeltung der

erbrachten Mehrdienstleistungen ... wurde aber insbesondere die

so wesentliche Urkunde vom ... vorenthalten. Da

sie laut Mitteilung der MA 1 jedoch im Akt war, wurde sie mir

gegenüber ... unterdrückt."

Der Beschwerdeführer habe somit von dem von ihm geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund nicht erst in den letzten zwei Wochen vor der Einbringung des Antrages am Kenntnis erlangt. Wieso die Gegenschrift der belangten Behörde vom , in der auf die Begründung des Bescheides vom verwiesen und der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom zitiert worden sei, als Nachweis für das Gegenteil geeignet wäre, sei für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Soweit dem für den Verfahrensgegenstand Bedeutung zukommt, bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, er habe erst durch die von der belangten Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. Zl. 91/12/0150 - noch anhängig) erstattete Gegenschrift, die ihm am zugestellt worden sei, Kenntnis davon erlangt, daß "sich Kopien sowohl des Antrages der MA 70 vom als auch der Entscheidung der MD-VR vom über diesen Antrag in den Akten des Verfahrens befanden und befinden, das mit Bescheid des Berufungssenates vom abgeschlossen worden ist."

Diese Tatsachenbehauptung sei darüber hinaus noch vom Vorsitzenden der belangten Behörde unterfertigt. Der heutige Vorsitzende sei immerhin Beisitzer im Vorverfahren unter dem Vorsitz des inzwischen verstorbenen seinerzeitigen Vorsitzenden gewesen. Bis zum Zeitpunkt des Einlangens der Gegenschrift im Verfahren Zl. 91/12/0150 sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen, daß die belangte Behörde die Urkunde vom bei ihren Akten gehabt, diese auch zur Kenntnis genommen hätte und trotz dieser Kenntnis die für ihn und seinen Verfahrensantrag auf Zuerkennung der Personalzulage oder Abgeltung der erbrachten Mehrdienstleistungen nicht hätte verwerten und dem Beschwerdeführer die Kenntnis von dieser Urkunde hätte vorenthalten wollen. Dieser objektive und subjektive Sachverhalt sei für den Beschwerdeführer das Neue, das durch die Aussage des damals an der Entscheidung der belangten Behörde mitwirkenden Mitgliedes der Kollegialbehörde auf einen Zeitpunkt vor der Bescheiderlassung bezogen, hervorgekommen sei und "somit als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 geltend zu machen war."

"Die bewußte Unterdrückung einer für das Verfahren einerseits wie auch für den Ausgang des Verfahrens andererseits wesentlichen Urkunde erfüllt wenn nicht gerade ein Beweismitteldelikt so doch immerhin einen objektiven Tatbestand, der mit Täuschung und mit anderen Worten als Erschleichung zu umschreiben ist." Daß die Urkunde Dris. XY vom später dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt worden wäre, sei bis dato durch die belangte Behörde ebenfalls nicht bewiesen worden. Unter dem Gesichtspunkt des nunmher geltend gemachten absoluten (weil auf "§ 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950" gestützten) Wiederaufnahmegrundes sei aber auch dieser Beweis nunmehr entbehrlich, da selbst bei Gelingen des Beweises - die bisher vom Beschwerdeführer eingesehene Aktenlage spreche dagegen und obliege hier die Würdigung ausschließlich dem Verwaltungsgerichtshof - nicht der Nachweis hätte erbracht werden können, daß der Beschwerdeführer schon vorher Kenntnis darüber erlangt hätte, daß der belangten Behörde die Urkunde Dris. XY vom vor der Bescheiderlassung vom vorgelegen und daß die belangte Behörde in Kenntnis dieses Umstandes dennoch diese Urkunde nicht hätte verwerten und dem Beschwerdeführer gegenüber hätte geheimhalten wollen. Die entgegenstehende Argumentation der belangten Behörde führe jedoch zwecks Stützung ihrer Zurückweisungsentscheidung am Kern des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes gemäß "§ 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950" vorbei und verletze darüber hinaus logische Denkgesetze.

Die belangte Behörde hätte daher - so der Beschwerdeführer in seinem Vorbringen zusammenfassend - auf Grund seines rechtzeitigen Antrages gemäß "§ 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950" in Verbindung mit "§ 69 Abs. 2 und 4 AVG 1950" stattgeben müssen und nicht mit dem gar nicht primär geltend gemachten Wiederaufnahmegrund des "§ 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950" abgestellten und damit unrichtigen Argumentationskomplex zurückweisen dürfen. Damit belaste die belangte Behörde ihre Entscheidung nicht bloß mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sondern auch mit Verletzung infolge Rechtswidrigkeit des Inhaltes, zumal der Letztgenannte seine Ursache in der falschen Grundannahme von Seiten der belangten Behörde zu haben scheine, der Beschwerdeführer hätte einen Wiederaufnahmegrund "relativer Art gemäß § 69 Abs. 1 lit. b" geltend gemacht, welche Annahme jedoch aktenwidrig sei.

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG (BGBl. Nr. 51/1991) ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. Der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatschen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder ....

Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Der Beschwerdeführer irrt, wenn er - soweit dies nachvollziehbar ist - dem Sinne nach meint, die im § 69 Abs. 2 AVG enthaltene Frist für die Antragstellung gelte nur für den Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG. Eine derartige Einschränkung ist dem Abs. 2 des § 69 AVG nicht zu entnehmen.

Darüber hinaus kommt der Beschwerde schon aus folgenden Überlegungen keine Berechtigung zu:

Wie dem vorher diesbezüglich wörtlich wiedergegebenen Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist, will der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiederaufnahme auf den im § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG letztgenannten Grund der "Bescheid-Erschleichung" gestützt sehen. Darunter ist ein vorsätzliches - nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges - Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen. Es kann sich um die Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder um das Verschweigen relevanter Umstände handeln. Von einem "Erschleichen" kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn falsche Angaben gemacht werden, die die Behörde im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens als solche hätte erkennen können. Eine "Erschleichung" kann NUR VON EINER PARTEI ODER IHREM VERTRETER vorgenommen werden, da in dem Tatbestand "Erschleichen" ein Sichzuwenden liegt, wofür jedenfalls nicht die Behörde in Betracht kommt. Für diese Auslegung spricht auch die naheliegende Bestimmung des § 530 Abs. 1 Z. 3 ZPO, der von strafbaren Betrugshandlungen des Gegners oder eines Parteienvertreters spricht (vgl. die Ausführungen von Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes5, Rz 586 und die dort angegebenen Judikatur- bzw. Literaturhinweise).

Die der Beschwerde zugrunde liegende Auffassung des Beschwerdeführers, die Behörde habe den Wiederaufnahmegrund der Erschleichung verwirklicht, ist daher von vornherein als unrichtig zu erkennen, weil der Tatbestand des Erschleichens nicht auf das Handeln der Behörde anwendbar ist.

Im übrigen hat sich die belangte Behörde sogar schon in der Begründung ihres Bescheides betreffend die Personalzulage mit dem vom Beschwerdeführer problematisierten Schreiben vom inhaltlich auseinandergesetzt. Bereits davon ausgehend entbehrt das Vorbringen des Beschwerdeführers der sachlichen Berechtigung; da dies bereits auf Grund des Beschwerdeinhaltes erkennbar war, konnte die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 iVm § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.