VwGH vom 25.09.2002, 99/13/0034
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Helga Wagner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 30, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/0774-08/02/98, betreffend Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist als Kraftfahrer bei einem Mineralölvertriebsunternehmen beschäftigt. In seiner Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 1997 machte er Diäten "laut beiliegender Aufstellung" als Werbungskosten geltend. Es handelte sich um einen Gesamtbetrag von 56.822 S, der sich als "Differenzbetrag" zu dem vom Dienstgeber gewährten "steuerfreien Ersatz" ergab. In den Beilagen war die Berechnung der Differenzbeträge monatsweise unter Anschluss einer Darstellung der jeweiligen Reiseziele und Reisezeiten ausgewiesen.
Im Einkommensteuerbescheid vom ließ das Finanzamt die geltend gemachten Diäten unberücksichtigt. Tagesgelder stellten nur dann Werbungskosten dar, wenn kein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit begründet werde. Ein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit werde bei einer Fahrtätigkeit stets dann begründet, wenn die Fahrtätigkeit regelmäßig in einem lokal eingegrenzten Bereich oder auf (nahezu) gleich bleibenden Routen erfolge. Auf Grund einer "geänderten Rechtsansicht" sei in "Ihrem Fall durch die Fahrtätigkeit ein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit entstanden".
In der Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, die Behörde habe die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhaltes verletzt und kein ordnungsgemäßes Beweisverfahren durchgeführt. Eine geänderte Rechtsansicht sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom führte das Finanzamt aus, "aus der ständigen Rechtsprechung" des Verwaltungsgerichtshofes gehe hervor, dass der Aufenthalt an einem Ort - sofern dieser über eine kurze Anfangsphase hinausgehe - als Mittelpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen angesehen werden müsse und daher keine Reise vorliege. Werbungskosten lägen dann nicht mehr vor, wenn immer wieder dieselben Gebiete angefahren würden, was "laut Ihrer Aufstellung auch der Fall ist".
In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz brachte der Beschwerdeführer vor, es entspreche nicht den Tatsachen, dass er immer wieder dieselben Gebiete anfahre. Vielmehr werde er von seiner "Firma" eingeteilt, "so wie die Kunden Heizöl und Diesel benötigen, also kreuz und quer durchs Burgenland". Heute "bin ich da, morgen bin ich dort eingeteilt". Der Beschwerdeführer könne sich nicht aussuchen, wo er günstiges Mittagessen bekomme bzw. billig essen könne. Das Finanzamt habe die der Steuererklärung beiliegende detaillierte Aufstellung nicht ausreichend geprüft.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Eine Reise nach § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 liege nur dann vor, wenn sich der Steuerpflichtige zwecks Verrichtung beruflicher Obliegenheiten oder aus beruflichem Anlass mindestens 25 km vom Mittelpunkt seiner Tätigkeit entferne, ohne dass dadurch der bisherige Mittelpunkt der Tätigkeit aufgegeben und kein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit begründet werde. Mittelpunkt der Tätigkeit könne nicht nur ein statischer Dienstort sein. Durch eine auf Dauer angelegte Fahrtätigkeit (z.B. Lokführer, Buslenker, LKW-Lenker) begründeten die zur Betreuung dieser Beförderungsmittel abgestellten Personen in diesen Fahrzeugen einen - weiteren - Mittelpunkt der Tätigkeit. Der Aufenthalt im jeweiligen Beförderungsmittel (d.h. am jeweiligen Dienstort) sei keine Reise im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988. Neben administrativen Agenden sei es Aufgabe des Beschwerdeführers, mittels LKW Güter zu befördern. Der Aufenthalt im LKW (also am Dienstort) stelle jedoch - auch wenn sich dieser fortbewege - keine Reise dar. Ein Entfernen vom LKW (dem weiteren Mittelpunkt der Tätigkeit) zwecks Verrichtung beruflicher Obliegenheiten oder sonst aus beruflichem Anlass "von mindestens 25 km" sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Die Berücksichtigung von Differenzreisekosten nach § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 sei daher nicht zulässig. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer die günstigen Verpflegungsmöglichkeiten in den regelmäßig immer wieder angefahrenen Zielgebieten bekannt seien, weshalb schon aus diesem Grund die Geltendmachung der Differenzreisekosten nicht möglich sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde erwogen:
Mit dem Begriff der "Reise" im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 9 EStG 1988 hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt auseinander gesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Aufenthalt an einem Ort, der als Mittelpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen angesehen werden muss, keine Reise darstellt, wobei auf Grund längeren Aufenthalts des Steuerpflichtigen ein Ort zu einem (weiteren) Mittelpunkt der Tätigkeit wird. Der längere Aufenthalt ermöglicht es ihm, sich dort über die Verpflegungsmöglichkeiten zu informieren und so jenen Verpflegungsmehraufwand zu vermeiden, der allein die Annahme von Werbungskosten statt nicht abzugsfähiger (üblicher) Verpflegungsaufwendungen der privaten Lebensführung rechtfertigt. Erstreckt sich die Tätigkeit des Steuerpflichtigen auf mehrere Orte in der Weise, dass jeder Ort - für sich betrachtet - Mittelpunkt der Tätigkeit sein könnte, dann ist jeder dieser Orte als Mittelpunkt der Tätigkeit zu qualifizieren und der Aufenthalt an ihm keine Reise. Sowohl eine mit Unterbrechungen ausgeübte Beschäftigung an einem Ort als auch wiederkehrende Beschäftigungen an einzelnen nicht zusammenhängenden Tagen können die Eignung eines Ortes zu einem weiteren Mittelpunkt der Tätigkeit begründen, sofern die Dauer einer solchen wiederkehrenden Beschäftigung am selben Ort insgesamt ein Ausmaß erreicht, welches zum Wegfall der Voraussetzungen des in typisierender Betrachtungsweise unterstellten Verpflegungsmehraufwandes zu führen hat (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 95/14/0022). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon ein mehrmals täglich befahrenes "Gebiet der ständigen Patrouillentätigkeit" als Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit angesehen (vgl. das Erkenntnis vom , 94/13/0101, weiters das Erkenntnis vom , 94/15/0045) und unter der Voraussetzung der häufigen Wiederkehr an die gleichen Orte eine Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten "im betrauten Sprengel" angenommen (vgl. das Erkenntnis vom , 96/13/0132, sowie das Erkenntnis vom , 99/14/0317).
Die steuerliche Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes unter dem Titel der Reisekosten ist nach der zitierten Rechtsprechung im Ergebnis dann nicht möglich, wenn von einer auch die Kenntnis der Verpflegungsmöglichkeiten bewirkenden Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten ausgegangen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom , 99/13/0001). Der im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachten Ansicht, bei einer auf Dauer angelegten Fahrtätigkeit beispielsweise als LKW-Lenker sei alleine deshalb, weil "im LKW" ein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit begründet werde, die Berücksichtigung eines Verpflegungsmehraufwandes zu versagen, kann nicht gefolgt werden. Mit der Versagung der geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen in Form der Diätendifferenz, weil der Aufenthalt im LKW selbst keine Reise darstelle, hat die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt. Da der angefochtene Bescheid zu den "angefahrenen Zielgebieten" (deren örtlicher Lage oder der Häufigkeit des Befahrens) keinerlei Sachverhaltsfeststellungen enthält (in der Beschwerde wird diesbezüglich u.a. betont, dass weder eine lokale noch eine durchgehende oder wiederkehrende Fahrtätigkeit vorliege), kann nicht abschließend beurteilt werden, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer in typisierender Betrachtung in der Lage war, einen Verpflegungsmehraufwand zu vermeiden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am