VwGH vom 28.11.1991, 91/09/0141
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der N-GmbH in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 14-BEG 53/89, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung (Behinderteineinstellungsgesetz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom schrieb das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland der beschwerdeführenden Partei die Entrichtung einer Ausgleichstaxe (45.900 S) nach § 9 des Behinderteneinstellungsgesetzes für das Kalenderjahr 1988 vor.
Nach dem bei den Akten befindlichen Zustellnachweis wurde dieser Bescheid am nach der Übernahmsbestätigung von einem Arbeitnehmer des Empfängers entgegengenommen.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei mit Schriftsatz vom ausgehend von einem Zustelldatum Vorstellung.
Diese Vorstellung wies das Landesinvalidenamt mit Bescheid vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG in Verbindung mit §§ 19 Abs. 1 und 19a Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes als verspätet eingebracht zurück, weil der erstgenannte Bescheid von der beschwerdeführenden Partei laut Rückschein bereits am übernommen worden und daher die am zur Post gegebene Vorstellung verspätet gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Berufung, die nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde der erstinstanzliche Bescheid unter Bedachtnahme auf § 16 des Zustellgesetzes bestätigt.
Zur Begründung wird - soweit sich der Verfahrensablauf nicht bereits aus vorstehenden Ausführungen ergibt - im wesentlichen ausgeführt: Die beschwerdeführende Partei habe in ihrer Berufung unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 3 des Zustellgesetzes vorgebracht, der Bescheid des Landesinvalidenamtes vom sei von einer nicht zur Empfangnahme berechtigten Person übernommen worden, weil die beschwerdeführende Partei durch zwei gemeinsam vertretungsbefugte Gesellschafter vertreten werde. Die Angestellte U, die am Kassenschalter der ebenerdig gelegenen Geschäftsräumlichkeiten die Post übernommen habe, sei nicht bevollmächtigt gewesen, derartige Postsendungen in Empfang zu nehmen. Auch eine Ersatzzustellung könne nicht bewirkt worden sein, weil eine solche nur bei Abwesenheit des Empfängers wirksam sei. Zum Zeitpunkt der Zustellung habe sich jedoch ein empfangsberechtiger Einzelprokurist im ersten Stock der Betriebsstätte im Büro aufgehalten. Für die Rechtswirksamkeit der Zustellung sei objektiv eben maßgebend, ob sich ein Empfangsberechtiger an der Abgabestelle aufhalte oder nicht. In der Folge habe Frau U das strittige Poststück ohne Rücksprache mit einem Geschäftsführer an die Zentralverwaltung geschickt; dieses Schriftstück sei dann erst am zur Kenntnis eines empfangsberechtigten Geschäftsführers gelangt.
Auf Grund der mündlichen Verhandlungen vom und vom ergebe sich, daß das gegenständliche Poststück von der im Kundenraum des Unternehmens beschäftigten und seit 1976 der Firma angehörenden U gemeinsam mit der anderen Post übernommen worden sei, was sie schon öfter gemacht habe, allerdings nur dann, wenn kein Prokurist oder sonst Berechtigter anwesend gewesen sei. Sie habe dann die Post in die zuständigen Fächer geschlichtet, von wo diese an die entsprechenden Personen oder Stellen weitergeleitet worden sei. Das gegenständliche Poststück sei vermutlich verreiht worden, denn es sei am laut Eingangsstempel in Buscenter der beschwerdeführenden Partei eingelangt. Dort habe das Schriftstück die ebenfalls nicht zur Übernahme berechtigte Frau G erhalten. Einem eigentlich Zuständigen, nämlich Herrn Dr. N, sei das gegenständliche Schriftstück erst am zur Kenntnis gelangt, weshalb der Zustellmangel erst zu diesem Zeitpunkt saniert worden sei. Frau U habe seit September 1989 Postvollmacht, zum Zeitpunkt der Übernahme des gegenständlichen Schriftstückes habe sie diese aber nicht besessen.
Nach Wiedergabe der Rechtslage führt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter aus, auf Grund des Rückscheines des gegenständlichen Schriftstückes sei dieses am von einem Arbeitnehmer mit unleserlicher Unterschrift (auf Grund des Verfahrens bekannt - Frau U) übernommen worden. Die Genannte arbeite im Kundenraum des Unternehmens, bei dem sie seit 1976 beschäftigt sei und bei dem sie eine umfassende Tätigkeit ausübe. Sie habe in diesen Jahren schon mehrere Male die Post übernommen, nach ihren Angaben jedoch immer nur dann, wenn kein Prokurist oder Berechtigter anwesend gewesen sei. Seit September 1989 habe sie sogar Postvollmacht der Firma. Im Kundenraum befinde sich auch die "Poststelle", das seien Fächer der einzelnen leitenden Angestellten, Abteilungen oder Außenstellen, von wo die Betroffenen sich die Post sodann abholten. Der Prokurist B, einer der gemäß § 13 Abs. 3 des Zustellgesetzes befugten Vertreter, habe angegeben, daß er laut Terminplan an diesem Tag zur Gänze im Büro gewesen wäre; aus der im Akt vorliegenden Fotokopie des Terminkalenders gingen drei Termine an diesem Tag hervor, und zwar um 12.00 Uhr, um 16.00 Uhr und um 19.00 Uhr. Dies bedeute für die Behörde jedenfalls, daß ein empfangsberechtigter Vertreter der Firma an diesem Tag in Wien, X-Straße 15, anwesend gewesen sei. Im Hinblick darauf, daß die langjährige Angestellte U nur dann Post in Empfang genommen habe, wenn sonst kein Prokurist oder Berechtigter anwesend gewesen gewesen sei, sei die Annahme schlüssig, daß zum Zeitpunkt der Postzustellung kein sonstiger Empfangsberechtigter anwesend gewesen sei, jedenfalls nicht im Kundenraum, der als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes zulässig erscheine. Frau U, die Angestellte des Empfängers sei, sei in der Abgabestelle anwesend und zur Annahme bereit gewesen; weiters sei sie vom Empfänger bei der Post nicht schriftlich vom Ersatzempfang ausgeschlossen gewesen. Sie sei daher auch ohne Postvollmacht für den Zusteller in der gegebenen Situation auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen als Ersatzempfänger "zulässig" gewesen. Die Ersatzzustellung sei durch die Anwesenheit des Prokuristen B am gleichen Tag im gleichen Haus auch rechtlich am bewirkt worden, weil sich der Genannte regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten habe und noch am gleichen Tag vom Zustellvorgang hätte Kenntnis erlangen können. Daß das Schriftstück in der Poststelle falsch eingeordnet worden sei, sei ein internes Problem der beschwerdeführenden Partei und hätte auch nunmehr, weil Frau U zwischenzeitlich sogar schriftliche Postvollmacht erhalten habe, eintreten können. Der Postzusteller habe ab Übergabe keinen Einfluß auf die Weitergabe der von ihm zugestellten Schriftstücke. Die Ersatzzustellung sei daher nach Meinung der belangten Behörde an den Ersatzempfänger an der Abgabestelle rechtlich gültig erfolgt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG erwogen:
Gemäß § 13 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, ist eine Sendung dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Nach Abs. 3 der genannten Bestimmung ist die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen, wenn der Empfänger keine natürliche Person ist. Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf gemäß § 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes an diesen zugestellt werden, sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Gemäß § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die unter anderem Arbeitnehmer des Empfängers ist und ... zur Annahme bereit ist. Eine Ersatzzustellung gilt nach Abs. 5 der genannten Bestimmung nicht als bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Gemäß § 4 des Zustellgesetzes ist Abgabestelle der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist u.a. die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers.
Der Beschwerdeführer bringt als inhaltliche Rechtswidrigkeit im wesentlichen vor, im vorliegenden Fall sei eine Ersatzzustellung unzulässig gewesen, weil ein zur Empfangnahme berufener Vertreter in der Person des namentlich genannten Prokuristen anwesend gewesen sei, der sich zwar nicht in den für den Kundenverkehr bestimmten Geschäftsräumlichkeiten, aber in seinem Büro aufgehalten habe. Für die Rechtswirksamkeit der Zustellung sei nicht der subjektive Eindruck des Zustellers, sondern die objektive Tatsache der Anwesenheit eines befugten Vertreters an der Abgabestelle maßgebend.
Nach § 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes ist erste Voraussetzung für eine Ersatzzustellung, daß die Sendung dem Empfänger an der Abgabestelle nicht zugestellt weden kann, weil der Empfänger an der Abgabestelle nicht angetroffen wird. Der Empfänger ist bei einer juristischen Person wie im Beschwerdefall im Sinne des § 13 Abs. 3 des Zustellgesetzes ein zur Empfangnahme befugter Vertreter. Der Begriff der Abgabestelle ist im vorher wiedergegebenen § 4 des Zustellgesetzes umschrieben.
Die belangte Behörde bezeichnet zwar nach der Begründung des angefochtenen Bescheides die Annahme als schlüssig, daß zum Zeitpunkt der Postzustellung kein sonstiger Empfangsberechtigter anwesend war, bezieht dies aber nicht auf den Zusteller und beschränkt diese Annahme in der Weise, daß in Form eines Halbsatzes angefügt wird, es sei jedenfalls im Kundenraum, der als Abgabestelle zu werten wäre, kein sonstiger Empfangsberechtiger anwesend gewesen.
Die belangte Behörde geht aber auch von einer unrichtigen Rechtsauffassung hinsichtlich des Begriffes der Abgabestelle aus. Die Richtigkeit der Behauptung des im Verwaltungsverfahren einvernommenen für die beschwerdeführende Partei empfangsberechtigten Prokuristen (nämlich, daß er sich zum Zeitpunkt der Postzustellung im ersten Stock aufgehalten habe) vorausgesetzt, darf dem Begriff der Abgabestelle in Verbindung mit der Regelung des § 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes nicht eine so enge Bedeutung beigemessen werden, daß bereits die Nichtanwesenheit eines Empfangsberechtigten im Kundenraum für sich allein als Unmöglichkeit der Zustellung einer Sendung an den Empfangsberechtigten im Sinne des § 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes gewertet werden darf.
Wie dem Sinn der Ausführungen in der Gegenschrift der belangten Behörde entnommen werden konnte, hat diese den vorher aufgezeigten Rechtsirrtum erkannt, weil sich die diesbezügliche Argumentation auf die aus der Aussage der "langjährigen Mitarbeiterin" (Ersatzempfängerin Frau U) gezogene Feststellung bzw. Schlußfolgerung, es sei zum Zeitpunkt der Postzustellung kein anderer Berechtigter im Haus anwesend gewesen, beschränkt.
Abgesehen davon, daß sich diese Feststellung von der allein maßgebenden in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltenen Annahme inhaltlich unterscheidet, beruht diese Annahme nicht auf einem fehlerfreien Verfahren. Weder erfolgte eine Feststellung hinsichtlich des Zeitpunktes der Postzustellung, noch eine entsprechende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des empfangsberechtigten Prokuristen, er sei am Zustelltag den ganzen Tag im Büro gewesen. Im übrigen ist der Aussage der Ersatzempfängerin vom lediglich zu entnehmen, daß sie in den vergangenen Jahren eine bestimmte Vorgangsweise eingehalten habe. Daraus allein folgt noch nicht zwingend, daß diese Vorgangsweise gleichermaßen bei dem strittigen Zustellvorgang gegeben gewesen ist.
Die belangte Behörde hat daher bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgehend von einer unrichtigen Rechtsauffassung notwendige Erhebungen und Feststellungen unterlassen; dies mußte zur Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes führen.
Zu dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich ihres Wiedereinsetzungsantrages wird bemerkt, daß Gegenstand des Verfahrens nur die Zurückweisung der Berufung wegen Verspätung gewesen ist.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.