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VwGH vom 18.01.2000, 99/11/0144

VwGH vom 18.01.2000, 99/11/0144

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der A-Gesellschaft mbH in Wiener Neudorf, vertreten durch Giger, Ruggenthaler & Simon Rechtsanwälte KEG in Wien I, Kärntnerstraße 12, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom , Zl. 44.140/22-7/98, betreffend nachträgliche Zustimmung zur Kündigung und Zustimmung zur Kündigung (mitbeteiligte Partei: C, vertreten durch Dr. Thomas Wanek und Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwälte in Perchtoldsdorf, Hochstraße 31), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der Mitbeteiligten wird abgewiesen.

Begründung

Die (im Jahr 1948 geborene) Mitbeteiligte war seit bei der Beschwerdeführerin als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Sie gehört aufgrund eines Bescheides des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich und Burgenland vom ab zum Kreis der begünstigten Behinderten. Der festgestellte Grad der Behinderung beträgt 60 vH.

Am kündigte die Beschwerdeführerin die Mitbeteiligte per zum .

Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die nachträgliche Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung und auch die Zustimmung zu einer erst auszusprechenden Kündigung versagt.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensverlaufes im Wesentlichen aus, nach den Angaben des Geschäftsführers und Alleingesellschafters der Beschwerdeführerin sei ihre wirtschaftliche Lage ausgeglichen. Eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit zum Personalabbau und damit zur Kündigung der Mitbeteiligten sei daher nicht gegeben gewesen. Die Feststellung der Erstbehörde, dass die Mitbeteiligte zumindest ein Mal vergessen habe, die Fenster im Erdgeschoß zu schließen, sei durch die Beweisergebnisse gedeckt. Das Gleiche gelte auch für die Feststellung, dass sich die Mitbeteiligte nicht immer korrekt gegenüber Kunden verhalten habe und dass es häufige Beschwerden über das Verhalten der Mitbeteiligten gegeben habe.

Aufgrund der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch die belangte Behörde wurde festgestellt, dass bei der Mitbeteiligten die Arbeitsfähigkeit als kaufmännische Angestellte gegeben und ihre Behinderung nicht offensichtlich erkennbar sei. In den Jahren 1997 und 1998 seien 43 Arbeitnehmer der Beschwerdeführerin gekündigt worden, doch werde versucht, den Mitarbeiterstand von ca. 100 Dienstnehmern zu halten. Die Mitbeteiligte habe nach Beendigung eines operationsbedingten Krankenstandes im Dezember 1996 einen mehrwöchigen Urlaub im Süden Australiens verbracht. Diese Reise sei mit den behandelnden Ärzten abgesprochen worden. Ebenso verhalte es sich mit einem Ausflug nach Italien.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, bei der Entscheidung, ob die Zustimmung zu einer Kündigung gemäß § 8 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz - BEinstG zu erteilen sei, handle es sich um eine Ermessensentscheidung. Bei der Übung des Ermessens habe die Behörde die gegenläufigen Interessen des Dienstgebers und des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden könne. Für die Erteilung einer nachträglichen Zustimmung zur Kündigung sei zudem zu prüfen, ob ein "besonderer Ausnahmefall" vorliege, in dem dem Dienstgeber die vorherige Einholung der Zustimmung nicht zugemutet werden könne. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Dienstgeber zu einer verhältnismäßig großen Betriebseinschränkung gezwungen sei und außerdem bei der Kündigung noch nicht habe wissen können, dass der betreffende Dienstnehmer zum Kreis der begünstigten Behinderten gehört. Ein besonderer Ausnahmefall im beschriebenen Sinn liege nicht vor, weil der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung die Erkrankung der Mitbeteiligten bereits bekannt gewesen sei, sodass sie die Möglichkeit gehabt hätte, in Erfahrung zu bringen, dass die Mitbeteiligte die Feststellung als begünstigte Behinderte beantragt habe. Die Beschwerdeführerin habe zudem bereits am erfahren, dass die Mitbeteiligte einen solchen Antrag gestellt habe. Diese habe der Beschwerdeführerin den Feststellungsbescheid vom umgehend vorgelegt. Für die Annahme einer notwendigen Betriebseinschränkung bei der Beschwerdeführerin ergäben sich keine Anhaltspunkte. Die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung sei daher zu versagen gewesen.

Was die Zustimmung zu einer erst auszusprechenden Kündigung betreffe, führe die Interessenabwägung zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin die Fortsetzung des Dienstverhältnisses eher zugemutet werden könne als der Mitbeteiligten der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Dabei sei einerseits berücksichtigt worden, dass sich die Mitbeteiligte gegenüber Kunden unhöflich verhalten habe, dass sie ein problembeladenes kollegiales Verhältnis gegenüber Mitarbeiterinnen gehabt habe, das jedoch auch auf Versäumnisse der Beschwerdeführerin, auf die Einhaltung von Schutzvorschriften für Nichtraucher zu dringen, zurückzuführen sei, und dass die Arbeitsleistung der Mitbeteiligten wiederholt fehlerhaft gewesen sei, wobei allerdings zu beachten sei, dass oft großer Arbeitsdruck geherrscht habe und kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Diesen Gesichtspunkten stünden das Interesse der Mitbeteiligten an der Fortsetzung des Dienstverhältnisses, wiederholte freiwillige Dienstleistungen während des Krankenstandes, die Probleme der Mitbeteiligten im Zusammenhang mit ihrer Krebserkrankung und -operation sowie der Umstand gegenüber, dass sie zufolge ihres Alters wenig Chancen auf Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes hätte. Diese Umstände gäben den Ausschlag, dass auch einer erst auszusprechenden Kündigung die Zustimmung zu versagen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , B 2245/98-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Die Mitbeteiligte hat gleichfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 2 BEinstG darf die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landes-Behindertengesetzes jeweils zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.

Bei der vom Behindertenausschuss nach § 8 Abs. 2 leg. cit. zu treffenden Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Von dem eingeräumten Ermessen wird dann im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht, wenn die Behörde der Entscheidung eine Interessenabwägung zugrunde legt, bei der die berechtigten Interessen des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden bzw. schon gekündigten Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist zu beurteilen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann.

Über die bei jeder Entscheidung über einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung hinaus ist bei der Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung noch zu prüfen, ob ein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 zweiter Satz BEinstG vorliegt, in dem dem Dienstgeber die vorherige Einholung der Zustimmung nicht zugemutet werden kann. Die besonderen Ausnahmegründe haben in diesem Fall ergänzend zu den für die grundlegende Interessenabwägung maßgebenden Gründen zu treten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0438, mwN).

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde die fehlerhafte Handhabung des ihr eingeräumten Ermessens vor und vertritt die Auffassung, aufgrund der von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen der Erstbehörde sei davon auszugehen, dass sich die Mitbeteiligte gegenüber Kunden unhöflich verhalten, zu Mitarbeitern ein problembeladenes kollegiales Verhältnis gehabt und auch mehrfach fehlerhafte Arbeitsleistungen erbracht habe, die wiederholt mündlich beanstandet worden seien. Daraus folge, dass die Mitbeteiligte den Betriebsfrieden im Unternehmen der Beschwerdeführerin erheblich störe und sich offensichtlich nicht oder nur schwer in die Betriebsorganisation einfügen könne oder wolle. Weshalb unter solchen Umständen der Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses eher zugemutet werden könne als der Mitbeteiligten dessen Beendigung, sei nicht nachvollziehbar, zumal von einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit der Mitbeteiligten nicht ausgegangen werden könne, weil sie keine Sorgepflichten und außerordentlichen finanziellen Belastungen habe, ein Arbeitslosengeld von derzeit ca. S 10.000,-- monatlich beziehe und ihr Ehemann ein monatliches Nettoeinkommen von S 18.000,-- erziele.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass der von der belangten Behörde (durch Übernahme der Sachverhaltsfeststellungen des erstinstanzlichen Bescheides) als erwiesen angenommene Sachverhalt nicht die Auffassung rechtfertigt, die Mitbeteiligte störe den Betriebsfrieden oder sei nicht fähig oder bereit, sich in die Betriebsorganisation einzufügen. Von den gegen die Mitbeteiligte erhobenen Vorwürfen hat jener das größte Gewicht, dass sie wiederholt unfreundlich zu Kunden gewesen sei. Das Verhalten der Mitbeteiligten war allerdings offenbar nicht so schwer wiegend, dass es die Beschwerdeführerin für notwendig befunden hätte, ihr für den Wiederholungsfall die Entlassung anzudrohen. Bei der Beurteilung der Schwere des Fehlverhaltens der Mitbeteiligten ist zudem zu berücksichtigen, dass in jenem Bereich, in dem sie eingesetzt war, oft großer Arbeitsdruck geherrscht hat und dass die Mitbeteiligte jedenfalls in den letzten Monaten vor dem Ausspruch der Kündigung durch ihre Krebserkrankung, die dadurch notwendige Operation und deren Folgen sowie die anschließende Chemo- und Strahlentherapie in ihrer Belastbarkeit beeinträchtigt war.

Das zum Teil problembeladene Verhältnis der Mitbeteiligten zu anderen Arbeitnehmerinnen hatte nach dem festgestellten Sachverhalt seine Ursache zu einem wesentlichen Teil darin, dass sich die Mitbeteiligte durch Raucher gestört gefühlt hat. Im Hinblick auf Versäumnisse der Beschwerdeführerin im Rahmen des Nichtraucherschutzes (§ 30 ASchG) hat die belangte Behörde zu Recht in dem problembeladenen Verhältnis der Mitbeteiligten zu anderen Mitarbeitern kein im Rahmen der Interessenabwägung ins Gewicht fallendes Fehlverhalten der Mitbeteiligten erblickt.

Mit dem in der Mängelrüge erstatteten Vorbringen, die belangte Behörde hätte Feststellungen über eine notwendige Betriebseinschränkung treffen müssen, vermag die Beschwerdeführerin keinen zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führenden Verfahrensmangel aufzuzeigen. Soweit damit dargetan werden soll, dass ein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 letzter Satz BEinstG unter Bedachtnahme auf die einschlägige Rechtsprechung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/09/0006) vorliege, ist darauf - wie im Folgenden noch ausgeführt wird - nicht näher einzugehen. Soweit die Beschwerdeführerin jedoch damit - im Widerspruch zu den Ausführungen ihres Geschäftsführers in der Verhandlung vor der Erstbehörde vom , wonach der Dienstnehmerstand in den letzten Jahren gestiegen sei und in den letzten zwei bis drei Jahren versucht werde, den Dienstnehmerstand (von ca. 100) zu halten - zum Ausdruck bringen will, die Kündigung der Mitbeteiligten sei im Rahmen eines betriebswirtschaftlich notwendigen Personalabbaus erfolgt, ist damit für sie nichts zu gewinnen, weil damit nicht dargetan wird, dass die Weiterbeschäftigung der Mitbeteiligten - allenfalls verbunden mit der Notwendigkeit der Kündigung eines nicht kündigungsgeschützten Arbeitnehmers (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/11/0021) - unmöglich ist.

Unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Mitbeteiligten ins Treffen geführten Umstände kann in der Versagung zur Zustimmung zu einer erst auszusprechenden Kündigung kein Ermessensfehler der belangten Behörde erkannt werden.

Damit kann die Frage auf sich beruhen, ob bei Bejahung der Voraussetzungen für die Zustimmung zu einer erst auszusprechenden Kündigung überdies ein die nachträgliche Zustimmung gemäß § 8 Abs. 2 letzter Satz BEinstG rechtfertigender besonderer Ausnahmefall vorgelegen wäre (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom ). Auf die darauf Bezug habenden Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides und in der Beschwerde war daher nicht näher einzugehen.

Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der Mitbeteiligten (20 % Umsatzsteuer aus dem für Schriftsatzaufwand geltend gemachten Betrag von S 12.500,--) war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den in der zitierten Verordnung genannten Pauschalbeträgen bereits enthalten ist.

Wien, am