VwGH vom 30.03.1993, 91/08/0174
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
91/08/0196 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1.) des H in E und 2.) des Zentralverbandes der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber für Wien, Niederösterreich und Burgenland in Wien, beide vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in A, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom , Zl. 121.706/2-7/91, betreffend Teilversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG (mitbeteiligte Partei:
Sozialversicherungsanstalt der Bauern in 1031 Wien, Ghegastraße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in Höhe von je S 252,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer ist Eigentümer eines land- und fortswirtschaftlichen Betriebes in E und als solcher gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 BSVG in der Unfallversicherung pflichtversichert. Darüberhinaus ist er Funktionär des Zentralverbandes der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber in Niederösterreich, Burgenland und Wien (der Zweitbeschwerdeführerin).
Mit Bescheid vom sprach die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt aus, daß der Erstbeschwerdeführer als Funktionär der Zweitbeschwerdeführerin ab in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG in Verbindung mit § 28 Abs. 2 lit. h ASVG pflichtversichert sei. In ihrer Begründung verwies die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt darauf, der Erstbeschwerdeführer als Organ des zweitbeschwerdeführenden Zentralverbandes habe als gewähltes und ernanntes Organ Tätigkeiten für diesen ausgeübt, diese Tätigkeiten gingen daher nicht auf Rechnung und Gefahr der land(forst)wirtschaftlichen Betriebe, die der Erstbeschwerdeführer auf seine Rechnung und Gefahr führe. Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der land(forst)wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 1 BSVG und der Tätigkeit des Zentralverbandes bestünden nicht. Es sei daher nicht erheblich, daß der Zentralverband vor allem solche Personen wähle oder ernenne, die zusätzlich in der Land- und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig seien. Es bestehe zwar ein faktischer Zusammenhang, aber kein rechtlicher. Es sei unbestritten, daß die Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers, die er als land(forst)wirtschaftlicher Betriebsführer im Betrieb in E verrichte, rechtlich niemals der zweitbeschwerdeführenden Partei angerechnet werden könne, diese auch für die selbständigen Tätigkeiten des Erstbeschwerdeführers nicht zur Haftung herangezogen werden könne. Umgekehrt sei es offenkundig, daß die Tätigkeiten den Erstbeschwerdeführers als gewähltes oder ernanntes Organ der zweitbeschwerdeführenden Partei nur auf Rechnung und Gefahr dieser gehen und keine Haftung für den land(forst)wirtschaftlichen Betrieb des Erstbeschwerdeführers begründen könne.
Beide beschwerdeführenden Parteien erhoben Einspruch, den sie im wesentlichen damit begründeten, daß der Erstbeschwerdeführer bereits vollversichert sei, die Feststellung seiner Teilversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG daher zu einer Doppelversicherung führen würde. Es müsse vielmehr im Sinne einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung davon ausgegangen werden, daß § 8 ASVG nur subsidiär zu den jeweils die Vollversicherungspflicht regelnden Normen angesehen werden könne. Darüberhinaus stünden die Tätigkeitsbereiche des Erstbeschwerdeführers in seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und als Mitglied der kollektivvertragsfähigen Zweitbeschwerdeführerin in einem untrennbaren tatsächlichen Zusammenhang.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen und der Bescheid der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt bestätigt. Zur Begründung seiner Entscheidung stützte sich der Landeshauptmann im wesentlichen auf den Wortlaut der Bestimmung des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG, der verdeutliche, daß die zur Rede stehende Teilversicherung in der Unfallversicherung auf einen besonderen Personenkreis und die Abdeckung der bei dieser Tätigkeit auftretenden Unfallrisken abziele und daher in keinem Zusammenhang mit den Risken, die im Rahmen der selbständigen Berufsausübung in der Land- und Forstwirtschaft auftreten, stünden. Für den Eintritt der gegenständlichen Teilversicherung in der Unfallversicherung sei vielmehr allein die Ausübung einer Funktion als bestelltes oder gewähltes Organ des Arbeitgeberverbandes maßgeblich.
Beide beschwerdeführenden Parteien erhoben Berufung und vertraten im wesentlichen die bereits im Einspruch dargelegte Auffassung, zur Vermeidung einer unbeabsichtigten Doppelversicherung in der Unfallversicherung sei davon auszugehen, daß § 8 ASVG nur für jenen Bereich gelten könne, für den nicht ohnehin bereits - bei extensiver Auslegung der Bestimmung des § 175 Abs. 1 ASVG - Unfallversicherungsschutz gegeben sei. Dies sei im Hinblick auf § 175 Abs. 2 Z. 6 ASVG jedoch der Fall.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den Bescheid des Landeshauptmannes. In ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen und des bisherigen Verfahrensgeschehens die Auffassung, aufgrund des klaren Wortlautes der Bestimmung des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG sei für eine extensive oder teleologische Interpretation kein Raum, vielmehr zeige gerade die Normierung einer eigenen Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung für Mitglieder und Organe von kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen, daß diese Tätigkeit von der Versicherungspflicht, die aus der Berufstätigkeit resultiere, auf der sich die Zugehörigkeit zum Berufsverband gründet, nicht erfaßt sei. Auch beziehe sich der § 175 Abs. 2 Z. 6 ASVG nur auf die "Inanspruchnahme" der Interessenvertretung, insbesondere für Zwecke der Einholung von Auskünften oder Beratungen, nicht jedoch auf die Tätigkeit als Organ einer solchen Interessenvertretung.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom , Zl. B 833/91-5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde machen die Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand, legte jedoch die Verwaltungsakten vor.
Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der Bauern erstatte eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG wurde mit der 21. ASVG-Novelle BGBl. Nr. 6/1968 geschaffen, wobei diese Bestimmung folgenden Wortlaut aufwies:
"§ 8 Abs. 1. Nur in den nachstehend angeführten Versicherungen sind überdies aufgrund dieses Bundesgesetzes versichert (teilversichert):
. . .
3.) In der Unfallversicherung hinsichtlich der nachstehend
bezeichneten Tätigkeiten (Beschäftigungsverhältnisse):
. . .
g) Die Mitglieder der Organe der gesetzlichen beruflichen Vertretungen der Dienstnehmer in Ausübung der ihnen aufgrund ihrer Funktion obliegenden Pflichten."
Ursache für diese Regelung war, daß einige Interessenvertretungen der Dienstnehmer die Einbeziehung der Mitglieder ihrer Organe in die gesetzliche Unfallversicherung mit dem Hinweis verlangten, daß es sich in der Regel um Personen handle, die zwar aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit den Schutz der Unfallversicherung genössen, in Ausübung ihres Mandates aber nicht geschützt seien. Da es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit handle, sei es recht und billig, den in Betracht kommenden Personen einen Unfallversicherungsschutz bei Ausübung der ihnen aufgrund ihres Mandates obliegenden Pflichten einzuräumen. Dem vereinzelt vorgebrachten Wunsch nach einer "beitragsfreien" Unfallversicherung könne jedoch aus verfassungsrechtlichen Überlegungen und auch wegen der Beispielsfolgerungen nicht Rechnung getragen werden; die Beiträge würden zur Gänze von der in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Vertretung zu tragen sein (vgl. Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage 669 Beilage Nr. 11 GP, Seite 18).
Die 32. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 704/1976, brachte unter anderem auch eine Einbeziehung der Einzelorgane und Mitglieder von Kollektivorganen der Landwirtschaftskammern in den Unfallversicherungsschutz des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG und bezog sich nicht nur auf gewählte, sondern auch auf die durch Organbeschluß bestellten Funktionäre.
Mit der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 41. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, wurden schließlich auch die Organe der kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen der Dienstnehmer und der Dienstgeber in den Unfallversicherungsschutz des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG einbezogen. Diese Bestimmung lautet nunmehr:
"g) Einzelorgane und Mitglieder von Kollektivorganen der gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowie der KOLLEKTIVVERTRAGSFÄHIGEN BERUFSVEREINIGUNGEN der Dienstnehmer und DER DIENSTGEBER, der Landwirtschaftskammern sowie der in § 8 Abs. 1 Z. 4 b oder c genannten Personen, die aufgrund der diese Vertretung regelnden Vorschriften bzw. aufgrund des Statutes der Berufsvereinigung gewählt oder sonst bestellt sind, in Ausübung der ihnen aufgrund ihrer Funktion obliegenden Pflichten, soweit nicht eine landesgesetzliche Regelung über Unfallfürsorge besteht."
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unstrittig, daß der Erstbeschwerdeführer als Organ der Zweitbeschwerdeführerin tätig ist und daß die Zweitbeschwerdeführerin eine kollektiv vertragsfähige Berufsvereinigung iSd. § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG ist; strittig ist hingegen, ob der Erstbeschwerdeführer in seiner Funktion als Organ der Zweitbeschwerdeführerin neben der durch die Führung des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes auf seine Rechnung und Gefahr begründete Pflichtversicherung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 BSVG bzw. im Hinblick auf den Unfallversicherungsschutz des § 175 ASVG (auch) der Unfallversicherung nach § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG unterliegt.
Die Sozialversicherungsgesetze lösen die tatbestandlichen Konkurrenzprobleme auf verschiedene Art und Weise. So werden - teils zwingend, teils dispositiv - Subsidiaritätsverhältnisse angeordnet; ist dies aber nicht der Fall, kommt das Prinzip der Mehrfachversicherung zum Tragen. Das heißt, daß im Fall der gleichzeitigen Erfüllung mehrerer Pflichtversicherungstatbestände auch mehrfache Pflichtversicherungen begründet werden. Überall dort, wo keine Subsidiaritätsfälle vorliegen, begründen mehrere Erwerbstätigkeiten auch mehrere Pflichtversicherungen (vgl. Krejci, Das Sozialversicherungsverhältnis, 18). Alle Ausführungen in der Beschwerde zur "Subsidiarität" entbehren aber jeder rechtlichen Grundlage, da aus dem Gesetz nicht der geringste Hinweis darauf zu entnehmen ist, daß § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG nur "subsidiär" gelten sollte.
Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf das Wesen der Sozialversicherung die sogenannte Mehrfachversicherung bei unselbständig Erwerbstätigen aufgrund zweier verschiedener unselbständiger Beschäftigungen durch das Gesetz nicht ausgeschlossen wird, und zwar auch insbesondere unter dem Gesichtspunkt nicht, daß allenfalls einer Beitragsleistung Leistungsansprüche nicht gegenüberstehen; die hiebei aufgezeigten, auf das Wesen der Sozialversicherung bezugnehmenden Erwägungen sind jedoch auch für jene Fälle heranzuziehen, in denen es sich um die Frage handelt, ob für einen selbständig Erwerbstätigen zu Recht eine sogenannte Mehrfachversicherung und damit allenfalls auch eine Beitragsleistung ohne entsprechenden Leistungsanspruch bestehen könne (vgl. das von den Beschwerdeführern offenbar mißverstandene und von diesen selbst zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1847/1964, und die dort wiedergegebene Judikatur). Der Hinweis der Beschwerdeführer auf die Thematik der Mehrfachversicherung und auf ein allenfalls vorliegendes Subsidiaritätsproblem geht daher ins Leere (vgl. zu § 3 BSVG auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/08/0160).
Aber auch im übrigen kann den Ausführungen in der Beschwerde nicht gefolgt werden, insoweit sie darzulegen versuchen, die Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers als Organ der zweitbeschwerdeführenden Partei sei von den betrieblichen Tätigkeiten, die den Vollversicherungsschutz bereits begründeten, mitumfaßt, weshalb nach Auffassung des Beschwerdeführers eine unzulässige Doppelversicherung vorläge. In erster Linie gehören zum in der Unfallversicherung geschützten Lebensbereich alle Verrichtungen, die mit der die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang stehen. Bei Selbständigen erstreckt sich der Schutz insbesondere auch auf jede Tätigkeit, die unmittelbar der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dient (Tomandl, Grundriß des Österreichischen Sozialrechtes4/137). Dazu gehören die Tätigkeiten eines Funktionärs einer kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung schon deshalb nicht, weil in der Anführung des § 175 Abs. 2 Z. 6 ASVG - unabhängig davon, ob man der Auffassung ist, daß es sich dabei um Tätigkeiten handelt, die von der Generalklausel des § 175 Abs. 1 ASVG erfaßt sind oder diese (teilweise) überschreiten - die "mit der Beschäftigung zusammenhängende INANSPRUCHNAHME" solcher Vertretungen jedenfalls die äußerste Grenze des Schutzbereiches des § 175 Abs. 1 ASVG (auch im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als selbständiger Landwirt) markiert. Die Ausübung einer FUNKTION in einer solchen Berufsvereinigung überschreitet daher schon nach der Systematik des Gesetzes den Schutzbereich der bäuerlichen Sozialversicherung.
Das versicherte Risiko im Bereich der Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. g ASVG schützt nur jene ehrenamtliche Tätigkeiten und damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende Tätigkeiten, die IN AUSÜBUNG EINES MANDATES gesetzt werden. Selbstverständlich sind Überschneidungen beider Tätigkeitsbereiche denkbar, doch ist davon auszugehen, daß - wie die belangte Behörde bereits zutreffend dargelegt hat - grundsätzlich die Unterscheidung nach der rechtlichen Zurechenbarkeit zu treffen ist. Die mit der Ausübung des Mandates allenfalls verbundenen, auch beruflichen (eigenbetrieblichen) Vorteile ändern an der rechtlichen Zurechenbarkeit jener Handlungen, die der Erstbeschwerdeführer als Organ einer Interessen- oder Berufsvertretung gesetzt hat, zu dieser nichts.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die durch das Begehren inhaltlich eingeschränkten §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.