VwGH vom 04.09.2006, 2003/09/0088
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des S in P, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in 4722 Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-07/A/2/9179/2002/5, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (weitere Parteien: 1. Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, 2. Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien (Magistratisches Bezirksamt für den 3. Bezirk) vom wurde der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer G.m.b.H. mit Sitz in Wien einer Übertretung des § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a i.V.m. § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 2.100,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: zwei Tage) verhängt, sowie ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens auferlegt.
Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der erstinstanzliche Bescheid eine richtige und vollständige Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Er sei an den Beschwerdeführer an die Geschäftsanschrift der von ihm vertretenen G.m.b.H. adressiert und laut RSb-Postzustellschein nach einer Nachsendung an die vom Beschwerdeführer auch in seinen Eingaben verwendete Adresse von einem seiner Arbeitnehmer am übernommen worden. Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, dass der Bescheid der Behörde erster Instanz von einem zulässigen Ersatzempfänger an einer Abgabestelle des Beschwerdeführers am 30. September übernommen worden sei. Zur Frage der Rechtzeitigkeit seiner am erhobenen Berufung habe er auf einen entsprechenden Vorhalt der belangten Behörde lediglich vorgebracht, diese hätte auf Grund eines Auslandsaufenthaltes erst am an die belangte Behörde gerichtet werden können. Die vierzehntägige Berufungsfrist sei am abgelaufen, weshalb die am erhobene Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und der Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) wird für Straferkenntnisse - anders als etwa für Strafverfügungen (vgl. § 48 Abs. 2 leg. cit.) oder Ladungsbescheide (vgl. § 41 Abs. 3 leg. cit.) - keine besondere Art der Zustellung angeordnet. Auch § 46 VStG schreibt keine Zustellung des Straferkenntnisses zu eigenen Handen vor. Nach dem zufolge § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren geltenden § 22 zweiter Satz AVG ist aber bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe oder wenn es (wie in § 19 Abs. 3 AVG etwa für Ladungsbescheide) gesetzlich vorgesehen ist, die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken.
Der Umstand, dass es sich um ein Straferkenntnis handelt, stellt für sich allein nach der hg. Rechtsprechung noch keinen zwingenden Grund für die Annahme besonders wichtiger Gründe im Sinne des § 22 zweiter Satz AVG für eine Zustellung zu eigenen Handen dar. Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen solcher wichtiger Gründe dann als gegeben erachtet, wenn die mit dem Bescheid verbundenen Rechtsfolgen im Vergleich mit anderen Bescheiden in ihrer Bedeutung und Gewichtigkeit über dem Durchschnitt liegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0201, m.w.N.). Dies sei etwa dann der Fall, wenn eine Geldstrafe - offensichtlich im Hinblick auf die drohende Ersatzfreiheitsstrafe - von Vornherein uneinbringlich erscheint (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0266, m.w.N.).
Für die Bewirkung einer Zustellung eines Strafbescheides zu eigenen Handen liegt nach der hg. Rechtsprechung auch dann ein besonders wichtiger Grund im Sinne des § 22 zweiter Satz AVG i. V.m. § 24 VStG vor, wenn der Beschuldigte einer an ihn ergangenen Ladung nicht Folge geleistet und vor Erlassung des Straferkenntnisses nicht einvernommen worden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/07/0292, und vom , Zl. 2001/03/0210).
Der letztere Fall ist nach den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens gegeben: Aus den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens geht nämlich hervor, dass die Behörde erster Instanz zwar an den Beschwerdeführer eine Aufforderung zur Rechtfertigung vom gerichtet und deren Zustellung zu eigenen Handen angeordnet hat. Der RSa-Brief wurde jedoch von der Post mit dem Vermerk "Adressat unbekannt" an die Behörde retourniert. Eine Zustellung dieser Aufforderung zur Rechtfertigung an den Beschwerdeführer ist in weiterer Folge offensichtlich nicht erfolgt und der Beschwerdeführer wurde auch nicht auf andere Weise vor Erlassung des Bescheides der Behörde erster Instanz mit dem gegen ihm erhobenen Vorwurf konfrontiert.
Bereits am erfolgte die Zusendung des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz.
Eigenhändige Zustellungen sind nach dem VStG für Beschuldigten-Ladungsbescheide (§ 41 Abs. 3 VStG) und für die Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter (§ 42 Abs. 2 VStG) dann angeordnet, wenn - nach Androhung - das Strafverfahren ohne Anhörung des Beschuldigten durchgeführt werden soll. Desgleichen ordnet das Gesetz die eigenhändige Zustellung von Strafverfügungen an (§ 48 Abs. 2 VStG), also gleichfalls in einer Konstellation, in der eine Bestrafung nach dem Gesetz zulässig ist, obwohl der Beschuldigte noch nicht zur Sache gehört wurde. Die erwähnten ausdrücklichen gesetzlichen Anordnungen lassen in ihrem Zusammenhang das Prinzip erkennen, dass ein Verwaltungsstrafverfahren überhaupt nur dann ohne Anhörung der Partei durchgeführt werden darf, wenn dies unter Zustellung zu eigenen Handen vorher angedroht worden ist und dass eine Zustellung zu eigenen Handen auch dann geboten ist, wenn die Bestrafung nach dem Gesetz ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung des Beschuldigten und ohne Androhung dieser Rechtsfolge zulässig ist.
Es muss demzufolge aber die Unterlassung der Zustellung zu eigenen Handen bei einem Straferkenntnis rechtswidrig sein, wenn dieses ergangen ist, ohne dass dem Beschuldigten zuvor eine Androhung der Unterlassung seiner Anhörung in zumindest einer der beiden im Gesetz genannten Varianten (§ 41 Abs. 3 oder § 42 Abs. 2 VStG) nach § 21 ZustG zu eigenen Handen zugestellt wurde und der Beschuldigte auch in der Folge nicht zur Sache gehört worden ist (vgl. die bereits angeführten hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/07/0292, und vom , Zl. 2001/03/0210, m.w.N.).
Man würde dem Gesetzgeber angesichts der erwähnten gesetzlichen Anordnungen einen Wertungswiderspruch unterstellen, würde man die Zustellung eines Straferkenntnisses, welches ohne die sonstigen Förmlichkeiten des Verfahrens und ohne Anhörung des Beschuldigten erlassen sowie - anders als dies im Falle der Zustellung einer Strafverfügung ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist - nur nach § 13 iVm § 16 ZustG zugestellt wurde, als rechtmäßig beurteilen. Der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende § 22 AVG sieht in seinem zweiten Satz vor, dass bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken ist. Aus den dargelegten Gründen liegt in der hier zu beurteilenden Konstellation ein besonders wichtiger Grund zur eigenhändigen Zustellung vor.
Wäre aber bei richtiger rechtlicher Beurteilung eine Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz nach § 21 ZustG geboten gewesen, so war die Verfügung der Zustellung mittels RSb-Briefes rechtswidrig und demgemäß eine Ersatzzustellung nach § 16 ZustG, die bei einer Zustellung zu eigenen Handen gemäß § 21 Abs. 1 ZustG von vornherein ausgeschlossen ist, rechtsunwirksam. Dieser Mangel der Zustellung wurde erst in dem Zeitpunkt geheilt und damit die Zustellung des Straferkenntnisses bewirkt, zu welchem die Sendung vom Ersatzzustellempfänger dem Beschwerdeführer tatsächlich ausgehändigt worden ist (§ 7 ZustellG).
Zu dieser Frage hat die belangte Behörde jedoch weder ein Ermittlungsverfahren geführt, noch Feststellungen getroffen.
Daher war angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Wien, am