VwGH vom 26.04.2006, 2003/08/0262
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. Georg Greindl und Dr. Bettina Köck, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Marc-Aurel-Straße 7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-BZ 49/2003, betreffend Beitragszuschlag gemäß § 113 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde der beschwerdeführenden Partei ein Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 ASVG in der Höhe von EUR 489,58 vorgeschrieben. Die beschwerdeführende Partei habe als Dienstgeber die Anmeldung einer namentlich genannten Dienstnehmerin, welche am zu erstatten gewesen wäre, erst am erstattet. Begründend führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in diesem Bescheid nach Darlegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften aus, dass ihr "durch die Meldeversäumnisse und die nachträgliche Verrechnung von Beiträgen" ein zusätzlicher Aufwand entstanden sei, der im Interesse einer sparsamen Verwaltung und raschen Abwicklung der Versicherung unbedingt zu vermeiden sei. Bei der Festsetzung der Höhe des Beitragszuschlages sei auch auf die wirtschaftliche Situation und auf die Tatsache Bedacht genommen worden, dass die beschwerdeführende Partei bereits wegen eines Meldeverstoßes gemahnt worden sei. Bei der Verhängung des Beitragszuschlages sei auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bedacht genommen worden, die besage, dass "bei Vorliegen eines Meldeverstoßes und eines Zahlungsverzuges der Beitragszuschlag einerseits den durch die Säumigkeit verursachten Verwaltungsmehraufwand zuzüglich des Zinsenentganges nicht unterschreiten, andererseits aber auch das Zweifache der nachzuzahlenden Beiträge nicht überschreiten darf."
In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch machte die beschwerdeführende Partei geltend, dass die Anmeldung auf Grund eines Fehlers des Lohnverrechnungsprogramms (der von der beschwerdeführenden Partei beauftragten Wirtschaftstreuhandkanzlei) nicht ordnungsgemäß per "ELDA-Übertragung" hätte übermittelt werden können. Diese auf Grund des Übertragungsfehlers nicht erfolgte Übermittlung der Anmeldung sei von der damaligen Sachbearbeiterin nicht unverzüglich festgestellt worden, sodass der Fehler erst nach einer neuerlichen Überprüfung sämtlicher An- und Abmeldungen habe festgestellt werden können. Unverzüglich nach Feststellung des Unterbleibens der Anmeldung sei diese per Telefax an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse neuerlich übermittelt worden. Trotz fehlerhafter "ELDA-Übertragung" seien die monatlichen Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß gemeldet und abgeführt worden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch der beschwerdeführenden Partei als unbegründet abgewiesen und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt. Begründend führte die belangte Behörde nach Darlegung des Einspruchsvorbringens sowie der anzuwendenden Rechtsvorschriften aus, dass der Dienstgeber nach den Bestimmungen des ASVG persönlich verpflichtet sei, für die fristgerechte Erstattung der Meldungen und die ordnungsgemäße Einhaltung der Meldevorschriften in ausreichendem Maße Sorge zu tragen. Auch administrative oder technische Schwierigkeiten würden ihn nicht von dieser gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung entbinden, ebenso nicht die rechtzeitige Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge. Die verfahrensgegenständliche Meldung sei "laut Eingangsstempel der Wiener Gebietskrankenkasse" erst am und somit nicht fristgerecht erstattet worden. Die Gebietskrankenkasse sei daher auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen dem Grunde und der Höhe nach zur Vorschreibung eines Beitragszuschlages berechtigt gewesen. Eine Herabsetzung der Höhe des Beitragszuschlages habe "im Hinblick auf die angefallenen Verzugszinsen in der Höhe von EUR 489,58" nicht erfolgen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 113 Abs. 1 ASVG, der diese Fassung durch die 41. ASVG-Novelle, BGBl Nr. 111/1986, erhielt, hat folgenden Wortlaut:
"Beitragszuschläge
§ 113. (1) Beitragszuschläge können den in § 111 genannten Personen (Stellen) in folgenden Fällen vorgeschrieben werden:
1. Wenn eine Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht erstattet worden ist oder wenn das Entgelt nicht gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten jener Beiträge, die auf die Zeit ab Beginn der Pflichtversicherung bis zur Feststellung des Fehlens der Anmeldung bzw. bis zur Feststellung des Entgeltes durch den Versicherungsträger entfallen, vorgeschrieben werden.
2. Wenn eine Anmeldung zur Pflichtversicherung verspätet erstattet worden ist oder wenn das Entgelt verspätet gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten jener Beiträge, die auf die Zeit ab Beginn der Pflichtversicherung bis zum Eintreffen der verspäteten Anmeldung bzw. bis zum Eintreffen der verspäteten Meldung des Entgeltes beim Versicherungsträger entfallen, vorgeschrieben werden.
3. Wenn ein zu niedriges Entgelt gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten der Differenz zwischen den Beiträgen, die sich aus dem zu niedrig gemeldeten Entgelt ergeben, und den zu entrichtenden Beiträgen vorgeschrieben werden.
Bei der Festsetzung des Beitragszuschlages hat der Versicherungsträger insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners und die Art des Meldeverstoßes zu berücksichtigen. Der Beitragszuschlag darf jedoch die Höhe der Verzugszinsen nicht unterschreiten, die ohne seine Vorschreibung aufgrund des § 59 Abs. 1 für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären."
In der Regierungsvorlage zur 41. ASVG-Novelle (774 BlgNR 16. GP, S. 38) wird die Änderung des § 113 Abs. 1 ASVG unter anderem folgendermaßen begründet:
"Beitragszuschläge sind aber nach dem Konzept des ASVG Sanktionen gegen Meldeverstöße und haben mit der Frage, ob unabhängig davon Beiträge entrichtet wurden, nichts zu tun. Es wäre zum Beispiel durchaus denkbar, daß ein Dienstgeber überhaupt keine Anmeldung erstattet, die Beiträge jedoch im Rahmen des Lohnsummenverfahrens termingerecht abführt.
Da die Vorschriften über die Anmeldung nicht nur für die Beitragsentrichtung, sondern auch für die Leistungsgewährung von großer Bedeutung sind, ist ein Beitragszuschlag als Sanktion für die Verletzung dieser Vorschriften durchaus gerechtfertigt."
2. Die beschwerdeführende Partei bestreitet nicht, dass ein Beitragszuschlag wegen der verspäteten Anmeldung dem Grunde nach zu Recht vorgeschrieben wurde, sie wendet sich jedoch gegen die Höhe des Beitragszuschlages und die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Annahme, dass selbst bei rechtzeitiger Entrichtung der Beiträge als Untergrenze des Beitragszuschlages die Höhe der "fiktiven Verzugszinsen" - jener Verzugszinsen, die im Falle der nicht rechtzeitigen Beitragsentrichtung angefallen wären - anzusetzen sei.
3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt der Beitragszuschlag nach § 113 Abs. 1 ASVG eine pauschalierte Abgeltung des durch die Säumigkeit des Beitragspflichtigen verursachten Verwaltungsaufwandes und des Zinsenentganges infolge der verspäteten Beitragsentrichtung dar. Voraussetzung für eine dem Gesetz entsprechende Bemessung des Beitragszuschlages ist, dass die Höhe der nachzuzahlenden Beiträge zumindest im Sinne einer vorfrageweisen Beurteilung oder als Hauptfragenentscheidung festgestellt wird. Die Verpflichtung, Beiträge nachzuzahlen, stellt eine für die Entscheidung gemäß § 113 Abs. 1 ASVG präjudizielle Rechtsfrage dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0021).
4. Im vorliegenden Fall hat die beschwerdeführende Partei im Verwaltungsverfahren - wie auch in der Beschwerde - vorgebracht, dass es zu keiner verspäteten Beitragsentrichtung gekommen ist, dass also insbesondere auch die für die Dienstnehmerin, die bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse verspätet angemeldet wurde, zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge stets rechtzeitig und vollständig geleistet worden seien.
Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die beschwerdeführende Partei auf Grund des Verstoßes gegen die Meldepflicht tatsächlich Beiträge nachzuentrichten hatte. Auch den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht zu entnehmen, dass die beschwerdeführende Partei mit Beitragszahlungen säumig gewesen wäre. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift vorbringt, dass der Beitragszuschlag "in der Höhe der gesetzlichen Untergrenze mit den von der Wiener Gebietskrankenkasse bekannt gegebenen aufgelaufenen Verzugszinsen" festgesetzt worden sei, so beruht dies offenbar auf einer im Verwaltungsakt der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erliegenden Übersicht, die als "Bekanntgabe des Verwaltungsmehraufwandes, der Verzugszinsen und die Höhe der Beiträge für den Zeitraum der Verspätung zur Vorlage eines Einspruches gegen einen Bescheid gemäß § 113 Abs. 1 ASVG" bezeichnet ist. In dieser Übersicht ist die Art des Verstoßes gegen die Meldepflichten, das gemeldete Entgelt, die Beitragsgruppe, der Zeitraum der Verspätung sowie handschriftlich die absolute Höhe der Beiträge und der Verzugszinsen, ohne dass deren Berechnungsgrundlagen dargelegt würden, eingetragen. Auch aus dieser - der beschwerdeführenden Partei im Übrigen nicht zur Kenntnis gebrachten - Aufstellung lässt sich demnach weder nachvollziehen, dass eine Säumigkeit bei der Entrichtung der Beiträge vorgelegen wäre, noch für welche konkreten Zeiträume und jeweils offenen Beiträge die Höhe der Verzugszinsen - als Untergrenze des Beitragszuschlages - berechnet wurden. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon wegen des Fehlens der erforderlichen Feststellungen über die Höhe der nachzuzahlenden Beiträge und deren jeweiliges Fälligkeitsdatum - die für die Berechnung der Verzugszinsen und damit die Festsetzung des Beitragszuschlages relevant sind - als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
5. Dem angefochtenen Bescheid liegt jedoch auch die Rechtsauffassung zu Grunde, dass es für die Festsetzung des Beitragszuschlages auf einen tatsächlichen Verzug mit der Beitragsentrichtung nicht ankäme.
Dieser Ansicht steht der klare Wortlaut des § 113 Abs. 1 ASVG entgegen, der in seinem letzten Satz auf die Höhe der Verzugszinsen abstellt, die - würde kein Beitragszuschlag vorgeschrieben - "aufgrund des § 59 Abs. 1 für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären." Verzugszinsen sind jedoch nach § 59 Abs. 1 ASVG nur von rückständigen Beiträgen zu leisten, das sind Beiträge, die nicht innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Fälligkeit (bzw. in den Fällen des § 4 Abs. 4 ASVG nach dem Ende des Monats, in dem der Dienstgeber Entgelt leistet) eingezahlt wurden. War der Dienstgeber daher mit der Entrichtung der Beiträge nicht säumig, so wären keine Verzugszinsen im Sinne des § 59 Abs. 1 ASVG angefallen.
Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Ermessensübung bei der Bemessung des Beitragszuschlages unter anderem die objektive Grenze gesetzt ist, dass der Beitragszuschlag die Verzugszinsen nicht unterschreiten darf, lässt sich daher nicht - wie dies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse vermeint - ableiten, dass für den Fall, dass der Beitragsschuldner mit der Beitragsentrichtung nicht in Rückstand gekommen ist, jedenfalls "fiktive Verzugszinsen" als Untergrenze anzusetzen wären. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die Untergrenze der "Höhe der Verzugszinsen" gemäß § 113 Abs. 1 ASVG in der Fassung der 41. ASVG-Novelle nur im Falle eines zu einer Beitragsnachentrichtung führenden Meldeverstoßes zur Anwendung kommen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/08/0050).
6. Daran vermag auch das Vorbringen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in ihrer Gegenschrift nichts zu ändern, wonach im Bereich des - bei der konkreten Dienstgeberin gesetzlich zwingend vorgeschriebenen - Lohnsummenverfahrens "systemimmanent nicht nachvollziehbar" sei, für welche Personen Beiträge entrichtet worden seien und "folglich" auch Verzugszinsen für nachzuentrichtende Beiträge "nur fiktiv dargestellt werden" könnten.
Auch beim Lohnsummenverfahren, in dem der Beitragsschuldner gemäß § 58 Abs. 4 ASVG die Beiträge von der Gesamtsumme der im Beitragszeitraum gebührenden und darüber hinaus bezahlten Entgelte zu ermitteln und an den zuständigen Träger der Krankenversicherung unaufgefordert einzuzahlen hat, ist - gegebenenfalls nach Durchführung einer Beitragsprüfung - feststellbar, ob und in welchem Umfang der Beitragsschuldner dieser Verpflichtung nachgekommen oder aber mit Beiträgen in Verzug geraten ist. Dass im Zeitpunkt der Beitragsentrichtung eine Zuordnung der geleisteten Beiträge zu einzelnen Dienstnehmern nicht möglich ist, kann nicht dazu führen, dass trotz vollständiger Beitragsentrichtung allein auf Grund der verspäteten Meldung ein "fiktiver Verzug" angenommen wird.
7. Um eine gesetzmäßige Bemessung des Beitragszuschlages im vorliegenden Fall vornehmen zu können, wird daher festzustellen sein, ob und in welchem konkreten Umfang die beschwerdeführende Partei im Zusammenhang mit der verspäteten Meldung auch mit der Beitragsentrichtung säumig gewesen ist. Liegt ein Verzug mit der Beitragsentrichtung nicht vor, so stellt die "Höhe der Verzugszinsen" im Sinne des letzten Satzes des § 113 Abs. 1 ASVG keine Untergrenze für die Bemessung des Beitragszuschlages dar.
8. Der angefochtene Bescheid war daher wegen der vorrangig aufzugreifenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am