VwGH vom 28.02.2002, 99/09/0128
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des N in B, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Vorarlberg des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGSV/3/13115/1999 ABA 946740, betreffend Versagung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Vorarlberg des Arbeitsmarktservice (belangte Behörde) vom wurde der am gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der am geborene Beschwerdeführer im Rahmen der Familienzusammenführung zu seinem in Österreich lebenden Vater, einem gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation, eingerichtet durch das Abkommen zur Gründung eines Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom (im Folgenden: ARB Nr. 1/80), berechtigten türkischen Arbeitnehmer nach Österreich gekommen sei und am seinen ersten Sichtvermerk erhalten habe. Der Beschwerdeführer habe lediglich in der Zeit vom bis zum , vom bis zum , vom bis zum und vom bis zum einen gemeinsamen Wohnsitz im Sinne der Familieneinheit mit seinem Vater gehabt und weise somit keine ununterbrochene Familieneinheit in der Dauer von mindestens drei Jahren mit diesem auf. Unbestritten habe er in der Zeit vom bis zum , vom bis zum , vom bis zum und seit dem bis laufend keinen gemeinsamen Wohnsitz im Sinne der Familieneinheit mit seinem Vater gehabt. Weiters sei unbestritten geblieben, dass der getrennte Wohnsitz in den angeführten Zeiträumen jedenfalls nicht auf Grund einer auswärtigen Beschäftigung erforderlich gewesen wäre.
Nach auszugsweiser Wiedergabe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes sowie des Verwaltungsgerichtshofes führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer den Nachweis einer mindestens dreijährigen ununterbrochenen Lebensgemeinschaft mit seinem Vater nicht erbracht habe und auch kein Vorbringen erstattet habe, das objektive Gründe, wie zum Beispiel eine auswärtige Beschäftigung, welche die getrennten Wohnsitze rechtfertigen könnten, vorlägen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 4c des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG lautet:
Türkische Staatsangehörige
"§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB - Nr. 1/1980 erfüllen.
(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) lautet:
"Art. 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die
die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das
Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort
seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in den betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Wie der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf Judikatur des EuGH - bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 97/09/0131, vom , Zl. 97/09/0009, und vom , Zl. 97/09/0012), verlangt die praktische Wirksamkeit des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80, dass sich die Familienzusammenführung während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert. Daraus folgt, dass der Betroffene zumindest während des in Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 vorgesehenen Zeitraums von drei Jahren tatsächlich eine Wohngemeinschaft mit diesem Arbeitnehmer führt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn objektive Gegebenheiten es rechtfertigen, dass der Wanderarbeitnehmer und sein Familienangehöriger im Aufnahmemitgliedstaat nicht zusammenleben.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom in der Rechtssache C-351/95 (Kadiman) ausgeführt, dass es Zweck des Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 sei, "die tatsächliche Zusammenführung des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat zu fördern", weshalb "die nationalen Behörden grundsätzlich verlangen (könnten), dass die Familienangehörigen während der ersten drei Jahre mit dem Wanderarbeitnehmer zusammenleben" (RandNr. 46 des angeführten Urteils). Aus dem Geist und Regelungszweck dieser Vorschrift folge somit, "dass der Familienangehörige grundsätzlich seinen Wohnsitz während dieser drei Jahre ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer haben muss" (RandNr. 47). Diese Auslegung bedeute jedoch nicht, dass sich der Betroffene nicht aus berechtigten Gründen für einen angemessenen Zeitraum vom gemeinsamen Wohnsitz entfernen dürfte, z.B. um Urlaub zu machen oder seine Familien im Heimatland zu besuchen (RandNr. 48).
In seinem Urteil vom in der Rechtssache C- 329/97 (Ergat), Slg. 2000, I-1487, hat der Europäische Gerichtshof weiters ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, auch noch nach Ablauf der in Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 vorgesehenen drei Jahre den Aufenthalt eines Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers davon abhängig zu machen, dass der Betroffene auch weiterhin eine Lebensgemeinschaft mit seiner gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 berechtigten Bezugsperson führt (RandNr. 38 dieses Urteiles).
Dem Beschwerdeführer wurde im vorliegenden Fall unbestritten im Sinne des Art. 7 ARB Nr. 1/80 die Genehmigung erteilt, zu seinem gemäß Art. 6 Abs. 1 leg. cit. berechtigten Vater nach Österreich zu ziehen; auch die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes und die Ordnungsgemäßheit seines Wohnsitzes im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides steht nicht in Frage. Dem Beschwerdeführer wäre daher ein Befreiungsschein gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG auszustellen, wenn er zunächst während des in Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich vorgesehenen Zeitraumes von drei Jahren tatsächlich in Wohngemeinschaft mit seinem Vater in Österreich gelebt und - auf Grund der dadurch nach der angeführten Vorschrift erworbenen Berechtigung - weiters einen ordnungsgemäßen Wohnsitz von mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet aufzuweisen hätte.
Der Beschwerdeführer hat jedoch unbestritten nach seiner Einreise in Österreich nicht länger als etwa zweieinhalb Jahre ununterbrochen im gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater gelebt, anschließend daran wohnte er nach der Aktenlage zwar in derselben Gemeinde wie sein Vater, jedoch an einer anderen Adresse. Erst in der Beschwerde führt der Beschwerdeführer aus, er habe in unmittelbarer Nähe zu seinem Vater gewohnt; auch während der Zeiträume, in denen er und sein Vater nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt hätten, seien sie räumlich nicht voneinander getrennt gewesen und hätten auch während dieser Zeit ein intensives Familienleben im Sinne einer Familiengemeinschaft gepflegt.
Dieses Vorbringen ist als eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG zu werten, und es kann der belangten Behörde angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum bereits mehr als 18 Jahre alt war, nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie im vorliegenden Fall nicht von Amts wegen nähere Erhebungen dahingehend angestellt hat, ob einerseits - ungeachtet der getrennten Wohnsitze des Beschwerdeführers und seines Vaters - dennoch angesichts eines tatsächlich geführten gemeinsamen Haushaltes oder einem solchen gleich zu setzender familiärer Kontakte von einem Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt auszugehen gewesen wäre.
Dass aber objektive Gegebenheiten es rechtfertigten, dass der Beschwerdeführer, der sein Begehren auf Ausstellung eines Befreiungsscheines aus dem Umstand des Familiennachzuges zu seinem Vater herleiten will, mit diesem während der Mindestfrist von drei Jahren nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt hat, hat der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch auch in der Beschwerde ausgeführt.
Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war im Grunde des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG entbehrlich.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. § 41 AMFG und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am