VwGH vom 28.02.2002, 99/09/0100
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom , Zl. 10/13115/890 692, betreffend Befreiungsschein, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag an die regionale Geschäftsstelle Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft Wien des Arbeitsmarktservice vom begehrte der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG.
Mit Bescheid dieser Behörde vom wurde dieser Antrag gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG abgewiesen. Die Behörde erster Instanz stellte dabei fest, dass der Beschwerdeführer seit dem weder ein Dienstverhältnis noch einen "als Rahmenfrist anzurechnenden Leistungsbezug" nachweisen könne. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung und führte darin unter anderem aus, dass er zuletzt vom bis zum "im Notstandshilfebezug" gestanden habe. Dass ihm nunmehr die Notstandshilfe vorenthalten werde, sei rechtswidrig, er gab in seiner Berufung im Übrigen den Text einer gegen die Versagung der Notstandshilfe nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz gerichteten beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wieder.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG abgewiesen.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, dass die bloße Tatsache einer Beschwerdeerhebung durch den Beschwerdeführer gegen die Nichtzuerkennung der Notstandshilfe seiner Berufung nicht zum Erfolg verhelfen könne.
Im Hinblick auf die Antragstellung des Beschwerdeführers vom und die Absprache der Behörde erster Instanz vom sei - allenfalls erstreckt um die Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges vom bis , vom bis sowie vom bis , welche gemäß Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 eine Ausdehnung des Beurteilungszeitraumes bewirken könnten, und einer Dauer von 211 Tagen entsprächen - der Zeitraum vom bis bzw. vom bis heranzuziehen. Für die Beurteilung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen, nämlich der vierjährigen ordnungsgemäßen Beschäftigung im Bundesgebiet, sei ausschließlich der Zeitpunkt der Einbringung des Begehrens bzw. jener der erstinstanzlichen Entscheidung maßgeblich. Auf vormalige Dienstverhältnisse außerhalb des Beurteilungszeitraumes sei nicht Bedacht zu nehmen. Innerhalb dieses Zeitraumes sei der Beschwerdeführer insgesamt ein Jahr, zwei Monate und drei Tage beschäftigt gewesen, weshalb er das Erfordernis der vierjährigen ordnungsgemäßen Beschäftigung im Sinne des Assoziierungsabkommens nicht erfülle.
Näher angeführte Dienstverhältnisse (vom bis sowie vom bis ) bei Unternehmen mit Sitz in Wien im Ausmaß von neun Monaten und zwei Tagen könnten nicht berücksichtigt werden, weil der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum im Besitz einer Arbeitserlaubnis nur für Niederösterreich gewesen sei. Weiters komme der Unterbrechung der rechtmäßigen Dienstverhältnisse des Beschwerdeführers vom bis - auch wenn er vom bis Arbeitslosengeld bezogen habe - maßgebliche Bedeutung zu, weil das Assoziationsabkommen erst durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit Wirksamkeit erlangt habe, und er sich vor diesem Zeitpunkt nicht auf ein aus Art. 6 Abs. 1 sowie 2 ARB Nr. 1/80 abgeleitetes Recht habe berufen können.
Da der Beschwerdeführer seit dem in keinem Dienstverhältnis stehe und die letzte für ihn erteilte Beschäftigungsbewilligung mit Ablauf des ihre Gültigkeit verloren habe, weshalb er auch derzeit über keine Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme verfüge, sei das Erfordernis der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer beantragt den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der § 4c AuslBG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 lautet:
"(1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."
Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei vom , Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), lautet:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien
Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische
Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates
angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung
Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen
Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung -
vorbehaltlich des den Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedienungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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- | nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. |
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die Aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die Auffassung der belangten Behörde, die Vierjahresfrist des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 sei vom Tag der Antragstellung zurückzurechnen, unzutreffend sei, schon deswegen, weil in diesem Fall Zeiten im Sinne des Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. nicht berücksichtigt werden könnten. Damit ist der Beschwerdeführer im Recht, denn in der Tat ist weder dem § 4c Abs. 2 AuslBG noch dem Art. 6 ARB Nr. 1/80 eine derartige Regel zu entnehmen, weshalb im Beschwerdefall grundsätzlich auch die vor dem liegenden Beschäftigungszeiten bei der Beurteilung zu berücksichtigen waren, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich erfülle. Nach der Aktenlage (Auszug aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger) weist der Beschwerdeführer Beschäftigungszeiten auch in den Zeiträumen vom bis zum und vom bis zum auf.
Der Beschwerdeführer meint in seiner Beschwerde, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass er vor Beginn seiner Beschäftigung bei einem Unternehmen in Wien am bereits gemäß Art. 6 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich berechtigt gewesen sei, daher könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass seine Arbeiterlaubnis in diesem Zeitraum nur für Niederösterreich gegolten habe. Auch die Zeiten der - derart rechtmäßigen - Beschäftigung vom bis sowie vom bis seien der Beurteilung gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG daher zu Grunde zu legen gewesen. Auch mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer grundsätzlich im Recht. Auch diese Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers waren für die Beurteilung gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG heranzuziehen. Dies setzt allerdings voraus, dass Zeiten der Unterbrechung der Beschäftigung vor dem nicht zum Untergang der bis dahin erworbenen Anwartschaft auf die mit dem Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 verbundene Rechtsposition geführt haben.
Es ist ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass sich ein türkischer Arbeitnehmer im Fall des Verlusts einer Beschäftigung vor dem nicht auf einen allenfalls durch die Zurücklegung von in Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 umschriebenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung vor dieser Unterbrechung erworbenen Anspruch auf Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach den - erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am wirksamen - Bestimmungen des Art. 6 ARB Nr. 1/80 berufen kann. Im Sinne dieser Rechtsprechung führen daher Unterbrechungen von Zeiträumen ordnungsgemäßer Beschäftigung vor dem dazu, dass vor der Unterbrechung gelegene Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung bei der Beurteilung gemäß Art. 6 Abs. 1 leg. cit. nicht zu berücksichtigen sind (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/21/0100, vom , Zl. 97/09/0152, vom , Zlen. 98/09/0044, 98/09/0158, und vom , Zl. 98/09/0158).
Auf dem Boden dieser Rechtsprechung ist auch im Beschwerdefall davon auszugehen, dass die Unterbrechung der Beschäftigung des Beschwerdeführers im Zeitraum vom bis zum dazu geführt hat, dass die vor ihr liegenden Beschäftigungszeiträume bei der Beurteilung gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG außer Betracht zu bleiben haben. Weder nach den Feststellungen der belangten Behörde, dem Vorbringen des Beschwerdeführers oder nach der Aktenlage weist der Beschwerdeführer aber nach dieser Unterbrechung insgesamt einen Beschäftigungszeitraum von vier Jahren auf. Daher ist der angefochtene Bescheid nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Übrigen weder vorgebracht, noch ist aus den Akten des Verwaltungsverfahrens ersichtlich, dass die Unterbrechung seiner Beschäftigung im Zeitraum vom bis zum wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder wegen langer Krankheit erfolgt wäre, weshalb der angefochtene Bescheid auch unbedenklich erscheint, wenn man die Auffassung vertritt, dass der Verlust einer ordnungsgemäßen Beschäftigung vor dem die Berücksichtigung davor zurückgelegter Beschäftigungszeiten bei der Beurteilung gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 dann nicht hindert, wenn er im Sinne des Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz ARB Nr. 1/80 wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder wegen langer Krankheit erfolgte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 97/09/0099 und 0100, und vom , Zl. 99/08/0060). Auch der Hinweis auf den Inhalt der im Notstandshilfeverfahren eingebrachten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bietet keinen konkreten Hinweis auf das Vorliegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80.
Bei diesem Ergebnis war die Beurteilung der belangten Behörde nicht weiter zu prüfen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt nicht mehr angehörte.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am