VwGH vom 07.09.2005, 2003/08/0171
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Köller und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der L in T, vertreten durch Dr. Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , Zl. 63-28z5/4-2003, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Gewährung einer Ausgleichszulage (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch der Beschwerdeführerin "gegen den Spruch I" des Bescheides der mitbeteiligten Partei vom , Zl. GLA-5103 200542/1 91, keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid "vollinhaltlich bestätigt". Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die mitbeteiligte Partei in "Spruch I" des zitierten Bescheides ausgesprochen habe, dass das Verfahren über den Anspruch auf Ausgleichszulage bezüglich der Beschwerdeführerin wiederaufgenommen und der Bescheid vom hinsichtlich der Höhe der Ausgleichszulage aufgehoben werde. Diese Entscheidung sei damit begründet worden, dass die Beschwerdeführerin ihr Wohnrecht, welches sie bereits auf Grund eines notariellen Übergabsvertrages vom besitze, im Ausgleichszulagenfragebogen vom verschwiegen habe. Gegen diesen Bescheid habe die Beschwerdeführerin fristgerecht Einspruch erhoben und in diesem im Wesentlichen vorgebracht, dass der Bescheid bezüglich der Ausgleichszulage weder durch Fälschung einer Urkunde, noch durch falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden sei.
Die belangte Behörde führte dazu aus, dass gemäß § 69 Abs. 1 AVG dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben sei, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden sei. Im gegenständlichen Fall sei der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom eine Ausgleichszulage gewährt worden. Gemäß § 292 Abs. 1 ASVG gebühre eine Ausgleichszulage dann, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293 ASVG) erreiche. § 107 ASVG normiere, dass der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern habe, wenn der Leistungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben oder bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt habe. Im gegenständlichen Fall habe die Beschwerdeführerin im Ausgleichszulagenfragebogen vom ihr Wohnrecht, über das sie bereits auf Grund des Übergabsvertrages vom verfügt habe, verschwiegen. Da die Beschwerdeführerin erst im Ausgleichzulagenfragebogen vom das Wohnrecht angegeben habe, sei davon auszugehen, dass sie bewusst unrichtige Angaben gemacht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens nicht vor und erstattete keine Gegenschrift. Auch die mitbeteiligte Partei hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der angefochtene Bescheid unzureichend begründet sei. Sie habe im Einspruch gegen den erstinstanzlichen Bescheid die Mangelhaftigkeit der erstinstanzlichen Bescheidbegründung dargestellt und das Unterbleiben eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens gerügt sowie auch dezidiert bestritten, dass der Bescheid über die Bemessung der Ausgleichszulage durch Fälschung einer Urkunde, durch falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden sei. Sie habe dazu ergänzend in einer Stellungnahme ausgeführt, dass der seinerzeitige Pensionsantrag nicht von ihr selbst, sondern von einem "Invalidenvertreter" ausgefüllt worden sei und sie jedenfalls persönlich keine falschen Angaben gemacht habe. Die belangte Behörde hätte unter Gewährung des Parteiengehörs den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen gehabt. Dass ein Wohnrecht als Einkommen im Sinne der die Ausgleichszulage regelnden Bestimmungen gelte, sei "kein Gedanke, der einem einfachen Menschen ohne Weiteres kommt". Dass er es, ohne danach gefragt zu werden, nicht erwähne, lasse daher keinen Schluss auf eine bewusste Absicht des Verschweigens bzw. Irreführung zu. Die Annahme, dass die Unterlassung der Angabe eines Wohnrechtes auf eine Irreführungsabsicht zurückgehe, sei von vornherein unter den gegebenen Umständen nicht ohne Weiteres zulässig und erfordere jedenfalls eine nähere Erforschung des Zustandekommens. Das Begründungselement im angefochtenen Bescheid, wonach aus der Anführung des Wohnrechtes im Fragebogen vom durch die Beschwerdeführerin hervorginge, dass diese früher eine Irreführungsabsicht gehabt habe, sei unzutreffend. Dass die Beschwerdeführerin nach Kenntnisnahme der konkreten Frage richtig geantwortet habe, spreche dafür, dass bei der früheren Gelegenheit die entsprechende Angabe nur aus Versehen nicht gemacht worden sei. Die belangte Behörde habe die erforderlichen Ermittlungen nicht gepflogen und der angefochtene Bescheid enthalte "zur Frage der Gutgläubigkeit oder Irreführungsabsicht keinerlei sinnhaltige, den behördlichen Standpunkt stützende Begründung".
2. Die belangte Behörde, welche anlässlich der Einleitung des Vorverfahrens auf die Bestimmung des § 38 Abs. 2 VwGG hingewiesen worden war, hat die Akten des Verwaltungsverfahrens nicht vorgelegt. Gemäß § 38 Abs. 2 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof daher im vorliegenden Fall auf Grund der Behauptungen der Beschwerdeführerin erkennen.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG, der gemäß § 357 Abs. 1 ASVG im Verfahren vor den Versicherungsträgern anzuwenden ist, ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach dem angefochtenen Bescheid geht die belangte Behörde davon aus, dass die Beschwerdeführerin in einem Fragebogen, welcher im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgelegt worden war, ein ihr zustehendes Wohnrecht verschwiegen und damit bewusst unrichtige Angaben gemacht habe.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum allgemeinen Wiederaufnahmegrund der "Erschleichung" eines Bescheides kann von einem Erschleichen nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird. Insbesondere ist dieser Tatbestand verwirklicht, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Allerdings ist unter einem Erschleichen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ein vorsätzliches, nicht aber bloß ein kausales oder bloß fahrlässiges Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen, wobei es sich um die Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder um das Verschweigen relevanter Umstände handeln kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0579).
Werden bei der Beantragung einer Ausgleichszulage Einkünfte mit dem Vorsatz verschwiegen, dadurch die Gewährung der Ausgleichszulage bzw. einer höheren Ausgleichszulage zu erreichen, stellt dies ein Erschleichen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG dar und kann daher zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid jedoch nicht dargelegt, auf welche Weise sie zu ihrer Schlussfolgerung gekommen ist, dass die Beschwerdeführerin im Fragebogen vom "bewusst unrichtige Angaben" gemacht habe.
Auf Grund der gemäß § 38 Abs. 2 VwGG der Entscheidung zu Grunde zu legenden Beschwerdebehauptungen ist davon auszugehen, dass im Einspruch gegen den erstinstanzlichen Bescheid - unter Hinweis auf die näheren Umstände der Ausfüllung des Fragebogens durch einen "Invalidenvertreter" - ein Vorbringen erstattet wurde, dass die Beschwerdeführerin kein Verschulden an der Nichtbekanntgabe des Wohnrechts trifft. Mit diesem Vorbringen setzt sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in keiner Weise auseinander und es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen diesem Vorbringen nicht gefolgt wird.
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als nicht ausreichend begründet, sodass dem Verwaltungsgerichtshof eine Prüfung auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit nicht möglich ist. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das auf den Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren der Beschwerdeführerin war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am