VwGH vom 22.04.1998, 97/01/0623
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des A in Graz, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Friedhofgasse 20, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 10.440/3-II/13/96, betreffend Löschung erkennungsdienstlicher Daten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Löschung der im Zusammenhang mit einem Vorfall vom 22./ erhobenen erkennungsdienstlichen Daten und Ausfolgung sämtlicher angefertigter Lichtbilder und Negative, in eventu auf Ausfolgung sämtlicher von ihm im Zusammenhang mit dem genannten Vorfall angefertigter Lichtbilder und Negative, abgewiesen. Ihrer Begründung legte die belangte Behörde zugrunde, daß der - am geborene - Beschwerdeführer nach eigenen Angaben in der Nacht vom 22. auf den in mehreren Angriffen mit dem zum damaligen Zeitpunkt strafunmündigen Elmar M. die strafrechtlichen Tatbestände des Diebstahls durch Einbruch und der Sachbeschädigung verwirklicht habe. Unmittelbar nach der Tatbegehung sei eine (die hier gegenständliche) erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden. Nachdem ein außergerichtlicher Tatausgleich nach § 7 JGG stattgefunden habe, sei die gegen den Beschwerdeführer erstattete Anzeige von der Staatsanwaltschaft Graz am gemäß § 90 StPO zurückgelegt worden.
Davon ausgehend gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, daß das Strafverfahren - ungeachtet der aufgrund eines außergerichtlichen Tatausgleichs nach § 7 JGG erfolgten Einstellung - den Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer bestätigt habe, wenn auch nicht in Form eines rechtskräftigen Strafurteiles. Damit liege die in § 74 Abs. 1 SPG geforderte Voraussetzung für das Löschen erkennungsdienstlicher Daten auf Antrag des Betroffenen (daß der Verdacht, der für ihre Verarbeitung maßgeblich war, schließlich nicht bestätigt werden konnte) nicht vor. Das Eventualbegehren des Beschwerdeführers (nur) auf Ausfolgung der angefertigten Lichtbilder und Negative sei inhaltlich ebenfalls als Antrag auf Löschung erkennungsdienstlicher Daten, und zwar hinsichtlich eines Teiles derselben, zu qualifizieren. Eine teilweise Löschung erkennungsdienstlicher Daten sei im SPG jedoch nicht vorgesehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das Sicherheitspolizeigesetz-SPG, BGBl. Nr. 556/1991, i. d.g.F., enthält im dritten Hauptstück seines vierten Teiles ("Verwenden personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei") Regelungen über den Erkennungsdienst. Gemäß § 65 Abs. 1 erster Satz SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Ein "gefährlicher Angriff" im Sinne dieser Bestimmung ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer insbesondere nach dem Strafgesetzbuch (StGB) strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird. Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in einem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird (§ 16 Abs. 2 und 3 SPG).
Nach § 73 Abs. 1 SPG sind gemäß § 65 ermittelte erkennungsdienstliche Daten von Amts wegen u.a. zu löschen, wenn die Daten von einer gemäß § 65 Abs. 1 vorgenommenen erkennungsdienstlichen Behandlung eines Strafunmündigen stammen und seither drei Jahre verstrichen sind, ohne daß es neuerlich zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung gekommen wäre (Z. 2) oder wenn gegen den Betroffenen kein Verdacht mehr besteht, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, es sei denn, weiteres Verarbeiten wäre deshalb erforderlich, weil aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Betroffene werde gefährliche Angriffe begehen (Z. 4). § 74 Abs. 1 SPG sieht, sofern nicht die Voraussetzungen des § 73 vorliegen, eine Löschung erkennungsdienstlicher Daten, die gemäß § 65 Abs. 1 ermittelt wurden, auf Antrag des Betroffenen vor, wenn der Verdacht, der für ihre Verarbeitung maßgeblich ist, schließlich nicht bestätigt werden konnte oder wenn die Tat nicht rechtswidrig war. Zufolge Abs. 2 dieser Bestimmung ist dem Antrag nicht stattzugeben, wenn weiteres Verarbeiten deshalb erforderlich ist, weil aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Betroffene werde gefährliche Angriffe begehen.
Indem § 65 Abs. 1 SPG bezüglich der Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffs im Sinne des § 16 SPG abstellt, wird deutlich, daß diese Ermächtigung nur an die objektiv rechtswidrige Verwirklichung eines maßgeblichen strafgesetzlichen Tatbestandes (an eine entsprechende Verdachtslage) anknüpft. Es kommt also nur auf die sich in der rechtswidrigen Verwirklichung eines entsprechenden Tatbildes manifestierende Gefährlichkeit der betreffenden Person an, während weitere Voraussetzungen der gerichtlichen Strafbarkeit außer Betracht zu bleiben haben. Die Erläuterungen zu § 65 SPG weisen in diesem Sinn ausdrücklich darauf hin, daß "Fragen der Schuld im Sinne des Strafgesetzbuches ausgeklammert" bleiben. Es komme etwa nicht darauf an, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig war oder nicht
(148 BlgNR, 18. GP, 48). Auch aus § 73 Abs. 1 Z. 2 SPG (Löschung erkennungsdienstlicher Daten eines Strafunmündigen unter bestimmten Voraussetzungen) erhellt, daß die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht von der Möglichkeit strafgerichtlicher Verurteilung der betreffenden Person, sondern nur vom Verdacht der rechtswidrigen Verwirklichung eines entsprechenden Tatbildes abhängig ist.
Ist die Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung einer Person nicht an deren Strafbarkeit geknüpft, so ist es konsequent, umgekehrt auch die Löschung erkennungsdienstlicher Daten nicht vom Unterbleiben eines gerichtlichen Strafverfahrens oder einer strafgerichtlichen Verurteilung abhängig zu machen. Die Erläuterungen zu den §§ 73 und 74 SPG (aaO., 50) führen hiezu folgendes aus:
"Eine besondere Problematik ergibt sich in jenen Fällen, in denen die Daten ermittelt wurden, weil der Betroffene verdächtig war, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, wenn er in der Folge nicht vom Strafgericht verurteilt worden ist. Die auf den ersten Blick bestehende Möglichkeit, dann jedenfalls einen Löschungsanspruch vorzusehen, wurde nach der Einsicht fallen gelassen, daß die Verurteilung einer Person nicht das einzige, wenn auch sehr gewichtige Indiz dafür ist, daß sie in Zukunft einen gefährlichen Angriff begehen werde. So kann es z.B. sein, daß eine Verurteilung nur deshalb unterbleibt, weil das Versuchsstadium noch nicht erreicht war oder weil die Tat verjährt ist, weil es an einem zwar für die Setzung des Tatbildes erforderlichen, für die Gefährlichkeit des Täters aber unerheblichen Tatbestandsmerkmal fehlt oder weil der Täter nicht schuldfähig ist. In solchen Fällen kann eine Aufbewahrung aus Gründen kriminalpolizeilicher Prävention unerläßlich sein, weshalb die Behörde dann nicht zur Löschung verpflichtet sein soll."
Diese Überlegungen finden im Gesetz dergestalt Niederschlag, daß bezüglich der Löschung - von hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen abgesehen - grundsätzlich nur auf den Wegfall der in § 65 Abs. 1 SPG umschriebenen Verdachtslage abgestellt wird; besteht kein Verdacht mehr, der Betreffende habe objektiv rechtswidrig einen maßgeblichen strafgesetzlichen Tatbestand verwirklicht (§ 73 Abs. 1 Z. 4 leg. cit.), bzw. konnte ein entsprechender Verdacht nicht bestätigt werden oder war die Tat nicht rechtswidrig (§ 74 Abs. 1 leg. cit.), so sind die gemäß § 65 Abs. 1 SPG ermittelten erkennungsdienstlichen Daten von Amts wegen (§ 73 Abs. 1 Z. 4) bzw. auf Antrag (§ 74 Abs. 1) zu löschen. Offenkundig wird dabei vom Gesetz zwischen einer evidenten Entkräftung der Verdachtslage einerseits und zwischen einer bloßen "Nicht-Erweisbarkeit" andererseits unterschieden. Während im ersten Fall die Löschung erkennungsdienstlicher Daten von Amts wegen stattfinden soll, ist sie in der zweiten Alternative nur auf Antrag vorgesehen. Jedenfalls kommt eine Löschung dann nicht in Frage, wenn feststeht, daß die betreffende Person objektiv rechtswidrig einen maßgeblichen strafgesetzlichen Tatbestand verwirklicht (und damit einen "gefährlichen Angriff" nach § 16 SPG begangen) hat.
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, daß der damals 15-jährige Beschwerdeführer in der Nacht vom 22. auf den die strafgesetzlichen Tatbestände des Diebstahls durch Einbruch und der Sachbeschädigung verwirklicht hat. Von einem Wegfall der in § 65 Abs. 1 SPG umschriebenen Verdachtslage (und sei es auch nur "in dubio") kann mithin ungeachtet der Zurücklegung der gegen ihn erhobenen Strafanzeige (§ 90 StPO) nicht die Rede sein. Der angefochtene Bescheid ist daher frei von Rechtsirrtum.
Wenn die Beschwerde demgegenüber unter Verweis auf das in § 34 StPO verankerte Legalitätsprinzip mit der Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft Graz nach § 90 StPO argumentiert, was "wohl nur bedeuten kann, daß die in § 74 Abs. 1 SPG geforderten Voraussetzungen erfüllt sind", so verkennt sie, daß im Sinne der obigen Darstellung zwischen Strafbarkeit einerseits und dem Anspruch auf Löschung erkennungsdienstlicher Daten andererseits kein Konnex besteht. Die Schlußfolgerung, daß ein Löschungsanspruch nach § 74 Abs. 1 SPG existiere, weil die Staatsanwaltschaft Graz andernfalls zur (weiteren) Verfolgung des Beschwerdeführers verpflichtet gewesen wäre, ist daher nicht richtig. Gleichfalls verfehlt ist die Ansicht, aus dem Verfolgungsverzicht seitens der Staatsanwaltschaft sei abzuleiten, daß die Tat des Beschwerdeführers nicht rechtswidrig gewesen sei; nachdem die Zurücklegung der Anzeige an einen außergerichtlichen Tatausgleich nach § 7 JGG geknüpft war, muß die Staatsanwaltschaft Graz davon ausgegangen sein, daß der Beschwerdeführer grundsätzlich ein strafbares (und daher rechtswidriges) Verhalten gesetzt habe.
Unter dieser Annahme spielt es nach dem Vorgesagten aber auch keine Rolle, daß gegen ihn kein gerichtliches Strafverfahren eingeleitet worden ist.
Ebensowenig zielführend sind die Ausführungen der Beschwerde zur ratio legis der §§ 6 ff. JGG, die durch das Evidenthalten der erkennungsdienstlichen Daten des Beschwerdeführers vereitelt werde; den berechtigten Interessen eines jugendlichen Straftäters an weitestgehender Hintanhaltung einer Verbreitung seiner personenbezogenen Daten wird nämlich durch § 71 SPG, wonach die Übermittlung erkennungsdienstlicher Daten an die Öffentlichkeit oder an Einzelpersonen nur innerhalb enger Grenzen zulässig ist, in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Geheimhaltungsinteressen vermögen angesichts dessen die oben angestellten Überlegungen zur Auslegung des § 74 SPG nicht zu entkräften.
Die Beschwerde gesteht selbst zu, daß der Löschung erkennungsdienstlicher Daten die Interessen der Allgemeinheit an einer effizienten Strafverfolgung und an einer raschen Aufklärung von Straftaten entgegenstehen. Im Hinblick darauf ist es nicht nachvollziehbar, wenn die Beschwerde ohne weitere Ausführungen in der Regelung der §§ 73 und 74 SPG eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erblicken will. Der Verwaltungsgerichtshof vermag aber auch die verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu teilen. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß er durch die vorliegenden Bestimmungen verurteilten Straftätern gleichgestellt werde, was sachlich nicht gerechtfertigt sei, so ist ihm zu entgegnen, daß die Regelungen über den Erkennungdienst nicht schuld-, sondern gefährlichkeitsbezogen sind. Wenn dabei keine Differenzierung nach der Intensität der Gefährlichkeitsprognose vorgenommen wird, so erscheint dies im Hinblick darauf, daß jenen Regelungen kein Pönalisierungscharakter zukommt, unbedenklich. Der Anregung des Beschwerdeführers, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren bezüglich der §§ 73 und 74 SPG einzuleiten, kann daher nicht näher getreten werden.
Zusammenfassend erweist sich die vorliegende Beschwerde daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.