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VwGH vom 19.09.1991, 91/06/0057

VwGH vom 19.09.1991, 91/06/0057

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der S in H, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, vom , Zl. II-86/90, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. A, H, 2. Stadt H) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte der Erstmitbeteiligte die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses sowie für den Einbau einer Garage in einem bestehenden Gebäude und eines Verbindungstraktes auf der Grundparzelle nn1 KG H. Zur mündlichen Verhandlung vom wurde die Beschwerdeführerin als Anrainerin unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG 1950 geladen. Schon vor dieser Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin Einwendungen gegen den Umbau des bestehenden Gebäudes in eine Garage ein: da für das bestehende Objekt keine baupolizeiliche Genehmigung vorliege, handle es sich bei dem Vorhaben nicht um den Umbau eines bestehenden Gebäudes, vielmehr müsse der Altbestand anhand der derzeitigen Bestimmungen bewilligt werden. Erst dann wäre allenfalls an einen Umbau zu denken. In jedem Fall bestünde die Beschwerdeführerin jedoch auf der Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen. Das Gebäude habe einen Nullabstand zur Grenze der Beschwerdeführerin, die Abstandsflächen würden somit nicht eingehalten. Der Schutz bezüglich "Brand und Gesundheit" sei mit dem vorliegenden Nullabstand ebenfalls nicht gewährleistet.

Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die beantragte Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses. Die Entscheidung über den Einbau der Garage sowie des Verbindungstraktes wurde einem gesonderten Bescheid vorbehalten. Am legte der Erstmitbeteiligte eine Planänderung vor; danach sollte der Umbau des bestehenden Gebäudes in der Form bewilligt werden, daß eine Trennwand zwischen Garage und Abstellraum in 3 m Entfernung von der Grundgrenze errichtet wird. Der hinter der Trennwand verbleibende Raum sollte weiterhin als Abstellraum verwendet werden. Veränderungen an den Außenmauern waren nach dem eingereichten Plan nicht vorgesehen. Diese Planänderung wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig wurde sie eingeladen, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme zur geplanten Änderung abzugeben, andernfalls angenommen werde, daß sie keine Einwendungen erhebe. Mit Schreiben vom brachte die Beschwerdeführerin vor, daß sie in der Planänderung keine wesentliche Änderung des Bauvorhabens erblicke, weshalb sie ihr Vorbringen vollinhaltlich aufrecht halte.

Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Erstmitbeteiligten die beantragte Baubewilligung für den Verbindungstrakt und den Einbau einer Garage in ein bestehendes Gebäude. An diese Bewilligung wurden insgesamt 15 Auflagen geknüpft; unter Punkt 8 wurde vorgeschrieben, daß die Trennwand zwischen Garage und Abstellraum brandbeständig auszuführen sei. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden teils als unzulässig zurückgewiesen, soweit sie die Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen, des Brandschutzes und gesundheitliche Belange betrafen, wurden sie gemäß § 30 Abs. 1 lit. b des Baugesetzes als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die im bestehenden Gebäude auf Gp nn1 vorgesehene Garage weise einen Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze auf. Im verbleibenden Gebäudeteil, angrenzend an die Grundstücksgrenze, erfolge keine Verwendungsänderung, dieser werde wie bisher als Abstellraum genutzt. Eine neuerliche Zustimmung des Gemeindevorstandes sei nicht notwendig, weil sich der Verwendungszweck innerhalb der Dreimeterzone zur Grundstücksgrenze nicht ändere und dadurch Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit nicht nachteilig berührt würden. Mit Bescheid vom habe die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch im betreffenden Gebäude ein Farbwarenlager gewerbepolizeilich genehmigt. Auf Grund dieser Genehmigung und der Eintragung im Bebauungsplan vom Jahre 1911 könne das Gebäude als ein dem Rechtsbestand angehörendes betrachtet werden. Eine Baubewilligung über das seit Jahrzehnten bestehende Gebäude sei nicht mehr auffindbar. In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, im Jahre 1964 sei für das fragliche Gebäude nur eine gewerbliche Betriebsanlagengenehmigung erteilt worden, jedoch keine Baubewilligung. Überdies sei auch jeder Umbau oder jede Umwidmung des bestehenden Gebäudes baubewilligungspflichtig, bei jedem Umbau müsse neuerlich eine Bauabstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 des Baugesetzes erteilt werden.

Die Stadtvertretung der Stadt H wies mit Bescheid vom die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom ab, in Ergänzung des angefochtenen Bescheides wurde gemäß § 6 Abs. 9 des Baugesetzes dem Bauwerber für die Verwendungsänderung des bestehenden Gebäudes auf Grundstück Nr. nn1 eine Abstandsnachsicht gegenüber Grundstück Nr. nn2 auf 0,00 m eingeräumt. Der Begründung ihres Bescheides zufolge ging die Berufungsbehörde davon aus, daß bezüglich des bestehenden Gebäudes, in dem die Garage eingebaut werden sollte, ein neuerliches Bauverfahren nur hinsichtlich der Verwendungsänderung durchzuführen sei. Seien nämlich hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes Unterlagen über eine seinerzeitige Bewilligung nicht mehr auffindbar, stehe aber fest, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grund, weil ein Konsens fehle, niemals stattgefunden hätten, so spreche die Vermutung dafür, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt auf Grund einer nach dem im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden sei, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorlägen. Im gegenständlichen Fall lägen solche Anhaltspunkte nicht vor. Auf Grund des geplanten Umbaues sei auch die Frage zu prüfen, inwieweit für diesen Umbau eine Abstandsnachsicht notwendig sei. Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N.F. Nr. 10.815/A, gehe hervor, daß bei einer Änderung der Verwendung, auch wenn die Außenwände und Fenster unverändert bleiben, von der Baubehörde zu prüfen sei, ob die Voraussetzungen für eine einmal erteilte Abstandnachsicht nach Abs. 9 nach wie vor gegeben seien. Diese Prüfung habe sich allerdings auf die Frage der Beeinträchtigung der Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit im Zusammenhang mit der neuen Verwendung zu beschränken. Unter Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen käme auch bei der neuen Verwendung keinerlei Gefährdung des Nachbarn hinsichtlich des Brandschutzes oder der Gesundheit in Frage. Es sei daher das Verfahren der Behörde erster Instanz dahingehend ergänzt worden, daß die Zustimmung des Gemeindevorstandes zur Erteilung einer Abstandsnachsicht eingeholt worden sei, die dieser in der Sitzung vom erteilt habe.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Vorstellung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom ab. Zur Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im wesentlichen aus, die Baubehörde sei in ihrem Berufungsbescheid davon ausgegangen, daß für das verfahrensgegenständliche, an der Grenze zum Grundstück Nr. nn2 (im Eigentum der Beschwerdeführerin befindliche) liegende Gebäude mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom ein Farbwarenlager gewerbepolizeilich genehmigt worden sei. Deshalb und infolge der Eintragung im Bebauungsplan aus dem Jahre 1911 könne das Objekt als ein dem Rechtsbestand angehörendes Gebäudes betrachtet werden. Sowohl die gewerbepolizeiliche Genehmigung im Jahre 1964, als auch die Eintragung im Bebauungsplan des Jahres 1911 seien von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden. Auch für die Aufsichtsbehörde bestehe daran kein Zweifel. Über diese Feststellungen der Baubehörde hinaus habe die belangte Behörde selbst Ermittlungen durchgeführt. (Das Ergebnis der von der Aufsichtsbehörde vorgenommenen Ermittlungen wurde der Beschwerdeführerin jedoch nicht vorgehalten.) So habe die Gemeindeaufsichtsbehörde anhand beigeschaffter Akten der Gewerbebehörde erheben können, daß die am von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch erteilte gewerbepolizeiliche Genehmigung des Betriebsraumes für die Herstellung von Dispersionsfarben auf Grund einer mündlichen Verhandlung vom selben Tag erteilt worden sei, an der die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin persönlich teilgenommen habe. Anläßlich dieser Verhandlung sei u.a. festgestellt worden, daß baupolizeilich genehmigungspflichtige Arbeiten nicht erforderlich seien. Diese Feststellung zwinge zum Schluß, daß seinerzeit weder die Gemeinde als Baubehörde noch die anwesenden Nachbarn zu einem baupolizeilichen Genehmigungsverfahren für den damaligen Bestand einschließlich der Änderung der Verwendung Anlaß sahen. Dies zweifellos deshalb, weil das Objekt damals längst bestanden habe. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch habe bereits mit Bescheid eine Betriebsanlagengenehmigung für die in diesem Gebäude eingerichtete Weberei erteilt. Nach dem Inhalt des betreffenden gewerbepolizeilichen Aktes könne kein Zweifel bestehen, daß diese Genehmigung jenes Gebäude betroffen habe, das Gegenstand des Vorstellungsverfahrens sei. Die Berufungsbehörde habe somit zwar in Unkenntnis der von der Aufsichtsbehörde selbst erhobenen Fakten aber dennoch zu Recht darauf verwiesen, daß dann, wenn hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes Unterlagen für die Baubewilligung nicht mehr auffindbar seien, andererseits aber feststehe, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grund, weil ein Konsens fehle, niemals stattgefunden hätten, die Vermutung dafür spreche, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt auf Grund einer nach dem im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden sei, es sei denn, daß Anhaltspunkt für eine gegenteilige Annahme vorlägen. Der Rechtsansicht der Berufungsbehörde bezüglich der Zulässigkeit einer Abstandsnachsicht sei uneingeschränkt beizupflichten. Bei einer Änderung der Verwendungsart eines bestehenden Gebäudes habe sich die Prüfung im Sinne des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes auf die Frage der Beeinträchtigung der Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit im Zusammenhang mit der Verwendung zu beschränken.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Gemeinde, eine Gegenschrift, in der jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Einhaltung des Instanzenzuges, auf Einhaltung der Bauabstände, auf aktenkonforme Entscheidung, mängelfreie Begründung, Parteiengehör und richtige Tatsachenfeststellung beschwert.

Die Verkürzung des Instanzenzuges erblickt die Beschwerdeführerin einerseits darin, daß die Behörde erster Instanz Einwendungen der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen habe, die Berufungsbehörde aber in der Sache selbst entschieden habe, andererseits in dem Umstand, daß die Frage der Bauabstandsnachsicht erst in der Berufungsinstanz aufgeworfen worden sei.

Die subjektiv-öffentlichen Rechte des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren sind im § 30 Abs. 1 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972 (BauG), taxativ aufgezählt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 82/06/0062, 0063, sowie die dort zitierte Vorjudikatur). Darunter fällt nach der lit. b des § 30 auch § 6, insoweit er den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm betrifft. Gemäß § 30 Abs. 2 BauG sind Einwendungen der Parteien, mit denen die Verletzung anderer als im Abs. 1 genannter öffentlich-rechtlicher Vorschriften behauptet wird, als unzulässig zurückzuweisen. Die Baubehörde erster Instanz ist daher nicht rechtswidrig vorgegangen, wenn sie Einwendungen der Beschwerdeführerin, die sich nicht auf eines der im § 30 Abs. 1 des Baugesetzes taxativ aufgezählten subjektiv-öffentlichen Rechte der Nachbarn bezogen, als unzulässig zurückgewiesen hat. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat sich aber bereits die Behörde erster Instanz mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin, soweit sie sich auf die Einhaltung der Abstandsfläche bezogen, inhaltlich auseinandergesetzt und diese auch im Spruch ihres Bescheides gemäß § 30 Abs. 1 als unbegründet abgewiesen.

§ 6 Abs. 9 des Baugesetzes hat folgenden Wortlaut:

"(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden."

Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin kann weder dieser, noch einer anderen Bestimmung des Baugesetzes ein Regelungsinhalt entnommen werden, wonach nur die Behörde erster Instanz eine Genehmigung des Gemeindevorstandes einholen könnte, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob die Gemeindevertretung überhaupt hiezu verpflichtet wäre. Eine Abstandsnachsicht nach § 6 Abs. 9 des Baugesetzes hat auch nicht bescheidmäßig zu erfolgen; die Behörde hat lediglich bei Beurteilung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens auch zu überprüfen, ob nicht auch geringere Abstände im Sinne des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes zuzulassen sind. Bei der Erteilung der Baubewilligung gemäß § 31 Abs. 3 des Baugesetzes hat die Baubehörde zu überprüfen, ob das Vorhaben nach Art, Lage, Umfang, Form und Verwendung den Bestimmungen dieses Gesetzes und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen sowie einem Flächenwidmungsplan oder Bebauungsplan entspricht. In diese Überprüfung sind mangels anderer Regelungen auch die Überlegungen einzubeziehen, ob die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 9 des Baugesetzes vorliegen. Der Bürgermeister ist aber nicht befugt, eine als erforderlich angesehene Abstandsnachsicht ohne Genehmigung des Gemeindevorstandes zuzulassen.

Die behauptete Verletzung des Instanzenzuges liegt somit nicht vor.

Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis hinsichtlich der Bauabstandsnachsicht berechtigt. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Erkenntnis vom , Zlen. 82/06/0062, 0063, ausgesprochen hat, dienen die Vorschriften über Abstandsflächen gegenüber Nachbargrundstücken zweifellos dem Schutz der Nachbarn im Sinne des § 30 Abs. 1lit. b des Baugesetzes. Zutreffend haben zwar sowohl die Stadtvertretung der Stadt H als auch die Gemeindeaufsichtsbehörde erkannt, daß sich bei einem Verfahren zur baupolizeilichen Bewilligung einer Änderung der Verwendungsart eines bestehenden Gebäudes die Prüfung im Sinne des § 6 Abs. 9 des Baugesetzes auf die Frage der Beeinträchtigung der Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit im Zusammenhang mit der neuen Verwendung zu beschränken habe, wie dies im bereits oben zitierten Erkenntnis vom deutlich klargestellt ist. Danach ist auf die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob die Abstandsnachsicht "wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung" überhaupt zulässig ist, nicht neuerlich einzugehen. Dies bedeutet aber auf den vorliegenden Fall bezogen, daß die derart eingeschränkte Prüfungsbefugnis der Baubehörde nur dann vorlag, wenn der Altbestand konsentiert oder die Vermutung gerechtfertigt ist, daß die Baulichkeit, trotz Fehlens einer schriftlichen Baubewilligung, baubehördlich bewilligt worden sei.

Zum Problemkreis des "vermuteten Konsenses" hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 1200/63, ausgeführt, daß ein Zeitraum von ungefähr 30 bis 40 Jahren zu kurz sei, um die auf eine bloße Vermutung zu stützende Annahme zu rechtfertigen, die Baulichkeiten seien, trotz Fehlens einer schriftlichen Baubewilligung, baubehördlich bewilligt worden. Dies müsse vor allem dann gelten, wenn es sich um ein Gebiet handle, von dem amtsbekannt sei, daß für Bauführungen aus dieser Zeit entsprechende Unterlagen bei der Behörde aufliegen. In seinem Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 6509/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit nur dann Platz greifen soll, wenn der Zeitpunkt der Erbauung desselben offensichtlich soweit zurückliegt, daß, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nicht mehr besteht.

Um überhaupt beurteilen zu können, ob ein Gebäude so alt ist, daß die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes Platz greifen kann, bedarf es eines Ermittlungsverfahrens. Hier ist allenfalls mit Hilfe von Sachverständigen, die nach Begutachtung des Gebäudes aus dem Bauzustand und den verwendeten Materialien Schlüsse auf den Zeitpunkt der Errichtung ziehen können, das Alter des konkreten Hauses festzustellen, da nur so beurteilt werden kann, ob die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit in Betracht kommt. Der Umstand allein, daß allenfalls an derselben Stelle etwa in einem Bebauungsplan schon im Jahre 1911 ein Gebäude ausgewiesen war, vermag nichts über das Alter eines jetzt auf diesem Platz bestehenden Gebäudes auszusagen. Ein allenfalls im Jahre 1911 bestehendes Gebäude könnte Jahrzehnte später abgetragen und durch ein vollständig neues Gebäude ersetzt worden sein. Da im vorliegenden Fall jede Beschreibung des Gebäudes fehlt, mangelt es schon an einer grundlegenden Voraussetzung für die Annahme, daß das Gebäude zu einer Zeit errichtet worden sei, in welcher für die Errichtung von Baulichkeiten üblicherweise noch keine schriftlichen Baubewilligungen erteilt worden sind. Die Aufsichtsbehörde hätte diesen Mangel entweder selbst aufgreifen und das Verfahren in dieser Richtung ergänzen oder den Bescheid der Stadtvertretung der Stadt H aufheben und die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Stadtvertretung verweisen müssen. Da sie dies nicht erkannte, belastete sie schon aus diesem Grund den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Gemäß § 15 Abs. 2 der Landesbauordnung, LGBl. Nr. 49/1962, in der im Jahre 1964 in Geltung gestandenen Fassung, bedurften einer Baubewilligung alle baulichen Veränderungen an Gebäuden, wodurch das äußere Ansehen oder die Benützungsart eines Gebäudes eine Änderung erfahren soll, oder wodurch sonst in irgendeiner Weise auf die Festigkeit, sichere Benützung, Feuersicherheit, die gesundheitlichen Verhältnisse des Objektes oder auf die Rechte der Nachbarn ein nachteiliger Einfluß ausgeübt werden kann. Die belangte Behörde hat aus dem Umstand, daß an der Verhandlung zur Erteilung der gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung für die Herstellung von Dispersionsfarben in einem Gebäude, das nach Ansicht der belangten Behörde bisher als Weberei verwendet wurde, ein Bausachverständiger teilgenommen hat und dieser baupolizeilich genehmigungspflichtige Arbeiten als nicht erforderlich erachtete, den Schluß gezogen, daß die Bewilligungspflicht deshalb verneint worden sei, weil dieses Objekt damals längst bestanden habe. Aus der Verneinung der baubehördlichen Bewilligungspflicht der Änderung der Benützungsart durch den Bausachverständigen konnte lediglich der Schluß gezogen werden, daß dieser die damals bestehenden baurechtlichen Vorschriften unrichtig auslegte, steht es doch außer Zweifel, daß durch die Änderung der Benützungsart eines Gebäudes, in dem bisher eine Weberei untergebracht war, in eine Anlage von Dispersionsfarben in irgendeiner Weise ein nachteiliger Einfluß auf die Feuersicherheit oder gesundheitlichen Verhältnisse ausgeübt werden konnte.

Da die belangte Behörde sohin die Ergänzungsbedürftigkeit des Verfahrens der Stadtvertretung nicht erkannte, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.