VwGH vom 25.06.1996, 96/17/0232
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
96/17/0235
96/17/0233
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. der Brauerei A-AG in W (zur Zl. 96/17/0232), 2. der Brauerei B-AG in X (zur Zl. 96/17/0233) und 3. der Brauerei C-GesmbH in Y (zur Zl. 96/17/0235), alle vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des BMLF 1. zur Zl. 96/17/0232 vom , Zl. 17.711/10-I A 7/96, 2. zur Zl. 96/17/0233 vom , Zl. 17.711/15-I A 7/96 und 3. zur Zl. 96/17/0235 vom , Zl. 17.711/20-I A 7/96, betreffend Aussetzung der Einhebung der Abgabe auf Überschußbestände an Reis gemäß § 212a BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der Marktordnungsstelle Agrarmarkt Austria (AMA) vom wurde den Beschwerdeführerinnen jeweils gemäß §§ 105 und 114 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 664/1994 in Verbindung mit §§ 2 und 9 der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Einhebung einer Abgabe auf bestimmte Überschußbestände (überschußbestands-Verordnung), BGBl. Nr. 1103/1994, eine Abgabe auf den Überschußbestand an Reis zum (in jeweils unterschiedlichem Betrage) vorgeschrieben.
Die Beschwerdeführerinnen erhoben jeweils mit Schriftsatz vom Berufung gegen die Abgabenvorschreibung und verbanden mit dieser Berufung den Antrag gemäß § 212a BAO, die Einhebung der mit dem bekämpften Bescheid vorgeschriebenen Abgabe zur Gänze auszusetzen. Begründet wurde dieser Antrag damit, daß die Berufung nach Lage des Falles erfolgversprechend sei, der Bescheid in allen Punkten angefochten worden sei und das Verhalten der Berufungswerberin nicht auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet sei.
Über diesen Antrag erging jeweils mit Datum vom ein Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria, mit welchem (wortgleich) jeweils ausgesprochen wurde:
"Gemäß § 254 BAO wird Ihrer Berufung gegen den Bescheid der Agrarmarkt Austria vom , mit dem Abgaben auf den Überschußbestand an Reis des KN-Codes 1006 40 auf Grund der Überschußbestands-VO, BGBl. Nr. 1103/1994, zur Zahlung vorgeschrieben wurden, die aufschiebende Wirkung nicht erteilt."
In der Begründung dieses Bescheides wird ausdrücklich auf den in der Berufung vom gestellten Antrag Bezug genommen; der Antrag wird allerdings als Antrag "auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung" gedeutet und in der Folge die Begründung für diesen Antrag wiedergegeben.
Begründet wird der Bescheid lediglich mit der knappen Wiedergabe des Inhalts des § 254 BAO und einem Hinweis auf ein Schreiben der Europäischen Kommission, dem zufolge die auf Grund der Verordnung der EG Nr. 3108/94 über die auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einzuhebenden Abgaben unverzüglich zu erheben seien, unabhängig davon, ob Berufung eingelegt worden sei.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführerinnen Berufung. Mit den drei nunmehr angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde unter Spruchpunkt 1 der "gegen den Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria, GZ ..., vom rechtzeitig erhobenen
Berufung ... gemäß § 289 BAO" statt, wies aber unter
Spruchpunkt 2 den in der Berufung vom gestellten Antrag gemäß § 212a BAO "gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 3108/94 der Kommission vom über die auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Verbindung mit den §§ 4, 5, 7, 8 und 9 der Überschußbestandsverordnung, BGBl. Nr. 1104/1994" ab.
Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens (Abgabenbescheid, Berufung und Antrag gemäß § 212a BAO, Abweisung des Antrags gemäß § 254 BAO durch den Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria) aus, daß der Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der AMA zu beheben gewesen sei, da sich der Antrag der Beschwerdeführerinnen auf die Aussetzung der Einhebung der Abgabe gemäß § 212a BAO bezog. In der Folge wird unter Hinweis auf § 105 Abs. 1 MOG in der Fassung BGBl. Nr. 664/1994 (Anwendung der BAO auf Abgaben auf Marktordnungswaren, die im Rahmen von Regelungen im Sinne des § 94 Abs. 2 MOG erhoben werden) ausgeführt, daß die belangte Behörde über die Berufung der Beschwerdeführerinnen zu entscheiden gehabt habe. Daran anschließend wird unter Hinweis auf den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ausgeführt, daß unmittelbar geltende Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane zur Folge hätten, daß allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar werde. Darüber hinaus werde ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären. Würde nämlich staatlichen Gesetzgebungsakten, die auf den Bereich übergreifen, in dem sich die Rechtssetzungsgewalt der Gemeinschaft auswirkt, oder die sonst mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar seien, irgendeine rechtliche Wirksamkeit zuerkannt, so würde insoweit die Effektivität der Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag vorbehaltlos und unwiderruflich übernommen hätten, verneint und die Grundlagen der Gemeinschaft selbst würden auf diese Weise in Frage gestellt. Aus all dem folge, daß jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene staatliche Richter verpflichtet sei, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem einzelnen verleihe, zu schützen, indem er jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen sei, unangewendet lasse. Aus diesen vom Europäischen Gerichtshof formulierten Rechtsgrundsätzen (Hinweis auf das Urteil des EuGH 1978, Rs 106-77) ergebe sich, daß dem Gemeinschaftsrecht soweit Vorrang zukomme, als jede nationale Bestimmung, die die Einhebung der Abgabe hinauszögere, nicht zur Anwendung kommen dürfe. Aus diesem Grund hätte dem Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO nicht stattgegeben werden können.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen die Verletzung im einfach gesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Aussetzung der Einbringung der Abgabe gemäß § 212a BAO geltend gemacht wird und Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der neuerlich unter Hinweis auf den Vorrang auf unmittelbar anwendbares EU-Recht die Möglichkeit der Anwendung des § 212a BAO im Beschwerdefall verneint und zur Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 289 BAO ausgeführt wird, daß die erste Instanz entgegen den Ausführungen in den Beschwerden den in der Berufung gestellten Antrag auf Aussetzung gemäß § 212a BAO behandelt habe. Es werde der Antrag gestellt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf den sachlichen Zusammenhang der Beschwerdefälle beschlossen, diese zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat erwogen:
1. Zur Zuständigkeit und der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde:
a) Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß im Hinblick auf die Gesamtheit der organisatorischen, verfahrensrechtlichen und die Zuständigkeit regelnden Vorschriften für die Tätigkeit der AMA gegen erstinstanzliche Bescheide von Organen der AMA mangels ausdrücklichen Ausschlusses eines Rechtsmittels oder einer ausdrücklichen anderslautenden Regelung des Instanzenzuges die Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft zulässig ist (vgl. insbesondere § 3 Abs. 2 und § 29 Abs. 3 AMA-Gesetz, BGBl. Nr. 376/1992, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 664/1994). Auch § 21i AMA-Gesetz idF BGBl. Nr. 664/1994 kann nicht als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes angesehen werden, daß eine Berufung (an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) nur zulässig wäre, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Vor allem § 29 Abs. 3 AMA-Gesetz bringt vielmehr den umgekehrten Gedanken zum Ausdruck, daß sich durch die Übertragung der Zuständigkeit zur behördlichen Entscheidung auf die (Organe der) AMA am Instanzenzug, wie er bis zur Erlassung des AMA-Gesetzes geregelt war, nichts ändern sollte (wo die Materiengesetze die Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft zuließen, sollte sie auch weiterhin zulässig sein, wo die Berufung ausgeschlossen war, sollte sie auch weiterhin nicht gegeben sein). Wenn auch § 29 Abs. 3 AMA-Gesetz sich nur auf die dort genannten Materiengesetze bezieht, zeigt er damit doch, daß der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen ist, daß von der AMA (bzw. deren Organen) kein Rechtszug an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft gegeben sei. Ungeachtet der Frage, wie im Falle der Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf ausgegliederte nichtstaatliche Rechtsträger (Beleihung) ohne derartige positiv-rechtliche Hinweise zum Instanzenzug die Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln an staatliche Organe zu beurteilen ist (vgl. z.B. VfSlg. 1946/1950 und Schäffer, in:
Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Privatrechtssubjekte, Schriftenreihe der Bundeswirtschaftskammer Nr. 22, 73), kann daher im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, daß der Instanzenzug an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft grundsätzlich offensteht. Es steht somit nichts entgegen, den Verweis auf die BAO in § 105 Abs. 1 MOG auch als Verweis auf § 243 BAO betreffend die Möglichkeit der Berufung gegen erstinstanzliche Abgabenbescheide zu verstehen; sachlich zuständig ist dabei im Hinblick auf § 105 Abs. 1 MOG der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft.
b) In den Beschwerden machen die Beschwerdeführerinnen übereinstimmend geltend, daß über den Antrag gemäß § 212a BAO der Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria als Abgabenbehörde erster Instanz zu entscheiden gehabt hätte. Die Agrarmarkt Austria habe jedoch nur über einen nicht gestellten Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgesprochen. Der Antrag auf Aussetzung der Einhebung vom sei noch unerledigt. Es hätte daher die belangte Behörde aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerinnen gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht in der Sache des Aussetzungsantrages gemäß § 212a BAO entscheiden dürfen, sondern sie hätte den jeweiligen erstinstanzlichen Bescheid lediglich zu beheben gehabt.
Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, daß nach der Begründung der Bescheide vom der Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria mit diesen Bescheiden ausdrücklich über den von den Beschwerdeführerinnen in ihren Berufungsschriftsätzen vom gestellten Antrag abgesprochen hat. Der Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria hat diesen Antrag zwar verfehlterweise als einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gedeutet und mit dem - verfehlten - Hinweis auf § 254 BAO abgewiesen, es kann jedoch im Hinblick auf die aus der Begründung hervorgehende Absicht, über den im Berufungsschriftsatz gestellten Antrag vom abzusprechen, nicht davon ausgegangen werden, daß der Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO noch unerledigt sei (ob der Bescheid inhaltlich zutreffend ist, ist eine andere Frage).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur zum AVG vertritt, sind der Spruch und die Begründung eines Bescheides als Einheit zu sehen und ist im Zweifel aus dem Zusammenhalt beider der nähere Sinn und Inhalt der Entscheidung zu erschließen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/05/0114). In gleicher Weise wie nach dem AVG im Hinblick auf § 66 Abs. 4 AVG bei der Bestimmung, was Sache des Berufungsverfahrens ist, unter Umständen die Begründung des Bescheides heranzuziehen ist, um den Gegenstand der Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde abzugrenzen, muß im Rahmen der BAO bei der Bestimmung der Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde gemäß § 289 Abs. 1 BAO im Falle von Unklarheiten des Spruches auf die Begründung zurückgegriffen werden. Die Bestimmung der "Sache" im Sinn des § 66 Abs. 4, aber auch des § 289 BAO, hat im Verfahren zur Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes zunächst an Hand des Antrags zu erfolgen (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/09/0022); es ist aber - hierin ist den Beschwerden zu folgen - durchaus möglich, daß die Behörde entgegen ihrer Entscheidungspflicht nicht oder nicht vollständig über einen Antrag abspricht. Die Beurteilung, ob und inwieweit eine Behörde über einen Antrag abgesprochen hat, hat aufgrund des Inhalts des Bescheides zu erfolgen, wobei mit dem oben genannten Erkenntnis vom davon auszugehen ist, daß der Bescheidwille nicht allein aus dem Spruch oder einem "Vorspruch" zum Bescheidspruch abzuleiten ist, sondern sich aus dem Gesamtzusammenhang ergeben kann. Im Beschwerdefall ist insbesondere hervorzuheben, daß § 254 BAO keinen eigenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kennt. Aus dem Zusammenhalt von Spruch und Begründung ist daher zu schließen, daß die Behörde erster Instanz den am gestellten Antrag erledigen wollte. Es erging somit nicht eine Erledigung über einen nicht existenten Antrag, sodaß die belangte Behörde die Entscheidung erster Instanz lediglich aufzuheben gehabt hätte (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/17/0007).
Damit ergibt sich, daß die belangte Behörde gemäß § 289 BAO zur Entscheidung in der Sache zuständig war. Der Bescheid leidet insoweit nicht an Rechtswidrigkeit. Daran ändert auch nichts, daß die belangte Behörde möglicherweise - vgl. die obige Darstellung der Spruchgestaltung und der Begründung des angefochtenen Bescheides, in der einerseits von der Behebung des erstinstanzlichen Bescheides die Rede ist, andererseits aber die Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache über den Antrag nach § 212a BAO angenommen wird - ursprünglich selbst davon ausgegangen ist, daß über den Antrag gemäß § 212a BAO noch nicht entschieden sei (in der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde nunmehr ausdrücklich die Auffassung, daß über die Anträge von der Behörde erster Instanz entschieden worden sei). Wie oben dargelegt, wurde mit den Bescheiden vom auch tatsächlich über die Anträge nach § 212a BAO entschieden, sodaß die belangte Behörde im Ergebnis zutreffend eine Entscheidung in der Sache gemäß § 289 BAO fällen konnte.
2. Zur Frage des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der Anwendung des § 212a BAO:
Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechtes bei der Einhebung von Abgaben auf Grund unmittelbar geltender EU-Vorschriften durch die nationalen Behörden bedeute, daß innerstaatliche Vorschriften, die die "Einhebung der Abgabe hinauszögern", nicht angewendet werden dürften.
In den Beschwerden wird demgegenüber darauf hingewiesen, daß nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bei der Einhebung (auch) gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebener Abgaben die nationalen Behörden grundsätzlich die nationalen Vorschriften anzuwenden hätten. Nach einhelliger Lehre und ständiger Rechtsprechung des EuGH liege der Vollzug des gemeinschaftlichen Agrarrechts, insbesondere des Marktordnungsrechtes in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Der EuGH erkenne ausdrücklich, daß "die nationalen Behörden grundsätzlich die nationalen Vorschriften anwenden können, nach denen die sofortige Einziehung des geschuldeten Betrages ausgesetzt oder Ratenzahlung gewährt werden kann ( Peter, Rs C-290/91). Nach dem Süderdithmarschen, Rs C-143/88, könnten nationale Behörden sogar die Vollziehung von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht aussetzen, wenn sie erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Gemeinschaftsverordnung hätten, und sie, sofern der Gerichtshof mit ihr noch nicht befaßt sei, diesem selbst vorlegen, wenn die Entscheidung dringlich sei und dem Antragsteller Schaden droht. Zu beachten sei überdies, daß im Beschwerdefall gar nicht die Aussetzung der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht beantragt worden sei, vielmehr das Verwaltungsverfahren zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts, nämlich der Feststellung einer Abgabenpflicht dem Grunde und der Höhe nach, noch im Gange sei. Es sei lediglich beantragt worden, bis zum Abschluß dieses Verfahrens entsprechend der österreichischen und europäischen Rechtsordnung die Abgabe nicht sogleich bezahlen zu müssen. Die Entscheidung über die Abgabenpflicht an sich sei Gegenstand des anhängigen Verfahrens und werde gegebenfalls gesondert zu überprüfen sein.
Im übrigen wird zur Argumentation der belangten Behörde betreffend den Vorrang und die unmittelbare Geltung von Gemeinschaftsrecht darauf hingewiesen, daß die Nichtanwendung des § 212a BAO im gegebenen Zusammenhang baugesetzwidrig sei und im Hinblick auf den nur unter Integrationsschranken erfolgten Beitritt Österreichs zur EU ein solches EU-Recht als nichtig anzusehen sei.
Die Beschwerdeführerinnen sind mit diesem Vorbringen im Ergebnis im Recht.
Rechtsgrundlage der den Beschwerdeführerinnen vorgeschriebenen Abgaben sind die §§ 94 und 105 MOG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 664/1994 einerseits, die Verordnung (EG) Nr. 3108/94 der Kommission über die auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Erhebung einer Abgabe auf bestimmte Überschußbestände (Überschußbestands-Verordnung), BGBl. Nr. 1103/1994, andererseits.
§§ 94 und 105 MOG, BGBl. Nr. 210/1985 idF BGBl. Nr. 664/1994, lauten:
"§ 94. (1) Gemeinsame Marktorganisationen im Sinne dieses Abschnittes sind Regelungen zur Schaffung und Durchführung der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte für die in Anhang II des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) angeführten Erzeugnisse sowie sonstige Handelsregelungen (im folgenden: gemeinschaftliches Marktordnungsrecht).
(2) Regelungen im Sinnes dieses Abschnittes, ausgenommen Regelungen im Rahmen der Zuständigkeit nach § 96 Abs. 3, sind
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | die Bestimmungen des EG-Vertrages samt Protokollen, | |||||||||
2. | die Bestimmungen in Verträgen, einschließlich der zu ihnen gehörigen Akte mit Protokollen, die auf Grund des EG-Vertrages zustande gekommen sind oder zu dessen Erweiterung, Ergänzung oder Durchführung oder zur Begründung einer Assoziation, Präferenz oder Freihandelszone abgeschlossen und rechtswirksam sind, | |||||||||
3. | Rechtsakte des Rates oder Kommission der Europäischen Union auf Grund oder im Rahmen der unter den Z. 1 und 2 genannten Verträge sowie rechtsverbindliche Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften. |
§ 105. (1) Auf Abgaben auf Marktordnungswaren, die im Rahmen von Regelungen im Sinne des § 94 Abs. 2 erhoben werden, sind die Vorschriften der Bundesabgabenordnung anzuwenden, soweit durch diesen Abschnitt oder durch Verordnung auf Grund dieses Abschnittes nicht anderes bestimmt ist. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft und die jeweils zuständige Marktordnungsstelle sind, soweit die Vorschriften der Bundesabgabenordnung anzuwenden sind, bei der Vollziehung dieser Bestimmung Abgabenbehörden im Sinne des § 49 Abs. 1 BAO; weiters ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft Oberbehörde bei Ausübung des Aufsichtsrechts.
(2) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft kann durch Verordnung, soweit dies zur Durchführung von Regelungen im Sinne des § 94 Abs. 2 hinsichtlich Marktordnungswaren erforderlich ist, Vorschriften erlassen über das Verfahren bei Abgaben gemäß Abs. 1, insbesondere über den Kreis der Abgabenschuldner, Abführungspflichtigen und die Ansprüche zwischen diesen, sowie über Voraussetzungen und Höhe dieser Abgaben."
Art. 4 der zitierten Verordnung (EG) Nr. 3108/94 lautet:
"(1) Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 145 Absatz 2 der Beitrittsakte erheben die neuen Mitgliedstaaten, sofern keine strengeren nationalen Vorschriften bestehen, ab Abgaben auf Überschußbestände, die von den Besitzern zu entrichten sind.
Es sind als mögliche Überschußbestände die Mengen an landwirtschaftlichen Produkten in Rechnung zu stellen, für die eine Ausfuhrerstattung im Sinne von Artikel 3 oder 25 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission (4) beantragt worden ist, und die ab in den neuen Mitgliedstaaten vermarktet werden.
(2) Zur Ermittlung der jeweiligen Überschußbestände berücksichtigen die neuen Mitgliedstaaten insbesondere:
...
(5) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten für die Waren folgender KN-Codes:
- für Österreich 1006; 0806 20; 1702 10; 1509; 1510;"
Die Einhebung der Überschußbestandsabgabe auf Reis stellt somit einen Fall des innerstaatlichen Vollzuges des EG-Abgabenrechts dar. Die Modalitäten der Einhebung richten sich dabei nach nationalem Recht, soweit keine gemeinschaftsrechtliche Regelung besteht (vgl. z.B. Potacs, EU-Mitgliedschaft und Rechtschutz gegen Verwaltungshandeln in Österreich, Journal für Rechtspolitik 1995, 184). Nach der Judikatur des EuGH ist es nicht ausgeschlossen, daß auch innerstaatliche Vorschriften über die Nachsicht und Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen (wie etwa in § 236 BAO) zur Anwendung kommen. Wie in der Beschwerde darüber hinaus zutreffend ausgeführt wird, hat der EuGH im Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Rs C-143/88 und C-92/89, auch die Zulässigkeit der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung eines auf einer EG-Verordnung beruhenden Abgabenbescheides bejaht und in diesem Erkenntnis die näheren Voraussetzungen für eine derartige Aussetzung umschrieben (vgl. im gleichen Sinne aus jüngster Zeit das Atlanta Fruchthandelsgesellschaft m.b.H., Rs C-465/93, abgedruckt in NJW 1996, 1333, in welcher der Gerichtshof ebenfalls die Grenzen einer derartigen Aussetzung anspricht). Dabei ist auch nicht von entscheidender Bedeutung, daß der EuGH die genannten Grundsätze bisher nur im Zusammenhang mit Vorlageanträgen von Gerichten gemäß Art. 177 EGV entwickelt hat: Zum einen ist damit nicht zwingend ein Umkehrschluß dahingehend verbunden, daß nicht vorlageberechtigte Behörden keinen provisorischen Rechtsschutz gewähren dürften - was immerhin einen gravierenden Wertungswiderspruch und eine bedeutende Einbuße an Effizienz des Rechtsschutzes bedeuten würde -, wenn sie - wie hier - der nachprüfenden, ihrerseits vorlagepflichtigen gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Zum anderen dient der Hinweis auf die Judikatur zum provisorischen Rechtsschutz im vorliegenden Zusammenhang nur als unterstützendes Argument dafür, daß bei der Anwendung des Grundsatzes, daß bei der Einhebung gemeinschaftsrechtlich geregelter Abgaben nach dem nationalen Verfahrensrecht vorzugehen ist, kein Grund besteht, Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, die in diesem nationalen Recht vorgesehen sind, auszunehmen. Überdies ist darauf hinzuweisen, daß der EuGH die dargestellte Judikatur zum provisorischen Rechtsschutz gerade in Fortentwicklung des Gedankens vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts entwickelt hat und die Verpflichtung der nationalen Gerichte zu seiner Gewährung auch dort annimmt, wo dafür gar keine innerstaatliche ausdrückliche Rechtsgrundlage vorhanden ist. Die belangte Behörde ist in diesem Zusammenhang auf die von ihr selbst vertretene Position zu verweisen, daß die nationalen Organe gemeinschaftsrechtlich gehalten sind, die Rechte, die das Gemeinschaftsrecht dem einzelnen verleiht, zu schützen).
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Gewährung provisorischen Rechtsschutzes mit Gemeinschaftsrecht in Konflikt geraten kann, wenn durch die Einräumung etwa der aufschiebenden Wirkung der Effekt einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung unterlaufen würde (vgl. zu einer derartigen Konstellation das sog. Tafelwein-Urteil des EuGH; dazu Potacs, in: Schwarze, Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1996, 760) oder Interessen der Gemeinschaft nicht angemessen berücksichtigt würden; im vorliegenden Fall der Einhebung einer Abgabe vermag der Verwaltungsgerichtshof jedoch mangels geeigneter Feststellungen der belangten Behörde keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, daß im Falle einer nicht sofortigen Einhebung der Abgabe es zu einer Vereitelung des Zwecks der Gemeinschaftsmaßnahme käme oder die Interessen der Gemeinschaft durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Anwendung des § 212a BAO nicht angemessen berücksichtigt würden (vgl. wiederum das die Einhebung einer Abgabe betreffende Urteil in der Rechtssache Zuckerfabrik Süderdithmarschen und das erwähnte ). Die Annahme der belangten Behörde, daß jegliche innerstaatliche Vorschrift, die eine Aussetzung der Einhebung der auf einer EU-Verordnung basierenden Abgabe, bewirke, auf Grund des Gemeinschaftsrechts unanwendbar sei, trifft somit in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es liegen im besonderen aber nach dem bisher von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt auch keine Gründe vor, die ausnahmsweise ein Abgehen von den dargestellten Grundsätzen des Vollzuges des gemeinschaftsrechtlichen Abgabenrechts nach den nationalen Vorschriften rechtfertigen oder gebieten würden. Das von den Verwaltungsbehörden ins Treffen geführte Schreiben der Europäischen Kommission vermag jedenfalls eine derartige Rechtfertigung mangels Angabe konkreter Gründe nicht zu liefern. Die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO ausschließlich mit der Begründung, der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes erfordere die Nichtanwendung des § 212a BAO, ohne näher auf die Frage einzugehen, ob und inwieweit die Voraussetzungen für die Aussetzungen vorlägen und ob bzw. inwieweit im Rahmen der gemeinschaftsrechtskonform auszulegenden Aussetzungshindernisse des § 212a Abs. 2 lit. a und lit. c BAO unter Bedachtnahme auf die erwähnte Rechtsprechung des EuGH auch die angemessene Berücksichtigung der Interessen der Gemeinschaft geboten ist, belastet die angefochtenen Bescheide daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage, inwieweit im Falle einer Baugesetzwidrigkeit EU-Vorschriften, die zu einer derartigen Baugesetzwidrigkeit führen würden, als nichtig angesehen werden könnten, ist daher im Zusammenhang der vorliegenden Beschwerdefälle nicht näher einzugehen, weil jedenfalls die nach den vorstehenden Ausführungen gebotene angemessene Berücksichtigung von Gemeinschaftsinteressen eine Baugesetzwidrigkeit der Rechtslage nicht erkennen läßt.
3. Die Beschwerden erweisen sich damit als begründet und die angefochtenen Bescheide waren gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel bezeichneten Stempelaufwand.
5. Im Hinblick auf die Entscheidung in der Sache erübrigt sich ein Abspruch des Berichters über die mit den Beschwerden verbundenen Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.